Der Singschwan

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Textdaten
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Autor: Harald Othmar Lenz
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Titel: Der Singschwan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 111–112
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[111] Der Singschwan. Es hat sich in unserer Zeit überall die Liebhaberei für neues, schönen oder sonst interessanten Geflügel verbreitet. Alle Länder Europa’s, alle übrigen Welttheile werden durchstört, auf Schiffen, Posten, Eisenbahnen gehen die Transporte von Eiern und lebenden Vögeln hin und her; auf den Höfen der Gutsbesitzer, der Bauern, der Städter sieht man winzige Zwerghühner, riesige Cochinchina’s, elegante Goldbantam’s, neue Racen prachtvoller Vollblut-Tauben, in bisher unbekannter Weise quakende und trommelnde Tauben, in purpur-, grün- und blauschillernden Gewand gekleidete Enten, und auch die berühmten pommerschen Gänse haben einen Versuch zu weiterer Ausbreitung gemacht, indem gütige, deren Heimath bewohnende Freunde mir Eier und lebende Exemplare dieser großen, schönen und nützlichen Vögel zugesandt haben.

Während in solcher Art sich ein neues, munteres, bunten Leben entfaltet, während überall neumodische Hähne krähen und kämpfen, neue Tauben ihre Fiderpracht entfalten oder ihre Anwesenheit mit Trommelschlag kund thun, fremdartige Enten schnattern und quaken, und neue stattliche Gänse ihrem Besitzer durch Geschrei und Attake Schutz vor Dieben, durch Federn Schutz vor Kälte, durch Fleisch und Fett Schutz vor Hunger gewähren, – während Pfauen, Fasanen, Perl- und Truthühner durch Geflügel verdrängt oder doch beschränkt werden, das nützlicher und dabei leichter zu er ziehen ist, – während aller dieser Umwandlungen hat der stumme Schwan sich unangefochten im Besitze unserer Parkteiche erhalten, ergötzt unser Auge durch seine stolze, majestätische Haltung, durch die Pracht seines schneeweißen Gefieders, beleidigt aber unser Ohr, indem er uns wie eine Schlange anzischt und wie ein boshafter Hund anknurrt.

In Rußland achtet man, wie der große Naturforscher Peter Pallas schon im Jahre 1811 von dort berichtet, den stummen Schwan wenig, hält dagegen viele zahme Singschwäne, weil sie einerseits eben so schön sind, wie jene, andererseits durch den weithin tönenden Silberklang ihrer Stimme ergötzen. – Die Zeit ist nicht mehr fern, wo man die neuen, großartigen Verkehrsmittel auch dazu benutzen wird, diesen seit Menschengedenken von Allen, die das Glück hatten, ihn zu sehen und zu hören, bewunderten und gepriesenen Vogel aus Deutschlands Gewässer zu versetzen. Es möge mir daher gestattet sein, eine kurze Uebersicht dessen zu geben, was bis auf den heutigen Tag über ihn beobachtet und geschrieben worden ist.

Die ersten Nachrichten über den Singschwan haben wir durch Homer, welcher um’s Jahr 1000 vor Christo lebte, ganze Schaaren von Schwänen am Kaystros und Peneios fand, und ihren Gesang als ein dem [112] Apollo dargebrachten Loblied betrachtete. – Aeschylos, welcher um’s Jahr 480 vor Christo lebte, erwähnt zuerst, daß der Schwan auch im Sterben singt, und nennt diesen letzten Gesang sein Leichenlied. – Plato, um’s Jahr 360 vor Christo, glaubt, daß der sterbende Schwan in dem Bewußtsein singe, daß er zu einem besseren Leben, daß er zu dem Gotte gehe, dessen Diener er sei; sein Leichenlied sei freudiger, als alle die er je zuvor gesungen. – Aristophanes drückt die zwei Töne, aus welchen der Gesang besteht, durch „tio, tio, tio, tio, tier“ aus. – Der größte Naturforscher des Alterthums, Aristoteles, 330 vor Christo, erwähnt das Sterbelied des Schwanes ohne einen Ausdruck des Zweifels. – Erst Plinius, 75 nach Christo, welcher nie die Gelegenheit gehabt, Singschwäne zu beobachten, wahrscheinlich aber stumme gesehen hatte, hegt einige Zweifel gegen das Sterbelied.

Die höchst merkwürdige, zur Erzeugung der starken Stimme jedenfalls viel beitragende Länge und Gestalt der Luftröhre des Singschwans beschreibt zuerst der Bologneser Arzt Aldrovandi im Jahr 1634. Sie senkt sich, vom Halse kommend, tief in eine eigens für sie bestimmte Höhlung des Brustbeins, biegt sich an deren Ende um, geht nach dem Eingang der Höhlung zurück, von da erst in’s Innere der Brust, bildet dort den inneren Kehlkopf und theilt sich unter diesem in zwei Aeste, welche in die Lunge übergeben. Aldrovandi ahnte das Dasein zweier Schwanenarten noch nicht. Erst Ray zeigte um’s Jahr 1667, daß es eine Schwanenart gebe, welcher die beschriebene Gestalt der Luftröhre fehlt.

Die ersten Nachrichten von Singschwänen, welche gefangen, dann gezähmt und zur Vermehrung gebracht wurden, gibt Mauduit. Sie kamen in den Jahren 1740 bis 1769 nach Chantilly, woselbst man sich ihrer bemächtigte; bald wurden sie ganz zutraulich, holten ihr Futter aus der Hand der Wärter, brüteten sorgfältig, kämpften an ihrem Brutplatze heftig gegen eindringende Gänse und stumme Schwäne, schlugen die Feinde in die Flucht, schwangen dann die Flügel und ließen mit hochgehobenem Haupte ihr Triumphlied erklingen. Bei jedem Ton beugten sie den Kopf. Ihr Lied bestand aus zwei oft hintereinander wiederholten Tönen; das Männchen konnte man aus die Entfernung einer Wegstunde hören; die Stimme des Weibchens war schwächer, seine zwei Töne stellten die Noten d und e, die des Männchens e und f vor. Sie sangen überhaupt bei Aufregung und außerdem in der Regel früh und Abends.

In Island nisten die Singschwäne zahlreich an Sümpfen und Seeen, werden zur Zeit der Mauser in Menge gefangen, bleiben im Winter, und der Isländer Eggert Olafsen, dem wir genauere Nachrichten über sie verdanken, nennt ihren Gesang die schönste Wintermusik und vergleicht ihn mit Violintönen.

Im Norden Rußlands und mehr noch Sibiriens brüten sie in großer Menge; im Herbst wandern die Schaaren an die Ufer des schwarzen und kaspischen Meeres, Kleinasiens und Griechenlands. Pallas vergleicht den lieblichen Klang ihrer Stimme mit Silberglocken und fügt hinzu, daß auch die letzten Athemzüge tödtlich verwundeter die singenden Töne hervorbringen. – Auch Ad. Ermar fand (in den Jahren 1828–30) in Sibirien die Stimme der Schwäne von hellerem Silberklang als die irgend eines anderen Thieres, und daß ihr letztes Athmen nach Berwundung noch jene Töne hervorbringt. – F. J. v. Kittlitz fand viele Singschwäne in Kamtschatka, und vergleicht ihre Töne mit denen der Violine. DrLindermayer’s Untersuchungen weisen nach, daß auch Singschwäne aus dem Lykari- und Kopais-See Griechenlands als Standvögel Sommer und Winter bleiben.

An den Gestaden der Ostsee gibt es mehrere Stellen, wo sich die Singschwäne jeden Herbst in Menge einfinden. Sie bleiben, so lange noch das Eis nicht weit vom Ufer in’s Meer hinein reicht, und so lange noch an den Mündungen der Flüsse und Bäche offenes Wasser ist. Im Frühjahr kommen sie wieder, sobald sich vor den Flüssen und Bächen offene Stellen von der Größe eines Landsees bilden. Landeinwärts gehen sie dort auf dem fließenden Wasser nie. An die Küste der Insel Oesel kommen sie besonders häufig, singen dort, wie mir ein auf jener Insel wohnender Freund mittheilt, im Herbst und Frühjahr, verkünden im Herbst, wenn sie in Schaaren singen, bevorstehenden Frost, sind übrigens jederzeit sehr schwer und nur mit der Büchsenkugel zu erlegen, da sie vorsichtig und scheu sind; auch stellt man ihnen wenig nach, weil man sie nicht verspeist. Stumme Schwäne zeigen sich bei Oesel selten.

An der Küste Pommerns hat der Naturforscher Dr. W. Schilling die Singschwäne oftmals beobachtet. „Sie lassen,“ sagte er im Jahre 1859, „die lauten, reinen Töne als Lockton, Warnungsruf und, wenn in Schaaren vereinigt, im Wettstreit zur eigenen Unterhaltung hören. Man hört sie dann in stundenweiter Ferne, und möchte diese Töne bald mit denen der Glocken, bald mit denen blasender Instrumente vergleichen Dieser eigenthümliche Gesang ist oftmals auch der Grabgesang dieser schönen Thiere, denn wenn sie im tiefen Wasser ihre Nahrung nicht mehr zu ergründen vermögen, so werden sie vom Hunger dermaßen ermattet, daß sie zur Weiterreise die Kräfte nicht mehr besitzen und dann häufig auf dem Eise angefroren sterben, wobei sie bis an ihr Ende ihre melancholischen hellen Laute hören lassen.

Auf den deutschen Binnenseeen erscheinen die Singschwäne nur selten. „Im Jahr 1858,“ so erzählt der Naturforscher Dr. v. Kobell, „hielt sich eine Schaar von 43 acht Tage lang auf dem Starnberger See bei München auf. Man hörte ihr Geschrei weit und fast immerwährend. Vor 25 Jahren waren daselbst drei, von denen zwei lebendig gefangen und nach Nymphenburg gebracht wurden, wo sie sich bald eingewöhnten.“ – Im Jahr 1855 befand sich ein Singschwan auf dem Stadtgraben zu Bremen unter den stummen Schwänen und musicirte da fleißig.

O. Lenz in Schnepfenthal.