Der Struensee’sche Process

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Textdaten
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Autor: Konrad Maurer
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Titel: Der Struensee’sche Process
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 7 (1892), S. 336–341.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[336] Der Struensee’sche Process. Eine vor wenigen Jahren gegründete juristische Zeitschrift für den Germanischen Norden bringt aus der Feder eines der tüchtigsten Dänischen Juristen, des Obergerichtsassessors Dr. Niels Lassen in Kopenhagen, eine Abhandlung über den Struensee’schen Process, welche auch für den Historiker von erheblichem Interesse ist (Tidsskrift for Retsvidenskab, IV. Jahrgang 1891, S. 218–303). Auf eigenem Studium der im Dänischen Reichsarchiv aufbewahrten Acten beruhend, beabsichtigt diese Arbeit eine erneute Prüfung des Processes vom juristischen Standpunkt aus und behandelt daher gesondert den äusseren Gang des Processes, die einzelnen Anklagepunkte und die auf sie bezüglichen Beweisbehelfe, sowie die über den Angeschuldigten verhängte Strafe. Der zweite Abschnitt ist natürlich der für den Historiker weitaus wichtigste, und wird auch vom Verfasser weitaus am ausführlichsten behandelt.

Die Anklagepunkte hat der Verfasser in fünf Gruppen geordnet, von denen die erste die Anschuldigung eines widerrechtlichen Liebesverhältnisses mit der Königin Karoline Mathilde umfasst (S. 224–28). Bezüglich ihrer liegt bekanntlich ein Geständniss sowohl des Angeklagten selbst als auch der Königin vor, und kann somit, wie auch geschehen, nur etwa die Frage aufgeworfen werden, ob diese Geständnisse nicht erzwungen oder erschlichen seien. Der Verfasser verneint diese Frage, anscheinend aus guten Gründen; volle Gewissheit wird freilich nicht zu erreichen sein, so lange die auf diesen Punkt bezüglichen Verhörsprotokolle aus leicht begreiflichen Gründen der Oeffentlichkeit entzogen bleiben. Die andere Frage aber, ob das Vergehen von dem Gerichte mit Recht unter D. L. 6, 4, 1 subsumirt und somit als crimen laesae majestatis aufgefasst worden sei, kann hier, als nur von technisch juristischem Interesse, bei Seite gelassen werden. – Die zweite Anschuldigung geht auf die Usurpirung und den Missbrauch der Staatsgewalt durch Struensee, und sie ist die weitaus wichtigste, aber freilich auch am schwersten zu behandelnde (S. 228–79). Bekannt ist ja, dass Struensee die ganze Ausübung der Staatsgewalt an sich zu reissen wusste, indem er zunächst eine Cabinetsregierung einführte, welcher gegenüber der Geheimerath alle Bedeutung verlor, dann aber durch einen Erlass vom 27. December 1770 diesen völlig abschaffen und durch eine [337] Cabinetsordre vom 14. Juli 1771 sich geradezu die Ausfertigung der Cabinetsbefehle vorbehaltlich ihrer nachträglichen Vorlage an den König persönlich übertragen liess. Diese und eine Reihe anderer ähnlicher Massregeln, ja selbst eine Reihe reiner Verwaltungsanordnungen, wie z. B. die Entlassung einiger verdienter Beamten, qualificirte das Urtheil als Hochverrath; der Verfasser aber erkennt zwar die Unhaltbarkeit des Spruches in diesem Punkte an, weil derselbe den König als geistig gesund behandle, während doch dessen Unterschrift Struensee decken musste, wenn er dies war, und er widerlegt sogar sehr richtig die Sophistereien, mittelst deren die Commission diese Folgerung zu umgehen suchte, – er meint jedoch, das Urtheil sei nur formal unhaltbar, dagegen materiell vollkommen gerechtfertigt, weil der König eben doch geisteskrank gewesen sei, wenn auch die Commission dies auszusprechen nicht wagte. In diesem Punkte vermag ich mich mit dem Verfasser nur theilweise einverstanden zu erklären. Die Geisteskrankheit des Königs lässt sich freilich nicht bestreiten, und zumal der vom Verfasser mitgetheilte Bericht Struensee’s selbst (S. 245–58) lässt über diese und ihre Gründe nicht den mindesten Zweifel; aber das Königsgesetz vom 14. November 1665, welches hier allein massgebend sein konnte, enthält keine Vorschriften für den Fall der Geisteskrankheit eines Königs, sondern nur für den Fall seiner Unmündigkeit oder seines Aufenthalts im Auslande unter bestimmten Umständen (art. 9 bis 14, dann 23). Mit Fug und Recht konnte da bezweifelt werden, ob die für die beiden letzteren Fälle gegebenen Vorschriften auch als für den Fall der Geisteskrankheit gültig zu betrachten seien, und doppelt zweifelhaft musste die Frage dadurch werden, dass jene Vorschriften für den letzteren Fall augenscheinlich weder ausreichten noch auch völlig passten. Für den Fall der Unmündigkeit des Königs sollte in erster Linie die schriftliche Verfügung des unmittelbaren Vorgängers auf dem Throne massgebend sein, eventuell aber, wenn nämlich eine solche nicht vorlag, ein Regent eintreten, welcher gemeinsam mit den sieben höchsten kgl. Räthen und Bediensteten die Regierung in der Art zu führen hatte, dass ihm gegenüber je einer Stimme dieser letzteren deren zwei zukamen; es sollte die Königin-Mutter Regentin werden, wenn sie des unmündigen Königs leibliche Mutter war, in Ermanglung ihrer aber der nächstverwandte Prinz des kgl. Hauses eintreten, der mündig und im Reiche anwesend war; der Regent aber sammt allen seinen Mitvormündern sollte sofort dem König vereidigt werden und alsbald ein Inventar über alle Besitzungen der Krone aufnehmen. Einerseits also fehlte es an jeder Norm darüber, wie etwa die angebliche Geisteskrankheit eines Königs zu constatiren sei, und doch war eine solche Constatirung um so nothwendiger, als [338] die geistige Krankheit König Christian’s VII. sich nur sehr langsam entwickelt hatte und diesem auf lange hinaus noch lichte Momente liess; andererseits liess sich wohl auch fragen, ob nicht für einen geisteskranken König in erster Linie ganz ebenso seine Königin als Regentin einzutreten habe, wie für den unmündigen dessen Mutter? Es begreift sich, dass bei diesem Zustand der Gesetzgebung Niemand wagte, den König für geisteskrank zu erklären. Nicht nur die Commission, welche über Struensee zu Gericht sass, behandelte ihn als geistig gesund, sondern auch die Palastrevolution, welche diesen am 17. Januar 1772 stürzte, wurde auf Grund von Cabinetsbefehlen durchgeführt, deren Unterschrift man dem König abgezwungen hatte, und selbst der Sturz des Guldberg’schen Regiments erfolgte noch am 14. April 1784 ganz in derselben Weise. Scheute man sich aber, den König als geisteskrank zu behandeln, so bestand auch keine Möglichkeit, eine Regentschaft im Sinne des Königsgesetzes für ihn zu bestellen. Wie konnte man einen Regenten einsetzen, ihn und seine Mitvormünder vereidigen und durch sie das vorgeschriebene Inventar aufnehmen lassen, wenn man den König selbst nach wie vor als geistig gesund und als regierenden Herrn behandeln zu müssen glaubte? Der Verfasser meint freilich, man hätte wenigstens „der Analogie“ jener Vorschriften folgen und sich „so nahe als möglich“ an sie halten sollen; aber damit betritt man einen Boden, dem jeder rechtliche Halt fehlt, und in der That ist denn auch, was der Verfasser meines Erachtens mit Unrecht leugnet, die Partei, welche Struensee stürzte, um nichts correcter verfahren als dieser. Dass der Staatsstreich vom 17. Januar 1772 lediglich auf Grund von Cabinetsbefehlen gelang, zu deren Ausstellung man den König gezwungen hatte, ist bereits bemerkt worden; es ist aber jetzt noch beizufügen, dass nach demselben ebenso wenig wie zuvor ein Regent eingesetzt und eine Mitregentschaft angeordnet wurde, wie dies das Königsgesetz für den Fall der Unmündigkeit des Königs vorschrieb, – dass ferner diesen Vorschriften auch in materieller Beziehung ganz und gar nicht nachgelebt wurde. Zwar wurde durch eine Verordnung vom 13. Februar 1772 ein geheimer Staatsrath gebildet, welcher aus dem Erbprinzen Friedrich und sieben höheren Staatsbeamten sich zusammensetzte, und ohne dessen Mitwirkung der Regel nach keine Anordnungen erlassen werden sollten; aber thatsächlich wurde die Regierung nicht von diesem geführt, sondern von der verwittweten Königin Juliane Marie und dem Cabinetssecretär Guldberg, welche im Grunde auch die Revolution gemacht und jene Verordnung erlassen hatten, wenn diese auch des Königs Unterschrift trug, und überdies wurde bald mit offener Missachtung dieser Verordnung wieder zu dem System einfacher Cabinetsbefehle [339] zurückgekehrt, welche man ohne Vorlage an die Collegien und den Geheimerath durch den König unterschreiben liess (vgl. was Charl. Dor. Biehl dieserhalb mittheilt, in der Dän. Histor. Tidsskr. III. R. 5. Bd., S. 289). Mag ja sein, dass ein anderer Weg des Vorgehens unmöglich war, wenn man nicht wagte, den König als unzurechnungsfähig zu bezeichnen und zu behandeln; aber dann durfte auch Struensee nicht als unberechtigte Usurpirung der Staatsgewalt ausgelegt werden, dass er im Namen des Königs fortregierte, so lange es ihm gelang, diesen zur Unterschrift der ihm vorgelegten Cabinetsbefehle zu bestimmen, zumal da er sich dabei im vollsten Einverständniss mit der Königin befand. Zu beachten ist auch noch ein anderer Umstand. König Christian VII. hatte einerseits schon von früher Jugend an Spuren eines nicht normalen Zustandes gezeigt, andererseits aber doch lange Zeit soviel Herrschaft über sich bewahrt, dass er sich als vollkommen verständiger und selbst wohlveranlagter Mann geben konnte; erst durch masslose Ausschweifungen war er allmählig soweit herabgekommen, dass er für zurechnungsfähig nicht mehr gelten konnte. In welchem Zeitpunkte soll nun die Regierungsunfähigkeit desselben eingetreten sein, und konnte man Struensee strafrechtlich dafür haftbar machen, wenn er den psychiatrisch richtigen Moment der beginnenden Unzurechnungsfähigkeit nicht erkannte? Man mag es missbilligen, aber man kann schwerlich dem Manne ein Verbrechen daraus machen, wenn er, nachdem einmal, wie der Verfasser S. 263 zugibt, auf des Königs eigenes dringendes Begehren das Conseil aufgehoben worden war, sich nun auch fernerhin ohne dieses zu behelfen suchte, obwohl der König immer mehr der geistigen Umnachtung verfiel, und es liess sich hierfür sogar die Erwägung geltend machen, dass der Geheimerath, in welchem des Königs Halbbruder und durch ihn dessen ebenso gewissenlose als herrschsüchtige Mutter die Hauptrolle zu spielen hatte, den Interessen des Landes sowohl als des unglücklichen Königs in hohem Grade gefährlich werden konnte. Eine ganze andere Frage ist natürlich die nach der politischen Correctheit und Zweckmässigkeit der Regierungshandlungen Struensee’s, bezüglich deren Legalität dieser durch des Königs Unterschrift gedeckt war. Nach dieser Seite hin lässt sich ja nicht verkennen, dass derselbe mit jugendlichem Leichtsinn, ohne jede Kenntniss von Land und Leuten, sowie ohne alle Schonung bestehender Gefühle und Anschauungen, überstürzt und unbesonnen daranging, den Dänischen Staat im Sinne der damaligen Aufklärung zu reformiren. Aber andererseits ist doch auch nicht zu bestreiten, dass sein Wille gut und dass auch seine Ziele im Ganzen richtig waren, wenn auch, zumal in religiöser Beziehung, manche Schiefheit mit unterlief, und vielfach die Zeit für deren Durchführung [340] noch nicht reif war. Nicht minder ist auch richtig, dass Struensee sich wiederholte Geldgeschenke durch den König machen liess, welche seine Uneigennützigkeit nicht gerade in das beste Licht rücken; aber auch in dieser Richtung lässt sich wieder eine Entschuldigung aus den Sitten der Zeit entnehmen, welche derartige Geschenke als ganz gewöhnlich erscheinen liessen.

Die dritte Anschuldigung betrifft Struensee’s angebliche Mitschuld an dem gewaltsamen Angriff, welchen dessen Mitangeklagter Brandt gegen den König gerichtet haben sollte (S. 279–92). Sie kann hier unbesprochen bleiben, da sie mehr Brandt als Struensee betrifft und überdies historisch wenig interessant ist; doch möchte ich bemerken, dass auch in diesem Punkte meine Ansicht von der des Verfassers etwas abgeht. Dieser hält den verurtheilenden Spruch der Commission für gerechtfertigt, meint aber, dass bezüglich dieses Vergehens Begnadigung am Platz gewesen wäre; mir dagegen scheint auch hier wieder die Frage nach dem Geisteszustand des Königs für die Beurtheilung der Schuldfrage sehr bedeutsam zu sein. War dieser geistig gesund, so musste Brandt’s Handanlegen an seine Person als eine hochverrätherische Handlung in der That erscheinen; war er aber geisteskrank, so mochte dieselbe That als ein vielleicht ungeschicktes, aber doch jedenfalls nicht hochverrätherisches psychiatrisches Zuchtmittel gelten. – Bezüglich der Beschuldigung einer Urkundenfälschung, welche der Verfasser selbst als unerwiesen und vermuthlich unbegründet ansieht (S. 292–96), kann ich mich seinem Urtheile völlig anschliessen, und dasselbe gilt auch von der letzten Anschuldigung, welche auf die harte Erziehung des Kronprinzen und die hierdurch bedingte Gefährdung seines Lebens begründet war (S. 296–97); mit dem Verfasser halte ich auch in dieser Beziehung den Angeschuldigten für unschuldig, da er nur im Sinne der damals auftauchenden neuen Erziehungsgrundsätze, wenn auch vielleicht allzu leichtsinnig verfuhr und jedenfalls von jeder unlauteren Absicht frei war. Endlich wird man wohl auch bezüglich des grausamen Strafvollzugs mit dem Verfasser die Entschuldigung gelten lassen müssen, dass derartig grausame Strafen in der betreffenden Zeit ganz allgemein gang und gäbe waren, und dass der einzelne Fall eben nur mit dem Masse seiner Zeit gemessen werden darf.

Trotz der Bedenken, welche gegen einen Theil der Ergebnisse des Verfassers erhoben wurden, ist doch seiner ebenso umsichtigen als unparteiischen Behandlung des Falles ein sehr erheblicher Werth beizumessen und ist seine Abhandlung der Beachtung auch der Geschichtsforscher dringend zu empfehlen.

Nachdem Obiges geschrieben war, brachte der V. Jahrgang der [341] Tidsskr. f. Retsv. S. 189–200 einen Aufsatz des Höchstegerichtsassessors J. H. Thoresen, welcher den Struensee’schen Process wesentlich in demselben Sinne beurtheilt wie ich.

Konrad Maurer.