Der See im Kandel

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Textdaten
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Autor: Heinrich Schreiber
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Titel: Der See im Kandel
Untertitel:
aus: Die Volkssagen der Stadt Freiburg im Breisgau S. 84-86
Herausgeber: Heinrich Schreiber
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Franz Xaver Wrangler
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Erscheinungsort: Freiburg
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Freiburg und Commons
Kurzbeschreibung:
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48. Der See im Kandel.

Dem Thale von Siensbach mangelte in alter Zeit das Wasser, und doch befindet sich im Kandelberg ein unergründlicher See, der, wenn man ihn losließe, nicht nur die Umgegend, sondern das ganze Breisgau überschwemmen würde. Das hätte denn auch der Böse, der stets auf das Verderben der Menschen sinnt, längst gewünscht; aber er wußte es wohl, daß es nur einem unschuldigen Knaben gelingen würde, über den Berg Meister zu werden, und dessen Felswand zu sprengen; darum hatte er sich von jeher eifrig nach einem solchen umgesehen. Endlich schien es ihm doch gelingen zu wollen.

Eines Abends sah nämlich ein armer Waisenknabe von Siensbach, der am Kandel Vieh hüthete, gar betrübt und mißmuthig vom Berge herab; denn er dachte an seinen undankbaren Dienst, daß er bei geringem Lohn kaum genug zu essen und nur abgetragene Fetzen zu Kleidern bekomme. Thränen liefen ihm dabei über das Gesicht herunter. Da dachte der Böse im Stillen: „der ist wohl in langer Zeit der rechte.“ Flugs hatte er sich in den bekannten Grünrock [85] umgewandelt und schritt, wie ganz zufällig von einer Jagd daher.

So eben war der Knabe daran, seine Augen zu trocknen, als sich ihm der fremde Herr näherte und nach der Ursache seiner Traurigkeit, mit der Versicherung fragte: „er wolle ihm gewiß helfen, wenn er ihm nur folgsam sei.“ Denn in dem Berge selbst befänden sich Schätze von Silber und Gold, und es bedürfe nur eines starken Zuges, um den Felsen, der darauf liege, wegzuräumen. Der arglose Knabe versicherte treuherzig: „die vier Zugstiere seines Herrn, die ihm anvertraut seien, gälten als die tüchtigsten weit und breit; er wolle einen Versuch damit machen.“ Dieses war natürlich dem Grünrock ganz erwünscht; er bestellte daher den Knaben mit seinem Zuge auf den folgenden Morgen in aller Frühe zu dem Felsen, der sich gegen Siensbach in das Thal herabsenkt.

Der Knabe, der die ganze Nacht von den gehofften Schätzen geträumt hatte, fand sich vor Tagesanbruch richtig ein; dennoch war der Fremde schon an Ort und Stelle und hatte bereits einen Ring von gelbem Metall, zum Anspannen des Zuges, an der Felswand befestigt. Obgleich dem Knaben diese nächtliche Arbeit nicht ganz gefallen wollte, so spannte er doch, um gehorsam zu sein, ohne Widerspruch seine Stiere ein und trieb sie, wie er es gewohnt war, mit den Worten an: „Nun denn, in Gottes Namen!“

Da hätte man aber das Wunder sehen sollen, welches sich urplötzlich ergab. Der Himmel verfinsterte sich, Blitze kreuzten umher, die Erde bebte von den Donnerschlägen und im Innern des Berges war ein solches Brausen und Wogen, als wenn ein ganzes Meer aufgewühlt würde und hervorbrechen wollte. Die Stiere rissen aus, der Knabe selbst fiel bewußtlos zu Boden und kam erst nach einiger Zeit wieder zu sich.

[86] Jetzt war aber um ihn her alles still und sonnig, wie am schönsten Frühlingsmorgen, und als er die Augen auf den Felsen richtete, war der Grünrock und der gelbe Ring verschwunden und nur eine tiefe Spalte zurückgeblieben, aus der eine so starke Quelle hervorsprudelte, als wenn dreißig Brunnen ihr Wasser zusammen ausgießen würden.

War schon dadurch der Knabe höchst überrascht, so wurde er es noch mehr, als sein Dienstherr, der Bauer, welchen das Gewitter und Ausreißen der Stiere beängstiget hatte, athemlos herbeistürzte, ihm jedoch beim Anblick der Quelle freudetrunken um den Hals fiel und ausrief: „Nun sei der höchste Wunsch des Thales erfüllt!“ Dennoch verwies er auch dem Knaben, der ihm sofort sein Abenteuer mit dem Jäger erzählte, seinen Leichtsinn; da der See im Kandel gewiß ausgebrochen wäre, wenn er den Zug nicht in Gottes Namen angetrieben hätte.

(H. Schr.)