Der Tod (Zerstreute Blätter V)
A. Wenn auch die Armuth etwas Gutes hätte, so reicht dies Gute doch nicht an ihr Elend beim lezten Verlassen.
B. Was nennen Sie das letzte Verlassen?
A. Wenn im Kampf zwischen Tod und Leben niemand dem Armen beisteht, der ihn ermuntere, erquicke, der seiner scheidenden Seele Lebe wohl! sage.
B. Wah! keiner hat bessern Beistand im Tode als die Armuth.
A. Das sprechen Sie im Scherz.
B. Auch im Ernst, wenn Sie mich treiben. Denn was verlangt unser Tod mehr, als Leere um uns her, die Entfernung jedes weinerlichen Apparats. Sprechen Sie indessen zuerst für den Tod der Reichen.
A. Ich sage, wie sich die Sache verhält. Ihre Krankheit wird durch Arzneien gelindert, ihr Gemüth durch Gespräche erleichtert. Eine teilnehmende Familie bürgt dem Kranken seinen guten Namen, wohlwollende Prediger die Seligkeit, ein geliebtes Weib seine Grabschrift, prächtige Werke sein Andenken nach dem Tode. Der Fleiß der Aerzte thut der Natur selbst Gewalt an, fromme Vermächtnisse sichern ihm den obersten Platz im Himmel –
B. Der Arme dagegen bricht durch seine harte gute Natur die Krankheit; sein Gemüth sammlet er durch Kunstlose Andacht. Er freut sich, befreiet zu werden, fühlt seinen Erlöser im Voraus: Zeuge seiner Unschuld ist sein Gewissen; er gehorcht der Natur und eilt, den Reichen dort zu verklagen.
A. Der Reiche hört verschiedene Trostsprüche aus Gottes Wort.
B. Der Arme hat sie in sich und glaubt sie.
A. Der Reiche wird an seine Sünden erinnert.
B. Der Arme ist ihrer sich bewußt mit Schmerzen.
A. Der Reiche zieret die Kirche aus.
B. Der Arme ist Gottes Heiligthum selbst.
A. Der Reiche ruhet unter einem Marmor.
B. Der Arme in seiner Mutter Schoos.
A. Der Reiche geht in der Umarmung seiner Freunde von hinnen.
B. In Armen der Engel fliegt der Dürftige empor. Doch wozu die beschwerlichen Gegensätze weiter? Daß nichts untreuer als der Reichthum, nichts getreuer als die Armuth sei, wird im Tode des Menschen am sichtbarsten. Er ist der Punkt, in welchem uns übel-erworbene Güter quälen, viele gehabte Mühe uns ekelt und verdrießt. Die thörichte Unruhe unsres Lebens beschämt uns: denn vergebens rufen wir jetzt alle jene Hülfe an, auf welche wir uns bisher verließen: jenen Himmel, der vor allen andern auf uns herabsah, günstige Sterne, eine Erde, die uns diente, Wissenschaften, in denen unser Stolz empor flog, Reichthümer, die wir nach unserm Willen gebrauchten, Freunde, die unsrer Lust gehorchten, eine Religion, mit der wir unsre Freiheit zu sündigen deckten, unsern Ruhm, ach den schändlichen Schmeichler! die Philosophie, eine papierne Stärke, die ganze Natur endlich, die, einzig auf uns erpicht und auf unsre Gunst stolz, unsern Abgang durchaus nicht leiden konnte. Wer sollte nicht lachen, daß wir alsdenn so lächerlich daliegen, wenn wir zum großen Uebel der Welt, zum unermeßlichen Schaden der Erde dennoch sterben müssen, und alle unsre Gaben, unsre Vorzüge, die, wie wir glauben, jeder Rechtschaffene dem Grabe beneidet, mit uns ins Grab wandern. Wer wollte dagegen nicht dem Armen Glück wünschen, der sich der Erde als der, der er ist, entziehet; eine Handvoll Erde, aber dem Himmel ein hoher Gast; der Eitelkeit und Ungerechtigkeit hienieden ein Zeuge, aber ein Erbe des ewigen Reichs, sich rühmend der Gemeinschaft mit Christo, die er schon hier anfing.
A. Wenn Sie so fortfahren, überreden Sie mich fast zur Armuth.
B. Sie ist ein zu großes Geschenk, als das es Ihnen werden sollte. Sie thun, was Sie so gern thun, beim Bette der Reichen sitzen, und unter dem Geruch der Arzneien, dem dunklen Schimmer der Lichter, den Versuchen der Aerzte, dem Zuschrei der Geistlichen, dem Hin- und Herlaufen der Familie, dem Heulen der Anverwandten, dem In-Ohnmacht-fallen der Gemahlin und den Tröstungen an sie von ihren Tröstern, die hinabfahrende Seele des Todten gesegnen.