Der Stadt Hamburg Statuta und Gerichts Ordnung/Teil 2 Kapitel 1
TITULUS. I.
Von Leihen und Entlehnen / mutuum genandt.
ARTICULUS I.Wiewol das Leihen und Entlehnen in den Dingen bestehet / die gewogen / gezehlet und gemessen werden / als Geld / Metall / Wachs / Korn / Wein / Gewand oder dergleichen / welche des Entlehers eigen werden / und sich im Gebrauch und Niessung verendern / oder gar verzehren / und darumb nicht eben das geliehen Ding / sondern ein anders in gleicher Gestalt / Werth und Güte / auch Gewicht / Zahl und Masse / als es der Entleher [156] empfangen / wieder zu bezahlen anfänglich bedinget wird: So kan dennoch der Entleher nicht desto weiniger als bald dem Leiher oder Gläubiger / eben dasselbe Ding / so er empfangen / auch wider desselben Willen / wieder geben / und sich damit allerdings entledigen / es were dann / das der Leiher ein besonders Interesse deßwegen einzuwenden und zu beweisen hätte.
Entgegen aber / und ob schon bey beschehener Entlehnung keiner gewissen Zeit gedacht: So kan dennoch der Leiher oder Gläubiger / das ausgeliehenes Ding nicht alsbald wieder forderen / sondern muß dem Entleher dasselbige erstlich gebrauchen lassen / und im Fall / da wegen der Zeit / mann solch außgeliehen Ding wieder zu geben / beyde Theil sich hernach nicht vereinigen können / ist dieselbige dem Richter zu ernennen und anzusetzen billig heimzustellen.
Was dann also obgesetzter massen außgeliehen ist / das es nicht eben in specie, sondern in gleicher Gestalt / Werth und Güte sey zu restituiren, deßwegen mag dem Gläubiger gegen den dritten / dabey solch ausgeliehenes Ding befunden / kein An- oder Zuspruch gebühren / sondern er muß sich an denselben / so es von ihme Entlehnet / halten.
[167]Der jenige so Geld außleihet / mag von jeder hundert Jährlich biß auff Sechs / und nicht darüber / an Zinß und Rente bedingen / ihm versprechen und verschreiben lassen / were aber solches nicht geschehen / und der Schüldiger in bestimmter Zeit keine Bezahlung thäte: So mag dennoch von dero Zeit an / das er säumig worden / an statt Interesse biß auff Sechs von hundert / vor ein jedes Jahr gerechnet / und zu Rechte gefordert werden. Und stehet ferners zu des Gläubigers wilkühr und gefallen / solch Interesse anzunehmen / oder auch diß falls auff ein mehrers sonderlichen Beweiß zuführen / und Ordnung der Rechte zu verfahren.
Ebenmässig mag einer Erb-Zinß / zu Latein annues reditus genandt / in Häusern / liegenden Gründen / und sonsten / mit grobem Gelde und Marckstücken / wie von Alters ist herkommen / und dann / jetzigem gewöhnlichem Gebrauche nach / mit Müntze-Gelde / vor jede hundert Marck-Müntze Jährlich fünffe / biß auff / sechs Marck Geldes / und nicht höher oder mehr kauffen / dann was über fünff oder sechs von jedem hundert an Rente bedinget oder gekauffet wird / solches ist Wucher zu achten.
[168]Dem Erbe und Häuser / oder Erb-Zinß und Rente in dieser Stadt-Buche zugeschrieben stehen / der sol dieselbe niemand verlassen / noch verkauffen / oder sonst verenderen / es geschehe dann vor dem Rath dieser Stadt / und geschehe das anders / so sol es machtloß und von keinen Wehrden seyn.
Were jemand einem andern Geld schüldig / und demselben solche Schuld würcklich bezahlte / also das er darmit wol friedig / und daran ein gutes begnügen hätte / und gleichwohl hernach von demselben Gläubiger / als wann er ihm zu wenig in der Bezahlung hätte entrichtet / würde mit Rechte besprochen / und derselbe / der solche Schuld hätte bezahlet / bey seinem Eyde / das er die völlige Bezahlung gethan / erhalten würde: So ist er damit von des Gläubigers Anspruch entfreyet.
Weil auch der Debitor, so bald er das geliehenes Ding empfangen / und in seine Gewehr bracht / desselbigen ein Herr wird: So ist er allen Schaden / der sich hernacher mit dem Angeliehenen begibt / oder auch / do dasselbige verlohren oder verdorben würde / allein [169] zutragen / und nicht desto weiniger den Gläubiger oder Leiher zu befriedigen schüldig
Wer Goldgülden / Reichsthaler / und andere grobe Müntze Entlehnet / der sol dieselbe in specie, ob er sich schon außdrücklich nicht dahin verpflichtet / wieder zuerlegen schüldig seyn. Were aber berührte Müntze im Werth / oder äusserliche Gütigkeit gesteigert oder gefallen / oder in der innerlichen Gütigkeit an Schrot und Korn würdiger / oder geringgültiger geworden: So sol zwar vom Schüldener die Zahlung in derselben Müntze geschehen / hierunter aber die Zeit des Contracts angesehen / und wofern domahls die außgezehlte Müntze von den Contrahenten nicht selbst gewardiert / dieselbe nach dem Werth / welchen sie in Zeit des Contracts gehabt / geschätzet werden. Da nun der Valor oder Werth gesteigert / sol der Debitor, der nicht in mora solvendi[1] gewesen / macht haben / das Incrementum oder den Zuwachs bey der Zahlung abzuziehen / ist auch die Müntze am Werth gefallen / der Gläubiger das decrementum oder den Abgang zuforderen / befugt seyn.
Ebenmässig sol es gehalten werden / wann die Müntze in innerlicher Gütigkeit / oder [160] Schrot und Korn verbessert oder geringert worden.
Würden Goldgülden / Reichsthaler und andere grobe Müntze in specie Entlehnet / und die Zahlung in gleichmässiger Müntze außdrücklich versprochen: So sol / wo ferne die Müntze noch vorhanden / berührte Vergleichung angesehen / die empfangene Müntze in specie bezahlet / und hierunter / ob die Müntze an äusser- oder innerlicher Gütigkeit geendert / nicht in acht genommen werden.
Was nun von den entlehnten Geldern in vorigen Articuln disponiret, das sol auch statt haben / wann einer vor erkauffte Güter oder Wahren / so wol wiederkäufflicher als unwiederkäufflicher Gülte oder Zinß / wie auch eines schlechten wiederkauff Contracts wegen / grobe Müntze zu zahlen schüldig.
In retractu aber / zu Teutsch die Nähergeltung genandt / sol der Retrahent, welcher sich der Nähergeltung gebrauchen wil / eben in specie solche Gelder bezahlen / so von dem Käuffer / vor welchem er die Nähergeltung [161] zu haben vermeynet / außgezehlet worden / und da der Valor berührter Gelder gestiegen / das augmentum oder den Zuwachs abzuziehen nicht befugt / wo fern aber derselbe gefallen / das decrementum oder den Abgang zuergäntzen schüldig seyn.
Würden solche Gelder / wie oben erwehnet / von jemand dahero gefordert / das der Schüldener dem Gläubiger einen Brautschatz oder Mitgabe zugeben / oder soluto matrimonio nach gelöseter Ehe / ein solches zu restituiren verpflichtet / und es were die Müntze vor dem Zahl Termin verendert: So sol der / welcher den Braut-Schatz zugeben schüldig / denselben in versprochener Müntze zu zahlen verhafftet seyn / und hierunter / ob dieselbe am Werth mehr- oder geringgültiger worden / nicht angesehen werden.
Würde aber nach geenderter Ehe die restitutio oder wieder herausgebung des Brautschatzes oder Mitgabe / gefordert / und ehe dieselbe Forderung angestellet / Enderung der Müntze geschehen: So sol der Zuwachs von dem Debitore, wofern die Enderung nicht schleunig nach der empfahung des Brautschatzes oder der [162] Mitgabe / und ehe er die eingenommene Gelder in dem alten Werth gebrauchen können / geschehen / suppliret werden.
Wann auch aus einem Testament / Codicil, seiner Ubergabe auff den Todes Fall gerichtet / oder dergleichen letzten Willen / Goldgülden / Thaler / oder andere grobe Müntze bezahlet werden müssen / und der Debitor nicht in mora solvendi gewesen ist: So sol die Zeit des gemachten letzten Willens angesehen / und die Müntze nach dem Werth / welchen sie zur selben Zeit gehabt / bezahlet werden / es were dann / das etwas an statt der legitimiæ verlassen / und vor dem Zahl Termin Enderung der Müntze erfolget / auff den Fall sol von dem Debitore, wo ferne die Müntze gestiegen / das augmentum oder Zuwachs nicht abgezogen / da sie aber gefallen / das decrementum oder Abgang / erfüllet werden.
Hätten auch einer oder mehr Unserer Bürgert und Unterthanen eine Societet oder Gesellschaft gemacht / etliche Gelder unter einer oder vielerley Sorten zusammen gelegt / und sich daneben verglichen / das einem jeden seine eingelegte Quota in gleichmässiger Müntze wieder heraus gegeben werden solte: So sol nach geendigter [163] Gesellschaft / die Zeit / in welcher die Contrahenten berührte Gelder zusammen gelegt / angesehen / einem jeden / nach dem Werth / den die Gelder damahls gehabt / seine Quota gefolget / und ob die Müntze würdiger oder geringgültiger worden / nicht erwogen werden.
Were aber in vorgesetzten Fällen die Entlehnte oder verschriebene Müntze im Abgang kommen: Sol in anderer Gangbahrer grobe Müntze / die bezahlung nach dem Werth geschehen / welchen sie in Zeit des Contracts, oder oberwehnte disposition gehabt / es were dann / das von den Contrahenten oder Disponenten, bey dem Contract, oder in der Verordnung / die Müntze selbst æstimiret worden / auff den Fall sol die von denselben gemachte Taxa angesehen werden / und nach derselben die Zahlung geschehen.
Wann nun wegen Mangel berührter Müntze / besagte des achtzehenden Articuls / die Zahlung in anderer gangbahrer grober Müntze geschehen muß / auff den Fall sol solche Müntze gegeben werden / die zur Zeit des Contracts Gänge und Gebe gewesen / dem äusser- und innerlichen Werth nach / so die Müntze in Zeit auffgerichter Verschreibung oder gemachter Ordnunge gehalten.
[164]Were aber deren keine mehr verhanden / alsdann sol die Zahlung in Gülden oder Silbern Müntze geschehen / so in Zeit der Zahlung gangbahr / jedoch der alten Müntze Werth nach / dergestalt / wo ferne die Müntze an Valor oder Schrot und Korn gewachsen: So sol / wie beym neunden und zehenden Articul gesetzet / der Debitor den Zuwachs abzuziehen / in wiederigem Fall / da die Müntze verringert / der Creditor die erstattung des Abgang befugt seyn.
Würde aber der innerlichen Gütigkeit wegen auff gesetzten Fall / einiger Streit zwischen dem Gläubiger und Schüldener entstehen: So wollen Wir der Gwardinen[2] und anderer Müntzverständiger Bedencken erforderen / und nach Befindung alsdann solche Irrigkeit entscheiden.