Emil Rittershaus (Die Gartenlaube 1897/14)
Es ist nur wenig über ein Jahr vergangen, da widmete Emil Rittershaus dem Gedächtnis seiner über alles geliebten Frau, die ihm der Tod jäh von der Seite gerissen hatte, ein tiefergreifendes Gedicht an dieser Stelle. Er pries darin die sonnige Gemütsart der Verblichenen, die seines Dichtens Muse, seines Lebens und Strebens treuester Kamerad gewesen war, und schloß mit dem Gelöbnis, in ihrem Sinn und Geist weiterleben zu wollen – trotz Trauer und Trennungsweh:
„So lang’ des Lebens Flamme in mir kreist,
Will leben ich, mein Weib, in deinem Geist,
Will wirken ich, mein Weib, in deinem Sinn,
Du meine Sonne, Sonnenschwärmerin!
Wo sich die Kummerwolke drohend ballt,
Will bringen ich der Liebe Lenzgewalt –
Wo Trübsinn häuft die schweren Nebel dicht,
Will bringen ich des Frohsinns Sonnenlicht …“
Er hat das Gelöbnis treu gehalten – noch die letzte Weihnachtsnummer der „Gartenlaube“ brachte davon einen rührenden Beweis, aber er hat es nicht lange halten dürfen, bald, viel zu bald für die Vielen, die seine Dichtung sich zu Freunden gewonnen, ist er der Betrauerten ins Grab gefolgt. Die zehrende Macht des Schmerzes war stärker als sein guter Wille. Ein schweres Herzleiden untergrub seine einst so kräftige Gesundheit – die „Sonne seines Lebens“ war untergegangen, die Sehnsucht nach ihr trieb seine Seele von hinnen. Aber auch er war von sonniger Art, und Sonnenglanz umleuchtet die Spur seines Scheidens. Wie hat aus den Augen, die sich nun für immer geschlossen, diese sonnige Gemütsart geleuchtet, bald hellaufblitzend im Funkensprühn des Humors, bald heiß aufwallend, wenn dichterische Begeisterung sein Herz bewegte! Und was er am Grabe der Gattin sich für den Rest seines Lebens damals gelobt, ist die Mission seiner ganzen Dichterlaufbahn gewesen: der „Liebe“ Lenzgewalt zu offenbaren, wenn „Kummerwolken sich türmten“, die „Nebel des Trübsinns“ mit „des Frohsinns Sonnenlicht“ zu verjagen!
Das warmblütige genußfrohe Naturell des Rheinländers hat in Emil Rittershaus eine ganz besonders anziehende dichterische Verkörperung gefunden. „Am Rhein und beim Wein“ – wie er einen Band seiner Gedichte genannt hat – ist sein poetisches Wesen heran gediehen zu schnellem Wachstum und blütenreicher Entfaltung. Wohl ist seine Vaterstadt, in der er am 11. März nun auch sein Grab gefunden, das industriereiche Barmen im Wupperthal, etwas abseits von dem herrlichen Strom gelegen, in dem sich Deutschlands schönste Rebenberge spiegeln. Doch das hinderte ihn nicht, in frischer Jugend an den Ufern rheinab, rheinauf heimisch zu werden und die ganze rheinische Schönheitswelt als seine Heimat zu empfinden. Dem daseinsfrohen Naturell war aber auch ein ernster Zug beigemischt, den er selbst auf seine westfälische Abstammung zurückführte. Ernste Jugendeindrücke, der Zwang, der ihn zum Handelsstand bestimmte, wo er lieber Naturwissenschaften studiert hätte, der frühe Verlust der innig geliebten Mutter vertieften diesen Zug, und anderes kam hinzu, das ihn bald gewöhnte, dem Ernst der Zeit teilnehmend ins Antlitz zu schauen.
Es war das Jahr 1849, als er die Schule verließ. Hoch gingen die Wogen des politischen Lebens auch in den an sozialen Gegensätzen so reichen Industriestädten des Wupperthals. Als hochgefeiert umklangen das Ohr des Jünglings die Namen von Kinkel und Freiligrath, den rheinischen Dichtern auf deren Lippen das Lied zur Waffe geworden war im Kampf für die Sache des Volks gegen Unrecht und Unterdrückung, die das Schicksal zu Märtyrern ihres kühnen Bekennermutes gemacht hatte. Ihr Beispiel wirkte mächtig anfeuernd auf den jungen poetischem Landsmann, dessen Muse bisher am liebsten geselliger Lust gedient hatte, den Becher mit Rosen bekränzend, und der sich nun auch der politischen Zeitdichtung zuwandte, namentlich das Vorbild Freiligraths wurde für ihn auf lange hinaus bestimmend. Aber der heiße Zornesmut des westfälischen Leuen fehlte dem Sänger eines jüngeren Geschlechts. Wohl fand auch Rittershaus kraftvolle Töne als Kämpfer für Freiheit und Recht, aber die Volkserhebung war für ihn kein unmittelbares Erlebnis gewesen, die Zeit der fünfziger Jahre in der er zum Manne reifte, war keine Epoche der Revolution mehr, sondern der Reaktion. Da kam unter dem Druck derselben eine neue Volksbewegung in Fluß. Diese revolutionierte zwar nicht, aber sie manifestierte – und zwar vernehmbar genug für das unvergessene Ideal eines in Freiheit geeinten Deutschlands, sie manifestierte auf den großen Bundesversammlungen der geeinten deutschen Sänger, Turner und Schützen. Und diese Bewegung, deren Verdienste um die Neugestaltung des Reichs erst neuerdings auch von Bismarck anerkannt worden, fand in Emil Rittershaus den berufenen Dichter. Hier fand er sich vor Aufgaben gestellt, an denen sich sein ernster Anteil am politischen Leben und seine Lust an frohem Festbehagen, seine patriotische Begeisterung und freiheitliche Gesinnung, sein fröhlicher Humor und seine markige Sprachkraft in vollster Harmonie bethätigen konnten. Hier durfte er seinen politischen Idealen als Dichter dienen im reinen Einklang mit dem Grundzug seines Wesens, den das Wort der Antigone wohl am besten bezeichnet. „Nicht mitzuhassen – mitzulieben bin ich da!“ Diese Begrüßungs- und Weihegedichte, oft von ihm selbst mit seinem volltönigen sympathischen Organ im Tone heiliger Ueberzeugung und mit dem Ausdruck augenblicklicher Eingebung vorgetragen, wirkten auf die gewaltigen Volksversammlungen mit geradezu hinreißender Macht. Und wenn wir sie heute – in so veränderter Zeit – lesen, müssen wir immer noch seine Kunst und Kraft bewundern, einen begeisternden Gedanken, der Tausende erfüllt, in poetischer Fassung zu echt volkstümlichem, stets edlem und kräftig zündendem Ausdruck zu bringen.
In jener Zeit erschien auch sein erster Beitrag in der „Gartenlaube“. Es war der Festgruß für das große deutsche Bundesschützenfest in Bremen. Seitdem ist kaum ein Jahr vergangen, in welchem die „Gartenlaube“ nicht wenigstens ein Gedicht von Rittershaus gebracht hätte, das in besonderem Maße [227] ihrem Charakter als Volks- und Familienblatt entsprach. Er begegnete sich mit ihr in dem Drange, die nach Gestaltung ringenden nationalen Ideale im Volke frisch zu erhalten und die Erinnerung an deren Herolde und Pioniere zu pflegen. Wie herrlich ist z. B. in diesen Blättern sein Lied zu Ehren Ernst Moritz Arndts, seiner früheren Meister und nachherigen Freunde Hoffmann von Fallersleben und Ferdinand Freiligrath erklungen! Es entstand ganz von selber ein Zusammenwirken, das dem Verstorbenen mit Recht die Bezeichnung des „Dichters der Gartenlaube“ eintrug. Wie hat er es verstanden, in Zeiten schwerer Heimsuchung, welche die ganze Nation empfand, den Ruf nach gemeinsamer Hilfe in poetische Worte zu kleiden, die von Herz zu Herzen drangen und dann auch wirklich, dank der weiten Verbreitung der „Gartenlaube“, ein nationales Hilfswerk ins Leben riefen! Als 1866 der deutsche Bruderkrieg entbrannt war und das Elend der Verwundeten zum Himmel schrie, da erschien sein Gedicht „Zu Hilfe!“ An alle deutschen Herzen, mit dem die „Gartenlaube“ ihre große Sammlung für die Pflege der Verwundeten aller deutschen Heere einleitete …
„Zum Himmel hallt ein Jammerschrei
Von Herzen die in Schlachten brechen –
Nun schweigt die Stimme der Partei,
Nun hat das Herz ein Recht, zu sprechen! …“
Auch während diese Heere dann geeint in Frankreich von Sieg zu Sieg, aber auch von Schlachtfeld zu Schlachtfeld schritten, eröffnete die „Gartenlaube“ eine Sammlung „für die Verwundeten und die Frauen und Kinder unserer unbemittelten Wehrleute, und wiederum war es Rittershaus, der sich mit seiner herzenswarmen Lyrik in den Dienst dieses Liebeswerks stellte.
Welche Früchte ein solches Zusammenwirken im Dienste der Menschenliebe zeitigte, dafür aus neuerer Zeit noch ein Beispiel! Im Herbst 1888 ließ Rittershaus das Gedicht „Eine Bitte für arme Kinder“ in diesen Spalten erscheinen. Mit ergreifender Schlichtheit war darin das Schicksal jener armen Schulkinder geschildert, deren Eltern ihr mühselig Tagewerk schon bei Tagesgrauen hinaustreibt, ohne daß sie ihren Kleinen mehr als trocken Brot zum Frühstück zurücklassen können. Es zeigte die schlechtgekleideten barfüßigen Kinder beim Schulweg über Schnee und Eis. Frosterstarrt und ungesättigt nahen sie der Schule, wo dann die Zucht von ihnen verlangt, daß sie den andern gleich ihre Schuldigkeit thun.
„Ach, warum irrt das matte trübe Aug’
So oft umher, was zittert in der Hand
Der Griffel? – – – – – – –
– – – Habt ihr Hunger je gekannt?
Seid ihr durchfroren nach der langen Nacht
Einmal auf Stroh am Morgen aufgewacht,
Habt mit dem ersten Blick nur Not geschaut,
Habt dann als Imbiß trocknes Brot gekaut? –
Fürwahr, wenn ihr es einmal nur gesehen
Ihr könnt nicht herzlos mehr beiseite stehen …
Und kann man auch nicht helfen allen, allen,
Die auf der Armut Dornenwegen wallen,
Den hagern Mündlein, die da hungernd beben –
Das Frühbrot laßt uns jenen Kleinen geben! …“
Bald nach der Veröffentlichung erhielt die Redaktion zahlreiche Zuschriften mit Geldspenden, darunter viele, die um Organisation des angeregten Liebeswerks baten. Der Dichter selbst machte darauf praktische Vorschläge. Und am Schlusse des Jahres konnte den Lesern mitgeteilt werden, daß diese Vorschläge zur Frühstücksverteilung an arme Schulkinder in verschiedenen Städten verwirklicht worden seien. In Stuttgart hatte ein wohlthätiger Bürger allein 100 000 Mark für diesen Zweck gestiftet.
Diese Beispiele bilden nur einen kleinen Teil dessen, was Rittershaus in solcher Weise als „Dichter der Gartenlaube“ geleistet hat, und noch größer ist die Zahl der Gedichte, in denen er, wie nach den Siegen in Frankreich, bei der Anregung und dann der Einweihung des Niederwald-Denkmals, einer hohen festlichen Stimmung der ganzen Nation wahrhaft volkstümliche herzentsprossene poetische Gestaltung gab. Auch für die Deutschen in Amerika wurde er wiederholt zum lyrischen Verherrlicher ihres gemeinsamen Empfindens. Schon in den sechziger Jahren mit seinen Festgedichten für das große Sängerfest in Chicago und zum „Humboldtsfest“ in der alten und neuen Welt, später, als deutsch-amerikanische Gesangvereine ihn um ein Bundeslied gebeten hatten. Die „Gartenlaube“ setzte damals einen Preis aus für die beste Komposition des von ihr veröffentlichten Liedes.
Der hingebenden Vaterlands- und Menschenliebe, die unser Dichter so oft und so erfolgreich bethätigt hat, entsprach aber auch die Innigkeit seines Empfindens in seinen ganz persönlichen Herzensangelegenheiten. Der Schwerpunkt seines Poetendaseins wie seines bürgerlichen Lebens blieb immer in der Familie. Schon in frühem Lebensalter hatte er gesungen:
„Nicht steh’ ich um den Segen ew’gen Glückes,
Nicht steh’ ich um ein flüchtig Erdengut.
Gieb, ew’ger, nur in Stürmen des Geschickes
Dem leiste Kraft und meinem Herzen Mut!
Den Pfad des Rechtes laß mich ruhig schreiten,
Ob still die Lust, ob wild die Stürme wehn,
Und Eines gieb mir, Gott, zu allen Zeiten.
0, die ich liebe, laß mich glücklich sehn!“
Dem Andenken seiner zärtlich geliebten Großmutter, seiner Eltern hat er Gedichte voll rührender Dankbarkeit geweiht, und seiner Gattin Ruhm erklang von allen Saiten seiner Leier. Wie unsere Leserinnen nicht nur erst aus dem oben erwähnten Gedicht an die Verstorbene wissen, lebte Rittershaus in sehr glücklicher Ehe. Als er Hedwig Lucas, die Tochter eines Fabrikanten in Elberfeld, heiratete, war er erst 22 Jahre alt – er gehört zu denen, an welchen sich das Sprichwort „Jung gefreit, hat niemand gereut“ – in schönster Weise erfüllt hat. Unter den Dichtern, welche das Glück solcher Ehe, die zarten Regungen des Vaterherzens, die gemütlichen Freuden des intimen Familienlebens aus tiefstem Dankgefühl verherrlicht haben, steht Rittershaus ebenbürtig neben Freiligrath. Das von ihm besungene „Doppelkleeblatt“, drei Knaben und drei Mädchen, war dieser Ehe Segen, und gar mancher hübsche Zug aus der Kinderstube ist uns mit dem vollen Reiz seiner Besonderheit in Gedichten wie „Die Sonntagspuppe“ aufbewahrt. „Kummerwolken“ blieben freilich auch diesem Glück nicht erspart, aber dieses bestand die Probe. Das schöne Gedicht „Am letzten Lenztage“, in dem er sein liebliches Anwesen im waldbekränzten Mirke bei Elberfeld schildert, das er infolge geschäftlicher Krisen einbüßte, schließt er mit dem Bewußtsein, daß die Seinen, sein Weib und seine Kinder, „die Welt in seinem Herzen“, doch sein bester Reichtum sind. Gerade die Zeiten der Sorge ließen ihn erst recht empfinden, welchen Schatz er in seinem treuen Weibe besaß.
„Und ist dir hart die Lebensweise –
Der Schmerz wird stumm, der dich bewegt,
Wenn eine weiche Hand sich leise
Auf deiner Stirne Furchen legt.
[228] An Anerkennung, Sympathie und Liebe hat es einem so gearteten Dichter auch sonst im Leben nicht fehlen können. Es dürfte wenig hervorragende Zeitgenossen geben, die so viel echte Freunde zählen konnten wie er. In seiner Jugend schloß sich ein engerer Kreis gleichgestimmter Poeten wie Schults, Röber, Stelter, Karl Siebel, um ihn, die in der Woche gleich ihm hinter dem Kontortisch sitzen mußten, um dann beim perlenden Rheinwein im „Sonntagskränzchen“ den Musen zu huldigen. Bald weitete sich der Kreis; oft sah er sich umjubelt als Sprecher der Poeten des Rheinlands bei so manchem festlichen Anlaß, so mancher Denkmalsenthüllung. Der starke Trieb, seine Ideale praktisch zu bethätigen, führte ihn aber auch hinaus in die Welt. Er schloß sich der Bewegung zu gunsten von Berufsgenossenkassen, von Volksbildungsvereinen an und wurde einer der beliebtesten und begehrtesten Redner an den Vortragsabenden des Bundes der deutschen Kaufmännischen Vereine. Ueberall ward sein Erscheinen hochwillkommen geheißen, er war einer der seltenen Dichter, deren äußeres Wesen und ganze Erscheinung sich völlig mit der litterarischen Physiognomie ihres Schaffens deckte, dazu war er ein vorzüglicher Unterhalter voller Witz und Laune, tolerant und verträglich, im Erzählen von Anekdoten und Selbsterlebtem unerschöpflich – ein guter Kamerad! Wer ihn so noch vor wenigen Jahren gekannt hat, ohne ihn seitdem wiederzusehen, mußte durch seinen Tod schmerzlich überrascht werden. War er doch – am 3. April 1834 geboren – noch keine 63 Jahre alt. Und welche Kernnatur an Gesundheit schien er zu sein! Doch hat er an den Folgen einer Influenza schon seit mehreren Jahren gekränkelt; sie hat das Herzleiden vorbereitet, das nach dem Tod seiner Frau sich so verhängnisvoll entwickelte.
Nun trauern Tausende um ihn – unter den treuen Lesern der „Gartenlaube“ wird die Trauer ebenso allgemein wie innig sein. Bisweilen hat den Dichter die Sorge beschlichen, daß seine Dichtung, weil sie der Gegenwart so unmittelbar diente, sich die Zukunft verkümmert habe. Das trifft ja auf manche Augenblicksschöpfung, die auch nur für augenblickliche Wirkung bestimmt war, zu. Aber getrost! Die Liederernte seines reichen Lebens bewahrt einen vollen Strauß unverwelklicher Blüten. Und an ihnen wird sich weiter bewähren, was der Dichter vorm Jahre am Grabe seines Weibes als Vorsatz fürs Leben geäußert –
Wo sich die Kummerwolke drohend ballt,
Wird bringen er der Liebe Lenzgewalt –
Wo Trübsinn häuft die schweren Nebel dicht,
Wird bringen er des Frohsinns Sonnenlicht!
Der Traum vom Osterhasen.
(Zu dem Bilde S. 229.)
Der Himmel dunstig. Im Grase blüh’n
Maßliebchen und Veilchen herfür,
Die Bäume knospen mit jungem Grün,
Und Ostern steht vor der Thür.
Das zur Stadt frühmorgens ging.
Der Korb so schwer – jetzt ist er leer;
Und sie ist ein armes Ding.
Sie kauften die Eier ihr ab zum Fest,
Die Mutter packte den letzten Rest
In den Korb, nun sind sie all’.
Und sie hätte doch gern wie alle Welt
Ihre Eierchen blau und rot –
Und die Mutter braucht es zu Brot.
Und als sie kommt an den Wiesengrund,
Da setzt sie sich nieder und denkt;
Da schläft sie ein bei den Blumen bunt,
Auf einmal hebt sich’s am Lattenzaun,
Die langen Löffel gespitzt,
Und sechs blitzblanke Aeugelchen schau’n
Auf die Schläferin her verschmitzt.
Und näher hüpfen zwei
Und deuten: „Der dort ist der Osterhas!“
Und nicken vertraulich dabei.
„Die schönsten Eier in kurzer Frist
Und wie der mit Legen fertig ist,
Da kommt er und duckt sich zu ihr.
Er schmiegt sich an sie wie längst bekannt –
Nun sieht sie ihn ganz genau!
Voll Eierchen rot und blau.
Die packen sie einzeln Stück für Stück
In ihren Korb daher,
Sie zählt – ihr Herz schlägt hoch vor Glück –
Da ward das Mädchen vom Schlafe wach:
Die Glocken gingen bim baum –
Da schaute sie schnell im Korbe nach:
Das Ganze war nur ein Traum!
Kein andrer sieht ihn wie ich.
Wo giebt’s auf der weiten Erde noch
Ein Glückskind so wie mich!“
Victor Blüthgen.
Das Tagebuch.
Wie für den Jüngling im Alter zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren die Cigarre ein mit allen gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln erstrebter Besitz ist, so sehnt sich der richtige Backfisch dieses Alters nach längeren Kleidern, nach der Anrede „Sie“ und – nach einem Tagebuch!
Er – der Backfisch! – pflegt dann plötzlich nicht mehr drei Tage ohne diesen Gegenstand leben zu können, zerschlägt alle alten Sparbüchsen, in denen aber erfahrungsgemäß nur einige „Heckpfennige“ ein beschauliches Dasein fristen, dreht die Taschen sämtlicher entwachsenen Sommer- und Winterkleider um, in der kühnen und vergeblichen Hoffnung, darin ungeahnte Reichtümer „vergessen“ zu haben, und schreitet schließlich zu Zwangsanleihen bei der Mutter, die mit der glaubhaften Versicherung: „Wenn du mir zehn Pfennig schenkst, lasse ich nie mehr etwas in meiner Stube herumliegen und wische täglich zweimal den Staub ab,“ betrügerisch verzinst werden.
Diesem Kapital entsprechend, beginnt der Tagebuch-Raptus gewöhnlich in allerbescheidenster Form. Er nimmt die Gestalt eines Notizbüchelchens in schwarzem Wachstaffet mit kariertem Papier von zweifelhafter oder unzweifelhafter Qualität an. Dieses erste Tagebuch wird, seiner Größe entsprechend, in der Tasche getragen, in der es mit der eiligst „in der Litteratur“ (das heißt: Litteraturstunde) hineingequetschten Buttersemmel und einem halben, rohen Kohlrabikopf verträglich und fettig bis nach Schulschluß haust und sich demzufolge nicht gerade verschönert.
Es wird auch gewöhnlich nicht voll geschrieben, sondern