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Bewundert von drei Generationen

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Textdaten
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Autor: Frigyes Szarvady
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Titel: Bewundert von drei Generationen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 104–106
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über das Leben der Mademoiselle George
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[104]
Bewundert von drei Generationen.
Von Fr. Szarvady in Paris.


Man rühmt den Franzosen mit Recht eine große Andacht für ihre Nationalgrößen nach. Wer aber hat das geringe Häuflein gesehen, das sich jüngst dem Friedhof von Montparnasse zu bewegte, als eine Königin der Kunst zu Grabe ging, eine Künstlerin, welcher drei Geschlechter Ruhmeskränze wanden, eine Schauspielerin, für die Schlachten geschlagen worden sind, ein Weib, das gekrönte Häupter, den modernen Cäsar, zu seinen Füßen sah, eine Frau, welcher die besten Geister des Jahrhunderts ihre Huldigungen dargebracht haben! Dieser unscheinbare Sarg umfaßte Fräulein Georges, für welche, wie für Josua, die Sonne still stand und deren Lustren nicht mehr zählten, als für vergängliche Schönheit ein Jahr. Diese Künstlerin hatte das Unglück, nicht, wie die Rachel, im Augenblicke zu sterben, wo ihr Ruhm auf seinem Höhepunkte stand. Die Arme war bereits vergessen, ihre ruhmreiche Laufbahn reicht so weit zurück, daß man sie längst todt glaubte. Ja, diese berühmte Georges war verschollen, obgleich sie noch vor wenigen Jahren, im Greisenalter, ihre letzten dramatischen Lorbeern pflückte.

In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war ein gewisser Weymar Capellmeister und Director des Theaters in Bayeux und seine Frau die Soubrette der Gesellschaft. Dies waren die Eltern der Künstlerin Marguérite Georges, die 1786 geboren wurde. Man erzählt, daß die Geburtswehen über Frau Weymar kamen, während ihr Mann am Dirigentenpulte im Theater saß, wo gerade der Tartüffe von Molière aufgeführt wurde. Der zärtliche Gatte, welcher die Katastrophe nahe wußte, fühlte sich plötzlich von unsäglicher Angst erfaßt; zur Verwunderung seiner Musiker legte er mitten in der Symphonie, wie man damals die Zwischenactsmusik nannte, seinen Tactirstock nieder und rannte zum Theater hinaus. Ein dem Director nachgesandter Bote erklärte das befremdliche Betragen des Capellmeisters; er machte Meldung von dem Familienereignisse und fügte hinzu, daß die Mutter und das Kind sich des besten Wohlseins erfreuen. Gleich nach beendigter Vorstellung eilten die Musiker mit ihren Instrumenten vor die Wohnung ihres gern gelittenen Directors und bezeigten ihm ihre freudige Theilnahme durch ein Ständchen, das sie der Wöchnerin brachten. Die Nachricht des Boten aber war eine verfrühte und Frau Weymar stöhnte und ächzte oben im dritten Stockwerke, während unten ihre Niederkunft als eine glücklich vollzogene in der erwähnten harmonischen Weise begangen wurde. Vergeblich suchte der verzweifelte Weymar die ungelegenen Jünger Apollo’s fortzuweisen. Diese mißverstanden die heftigen Geberden, sie bliesen und geigten um so eifriger darauf los, je lebhafter von oben abgewehrt wurde. Die kleine Marguérite Weymar kam während des Concertes zur Welt. So geschah, wie gesagt, im Jahre 1786 zu Bayeux. Wie kommt es nun, daß Amiens sich lange Zeit rühmte, die Geburtsstadt der berühmten Schauspielerin zu sein?

Herr und Frau Weymar gefielen sich nicht lange in der Normandie und sie wandten ihren Schritt nach der Hauptstadt der Picardie, nach Amiens. Auf der Bühne desselben war es, wo Mimi Weymar als Kind ihre ersten Versuche machte. Die kleine [105] Mimi war bald eine Stadtberühmtheit geworden und der Stolz der Bewohner von Amiens. Später, 1801, wurde ihr durch eine einflußreiche Gönnerin, die das begabte Kind auf der Bühne gesehen hatte, eine Freistelle im Conservatorium in Paris und ein Gehalt von zwölfhundert Franken ausgewirkt.

So wanderte denn Fräulein Georges mit ihrer Mutter nach Paris. Das Théâtre français war bei ihrem ersten Auftreten überfüllt, denn die Nachricht hatte sich verbreitet von einem neuen Künstlerstern, und von einer unvergleichlichen Schönheit, allein hinreichend der jungen Anfängerin alle Herzen zu gewinnen.

Schon damals waren alle Berichte voll von der außerordentlichen Schönheit der Künstlerin. Man höre aber erst, wie sie nachmals der Maler in Worten, der Dichter Théophile Gautier, in ihrer Reife und Vollendung beschreibt: „Fräulein Georges gleicht zum Verwechseln einer Medaille von Syrakus oder einer Isis auf einem äginetischen Basrelief. Die mit unvergleichlicher Reinheit und Feinheit gezeichnete Wölbung der Brauen breitet sich über ein Paar schwarzer Augen aus voll Flammen und tragischen Blitzen. Die schmale, gerade Nase, von einem schiefliegenden, leidenschaftlich anschwellenden Nasenloche durchschnitten, schmiegt sich an die Stirn in einer Linie von prächtiger Einfachheit. Der Mund ist mächtig, an beiden Winkeln gewölbt, stolz wegwerfend, wie jener der Rachegöttin, die der Stunde harrt, wo sie ihren Löwen mit den ehernen Klauen entfesselt. Dennoch entblüht diesem Munde ein reizendes Lächeln voll kaiserlicher Anmuth, und wenn er zarte Neigungen aussprechen will, würde man nicht glauben, daß ihm soeben der antike Fluch oder der moderne Bann entfuhr. Das Kinn voll Kraft und Entschlossenheit rundet sich mit Festigkeit empor und endigt in einem majestätischen Umrisse dieses Profil, das mehr einer Göttin, als einer Frau angehört. Wie alle schönen Weiber des Heidenkreises, hat Fräulein Georges eine volle, breite, an den Schläfen ausgebauchte Stirn, aber sie ist wenig hoch, ziemlich ähnlich jener der Venus von Milo, eine eigenwillige, wollüstige, mächtige Stirn. Eine bemerkenswerthe Eigenheit des Halses von Fräulein Georges ist es, daß er, statt innerlich dem Nacken zu sich abzurunden, einen durchwegs ausgebauchten Umriß bildet, welcher ohne alle Krümmung von den Schultern bis zum Kopfe verläuft. Das ist das untrügliche Zeichen eines athletischen Temperamentes, wie es beim farnesischen Hercules seinen Gipfelpunkt erreicht hat. Der Ansatz der Arme hat etwas Furchtbares durch die Kraft der Muskel und die Gewalt des Umfangs. Ein Armband von Fräulein Georges würde einer Frau von mittelmäßigem Leibe als Gürtel dienen können. Aber diese Arme sind sehr weiß, sehr rein und laufen in ein Gelenk aus von kindlicher Zartheit, in winzige Händchen, besät von Liebesgrübchen, wahre königliche Hände, geschaffen, den Scepter zu tragen und den Dolch des Aeschylos und Euripides zu schwingen.“

Wenn die Besten zu dieser dithyrambischen Höhe sich verstiegen, was Wunder, wenn gemeine Sterbliche vom Rausche der Bewunderung zu ungewohnt leidenschaftlichen Kundgebungen hingerissen wurden? Mit dem ersten Augenblicke ihres Auftretens begann jene Reihe von siegreichen Schlachten, von Prüfungen jeder Art, von Wanderungen und abenteuerlichen Fahrten durch das Leben und die Kunst, welche die merkwürdige Laufbahn dieser Schauspielerin ausfüllten. Schon bei ihrem zweiten Erscheinen als Amenaide in Tancred brach der Krieg zwischen den Georgiens und den Carcassiens aus. Mit dem letzteren Namen wurden die Verehrer der durch ungewöhnliche Magerkeit ausgezeichneten Schauspielerin Duchesnois verspottet, da Carcasse im Französischen Gerippe bedeutet. Es war ein Kampf, der in den Journalen und in Flugschriften mit der Feder, im Parterre mit den Fäusten und außerhalb des Theaters mit dem Degen ausgekämpft wurde. Es ging oft heiß dabei her, und als die Georges unmittelbar nach ihrer Nebenbuhlerin in der Phädra auftrat, arbeitete die Pfeife der Carcassiens so gewaltig, daß man im vierten Acte die Schauspielerin ohnmächtig vom Schlachtfelde fortbringen mußte.

Nur ein wirkliches Talent kann Stürmen, wie diese, widerstehen, Schönheit allein kann nicht zum Siege in solchen Kämpfen führen. Aus jener Schlacht ging die Georges um einen Zoll größer hervor. Diese Triumphe auf dem Theater änderten indeß wenig in ihrer Lage, sie blieb Jahre lang in ihrer kleinen Wohnung des Hotel Peru; vertraute Freunde sahen wohl die große Tragödin im einfachen Nachtkleide vor einem Linsengericht sitzen. Aber auch das wirkliche Peru sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ein polnischer Fürst, Sapieha, ein Mann von ungewöhnlichem Reichthume, ein Bewunderer der Künstlerin, beschenkte diese mit fürstlicher Freigebigkeit und richtete ihr eine königliche Wohnung ein. Alexander Dumas, der sich nicht gern eine Gelegenheit entschlüpfen ließ, einen Scandal zu erzählen, betheuert, daß die Huldigung des polnischen Fürsten nur der Schauspielerin galt und im Uebrigen stets eine uneigennützige, platonische geblieben ist. Aber Anbeter mit mehr Ansprüchen stellten sich ein; Lucian, der Bruder des ersten Consuls, lag zu den Füßen der schönen Bühnenkönigin. Seine Bewerbung machte Eindruck, sie wäre vielleicht auch nicht ohne Erfolg geblieben, hätte der verliebte Bruder des Helden von Arcole nicht gegen diesen Gott des Tages selbst zu kämpfen gehabt.

Eines Abends erschien ein Bote, ein gewöhnlicher Diener des ersten Consuls – damals gab es noch keine gräflichen Liebesherolde, keine Bacciochis, derlei Sendungen zu erfüllen – um Fräulein Georges nach St. Cloud zu bescheiden. Die aus dieser Zusammenkunft folgenden zärtlichen Beziehungen zu Bonaparte waren von Dauer und der Kaiser Napoleon zeigte sich den gewaltigen Reizen dieser imperialen Schönheit gegenüber nicht unempfindlicher, als früher der erste Consul. Josephine blieb der Künstlerin trotzdem gewogen; sie machte ihr einen mit echtem Golde gestickten königlichen Mantel zum Geschenk, gleichsam als wollte sie die Blöße bedecken, die sich ihr Gemahl gab, vielleicht auch um der nicht zu großen Freigebigkeit des kaiserlichen Helden zu Hülfe zu kommen. Auch Hortense Beauharnais, die Mutter Napoleon des Dritten, war von Anfang her eine Beschützerin der Georges. Dankbar blieb diese ihrem Cultus für die Napoleoniden auch nach der Tragödie von Waterloo treu.

Als Zeichen der Zeit sei hier Folgendes erzählt. Die Begegnung zweier Berühmtheiten von dem Kaliber der Georges und Bonaparte’s konnte in einer Stadt wie Paris kein Geheimniß bleiben. Kurz nach dem ersten Besuche der Schauspielerin in St. Cloud kam der Consul in’s Théâtre français, um einer Vorstellung von Corneille’s Cinna beizuwohnen. Als Fräulein Georges, welche die Rolle der Emilie spielte, zu der Stelle kam: „Si j’ai séduit Cinna, j’en séduirai bien d’autres,“ (Habe ich Cinna in Fesseln geschlagen, so werde ich wohl noch Andere fesseln) brachen die Zuschauer in lebhaften Beifall aus, indem alle Blicke nach der Loge des Consuls sich richteten.

Mit jedem Tage stieg die Georges in der Gunst der Pariser höher, eine jede ihrer Schöpfungen bezeichnet eine neue Eroberung auf dem Gebiete der Kunst. Sogar Artaxerxes, die alberne Tragödie von Delieu, wurde, Dank sei es ihrer Darstellung, bei der ersten Vorstellung als ein Meisterwerk begrüßt. Am Abend der zweiten Vorstellung trat der Regisseur vor das Publicum und machte die Mittheilung, Fräulein Georges sei spurlos aus Paris verschwunden. Eine andere Schauspielerin mußte die Rolle der Flüchtigen aus dem Buche vorlesen. Die Flucht wird verschieden erklärt. Die Einen sagen, die Schauspielerin hätte durch Mangel an Verschwiegenheit beleidigt und sei dem Zorne des Kaisers ausgewichen. Andere behaupten, sie habe sich vom Tänzer Duprat entführen lassen. Wenigstens meldeten die Blätter damals das gleichzeitige Verschwinden des Tänzers und erzählten, derselbe sei in Frauenkleidern über die Grenze entkommen. Beide wurden vergeblich verfolgt. Die Georges taucht zuerst in Wien wieder auf (1808) und erscheint bald darauf in Petersburg, wohin sie glänzende Anerbietungen gerufen hatten. Sie gab zuerst acht Vorstellungen bei Hofe und trat hierauf im großen Theater auf.

Ihr Erfolg in der russischen Hauptstadt war nicht geringer als in Frankreich. Die französische Schauspielerin wurde mit Geschenken und Ehrenbezeigungen überhäuft; Alles huldigte ihr, vom Kaiser bis zum letzten Edelmann. Alexander zeichnete sie in jeder Weise aus. Eines Tages begegnete er der Künstlerin auf einer schmalen Straße, und indem er ihrem prächtigen Viergespann höflich aus dem Wege fahren wollte, stürzte er mit seinem Wagen in einen Graben. Die Georges stieß einen Schrei des Entsetzens aus; da stand der Czar, der sich nicht verletzt hatte, bereits an ihrem Wagenschlage und sagte ihr lächelnd: „Also Sie haben mich tödten wollen, das ist eine Verschwörung; doch seien Sie ruhig, ich werde dem Kaiser nichts davon sagen.“

Trotz Ruhm und Vermögen sehnte sich Fräulein Georges wieder nach ihrer Heimath zurück. Die Ereignisse des Jahres 1812 duldeten sie vollends nicht mehr in Rußland. Als gute Französin und treue Anhängerin des Kaisers wollte sie das Frohlocken der Russen über den mißglückten Feldzug Napoleon’s des Ersten [106] nicht mit ansehen, und sie entfloh nach Schweden. Bernadotte und Frau von Staël, die aus Frankreich verbannte Schriftstellerin, nahmen ihre Landsmännin gastlich auf, und Fräulein Georges blieb bis zum August des folgenden Jahres in Stockholm. Bernadotte gab der Künstlerin eine Sicherheits- und Ehrenbegleitung bis nach Braunschweig, wohin sie dem Könige von Westphalen, Sr. galanten Majestät Jerôme Napoleon, wichtige Depeschen bringen sollte. Jerôme empfing die Georges, wie man es von diesem Verehrer des schönen Geschlechts erwarten durfte, doch sandte er sie gleich zu seinem kaiserlichen Bruder nach Dresden. Napoleon hatte eben einen Sieg über die Verbündeten erfochten, und gab sich die größte Mühe dessen Bedeutung zu übertreiben, um den in Frankreich erschütterten Glauben an seinen Stern wieder zu beleben. Die Bulletins im Pariser Moniteur stellten den über die Verbündeten Heere erfochtenen Vortheil als eine vollständige Revanche für die Niederlage in Rußland dar. Die Aufschneiderei in den amtlichen Berichten sollte durch Veranstaltung von großartigen Festlichkeiten glaubwürdiger erscheinen, und so wurden denn auch die Schauspieler des französischen Theaters nach Dresden berufen. Nur Talma wurde ausgenommen, da es an einer seiner würdigen Schauspielerin fehlte. So wie Napoleon jedoch durch einen der Künstlerin vorausgeeilten Boten erfahren, daß diese auf dem Wege nach Dresden sich befinde, ließ er eiligst auch Talma dahin kommen.

Fräulein Georges sah ihren kaiserlichen Anbeter seit ihrer Flucht zuerst in Dresden wieder. Dieser hatte damals zu viel Sorgen und Arbeit, um mit der Schauspielerin einen alten Zwist auszutragen. Was von einer Napoleon’s unwürdigen Beleidigung der Georges in deren Reizen gefaselt wird, ist jedenfalls unwahr. Wohl aber erzählte die Künstlerin später, daß sie, nach einer Vorstellung in Dresden zum Kaiser gebeten, vom Imperator, der am Tische saß und Depeschen schrieb oder in Betrachtungen vertieft in der Stube auf und ab ging, während einer ganzen Stunde lang sich vergessen sah, was sie in eine um so peinlichere Lage brachte, je bequemer sie es sich gemacht hatte. In Dresden, so sagt man, schmachtete auch ein anderer Kaiser und noch ein drittes gekröntes Haupt in den Fesseln der üppigen Schönheit. Die Georges und Talma gaben, inmitten der kriegerischen Ereignisse jener Zeit, fünfzig Vorstellungen in Deutschland, und erst im Monat November kehrten sie nach Frankreich zurück. Ein kaiserliches Decret setzte Fräulein Georges wieder in ihre Rechte als Mitglied des französischen Theaters ein. Wie Fräulein Mars blieb sie ihren napoleonischen Sympathien treu, und auch sie erregte das Entsetzen der königlichen Anhänger, als sie nach der Rückkehr der Bourbonen bei irgend einer festlichen Gelegenheit am offenen Boulevardfenster mit dem napoleonischen Symbole, einem Veilchenstrauß, am Busen sich zeigte. Sie wurde verklagt und hatte von Herrn von Duras, dem Edelmanne des Königs, welcher den Theatern vorstand, viele Neckereien zu ertragen; sie blieb dennoch Mitglied des Théâtre français bis 1816, wo sie, einen erbetenen und erlangten Urlaub eigenmächtig um mehrere Wochen verlängernd, ihre Entlassung erhielt.

Fräulein Georges benutzte jetzt ihre Unabhängigkeit, um während einiger Jahre in England und den französischen Provinzen Gastvorstellungen zu geben. In London wurde sie, wie früher in Deutschland und Rußland, der Gegenstand der schmeichelhaftesten Ovationen als Weib wie als tragische Darstellerin. Fünf Jahre darauf wurde sie wieder nach Paris berufen, und Ludwig der Achtzehnte ließ zu ihren Gunsten eine Vorstellung des Britannicus in der großen Oper veranstalten, welche gegen vierzigtausend Francs einbrachte. Die Künstlerin aber weigerte sich, wieder zum Théâtre français zurückzukehren, und ließ sich im zweiten französischen Theater, dem des Odeon, anstellen. Zuerst trat sie in ihren classischen Rollen auf, ihre gewohnte Anziehungskraft auf das Publicum ausübend.

Aber erst als Harel, ein ehemaliger Präfect des Kaiserreiches, die Direction des Odeontheaters übernommen, begann die bei Weitem glorreichere Hälfte ihrer theatralischen Laufbahn. Ihr Talent erfuhr eine gänzliche Umgestaltung, und die romantische Schule verdankte dieser ihrer Jüngerin, wie später Fräulein Dorval, ihre glänzendsten Theatersiege. Das waren ihre besten Leistungen, diese Schöpfungen von übernaturgroßen Gestalten. Die classische Tragödie sollte dem modernen Drama Platz machen, das dem Studium Shakespeare’s seinen Ursprung verdankt und durch jene unnatürlichen Uebertreibungen sich kennzeichnete, welche eine nothwendige Rückwirkung des den Fesseln der matten Nachahmung des griechischen Theaters entsprungenen Geistes war.

Das Odeon war indeß kein günstiger Boden für diese exotische Frucht, und erst als Fräulein Georges mit Harel in’s Theater der Porte St. Martin übersiedelte, blühten die dramatischen Erzeugnisse der französischen Jungromantiker in ihrer ganzen Ueppigkeit empor: Lucrezia Borgia, Maria Tudor, Marguérite de Bourgogne, Jeanne de Naples; Isabeau de Bavière, die Marquise Brinvilliers und wie all’ die medusenhaften Erscheinungen heißen, welchen die Georges durch ihre gewaltige Schönheit und durch ihre eben so gewaltige Darstellungskraft Lebenshauch einflößte. Sie ward dabei unterstützt durch Frederic Lemaitre, den unvergleichlichen Schauspieler, der geschaffen schien, der Georges im Drama zur Seite zu stehen, wie einst Talma in der Tragödie. Sie galvanisirte Dramen zu künstlicher Belebung, die ohne sie niemals bis zur letzten Scene gegangen wären und die heute bis auf den Namen vergessen sind. So war sie die eigentliche Dichterin, und unter ihrem mächtigen Hauche schwollen diese Ausgeburten einer krankhaften Einbildung auf, wie jene wasserstoffgefüllten Thiere aus Kautschuk, während sie ohnmächtig zusammenschrumpften, so wie die erhabene Kunst der Georges verstummte. Victor Hugo suchte seiner Künstlerin durch Lobeserhebungen zu danken, was sein dramatischer Ruhm ihr schuldet, und das in den seinen Stücken vorgedruckten Vorreden niedergelegte Urtheil des Dichters, so bestochen dasselbe auch klingen mag, darf von der aufrichtigsten Kritik mit unterschrieben werden:

„… Sie geht nach Belieben und ohne jede Anstrengung von der zarten Leidenschaft zum Schrecklichen über; sie begeistert zu Beifall und rührt zu Thränen, sie ist erhaben wie Hekuba und rührend wie Desdemona.“

Die in dem ganzen Wesen der Künstlerin ausgesprochene Herzensgüte verlieh ihren schrecklichsten Schöpfungen etwas Weiches, so daß in diesen Ungeheuern, in diesen Riesinnen des Verbrechens die Frauennatur doch immer wieder zum Durchbruch kam und ihren Gestalten einen Reichthum, eine Mannigfaltigkeit gab, welche den Zuschauer in unbeschreibliche Bewegung versetzte.

Die Romantiker sind verstummt, das Drama ist zum Melodrama herabgesunken, sowie das Lustspiel zur unkünstlerischen Photographie der Aeußerlichkeiten des geselligen Lebens. Die Georges, die Dorval, Boccage sind zu Grabe getragen, Lemaitre ist ein trauriger Schatten, eine trübe Erinnerung glänzender Zeit geworden, und auch den Dichtern ist mit dem Glauben an das Phantasieleben der poetische Hauch ausgegangen. Der Realismus hat die Octave hinabgestimmt, und die dichterische Kraft, welche den realen Boden, der die Grundlage auch unserer idealsten Bestrebung geworden ist, ausfüllen könnte, muß noch erstehen. Wenn die Franzosen erst Shakespeare bei sich so eingebürgert haben, wie wir in Deutschland, den wirklichen, echten Shakespeare ohne französische Abschwächung, dann wird die dramatische Literatur in Frankreich wieder einen Aufschwung gewinnen, welcher jene Verschmelzung des Realismus möglich macht, wie sie das Drama der Zukunft zu bewerkstelligen hat.

Was die Georges so ganz besonders auszeichnete, das war ihre blitzartige Uebersicht des Gesammtcharakters der darzustellenden Persönlichkeit. Mit nie dagewesenem Instincte vertieft sie sich sofort in ihre Heldin, und die unübertroffenen Einzelheiten und Schattirungen, welche sonst die Frucht der Berechnung zu sein pflegen, erstanden natürlich und folgerichtig, daß es uns wie ein Naturerzeugniß, wie ein Zauber anmuthete. Ihre künstlerische Zuversicht dem Publicum gegenüber war keiner ihrer wenigst bemerkenswerthen Vorzüge. Dem als Buridan debutirenden, von den Zuschauern verhöhnten Melingue ruft sie bei offener Scene laut zu: „Fahren Sie nur fort, Sie machen es ganz gut!“ das Publicum wird aufmerksam, läßt sich umstimmen und bricht in Beifallsbezeigungen aus. Melingue’s Sache war gewonnen.

Bei einer Wettvorstellung mit der Rachel nahm ein Anhänger der letzteren sich heraus zu pfeifen. Fräulein Georges tritt mit der ihr eigenen Majestät vor die Rampe und ruft: „Das ist wohl nicht für mich.“ Nicht enden wollender Beifall, Blumen und Kränze, die auf die Bühne flogen, war die Antwort auf diese Frage. Die Rachel fühlte sich so entmuthigt, daß sie es verweigerte, der Verheißung des Programms gemäß noch in einem anderen Stücke allein aufzutreten. Frau Viardot-Garcia mußte an ihrer Stelle eine Scene singen.

[107] Harel’s Theaterunternehmung ging jämmerlich zu Grunde. Ihren Freund zu retten, opferte Fräulein Georges ihr Vermögen auf, sie verkaufte ihre berühmten Diamanten und behielt nichts für sich. Harel konnte nicht mehr, wie früher bei ihren Wanderungen durch die Provinz, auf den Zettel setzen lassen: „Fräulein Georges wird ihre feinen Edelsteine tragen,“ oder: „An Fräulein Georges ist nichts falsch.“

Nach dem Sturze Harel’s gab Fräulein Georges im Gaieté-Theater Vorstellungen, wo sie die Folle de la Cité von Charles Lafont hundert Mal nach einander spielte. Später durchzog sie abermals Deutschland, kehrte nach Rußland zurück und eroberte noch vor den Westmächten die Krim. Seit dem Jahre 1842 lebte sie in Paris und trat nur zeitweilig im italienischen Theater, im Théâtre historique, und 1855 zuletzt im Théâtre français auf, während eines Ausflugs der Rachel nach Rußland. Es war ein Triumph wie zu ihren schönsten Zeiten; und doch konnten die Pariser zwischen der Ristori, der Rachel und der berühmten Greisin Vergleiche anstellen! Dupin, der bekannte französische Staatsmann und Rechtsgelehrte, sagte ihr damals: „Madame, Ihr Reich dauert noch immer fort,“ und Dupin verstand sich auf die Dauer von Regierungen. Sie bezog eine mäßige Pension von der Regierung und starb in beschränkten Verhältnissen.

König Ludwig von Baiern, als er vor mehreren Jahren durch Paris kam, hörte, die Georges werde auftreten, und kam auf den Gedanken, sie vorher zu besuchen. Er sah sie des Morgens ohne Schminke, von Runzeln bedeckt, mit erbleichtem Blicke. Enttäuscht und betrübt verließ er die ehrwürdige Ruine. Es schien ihm unmöglich, daß dieses zusammengebrochene alte Weib einen andern als einen widrigen Eindruck auf die Zuschauer ausüben könne. Die Neugierde trieb ihn jedoch in die Porte Saint-Martin, wo die Tour de Nesle aufgeführt werden sollte. Ludwig konnte seinen Augen nicht trauen; es schien ihm unglaublich, daß das abschreckende Gespenst vom Morgen diese herrliche Marguérite geworden sein sollte. „So mag denn Seine Majestät sich selber überzeugen, daß ich es bin,“ ließ ihm die Schauspielerin sagen, als man ihr die Zweifel des Königs hinterbrachte, „er wird sehen, daß Alles falsch an mir ist, sogar das Geschmeide, welches ich trage.“ Ludwig besuchte Marguérite von Bourgogne wirklich in ihrer Loge und sagte ihr persönlich, welch’ großen künstlerischen Genuß sie ihm verschafft. Am andern Tage schickte er ihr einen herrlichen Schmuck, den sie lange aufbewahrte. Es waren die letzten Edelsteine, die ihr dargebracht wurden.

Sie starb in Passy bei Paris, in der Nachbarschaft Rossini’s. Die Bewohner dieses Ortes sahen in der letzten Zeit, an schönen Sommertagen, die von drei Geschlechtern bewunderte Melpomene, gefolgt von zwei weißen Windhunden, mühsam einherschleichen.