Der Strike der Schmiede

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Autor: Francois Coppée, Eduard Mautner
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Titel: Der Strike der Schmiede
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 361–362
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[361]
Der Strike der Schmiede.[1]
Von François Coppée, deutsch von Eduard Mautner.


Ihr Herren vom Gericht, erlaubt mir kurz zu sein;
So war’s: die Schmiede stellten ihre Arbeit ein.
Es war ihr Recht. ’s war kalt, ’s lag tiefer Schnee,
Und schon zu lang’ that uns der Hunger weh.
Am Samstag, als der Wochenlohn bezahlt,
Da führt man mich mit schmeichelnder Gewalt
In’s Wirthshaus, und Gesellen, grau von Haaren –
Von mir sollt ihr die Namen nicht erfahren –
Die sagen:
 „Die Geduld, Gevatter, ist zu Ende
Wir wollen höh’ren Lohn, sonst kreuzen wir die Hände;
Man schindet uns, ein and’res Mittel fehlt,
D’rum wurdet Ihr, als Aeltester, gewählt;
Geht zu dem Herrn, um ruhig ihm zu sagen,
So wie er uns’re Ford’rung abgeschlagen,
Ist blauer Montag fortan jeder Tag.
Gevatter, seid Ihr unser Mann?“
 Ich sag’:
„Ich thu’s, wenn es zu Nutz den Cameraden.“

Herr Präsident, ich baue keine Barricaden,
Bin alt und friedlich und mißtrau’ den Herr’n,
Die unsereins für sich in’s Feuer schicken gern.
Doch konnt’ ich diesem Auftrag mich entzieh’n?
So nehm’ ich’s denn auf mich und gehe hin.
Der Herr ist just bei Tisch, man führt mich bei ihm ein;
Das Elend zeig’ ich ihm und uns’re ganze Pein,
Die Wohnungsnoth, das theure Brod; ich sag’ ihm rund heraus:
So kann’s nicht weitergeh’n; genau dann rechn’ ich aus,
Was er verdient, was wir; das Ende ist davon:
Er könnt’ besteh’n auch bei erhöhtem Lohn.

Er knackt sich Nüsse auf und hört mich ruhig an,
Und sagt sodann zu mir:
 „Ihr seid ein braver Mann,
Gevatter Jean, und die Euch hergesandt,
Die wußten wohl, weshalb sie sich an Euch gewandt.
Für Euch ist stets in meiner Werkstatt Platz.
Doch wißt: zu Grunde richten müßt’ mich Euer Satz!
Ich sperre morgen zu, Gevatter! Meiner Treu’!
Wer Unruh’ stiftet, thut es nur aus Arbeitsscheu!
Sagt ihnen das, es ist mein letztes Wort.“
Ich sage: „Wohl, mein Herr!“
 und gehe ruhig fort;
Mit schwerem Herzen zwar, jedoch vor allen Dingen
Will ich, wie ich versprach, den Freunden Antwort bringen.

Nun bricht das Wetter los, es wird politisirt,
Man schwört, daß Keiner mehr die Arme rührt,
Dem Schwur der Andern sprech’ ich nach den meinen.

Nicht Jeder, wenn er Abends vor den Seinen
Hin auf den Tisch warf von dem Lohn den Rest,
Fühlt’ sich in seinem Innern froh und fest,
Ich steh’ dafür, nicht Jeder schlief die Nacht,
Wenn er an das, was kommen muß, gedacht;
Denn man gewöhnt den Hunger nicht so bald.
Mich traf die Sache hart: ich bin schon alt
Und nicht allein; als ich nach Hause kam
Und auf die Knie’ die beiden Enkel nahm,
Die Mutter – meine Tochter – starb in Wochen,
Der Vater taugt nicht viel – da sank, was ich versprochen,
Mir schwer auf’s Herz, als ich die fröhlichen Geberden
Der Kleinen sah, die bald den Hunger kennen werden.
Doch war mir mehr nicht als den Andern auferlegt,
Und, da man seinen Schwur bei uns zu halten pflegt,
Bestärkt’ ich mich darin, was meine Pflicht zu thun.

Mein altes Weib kam heim vom Waschplatz nun,
Gebeugt vom Bündel feuchter Wäsch’ den Rücken,
Ich sagte Alles ihr mit scheuen Blicken;
Die Alte sprach kein Wort des Vorwurfs, bleich und bebend
Blieb sie, den Blick vom Boden kaum erhebend,
Lang’ unbeweglich, bis sie so begann:

„Du weißt doch, daß ich sparsam bin, mein Mann;
Ich will das Meine thun, jedoch die Zeit ist schwer
Und kaum für vierzehn Tag’ ist Brod im Hause mehr.“

Ich sagte d’rauf zu ihr: „Kommt Zeit, kommt Rath,“
Doch wußt’ ich wohl, daß, wollt’ ich nicht Verrath
Begeh’n, ich machtlos war, daß heimliche Gewalten
Um aufrecht unsern Widerstand zu halten,
Streng überwachten Den, der sich verpflichtet.

Das Elend brach herein. O ihr, die ihr mich richtet,
Seid überzeugt, daß selbst die größte Noth
Zum Diebe mich zu machen nie gedroht:
Ich stürbe ja vor Scham bei dem Gedanken,
Und ich verlange nicht, man soll’s dem danken,
Der, selbst verzweifelnd, immer unverrückt
Nur der Verzweiflung in das Auge blickt
Und dennoch der Versuchung nicht erlag;
Ja, selbst an jenem eisig kalten Tag,
Als, meiner Ehrlichkeit zum Hohn, so Weib
Als Enkel zitterten am ganzen Leib
An uns’res Herdes feuerlosen Steinen,
Als dieser Kinder Schrei’n, als meines Weibes Weinen
Aus frosterstarrter Gruppe schrill und wild
Erklang – niemals – bei diesem Christusbild
Beschwör’ ich es, ist meinem Geist genaht
Der Straße heimliche und feige That,
Bei der das Herz erbebt, das Auge späht, die Hand zugreift;
O, wenn ich jetzt den Stolz von mir gestreift,
Wenn ich vor euch mich beugen muß und weinen,
Ist’s, weil ich wiederseh’ im Geist die Meinen,
Für die ich that; was mich hieher geführt.

Wir lebten denn zunächst, wie sich’s gebührt,
Wir aßen trock’nes Brod, und Alles ward versetzt;
Die Stube ward mir zum Gefängniß jetzt,
Denn unsereinen duldet’s nicht im Zimmer,
Ich litt darunter und fand’s nicht viel schlimmer,
Als später hinter mir des Kerkers Riegel klang.
Mein zweites Leiden war der Müßiggang:
Man glaubt es nicht, doch soll man’s nur probiren,
Gezwungen seine Arme nicht zu rühren,
Da merkt man’s erst, wie uns die Werkstatt theuer
Und diese Luft voll Eisenstaub und Feuer!

Bald war kein Sou in unsrer Wirthschaft mehr.
Ich ging inzwischen ruhelos umher
G’rad vor mich hin, ziellos und wie berauscht
Hab’ ich dem dumpfen Lärm der Stadt gelauscht,
Der besser noch als Schnaps den Hunger bringt zum Schweigen.
Einst, als ich heimgekehrt, der Tag war schon im Neigen,
Ein Tag war’s von Decemberfrost durchschauert,
Fand ich mein Weib, in eine Eck’ gekauert,
Die Enkel an die Brust gedrückt – im Nu
Durchzuckt es mich:
 ihr Mörder, der bist du!

Mein Weib sprach sanft zu mir, mit zagem Blick:
„Das Leihhaus wies das letzte Bett zurück –
Es ist zu schlecht. Was willst du jetzt beginnen,
Um Brod für diese Kinder zu gewinnen?“

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Ich faßte mir ein Herz und sprach: „Ich gehe schon,
Die Arbeit nehm’ ich auf zu uns’rem alten Lohn;“
Und ob ich gleich besorgt um den Empfang,
War in die Schänke doch mein erster Gang,
Wo immer noch die Führer hielten Rath.
Zu träumen glaubte ich, als ich in’s Zimmer trat,
Man zechte hier – wir litten Hungerspein –
Man zechte – die ihr zahltet diesen Wein
Und so für uns gewebt das Hungertuch,
Euch treffe, euch des armen Greises Fluch!

Als ich genähert mich der Zecher Kreis,
Die Stirn gesenkt, das Auge roth und heiß,
Da merkten sie, was mich hieher geführt;
Doch von den finst’ren Blicken ungerührt,
Nahm ich das Wort:
 „Ich sag’s euch frank und frei,
Mein Weib, gleich mir, ist sechzig Jahr vorbei,
Und uns’re Enkel blieben uns zur Last;
In uns’rer Kammer ist der Hunger Gast
Und Alles ist versetzt – ein Bett in dem Spital
Für meinen Lebensrest und dann im großen Saal
Für meinen Leichnam der Studenten Messer –
Das ist es, was noch meiner harrt – nun gut!
Ein schlechter Schluß zwar, aber meinen Muth
Zerbricht er nicht! Doch für die Meinen will ich’s besser!
Wißt denn: Zur Werkstatt kehre ich allein;
Doch bitt’ ich euch vor Allem: willigt ein,
Damit mir Niemand meine Ehre schände;
Mein Haar ist weiß, und schwarz sind meine Hände,
Seit vierzig Jahren bin ich Schmied, in Ehren,
Laßt mich zurück zu meiner Werkstatt kehren;
Zum Bettelnlernen bin ich schon zu alt,
Und dann, o, welche traurige Gestalt:
Mit Furchen auf der Stirne, die gegraben
Die ew’gen schweren Hammerschläge haben,
Nach Gaben strecken eine nerv’ge Hand!
Ich fleh’ euch an – nein, es ist keine Schand’,
Bin ich der Aeltste doch und darum ist’s nur billig,
Zeig’ als der Erste auch ich mich zu fügen willig.
Ich bin zu Ende. Seid ihr bös?“
 Da ruft,
Indem er vortritt, Einer:
 „Feiger Schuft!“

Ein eisigkalter Schauer faßt mich an,
Ich seh’ nach ihm, der mir den Schimpf gethan:
Ein junger Bursche war’s – gleich einer Dirne
Trug er das Haar in Ringeln an der Stirne,
Und sein Gesicht war fahl vom Lampenschein
Der Kneipenbälle und erhitzt vom Wein.
Er starrt mich höhnisch an – die Andern schwiegen,
Mein Herz nur hämmert, meine Pulse fliegen.

Da faßt’ ich meine Stirn mit beiden Händen
Und rief: „So sei’s, die Meinen mögen enden,
Ich werde nicht in uns’re Werkstatt geh’n,
Doch du – ich schwör’s – du wirst mir Rede steh’n:
Wir schlagen uns – ganz wie ’s die Herren thun.“ –
„Wann?“ – „Augenblicklich!“ – „Und womit?“ – „Ei nun!
Wir führen doch den Schmiedehammer Jeder
Weit leichter als den Degen und die Feder;
Ihr, Cameraden, sollt die Zeugen sein;
Zwei Hämmer her! und schließt im Kreis uns ein,
Und du, der niederträchtig feigerweise
Schimpf in das Antlitz schleudert einem Greise,
Zieh’ deine Blouse aus und spuck’ in deine Hand!“

Ich ruf’s und brech’ mir Bahn – dort an der Wand
Liegt altes Eisenwerk in wirren Haufen
Zwei schwere Hämmer, wie gemacht zum Raufen,
Wähl’ ich mir aus und heb’ sie auf im Nu
Und werf’ den bessern meinem Gegner zu!
Der lacht und nimmt mit höhnischer Geberde,
Zu decken sich, den Hammer von der Erde
Und ruft:
 „Du alter Narr, mich schreckst du nicht!“
Ich gehe auf ihn los und schau’ ihm ins Gesicht:
Er senkt den Blick, um seine Schläfe kreisen
Lass’ schwirrend ich des schweren Hammers Eisen,
Der Handwerkszeug und Waffe mir zugleich.

Ein Hund, der heulend unterm Peitschenstreich
Am Boden kriecht, hat nicht so feiges Fleh’n
Im Aug’, wie jenes war, das ich geseh’n
Im Blicke jenes Elenden der zag
Zurückwich jetzt vor meinem wucht’gen Schlag
Bis an die Wand, die einen Rückhalt bot.
Es war zu spät; ein Schleier dicht und roth,
Ein heißer, blut’ger Nebel senkte sich
Um ihn den Schreckerstarrten und auf mich;
Mit Einem Streich hab’ ich sein Haupt zermalmt!

Vergoss’nes Blut empor zum Himmel qualmt.
Ein Mord ist’s – ich verlange nicht, daß man
Als Zweikampf gelten lass’, was ich gethan.
Da lag er, bleich, bespritzt von Blut und Hirne,
Ich senkt’ in beide Hände meine Stirne,
Den Vorwurf fühlt’ ich brennen im Gewissen,
Der Kain’s, des Brudermörders, Herz zerrissen.

Als nun die Cameraden sich mir nahten,
Um mich zu fassen – zitternd, da sie ’s thaten –
Macht’ ich mich los mit leichter Müh’ und sprach:
„Ich selbst verdamme mich zum Tod der Schmach.“

Sie ließen ab von mir – ich hielt zum Sammeln
Dann meine Mütze hin und sprach mit Stammeln:
„Für … nun, ihr wißt …“ Zehn Francs hat’s ausgemacht,
Ein Camerad hat’s meinem Weib gebracht.
Dann ging ich hin und stellt’ mich dem Gericht.

Erzählt hab’ ich die Wahrheit treu und schlicht.
Und wahrlich, nichts habt ihr danach zu fragen
Was mir zu Gunsten mag mein Anwalt sagen.
Genau geschildert hab’ ich diese Dinge,
Damit man sieht, daß oft gleich einer Schlinge
Uns das Verhängniß einer That umstrickt.
Die Kinder hat in’s Spittel man geschickt,
In dem mein Weib dem Kummer unterlag.
Was immer auch für mich nun kommen mag:
Ob Freiheit oder Bagno – mir gilt’s gleich –
Doch ist es das Schaffot – dann dank’ ich euch!

  1. Wir entnehmen mit Erlaubniß des Uebersetzers und der Redaction obiges Gedicht der „Neuen Freien Presse“, die jeden Nachdruck auf das Strengste verfolgen wird.
    Die Redaction.