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Der Sprachenkampf in Deutschlothringen

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Textdaten
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Autor: Ein Elsässer
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Titel: Der Sprachenkampf in Deutschlothringen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 601
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[601] Der Sprachenkampf in Deutschlothringen. In den zu Paris und Lyon gedruckten Bülletins der religiösen Gesellschaften werden Metz und Straßburg nicht unter der Rubrik Deutschland, sondern in der Reihenfolge der französischen Städte erwähnt. Vor wenigen Wochen noch wurden die Gemeinden der Kreise Saarburg und Salzburg (Château-Salins) in kirchlicher Beziehung von Nancy aus verwaltet und durch politische Hirtenbriefe im Interesse Frankreichs bearbeitet. Noch immer ermahnen die französischen Grenzblätter die lothringischen Reichsboten, Metz-la-pucelle im Namen der großen Nation zurückzufordern. „Lothringen,“ meinen die Fetialen der einen und untheilbaren Republik, „ist Fleisch von unserem Fleische und Bein von unserem Beine. Deutschland hat, ein zweiter Shylock, ein Stück aus unserem Herzen weggerissen. Möge es nun, nach so unerwarteten Erfolgen, Metz dahingeben, wie Polykrates seinen Ring, und sich mit dem Elsaß begnügen! In Folge dieser Theilung würde Frankreich das Losungswort eines edlen römischen Kaisers wiederholen können: ‚Nicht ein Strom, sondern Gerechtigkeit soll das Bollwerk unseres Reiches sein.‘“

Dieses salomonische Urtheil suchen unsere Diplomaten durch folgende Bemerkungen zu rechtfertigen: Man habe jetzt in Frankreich eingesehen, daß das Elsaß aller Romanisirung zum Trotze noch immer die Germania prima, das Land der Tribokker, wie es im Metzer Dialecte heißt, geblieben sei. In den ehemaligen Reichsstädten und in den zahlreichen Dörfern der hanauischen, nassauischen und württembergischen Amteien hätte man unter dem Damoklesschwerte der napoleonischen Herrschaft eine unbesiegbare „Schwäche“ für deutsche Sprache und Sitte gezeigt. Für die rheinischen Departemente sei die Annexion eine Emancipation gewesen.

Ganz anders verhält es sich, unseren Chauvinisten zufolge, mit Lothringen. Die Heimath der Jungfrau von Orleans ist nie deutsch gewesen. Jenseits der Zaberner Steige weht französische Luft und herrscht die keltisch-romanische Race. Die katholischen Lothringer haben sich freudig der großen Nation angeschlossen und wiederholen noch heute das Losungswort ihres Landsmanns im wallensteinischen Lager:

Der Lothringer geht mit der großen Fluth,
Wo der leichte Sinn ist und lustiger Muth.

Nach dem Princip der Nationalitäten kann das Elsaß dem deutschen Reiche einverleibt werden, während Lothringen mit der einen und untheilbaren Republik vereinigt werden muß. In Bezug auf diesen punischen Tausch möchten wir an die treffende Antwort erinnern, welche Alexander der Große nach wiederholten Siegen den Abgeordneten des Perserkönigs ertheilte: „Ich begreife nicht, wie es Darius einfallen konnte, mir als Vergleichsobjecte Provinzen anzubieten, die bereits mein Eigenthum sind.“ Die Urkunden der Bibliothek in Metz stellen die Thatsache fest, daß schon zu Karl’s des Großen Zeiten Metz und die umliegenden Landstriche von Deutschen bevölkert waren. Die Leibeigenen, welche im Jahre 745 die Weinberge des Benedictinerklosters Gorze im Schweiße ihres Angesichts bebauten, hießen Harduin und sein Weib, Erlofried und sein Weib Ragaulinde, Erluf und sein Weib, Wendelbert und sein Weib nebst deren Töchtern Amelberge, Rigoborta und Emiranda. Der Bischof Chrodegang von Metz gab demselben Kloster eine Meierei „ad Castellum“, (nun Chazelle) gelegen, und als Namen des Meiers und seiner Frau werden genannt: „Adelfried und Wandelberge“. Jede Silbe dieser Namen trägt den deutschen Ursprung an der Stirn. Später freilich überwucherte das romanische Platt die fränkische Sprache, und man schrieb in den mittelalterlichen Chroniken „soulte la communalteit de la cité de Metz“. Während das deutsche Wesen zur Zeit der Völkerwanderung im Saarthale wie ein Strom vordrang, schien sich dort oben auf der lothringischen Hochebene und in den Engpässen der Vogesen die Springfluth allmählich zu stauen und den wälschen Widerstand nicht weiter überwinden zu können. Wir finden im strengkatholischen Lothringen weder die volksthümlichen Theologen, noch die patriotischen Dichter, welche im Elsaß ein volles Jahrtausend hindurch gegen das Vordringen der wälschen Sprache und Herrschaft ankämpften.

Trotz des wallonischen Dialects war Metz stolz auf den Ruhm, das westliche Horn des Reiches und eines der vier Bollwerke Deutschlands zu heißen. Während die lothringischen Bischöfe sich als Vasallen der Könige Frankreichs geberdeten, vereinigten sich die Bürger der Reichsstädte Metz und Straßburg, um das „Westreich“ gegen die „Schinder“ und „Armengecken“ zu vertheidigen.

Mit Recht behauptet Schiller in den Memoiren des Marschalls von Vieilleville, „daß die Einwohner von Metz voll Verzweiflung waren, weil sie das französische Joch nicht wieder abschütteln konnten“. Noch im Jahre 1556 schrieb Vieilleville an König Heinrich den Zweiten, Metz müsse durch eine Citadelle eingeschüchtert werden, weil die Mehrzahl der Bewohner durch und durch deutsch gesinnt sei. Die eigentlichen Zwingburgen Lothringens waren die Jesuitenklöster, welche der staatskluge Cardinal von Guise mit geschäftiger Hand zu errichten wußte. Nur in den protestantischen Grafschaften erhielt sich die deutsche Sprache und Sitte, hier aber mit solcher Zähigkeit, daß die durch flüchtige Hugenotten gebildeten Colonien in verhältnißmäßig kurzer Zeit germanisirt wurden. Es ist interessant, in den Registern der reformirten Pfarreien nachzusehen, wie die französischen Familiennamen Toussaint in Tussing, Hautmont in Haumann, Volion in Wolljung verwandelt wurden.

Wie sehr das deutsche Sprachbewußtsein unserem Volksstamme abhanden gekommen, zeigen wunderliche Ausdrücke, wie „Murwolf“ (statt Maulwurf), „wir bin“, „das Platz“, „die Näser“ (statt Nasen), „verliebt und niederträchtig“ (statt liebenswürdig und leutselig). Wo die deutsche Sprache aus den Volksschulen verdrängt und in gesellschaftlichen Kreisen wie das arme Aschenbrödel behandelt wurde, drangen die fremdartigen Elemente massenhaft in den deutschen Sprachkörper ein. Nur mit Hülfe des Französischen gelang es mir, gewisse Ausdrücke, wie „paveien“, „Spingel“ (statt Busennadel) etc., zu verstehen. Am linken Saarufer wurde die babylonische Sprachverwirrung so groß, daß unsere „Grafschafter“ sprüchwörtlich sagten, dort sei die Welt mit Brettern zugenagelt.

In den strengkatholischen Ortschaften wurde es der Verwaltung leicht, Land und Leuten den Stempel der französischen Herrschaft aufzudrücken. Auf dem Prokrustesbette unserer Chauvinisten wurden Namen von urdeutschem Klang und Inhalt verstümmelt, und so verwandelten sich die allemannischen Endungen „lingen“ in „lange“, „heim“ in „nom“, „hausen“ in „house“, „dorf“ in „stroff“, „gemünd“ in „guemines“. Die Endung „weier“ läßt sich noch deutlich in „Riquevir“ erkennen, verschwindet aber allmählich in „Aubure“ (Altweier) und „Voyer“. In derselben Abstufung wurde das Wort Brücke in La Broque, Bréchaumont und Pontigny verwandelt. Manche Ortsnamen erinnern uns nur noch durch ihren charakteristischen Beinamen an ihren deutschen Ursprung, wie z. B. Audun-le-Tische (Deutsch-Altheim), Meix-le-Tige, Allemand-Rombach. Das in den französischen Kriegsbülletins so oft verstümmelte Wort Reichshoffen suchten sich die lothringischen Beamten durch die geläufigere Wendung Réchicourt mundrecht zu machen. Auf dieselbe Weise entstanden eine Bretagne (Bretten) und eine Basse-Suisse (Niedersulzbach) auf deutschem Sprachgebiete.

Häufig findet man in „Wälschlothringen“ deutschklingende Familiennamen mit französischer Endung, wie z. B. „Stourme“. Im Steinthale sprach ich mit Frauen, welche Heureuse Blum, Charité Häffely, Sincère Scheidegger hießen. Unter dem Einflusse des romanischen Platt und des französischen Schulunterrichtes war ihnen die deutsche Sprache abhanden gekommen, doch fielen mir Ausdrücke, wie „le férobé“ (Feierabend) und „Cela schmeck bien“, auf. In der Grafschaft Dachsburg nennt man ein merkwürdiges Götzenbild „le petit man“. In der Umgegend van Lixheim entstand ein Kauderwälsch, das mich lebhaft an die Sabirsprache in den Seestädten Algeriens erinnerte. Dort konnte man Ausdrücke, wie „lader les Bohnestecken“, aber auch den Schmerzensruf der protestantischen Prediger hören: „Die Kinder redeten zur Hälfte asdodisch, zur Hälfte die Sprache Canaans.“

Noch im Jahre 1853 konnte der Bürgermeister der Gemeinde Devant-les-ponts bei Metz an der Quelle Bonne-Fontaine eine Bekanntmachung in deutscher Sprache anheften lassen. Soweit gingen damals noch die Vorposten des Deutschthums. Unter der napoleonischen Herrschaft wurde die deutsche Sprache rücksichtslos, trotz des passiven Widerstandes der protestantischen Geistlichen, zurückgedrängt. Deutlich sah man die dunkle Wolke am Horizonte, und in Folge dieser Ahnung entstand ein Wettlauf zwischen beiden Nationen, um zu erfahren, ob die Franzosen mit ihrer Gleichmacherei, ob die Deutschen mit ihrer Einheit früher zu Ende kommen würden. Die deutsch-alsatischen Schriftsteller, die man als Prediger in der Wüste belächelte, verglichen mit Recht die Romanisirung des Sprachgebietes mit jener Kürbisstaude, welche sich zwar in einer Nacht üppig entfaltete, aber schon den Keim des Verderbens in sich trug.

Der Landstrich zwischen der Saar und der Mosel trägt offenbar den germanischen Typus, weniger vielleicht im Schnitte der Gesichter als in der Stattlichkeit der strammen Gestalten und im deutschen Charakter der Wohnungen. Es war keineswegs ein Zufall, daß Lothringens Bischöfe von der Metropole Trier, wie seine weltlichen Fürsten vom deutschen Kaiser abhängig waren. Rings von Bergen umgürtet, durch die Ardennen vom Seinegebiete, durch das Plateau von Langres vom Saônethale getrennt, öffnet sich die lothringische Hochebene nur nach Deutschland zum Unterrheine hin. Nach Wedell’s historischem Atlas hat Elsaß-Lothringen gegen Frankreich fast genau dieselben Grenzen wie im Mittelalter, sodaß die vorwiegend deutschen Diöcesen Straßburg, Basel, Metz und Trier von den romanischen Bisthümern und zugleich die deutschnamigen Kreise Moselgau, Saargau, Bliesgau, Albegau, Saalgau, Sundgau von den wälschen Bezirken Birodunum, Vabrentis, Scarvona etc. getrennt waren.

Als die deutschen Occupationstruppen aus Frankreich zurückkehrten, bemerkten einige Nachzügler auf der Straße nach Gravelotte neben dem neuen gelben Grenzsteine Nr. 567, der nach Frankreich ein „F“, nach Deutschland ein „D“ trägt, noch einen alten geschwärzten Grenzstein, der auf der westlichen Seite die Inschrift „TERRE DE FRANCE“ zeigt. Die deutschen Krieger hatten an diesem historisch gewordenen Punkte nicht blos die neue, sondern auch die uralte Grenze überschritten.

Wehmüthig betrachteten wir einst auf der Rheinbrücke bei Kehl die bescheidene Inschrift „BADEN“, neben welcher sich das volltönende Wort „FRANCE“ erhob. Ein Straßburger Professor aber wiederholte die begeisterten Worte, die der Dichter Lenz vor einem Jahrhunderte im Kreise seiner elsässischen Sanggenossen ausgerufen: „Unser Land leidet keine Naturalisation. Der Deutsche wird an der Küste des Kaffernlandes so gut wie in Diderot’s Insel der Glückseligkeit ein Deutscher bleiben, und der Franzose ein Franzos’.“ Mit gedämpfter Stimme erinnerte er uns an die griechischen Ortsnamen, die in der Geschichte des gelobten Landes vorkommen und die zur Zeit Muhammed’s, beim Erwachen des echt asiatischen Geistes, wie mit eisernen Besen hinweggefegt wurden. Auf ähnliche Weise, meinte er, würden einst die französischen Namen und Inschriften im Rhein- und Moselthale verschwinden. Wir aber blickten hoffnungsvoll hinüber zu den Stammesgenossen jenseits des Rheins und des Wasgaus und wiederholten die Worte des vaterländischen Dichters:

Ob uns der Strom, ob uns die Berge scheiden,
Und jedes Volk sich für sich selbst regiert –
So sind wir eines Stammes doch und Bluts.

Ein Elsässer.