Der Traum vom Osterhasen
Der Traum vom Osterhasen.
(Zu dem Bilde S. 229.)
Der Himmel dunstig. Im Grase blüh’n
Maßliebchen und Veilchen herfür,
Die Bäume knospen mit jungem Grün,
Und Ostern steht vor der Thür.
Das zur Stadt frühmorgens ging.
Der Korb so schwer – jetzt ist er leer;
Und sie ist ein armes Ding.
Sie kauften die Eier ihr ab zum Fest,
Die Mutter packte den letzten Rest
In den Korb, nun sind sie all’.
Und sie hätte doch gern wie alle Welt
Ihre Eierchen blau und rot –
Und die Mutter braucht es zu Brot.
Und als sie kommt an den Wiesengrund,
Da setzt sie sich nieder und denkt;
Da schläft sie ein bei den Blumen bunt,
Auf einmal hebt sich’s am Lattenzaun,
Die langen Löffel gespitzt,
Und sechs blitzblanke Aeugelchen schau’n
Auf die Schläferin her verschmitzt.
Und näher hüpfen zwei
Und deuten: „Der dort ist der Osterhas!“
Und nicken vertraulich dabei.
„Die schönsten Eier in kurzer Frist
Und wie der mit Legen fertig ist,
Da kommt er und duckt sich zu ihr.
Er schmiegt sich an sie wie längst bekannt –
Nun sieht sie ihn ganz genau!
Voll Eierchen rot und blau.
Die packen sie einzeln Stück für Stück
In ihren Korb daher,
Sie zählt – ihr Herz schlägt hoch vor Glück –
Da ward das Mädchen vom Schlafe wach:
Die Glocken gingen bim baum –
Da schaute sie schnell im Korbe nach:
Das Ganze war nur ein Traum!
Kein andrer sieht ihn wie ich.
Wo giebt’s auf der weiten Erde noch
Ein Glückskind so wie mich!“
Victor Blüthgen.
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