Der Vampyr (Die Gartenlaube 1856/42)

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Titel: Der Vampyr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 576
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[576] Der Vampyr. Die Naturgeschichte versteht unter Vampyr (vespertilio vampyrus) eine große Fledermaus, die in mehreren tropischen Ländern, besonders in Brasilien vorkommt und welche Menschen und Thieren durch Blutsaugen Gefahr droht, wenn sie dieselben im Schlafe überrascht. Allein nicht diese Art von Geschöpfen, die übrigens in Europa ganz unbekannt ist, soll uns hier beschäftigen. Der Vampyr, von dem wir reden wollen, ist ein Geschöpf der Phantasie, und zwar eines der furchtbarsten, die sie geboren hat: eines, dessen Entstehung nicht zu begreifen wäre, wenn nicht im Menschen der sonderbare Hang zum Wunderbaren und Uebernatürlichen oft alle Vernunft zu Schanden machte, daß sie sich vor dem tollsten Unsinn beugen muß. – Weit und breit scheint die Meinung geherrscht zu haben, und an manchen Orten noch zu herrschen, daß der Todte unter gewissen Umständen nicht todt sei, daß er noch eine Art Leben führe, daß aber dieses Leben auf andere Lebende furchtbare Einwirkungen äußere. In verschiedenen Gegenden hat sich diese Vorstellung verschieden geäußert, ohne in der Hauptsache ihren Ursprung zu verläugnen. Im Oriente herrschte von alter Zeit her die Meinung, daß ein Leichnam aus dem Grabe hervorgehen könne, um die, welche er im Leben geliebt habe, zu quälen, zu verletzen, ihnen eine tödtliche Bißwunde beizubringen. Wenn die so Verletzten todt seien, behauptete der Wahn, so würden sie ebenfalls solche Vampyre, Brancolacha, Bardoulacha, Goul, Broncolacka, wie sie dort in den verschiedenen Gegenden heißen. Tournefort führt in seinen Reisen mehrere Beispiele an, wovon er Zeuge gewesen sein will. In Griechenland herrschte derselbe Glaube seit der Trennung der griechischen von der lateinischen Kirche. Die mit dem Banne belegten und in demselben Verstorbenen sollten Vampyre werden. Von Griechenland verbreitete sich diese Fabel nach Ungarn, Polen, überhaupt nach Westen. Besonders wurde 1732 ganz Europa durch die Nachrichten aufgeregt, welche aus Ungarn darüber in Umlauf kamen. An der Grenze Serbiens, zu Cassovia, war ein Heiduck, Namens Arnold Paul, angeblich von einem Vampyr gebissen. Er starb, und nach wenigen Wochen herrschte in der ganzen Umgegend die Klage, daß er herumwandle, um Freunde und Verwandte zu quälen. Vier waren bereits verstorben. Man grub den Leichnam aus, fand ihn ganz frisch, stieß ihm einen Pfahl durch’s Herz, wobei er heftig schrie, schnitt ihm den Kopf ab, verbrannte den Körper und streute die Asche auf das Grab. Dasselbe geschah mit den Leichnamen der durch seinen Biß angeblich bereits ebenfalls Verstorbenen. Aus dem angewendeten Mittel erhellt, daß man in dieser Gegend schon mit der Idee vertraut war. Auch in Deutschland scheint schon lange vor dieser Zeit eine ähnliche Ansicht verbreitet gewesen zu sein. Namentlich in Sachsen finden sich unleugbare Spuren von diesem Volksglauben: man nahm an, daß der Todte schmatze, daß er an dem Leichentuche, Leichenhemde sauge, und daß dieses Schmatzen und Saugen den Tod seiner nächsten und liebsten Verwandten zur Folge habe. Deshalb traf man häufig Vorkehrungen, dieses Schmatzen und Saugen zu verhüten. Namentlich legte man ein Stück Rasen unter das Kinn, um so jede Berührung der Zunge, der Lippen mit der Brust u. s. w. unmöglich zu machen, oder man band das Unterkinn fest mit einem Tuche zu. Daß die Idee von jenem östlichen Vampyrismus hierbei aber ganz dieselbe gewesen sei, geht besonders klar aus einer Anordnung hervor, welche man bereits im 16. und 17. Jahrhundert zu Freiberg traf, wo die Pest große Verheerungen anrichtete, und wo man, wenn Mehrere hinter einander aus einer Familie schnell starben, dies nicht von der Pest, sondern vom Saugen des Todten ableitete. Wir haben gehört, wie jenem todten Heiducken ein Pfahl durch’s Herz gestoßen und der Kopf abgehauen wurde; gerade so verfuhr man, der Chronik jener Stadt zu Folge, in Freiberg: man stieß dem Todten mit dem Spaten den Kopf ab, schlug ihm einen Pfahl durch’s Herz und verbrannte dasselbe zu Pulver.

In Griechenland herrscht die Furcht vor Vampyren noch jetzt allgemein, und hier lernte Lord Byron diesen Aberglauben genauer kennen. Seine zum Wilden, zum Schauerlichen gestimmte Phantasie faßte ihn begierig auf, und er gründete darauf seine bekannte Erzählung: der Vampyr.