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Der Stechlin/Zweiundvierzigstes Kapitel

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Zweiundvierzigstes Kapitel.


     So ging das Gespräch. Und als Lorenzen aufbrach, fühlte sich der Alte wie belebt und versprach sich eine gute Nacht mit viel Schlaf und wenig Beängstigung.

     Aber es kam anders; die Nacht verlief schlecht, und als der Morgen da war und Engelke das Frühstück brachte, sagte Dubslav: „Engelke, schaff die Wabe weg; ich kann das süße Zeug nicht mehr sehn. Krippenstapel hat es gut gemeint. Aber es is nichts damit und überhaupt nichts mit der ganzen Heilkraft der Natur.“

     „Ich glaube doch, gnäd’ger Herr. Bloß gegen die Gegenkraft kann die Wabe nich an.“

     „Du meinst also: ‚für ’n Tod kein Kraut gewachsen ist‘. Ja, das wird es wohl sein; das mein’ ich auch.“

     Engelke schwieg.

* * *

     Eine Stunde später kam ein Brief, der, trotzdem er aus nächster Nähe stammte, doch durch die Post befördert worden war. Er war von Ermyntrud, behandelte die durch Koseleger und sie selbst geplante Gründung eines Rettungshauses für verwahrloste Kinder und äußerte sich am Schlusse dahin, daß, „wenn sich – hoffentlich binnen kurzem – ihre Wünsche für Dubslavs fortschreitende Gesundheit erfüllt haben würden,“ Agnes, das [493] Enkelkind der alten Buschen, als erste, wie sie vertraue, sittlich zu Heilende in das Asyl aufgenommen werden möchte.

     Dubslav drehte den Brief hin und her, las noch einmal und sagte dann: „O, diese Komödie… ‚ wenn sich meine Wünsche für Ihre fortschreitende Gesundheit erfüllt haben werden‘… das heißt doch einfach, ‚wenn Sie sich demnächst den Rasen von unten ansehn‘. Alle Menschen sind Egoisten, Prinzessinnen auch, und sind sie fromm, so haben sie noch einen ganz besonderen Jargon. Es mag so bleiben, es war immer so. Wenn sie nur ein bißchen mehr Vertrauen zu dem gesunden Menschenverstand andrer hätten.“

     Er steckte, während er so sprach, den Brief wieder in das Couvert und rief Agnes.

     Das Kind kam auch.

     „Agnes, gefällt es dir hier?“

     „Ja, gnäd’ger Herr, es gefällt mir hier.“

     „Und ist dir auch nicht zu still?“

     „Nein, gnäd’ger Herr, es ist mir auch nicht zu still. Ich möchte immer hier sein.“

     „Na, du sollst auch bleiben, Agnes, so lang es geht. Und nachher. Ja, nachher…“

     Das Kind kniete vor ihm nieder und küßte ihm die Hände.

* * *

     Dubslavs Zustand verschlechterte sich schnell. Engelke trat an ihn heran und sagte: „Gnäd’ger Herr, soll ich nicht in die Stadt schicken?“

     „Nein.“

     „Oder zu der Buschen?“

     „Ja, das thu’. So ’ne alte Hexe kann es immer noch am besten.“

     In Engelkens Augen traten Thränen.

     Dubslav, als er es sah, schlug rasch einen andern [494] Ton an. „Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich habe es bloß so hingesagt. Die Buschen soll nich kommen. Es würde mir wohl auch nicht viel schaden, aber wenn man schon so in sein Grab sieht, dann muß man doch anders sprechen, sonst hat man schlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht’ ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen nich… Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein… Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten. Nein, Engelke nich die Buschen. Aber gieb mir noch mal von den Tropfen. Ein bißchen besser als der Thee sind sie doch.“

* * *

     Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende gehe. „Das ‚Ich‘ ist nichts, – damit muß man sich durchdringen. Ein ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er ‚Tod‘ heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn.“

     Er hing dem noch so nach und freute sich, alle Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angst, und er seufzte: „Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist lang.“

* * *

     Es war eine schlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke lief hin und her, und Agnes saß in ihrem Bett und sah mit großen Augen durch die halbgeöffnete Thür in das Zimmer des Kranken. Erst als schon der Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte matt vor sich hin, und auch Agnes schlief ein.

[495]      Es war wohl schon sieben, – die Parkbäume hinter dem Vorgarten lagen bereits in einem hellen Schein – als Engelke zu dem Kinde herantrat und es weckte. „Steih upp, Agnes.“

     „Is he dod?“

     „Nei. He slöppt en beten. Un ick glöw, et sitt em nich mihr so upp de Bost.“

     „Ick grul’ mi so.“

     „Dat brukst du nich. Un kann ook sinn, he slöppt sich wedder gesunn… Un nu, steih upp un bind di ook en Doog um ’n Kopp. Et is noch en beten küll drut. Un denn geih in ’n Goaren un plück em (wenn du wat finnst) en beten Krokus oder wat et sünsten is.“

     Die Kleine trat auch leise durch die Balkonthür auf die Veranda hinaus und ging auf das Rundell zu, um nach ein paar Blumen zu suchen. Sie fand auch allerlei; das beste waren Schneeglöckchen. Und nun ging sie, mit den Blumen in der Hand, noch ein paar mal auf und ab und sah, wie die Sonne drüben aufstieg. Sie fröstelte. Zugleich aber kam ihr ein Gefühl des Lebens. Dann trat sie wieder in das Zimmer und ging auf den Stuhl zu, wo Dubslav saß. Engelke, die Hände gefaltet, stand neben seinem Herrn.

     Das Kind trat heran und legte die Blumen dem Alten auf den Schoß.

     „Dat sinn de ihrsten,“ sagte Engelke, „un wihren ook woll de besten sinn.“