Der Stechlin/Sechzehntes Kapitel

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Wahl in Rheinsberg-Wutz.
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Sechzehntes Kapitel.


     Der andre Morgen rief Woldemar zeitig zum Dienst. Als er um neun Uhr auf sein Zimmer zurückkehrte, fand er auf dem Frühstückstisch Zeitungen und Briefe. Darunter war einer mit einem ziemlich großen Siegel, der Lack schlecht und der Brief überhaupt von sehr unmodischer Erscheinung, ein bloß zusammengelegter Quartbogen. Woldemar, nach Poststempel und Handschrift sehr wohl wissend, woher und von wem der Brief kam, schob ihn, während Fritz den Thee brachte, beiseite, und erst als er eine Tasse genommen und länger als nötig dabei verweilt hatte, griff er wieder nach dem Brief und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich hätte mir, nach dem gestrigen Abend, heute früh was andres gewünscht, als gerade diesen Brief.“ Und während er das so vor sich hin sprach, standen ihm, er mochte wollen oder nicht, die letzten Wutzer Augenblicke wieder vor der Seele. Die Tante hatte, kurz bevor er das Kloster verließ, noch einmal vertraulich seine Hand genommen und ihm bei der Gelegenheit ausgesprochen, was sie seit lange bedrückte.

     „Das Junggesellenleben, Woldemar, taugt nichts. Dein Vater war auch schon zu alt, als er sich verheiratete. Ich will nicht in deine Geheimnisse eindringen, aber ich möchte doch fragen dürfen: wie stehst du dazu?“

[206]      „Nun, ein Anfang ist gemacht. Aber doch erst obenhin.“

     „Berlinerin?“

     „Ja und nein. Die junge Dame lebt seit einer Reihe von Jahren in Berlin und liebt unsre Stadt über Erwarten. Insoweit ist sie Berlinerin. Aber eigentlich ist sie doch keine; sie wurde drüben in London geboren, und ihre Mutter war eine Schweizerin.“

     „Um Gottes willen!“

     „Ich glaube, liebe Tante, du machst dir falsche Vorstellungen von einer Schweizerin. Du denkst sie dir auf einer Alm und mit einem Milchkübel.“

     „Ich denke sie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß nur, daß es ein wildes Land ist.“

     „Ein freies Land, liebe Tante.“

     „Ja, das kennt man. Und wenn du das Spiel noch einigermaßen in der Hand hast, so beschwör’ ich dich…“

     An dieser Stelle war, wie schon vorher durch Fix, abermals (weil eine Störung kam,) das Gespräch mit der Tante auf andre Dinge hingeleitet worden, und nun hielt er ihren Brief in Händen und zögerte, das Siegel zu brechen. „Ich weiß, was drin steht, und ängstige mich doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe giebt, so giebt es wenigstens Verstimmungen. Und die sind mir womöglich noch fataler… Aber was hilft es!“

     Und nun brach er den Brief auf und las:

     „Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß du meine letzten Worte noch in Erinnerung hast. Sie liefen auf den Rat und die Bitte hinaus: gieb auch in dieser Frage die Heimat nicht auf, halte dich, wenn es sein kann, an das Nächste. Schon unsre Provinzen sind so sehr verschieden. Ich sehe dich über solche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel nenne, das giebt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer alten Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch [207] reiner als bei uns. Ich will nicht ausführen, wie’s bei schärferem Zusehen auf dem adligen Gesamtgebiete steht, aber doch wenigstens ein paar Andeutungen will ich machen. Ich habe sie von allen Arten gesehen. Da sind zum Beispiel die rheinischen jungen Damen, also die von Köln und Aachen; nun ja, die mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn sie nicht katholisch sind, dann sind sie was andres, wo der Vater erst geadelt wurde. Neben den rheinischen haben wir dann die westfälischen. Über die ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen Herrschaften, die sich mitunter auch Magnaten nennen, sind alle so gut wie polnisch und leben von Jeu und haben die hübschesten Erzieherinnen; immer ganz jung, da macht es sich am leichtesten. Und dann sind da noch weiterhin die preußischen, das heißt die ostpreußischen, wo schon alles aufhört. Nun, die kenn’ ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen und schlagen aus und beknabbern alles. Und je reicher sie sind, desto schlimmer. Und nun wirst du fragen, warum ich gegen andre so streng und so sehr für unsre Mark bin, ja speziell für unsre Mittelmark. Deshalb, mein lieber Woldemar, weil wir in unsrer Mittelmark nicht so bloß äußerlich in der Mitte liegen, sondern weil wir auch in allem die rechte Mitte haben und halten. Ich habe mal gehört, unser märkisches Land sei das Land, drin es nie Heilige gegeben, drin man aber auch keine Ketzer verbrannt habe. Sieh, das ist das, worauf es ankommt, Mittelzustand, – darauf baut sich das Glück auf. Und dann haben wir hier noch zweierlei: in unserer Bevölkerung die reine Lehre und in unserm Adel das reine Blut. Die, wo das nicht zutrifft, die kennt man. Einige meinen freilich, das, was sie das ‚Geistige‘ nennen, das litte darunter. Das ist aber alles Thorheit. Und wenn es litte (es leidet aber nicht), so schadet das gar nichts. Wenn das Herz gesund ist, ist der Kopf nie ganz schlecht. Auf [208] diesen Satz kannst du dich verlassen. Und so bleibe denn, wenn du suchst, in unsrer Mark und vergiß nie, daß wir das sind, was man so ‚brandenburgische Geschichte‘ nennt. Am eindringlichsten aber laß dir unsre Rheinsberger Gegend empfohlen sein, von der mir selbst Koseleger – trotzdem seine Feinde behaupten, er betrachte sich hier bloß wie in Verbannung und sehne sich fort nach einer Berliner Domstelle – von der mir selbst Koseleger sagte: ‚Wenn man sich die preußische Geschichte genau ansieht, so findet man immer, daß sich alles auf unsre alte, liebe Grafschaft zurückführen läßt; da liegen die Wurzeln unsrer Kraft.‘ Und so schließe ich denn mit der Bitte: heirate heimisch und heirate lutherisch. Und nicht nach Geld (Geld erniedrigt) und halte dich dabei versichert der Liebe deiner dich herzlich liebenden Tante und Patin Adelheid von St.“

     Woldemar lachte. „Heirate heimisch und heirate lutherisch – das hör’ ich nun schon seit Jahren. Und auch das dritte höre ich immer wieder: ‚Geld erniedrigt‘. Aber das kenn’ ich. Wenn’s nur recht viel ist, kann es schließlich auch eine Chinesin sein. In der Mark ist alles Geldfrage. Geld – weil keins da ist – spricht Person und Sache heilig und, was noch mehr sagen will, beschwichtigt zuletzt auch den Eigensinn einer alten Tante.“

     Während er lachend so vor sich hin sprach, überflog er noch einmal den Brief und sah jetzt, daß eine Nachschrift an den Rand der vierten Seite gekritzelt war. „Eben war Katzler hier, der mir von der am Sonnabend in unserm Kreise stattfindenden Nachwahl erzählte. Dein Vater ist aufgestellt worden und hat auch angenommen. Er bleibt doch immer der Alte. Gewiß wird er sich einbilden, ein Opfer zu bringen, – er litt von Jugend auf an solchen Einbildungen. Aber was ihm ein Opfer bedünkte, waren, bei Lichte besehen, immer bloß Eitelkeiten. Deine A. von St.“