Der Tapfere (Sechste Sammlung)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Tapfere
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung) S. 290-295
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[290]

 Der Tapfere.

     Ein böses Heldenthum, wenn gegen Mensch
Der Mensch zu Felde zieht. Er dürstet nicht
Nach seinem Blut, das er nicht trinken kann;
Er will sein Fleisch nicht essen; aber ihn

5
Zerhaun, zerhacken will er, tödten ihn! –

Aus Rache? Nicht aus Rache: denn er kennt
Den Andern nicht, und liebet ihn vielleicht.
Auch nicht sein Vaterland zu retten, zog
Er fernen Landes her. Ein Machtgebot

10
Hat ihn hieher geführet; roher Sinn,

Die Raubsucht, Sucht nach höhrer Sklaverei.

[291]

Von Wein und Branntwein glühend, schießt er, sticht
Und haut und mordet; mordet – weiß nicht, wen?
Warum? wozu? bis beide Helden dann,

15
Verbannt ins Schloß der Unbarmherzigkeit,

Ein Krankenhaus, mit andern Hunderten
Daliegen ächzend; und sobald den Krieg
Noth und der Hunger endet, alle dann
Als Mörder-Krüppel durch die Straßen ziehn

20
Und betteln. Ach, sie mordeten um Gold,

Gedungne Helden aus Tradition.

     Ein edler Held ist, der fürs Vaterland,
Ein edlerer, der für des Landes Wohl,
Der edelste, der für die Menschheit kämpft.

25
Ein Hohepriester trug er ihr Geschick

In seinem Herzen, und der Wahrheit Schild
Auf seiner Brust. Er steht im Felde, Feind
Des Aberglaubens und der Ueppigkeit,
Des Irrthums und der Schmeicheleien Feind,

[292]
30
Und fällt, der höchsten Majestät getreu,

Dem redlichen Gewissen, das ihm sagt:
Er suchte nicht und floh nicht seinen Tod.

 *     *     *

„Was tödtet ihr die Glieder? (rief die Wuth
Des Heidenpöbels.) Sucht und würgt das Haupt!“ –

35
     Man sucht den frommen Polykarpus, ihn,

Johannes Bild und Schüler.[1] Sorgsam hatten
Die Seinen ihn aufs Land geflüchtet.
 „Ich
Sah diese Nacht das Kissen meines Haupts
In voller Glut: (so sprach der kranke Greis,)

[293]
40
Und wachte mit besondrer Freude auf.

Ihr Lieben, mühet euch umsonst; ich soll
Mit meinem Tode Gott lobpreisen.“ –

 Da
Erscholl das Haus vom stürmenden Geschrei

45
Der Suchenden. Er nahm sie freundlich auf:

„Bereitet, sprach er, diesen Müden noch
Ein Gastmahl – Ich bereite mich indeß
Zur Reise auch.“ Er ging und betete.

     Und folgete mit vielen Schmerzen ihnen

50
Zum Consul. Als er auf den Richtplatz kam,

Rief eine mächtge Stimm’ im Busen ihm:
„Sei tapfer, Polykarp!

 Der Konsul sieht
Den heitern, schönen, ruhigsanften Greis

55
Verwundernd. „Schone, sprach er, deines Alters

Und opfre hier, entsagend deinem Gott!“ –


[294]

     „Wie sollt’ ich einem Herrn entsagen, dem
Zeitlebens ich gedienet und der mir
Zeitlebens Gutes that?“ –

60
 „Und fürchtest du

Denn keines Löwen Zahn?“
 „Zermalmet muß
Das Waizenkorn doch einmal werden, seys
Wodurch es will, zur künftgen neuen Frucht.“

65
     Der Pöbel rief: „hinweg mit ihm! Er ist

Der Christen Vater. Feuer! Feuer her!“
Sie trugen Holz zusammen und mit Wuth
Ward er ergriffen.
 „Freunde, sprach er, hier

70
Bedarfs der Bande nicht. Wer dieser Flamme

Mich würdigte, der wird mir Muth verleihn.“ –

     Und legte still den Mantel ab und band
Die Solen seiner Füße los und stieg
Hinauf zum Scheiterhaufen.

[295]
75
 Plötzlich schlug

Die Flamm’ empor, umwehend ringsum ihn
Gleich einem Segel, das ihn kühlete,
Gleich einem glänzenden Gewölbe, das
Den Edelstein in seine Mitte nahm

80
Und schöner ihn verklärte; bis ergrimmt

Ihm eine freche Faust das Herz durchstieß.
Er sank; es floß sein Blut; die Flamm’ erlosch;
Und eine weiße Taube flog empor.

 *     *     *

     Du lachst der weißen Taube? Soll einmal

85
Ein Geier Dir dem Sterbenden die Brust

Durchboren? Dem Gestorbenen das Aug’
Ein Rab’ aushacken? Aus der Asche sich
Molch oder Natter winden? – Spotte nicht
Des Bildes, das die Sage sich erschuf:

90
Nur Einfalt, Unschuld giebt im Tode Muth.

  1. Polykarp[WS 1], Bischoff zu Smyrna, ein im Christenthum weitberühmter Lehrer, der in der Mitte des zweiten Jahrhunderts im höchsten Alter den Märtyrertod litt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Poklyarp