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Der Wundermann auf der G-Saite

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Textdaten
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Autor: Johann Christian Lobe
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Titel: Der Wundermann auf der G-Saite
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1 und 2, S. 9–11, 31, 32
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ein Charakterbild des italienischen Geigers Niccolò Paganini
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[9]
Der Wundermann auf der G-Saite.


Musikalische Erinnerung aus Weimar von J. C. Lobe.


Am 25. März 1828 erschien in der Wiener Theaterzeitung folgende Anzeige: „Eine sehr interessante Nachricht für die musikalische Welt ist die Ankunft des berühmten, aus Genua gebürtigen Violinspielers Nicolo Paganini, welcher sich einmal entschlossen hat, eine Kunstreise außer Italien zu unternehmen, um dem kunstsinnigen Wien zuerst seine Leistungen zu widmen etc.“

Berühmt? In Italien vielleicht! Wir Deutsche blickten sehr von oben herab auf die italienischen Meister; ihre Opern wurden zwar in der ganzen musikalischen Welt gegeben, waren aber doch nur Spielerei in den Augen der deutschen Kritik. Instrumentalmusik, Symphonien zum Beispiel, konnten sie gar nicht machen. Und von ihrer Virtuosität auf Instrumenten war seit langer Zeit auch gar keine Rede mehr. Da hatten Deutschland und Frankreich andere Matadore. Vor Allen ragten damals auf der Geige hervor Spohr, der Riese an Gestalt und Kunstfertigkeit, Lipinsky, Kiesewetter, Mayseder etc., in Frankreich Rhode, Baillot etc. Von dem genuesischen Geigenspieler hatten nur Wenige gehört, das große Publicum wußte nichts von ihn. Dazu kam, daß er als ein alter kränklicher Mann erschien und in der That schon vierundvierzig Jahre zählte. Im besten Falle eine Ruine, gut genug noch für die deutschen Barbaren. So war es denn nicht zu verwundern, daß sein am 19. März zuerst gegebenes Concert keinen großen Zuspruch fand.

Nun aber – den Tag darauf! Da schien wahrlich ganz Wien musiktoll geworden zu sein. Bei den folgenden Concerten war das Haus schon vom frühen Morgen an von ungeheuren Menschenmassen umlagert, und ob zwar die Preise verdoppelt, dann verdreifacht wurden, trugen doch Viele anstatt eines Billets nur Quetschungen, Beulen und zerrissene Kleider davon. Den Artikeln nach aber, die nun in den Wiener Journalen erschienen, mußten entweder alle dortigen Berichterstatter übergeschnappt oder der Genueser Geiger in Wahrheit das außerordentlichste Virtuosenphänomen sein, das die Welt jemals gesehen und gehört. Da hieß es zum Beispiel: „Wer Paganini nicht gehört hat, kann auch keine Ahnung von ihm haben. Sein Spiel zu detailliren, ist rein unmöglich; da wird auch ein oftmaliges Hören nicht viel helfen.“ Der ruhige, verständige Castelli schrieb: „Noch nie hat ein Künstler in unseren Mauern so ungeheure Sensation erregt wie dieser Gott der Violine. Seine Leistung ist das Höchste, das Außerordentlichste und Bewundernswertheste, was man in der ausübenden musikalischen Kunst hören kann. Er fängt dort an, wo die Anderen zu Ende sind; er leistet das Unglaubliche, ja – da man nicht einmal die Mittel kennt, wodurch er es hervorbringt – für uns das Unmögliche!

Aus allen Städten nun, die er besuchte, Breslau, Berlin, Frankfurt am Main etc., von überall her ertönten dieselben überschwenglichen Berichte.

Ob man da nicht neugierig werden sollte!

Wird er auch nach Weimar kommen? Das war hier die Frage, für mich damals ebenso wichtig wie des armen Hamlet „Sein oder Nichtsein!“ Die kleine Residenz mit ihrem magern Geldbeutel, sagte ich mir freilich, kann ihn nicht anlocken, wenn man von den enormen Summen liest, die ihm die größeren Städte spenden müssen. Doch – die kleine Residenz hat ja einen großen Namen, tröstete ich mich; noch lebt Goethe, Hummel, Marie Pawlowna, selbst eine Claviervirtuosin ersten Ranges. Wenn Paganini ein wirklicher Künstler ist, so kann er Weimar nicht übergehen. So redete ich mir vor, so – doch ich bin ein alter Mann, und das Alter wird leicht geschwätzig. Darum streiche ich mehrere Seiten meines Manuscripts, auf welchen ich meine Warteempfindungen geschildert habe, und komme gleich zu jenem Abend des 29. October 1829, an welchem unser Orchesterdiener Buchholz bei mir eintrat, meldend: „Morgen um neun Uhr Probe auf der Bühne von dem Concert des Herrn Paganini!“

Und aus demselben oben bemerkten Grunde springe ich sogar hier über die Probe hinweg und referire gleich über das Concert am Abend. Aus der Stadt und ganzen Umgegend war Alles herzugeströmt, was den doppelten Eintrittspreis prästiren konnte. Das Haus bot einen prachtvollen, feierlich erhebenden Anblick dar, die Anwesenden waren so zusammengedrängt, ja ineinandergekeilt, daß, wörtlich genommen, ein herabfallender Apfel nicht eher den Boden gewonnen hätte, als am Ende des Concerts. Eine feierliche Stille lag auf der Masse. Aller Augen starrten auf die Bühne, jedes Ohr vibrirte in heißem Durst nach den Tönen des gerühmten Wundermannes. Die Ouverture war vorbei; das arme Ding hatte sich ganz umsonst abgearbeitet, da Niemand darauf hörte. Endlich, nach einer ziemlich langen Pause (Paganini liebte es, wie andere große Herren auch, auf sich warten zu lassen –) trat er hervor. In der linken Hand die Violine, in der rechten den Bogen, glitt er mit leisem eiligen Schritt durch unsere Reihen, bis an die Rampe; ein Pult war nicht da, denn er spielte Alles auswendig. Er machte einige leichte und ziemlich linkische Verbeugungen, wobei er den Bogen bis an den Boden senkte, wie ein General auf der Parade den Degen vor seinem Souverain. Niemals in meinem Leben habe ich einen Menschen gesehen, bei dessen Anblick mir das Herz so weh gethan, so von Rührung und Mitleid ergriffen worden wäre. Eine hagere Figur, in altmodisch schwarzem Frack und bis auf die Sohlen herabhängenden schwarzen Hosen, die um die dürren Glieder schlotterten, wie um ein bloßes Knochengerüst. Aus den langen herabhängenden Locken und [10] dem stark gekräuselten Backenbart sah ein langes, fleisch- und blutloses Gesicht mit einer langen Adlernase heraus. Von seinen Schultern hingen Pavianarme herab, woran sehr lange dürre, aber schneeweiße Hände befestigt waren. Ich mußte unwillkürlich an Callot-Hoffmann’s Capellmeister Kreisler denken. Dann wieder, wie er so theilnahmlos, fremdartig, öde in die Versammlung blickte, schien es mir, als sähe ich den armen Jerusalemer Schuster Ahasverus, der wegen einer kleinen Flegelei gegen unsern Herrn Christus nun schon an die achtzehn Jahrhunderte, vergeblich den Tod herbeisehnend, auf unsrer Erde herumwandeln muß.

Er trug zuerst sein großes Es-dur-Concert vor. Das Ritornell begann. Seine Schultern waren hoch, aber beim Spiel zog er sie zusammen, daß sein Kopf auf einem Pfahl zu stecken schien. Dabei hielt er den Bogen, entgegen den Grundsätzen aller anderen Violinspieler, eng am Leibe, So leitete und durchblitzte er das Orchester während des Tutti mit einzelnen Tonfunken.

Was aber soll ich nun sagen von seinem Spiel! Sie hatten wohl Alle Recht mit der Bemerkung, daß man ihn hören müsse, weil es sich absolut nicht beschreiben ließ. Meyerbeer sagte später zu Castil[WS 1]-Blaze: „Stellen Sie sich die erstaunlichsten Wirkungen vor, die man auf einer Violine hervorbringen kann; träumen Sie von den Wundern des Bogens und der Melodie: Paganini wird Ihre Erwartung noch übertreffen.“

In einer französischen Gesellschaft, wo sich ein berüchtigter Geizhals befand, wurde für einen wohlthätigen Zweck gesammelt. Der Sammler kam aus Versehen zum zweitem Mal an den Geizhals. Dieser antwortete: „Ich habe schon gegeben, mein Herr.“ Der Andere erwiderte: „Verzeihung, ich habe es nicht gesehen, aber ich glaube es.“ Sehr rasch fiel ein witziger Nachbar des Harpagus ein: „Und ich habe es gesehen, aber ich glaube es nicht.“ So ging es mit Paganini. „Wer es nicht gehört hat, glaubt es nicht,“ sagten die Herausgehenden, und ein Referent schrieb: „ich habe es gehört, aber ich glaube es doch nicht.“

Und ebenso wenig vermögen eingehendere Beschreibungen, in die Specialitäten seiner unerhörten Künste einen nur annähernden Begriff von dem Wesen und der Wirkung derselben in der Wirklichkeit zu geben.

Denn was bedeuten Aussagen, wie: „man vernimmt auf seinem Instrumente außer den der Violine eigenthümlichen Tönen, wahre Naturlaute, die sich bald dem einfachen Vogelgesange, bald dem Schlage der Nachtigall oder dem silberhellen Glockentone annähern, bald flötend und leise verklingend sind wie ein Zephyr, bald aber auch stürmend in Doppelgriffen dahin rauschen und das ganze Orchester zu beherrschen scheinen.“ – Er brachte gewisse Gänge, Sprünge und Doppelgriffe, die man noch von keinem Violinspieler, wer er auch sei, gehört hatte. Er spielte die schwersten zwei-, drei- und vierstimmigen Sätze, er gab in den allerhöchsten Tönen ganz dicht am Steg die chromatische Scala rein und deutlich zu hören. Gleich im ersten Solo seines Es dur-Concerts kletterte er in einer Reihe vierstimmiger harpeggirter Accorde blitzschnell in die Höhe, wobei uns Geigern der Violinverstand gänzlich verloren ging, denn es war selbst auch für den eingeweihten ein undurchdringliches Räthsel. Die größten Violinspieler bildeten sich viel ein, wenn sie leichte Sätzchen im Flageolett anzubringen wußten. Paganini brachte es in den mannigfaltigsten, ganz ungeahnten, kühnsten und ungewöhnlichsten Formen zur Anwendung. In der Sonate militaire ließ er auf einer – der G-Saite – vermittelst des Flageoletts beinahe den ganzen Tonumfang aller vier Saiten hören, so daß man, nicht hinsehend, vergaß, daß er alles das wirklich nur auf der einen Saite ausführte. Unbegreiflich auf der vollbesaiteten Violine waren die Doppelgriffe für Terzen-, Sexten-, Octaven-, Doppeltriller- und Decimen-Passagen in pfeilschneller Geschwindigkeit, Läufen in Sechszehntheiltönen, wovon die eine immer pizzicato, die andere coll’ arco (mit dem Bogen) hingezaubert wurde. Er brachte die lieblichsten Klänge so nahe am Stege vor, daß der Bogen zwischen diesem und dem Finger kaum Platz finden konnte. Das Wundervollste war, daß er mit der linken Hand ein überraschendes Pizzicato griff, während er das angefangene Spiel nebst allen dabei vorkommenden Schwierigkeiten ungestört fortsetzte, ja, er trug sogar in einigen der schnellsten, von der Höhe bis zur Tiefe hinabrollenden Läufen, abwechselnd immer die Noten im Pizzicato, und immer in langen Bogenstrichen vor. Wenn man nun nach dem Vortrage des Concerts und der Sonate auf der G-Saite glaubte, seine Künste seien zu Ende, er könne nun unmöglich noch Neues bringen, so wurde auch dieser Glaube Lügen gestraft, denn in den Variationen über „Nel cor più non mi sento“, die er zum Schluß, vom Orchester unbegleitet, gab, tönten neue unbegreifliche Wunder auf. Ohne Orchester besorgte er die Begleitung selbst. Da waren zu hören ganze vierstimmige Sätze. Eine Variation war durchgängig dreistimmig gesetzt, indem er die Melodie durch ein tremulirendes Accompagnement begleitete; ferner kam eine Variation, durchgängig mit Springbogen, die einer sprühenden Tonfontaine glich. Er hielt ein Thema auf der E-Saite, während er sich zugleich auf der A-, D- und G-Saite dazu accompagnirte. Ein ander Mal hielt er auf einer Saite den Ton einen – zwei – und drei Tacte hindurch, während er zugleich Läufe und Pizzicato auf den andern Saiten vortrug. Alles dieses, ach, und vieles Andere noch, trug er durchgängig, ohne daß ihm nur ein einziges Tönchen mißlungen wäre, mit spielender Leichtigkeit und reinster Intonation vor.

Dies alles war seine Technik, die höchste, vollendetste, welche jemals ein menschliches Ohr vernommen. Aber diese zauberhafte Technik war doch nur die Verkünderin seiner glühenden Seele. In seinem Spiele wechselten Ernst und Scherz, Tiefsinn und Tändelei, tragische Zerknirschung und gaukelnder Humor auf die schönste Weise mit einander ab. Am treffendsten hat sich darüber André ausgesprochen, aus dessen Aufsatz im „Hesperus“ ich das Folgende entlehne.

„Ist Paganini Tonkünstler im höheren Sinne, in eigener Art? Ich glaube, gänzlich abgesehen von seinen unglaublichen mechanischen Fertigkeiten und Künsten, die Frage bejahen zu müssen, weil er seinem Vortrage eine Seele, wie Keiner, zu geben weiß. Dieses Seelische ist es, was bei zarteren Gemüthern so unbeschreiblich einwirkt, was seinem Tone jene eigenthümliche Charakteristik giebt und deshalb unnachahmlich bleiben wird, weil er nur seine Seele reden läßt, nur sein Ich ausspricht. Er hat nämlich seine Violine zum Sprechorgan seiner innersten Empfindungen und seines eigenthümlichen Gemüths- und Bildungszustandes gemacht. Was in seinem Innern vorgeht, drückt das Instrument mit seltener Wahrheit, Treue und Innigkeit aus. … Dürfen wir von seinem Spiele auf den Zustand seines Innern zurückschließen, so streiten darin (wenn auch nur in der Rückerinnerung) die stürmischsten Leidenschaften mit den tiefsten, zärtlichsten Gefühlen, herbste Leiden mit den beseligendsten Freuden, schwarze Misanthropie mit kindlicher Gutmüthigkeit. Und soll ich Alles in einen Begriff fassen, so würde ich sagen: ein zerrissenes Gemüth macht sich Luft.“

Man kann sich denken, welchen Spectakel der Zauberer auch bei uns erregte. Der Beifall unseres sonst stets in den Grenzen der Mäßigung bleibenden Publicums stürmte wie brausende Meereswogen durch das Haus, und den Ruhigsten riß das Entzücken fort. Er wußte, daß der Künstler empfinden müßte, um bei Andern Empfindungen zu erwecken. Zu seinem Motto hatte er gewählt: „Man muß stark empfinden, um Empfindungen hervorzurufen.“ In Bezug auf den Eindruck seines Spiels auf’s Herz schrieb aber Holtei in seiner drastischsten Weise: „Paganini hatte in Weimar gespielt, und auch dort, auf seinen vier elenden Saiten wimmernd, den Menschen die Herzen im Leibe umgedreht.“

Als ein armer kränklicher Mann von schwächlichem Körperbau trat er an die Lampen, sobald er aber seine Geige ansetzte, den Bogen erhob und zu spielen begann, schien eine Riesenkraft, die nur in ihm geschlafen hatte, zu erwachen, die Nerven, Muskeln, alle Glieder wurden stark, straff, gespannt, alles war Geist, Kraft und Leben in und an ihm.

Wie ist er so groß, so einzig geworden? Darüber müssen wir seine Lebensgeschichte befragen.

Paganini wurde den 18. Februar 1784 zu Genua geboren. Sein Vater war ein nicht besonders bemittelter Geschäftsmann, der die Musik leidenschaftlich liebte und trieb, „mit wenig Talent, aber viel Behagen“. Bald erkannte er des Sohnes Naturanlage, und lehrte ihn die Anfangsgründe auf der Violine. Er war ein hartstrenger Mann, der den Knaben den ganzen Tag an die Violine zwang, und ihn, wenn er ihm nicht fleißig genug schien, zur Verdoppelung seiner Kräfte durch Hunger antrieb.

Im neunten Jahre ließ sich der junge Virtuose zum ersten Male in seiner Vaterstadt Genua öffentlich in einem Concert unter den unerhörtesten Beifallsstürmen des enthusiasmirten Publicums [11] hören. Nachdem er zu Parma von Rolla, dem berühmten Violin-Virtuosen, und in der Composition von Ghivetti Unterricht erhalten und dann in Genua der Einsamkeit hingegeben die fleißigsten Studien gemacht hatte, reiste und concertirte er im Alter von fünfzehn Jahren allein, immer nur in Italien herum, zweiundzwanzig Jahre hindurch, seine Fertigkeit immer wunderbarer ausbildend. Einige Jahre war er am Hofe zu Lucca angestellt. Nun aber erwachten in dem feurigen jungen Italiener die Leidenschaften. Er wurde liederlich. Vor Allem huldigte er der Liebe und dem Spiel. Die erstere schadete seinem Körper, das letztere brachte ihn oft in große Noth und Sorgen. Als er in Deutschland erschien, war er ein ordentlicher und sehr sparsamer Mann. Von Wien aus datirt sich sein Weltruhm. Und nun durchzog er denn nach und nach Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Polen etc. und kehrte endlich nach einer Abwesenheit von zehn Jahren im Sommer von 1834 nach Italien zurück, mit Ruhm und Reichthümern überhäuft, fortan bald in Genua, bald in Mailand oder bei Parma lebend. Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris, wo er bereits seiner gesunkenen Gesundheit wegen nicht mehr concertiren konnte, eilte er, zu Schiffe nach Genua zurückzukehren, weil er dort zu genesen glaubte. Es war eine vergebliche Hoffnung! Nizza sollte sein letzter Aufenthaltsort werden. Sein Uebel, die Schwindsucht, machte dort reißende Fortschritte. Die Stimme erlosch, seine Kräfte sanken vollständig. An seinem letzten Abende schien er ruhiger als gewöhnlich; er hatte ein wenig geschlafen; als er erwachte, ließ er den Bettvorhang öffnen, um den Mond zu betrachten, der in vollem Glanze am reinen Himmel emporstieg. Bei diesem Anblick belebten sich seine Sinne noch einmal, er ergriff mühsam seine Violine, die treue Begleiterin auf seinen Reisen, und sendete mit seinen letzten Tönen seinen letzten Seufzer gen Himmel.

Der große Meister starb am 27. Mai 1840 im sechsundfünfzigsten Jahre seines Lebens.

Mit dem Tode des außerordentlichen Mannes war noch nicht Alles zu Ende. Er war ein Italiener und Katholik. Er glaubte an Gott, aber nicht an die Pfaffen. Er besuchte gern die Kirchen, Dome, um die gottbegnadeten Meisterwerke der Architekten, Bildhauer, Maler zu bewundern, oder die religiösen Musikwerke der alten italienischen etc. Componisten zu genießen – über das die Menschen umnebelnde und in der Verdummung erhaltende Ceremoniengemenge und Geräuchere aber hatte er die Gedanken wie die ganze aufgeklärte Welt. Dergleichen mochte der menschheitliebenden katholisch-christlichen Priesterschaft zu Ohren gekommen sein; der sehr christliche Erzbischof von Nizza versagte ihm das Begräbniß in geweihter Erde. Nur nach langem vergeblichem Bitten des Sohnes und seiner Freunde wurde ihm von Rom aus ein christliches Begräbniß bewilligt.

Paganini hinterließ einem legitim angenommenem Sohn mit Namen Achilles ein Vermögen von zwei Millionen und seinen beiden Schwestern Legate von fünfzig- bis sechszigtausend Franken, der Mutter seines Sohnes aber, der Sängerin Antonia Bianchi aus Como, nur eine lebenslängliche Rente von zwölfhundert Franken. Außerdem hinterließ er eine Sammlung der kostbarsten Streichinstrumente von Guarneri, Amati, Stradivari etc., letzteres das einzige Instrument, das er in seinen Concerten spielte, und das er seiner Vaterstadt Genua vermachte, da er nicht wollte, daß es ein anderer Künstler nach ihm besitze. Einer andern Version zufolge hatte er es Ernst vermacht, Außer der Kränklichkeit, den fast unausgesetzten körperlichen Leiden, verfolgten ihn auch die niederträchtigsten Verleumdungen der vielen Neider seiner Erfolge und seines Ruhms. Sie gingen so weit, daß man ihn wirklicher Verbrechen bezichtigte. Er sollte in seiner Jugend mit Räubern verkehrt haben; er sollte aus wüthender Eifersucht seine Gattin, und da er bewies, daß er niemals verheirathet gewesen, seine Geliebte ermordet haben. Die Einen versicherten, daß er dieser Verbrechen wegen viele Jahre mit Ketten belastet auf der Galeere zugebracht, wovon sein unsicherer schwankender Gang herrühre, andere ließen ihn eine lange Kerkerhaft erdulden, in welcher ihm nach und nach die Saiten seiner Violine geplatzt, und nur die vierte übrig geblieben, weshalb er nothgedrungen sein Spiel auf der G-Saite zu bewundernswerther Fertigkeit gebracht habe. Vorzüglich zeichnete sich in der Erfindung solcher Geschichtchen das an der Spitze der Civilisation marschirende Paris aus. Fétis sagte: „Es giebt in dieser Stadt einen ganz ansehnlichen Theil der Bevölkerung, der von dem Ueblen lebt, das er thut, und von dem Guten, das er verhindert.“ Ja, in seinem Vaterlande, wo die Orangen glühen, und die Banditen und Pfaffen blühen, behaupteten manche allen Ernstes, daß er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und seine Seligkeit in jener Welt dahin gegeben, wofür er ihm in dieser die Zauberkünste gelehrt. Alle diese Fabeln haben sich freilich nach Paganini’s Tode als Schanderfindungen und dummer Aberglaube erwiesen, aber bei seinem Leben wurden sie von Vielen für wahr gehalten, – die liebe Menschheit glaubt ja das Schlechte viel leichter und lieber als das Gute, besonders, wenn es große, berühmte oder sonst vom Glück begünstigte Menschen betrifft.

[31] Außer diesen Fabeln war von Paganini’s Charakter und Privatleben bis zu seiner Ankunft in Deutschland wenig oder nichts bekannt. Von da an aber wählte er sich zeitweise Gesellschafter, die ihn auf seinen Reisen begleiteten und seine Geschäfte besorgten. Einer derselben, der hannoversche Literat Georg Harrys, hat längere Zeit ein genaues Tagebuch darüber geführt, aus welchem wir interessante Einblicke in die Gewohnheiten und Eigenheiten Paganini’s gewinnen.

Künstler haben in der Regel viel Sinn für die Natur. Paganini machte eine große Ausnahme. Mochte er auf seinen Reisen durch die blühendste Landschaft, an den schönsten Villen und Schlössern vorüberfahren, durch die romantischsten Gegenden kommen, er nahm keine Notiz davon, sie hatten keinen Reiz für ihn. Sprach er nicht, so dachte er an seine Kunst, an seine Composition, oder verfiel in melancholisches Sinnen. Er konnte auch nicht um sich schauen, weil er, stets fröstelnd, den Wagen rings um sich her fest verschlossen hielt. Gleich dem Minister Kaunitz, der sich vor jedem Lüftchen ängstlich hütete, saß Paganini bei zweiundzwanzig Grad Wärme in seinen Pelz gehüllt, alle Wagenleder zugehakt, in seinen Winkel gekauert, und erlaubte seinem Begleiter kaum, die Seite, wo er saß, zuweilen zu lüften. Auf das deutsche Klima schimpfte er immerwährend, er schrieb ihm einen großen Theil seiner körperlichen Leiden zu, die er doch aus Italien schon mitgebracht. Oft sagte er zu Harrys, wenn er sich in seinen Pelz einhüllte: „Das ist ein vortreffliches Möbel in Deutschland, ohne welches man nicht reisen kann, selbst mitten im Sommer“. Merkwürdigerweise saß er dagegen in seinem Zimmer am liebsten zwischen offenen Thüren und Fenstern, was er „ein Luftbad nehmen“ nannte. Die häufigen Erkältungen, die er sich dadurch zuzog, haben seine Kränklichkeit am meisten befördert.

Wie alle kränklichen Personen, liebte Paganini den Schlaf; im Reisewagen schlief er oft zwei Stunden hintereinander, und dies dreimal des Tages. Dann war er nach dem Erwachen heiter, gesprächig, ja zu Scherzen aufgelegt.

An der Station angekommen, blieb er in seinem Wagen oder promenirte, während man die Pferde fütterte und wechselte, aber er trat niemals in ein Wirths- oder Posthaus, bevor er an dem Orte angekommen, den er als Ziel seiner Reise bestimmt hatte.

Sein Gepäck machte ihm wenig Sorge. Das Kostbarste für ihn, sein Instrument, ein Guarneri, lag in einem sehr abgegriffenen und abgeschabten Kasten, in dem er zugleich die Schatulle, einige kleine Pretiosen und etwas feine Wäsche aufbewahrte. Seine ganze Garderobe hätte ein Handwerksbursche bequem in seinem Ränzel tragen können. Seine Gesammtpapiere, wichtiger als die manches reisenden Geschäftsmannes, waren in ein rothes Büchlein eingeschlossen. Dieses, obwohl nur aus einigen zwanzig losen Blättchen bestehend, enthielt doch das Resultat aller seiner Geschäfte, seitdem er aus Italien nach Deutschland gekommen war. Das waren aber Hieroglyphen, die Niemand als er zu enträthseln vermochte. Da lag alles untereinander geworfen, Wien und Karlsruhe, Frankfurt und Leipzig, Einnahmen und Ausgaben, Postpferde und Concertbillets, und doch fand er sich bewundernswerth in dieses Labyrinth, und verrechnete sich selten zu seinem Nachtheile, obgleich er im Rechnungsfache ganz unerfahren war.

In den Gasthäusern auf seinen Reisen war Paganini mit Allem zufrieden, was er vorfand, es war ihm einerlei, ob man ihm ein Dachstübchen oder ein Putzzimmer, ein gutes oder schlechtes Bett anbot, nur mußte seine Wohnung im Hinterhaus liegen, da ihm der Straßenlärm gänzlich zuwider war. „Ich muß in dem großen Städten Geräusch genug aushalten,“ sagte er, „auf der Reise will ich Ruhe haben.“

Kutscher, Hausknechte, überhaupt Leute niederer Classe behandelte Paganini sehr geringschätzig und würdigte sie keines Blickes. Redete ihn ein solcher Mensch einmal zufällig an, so drehte er ihm den Rücken zu, und fragte seinen Begleiter: „Was will denn das Geschöpf von mir. Wer ist denn das Vieh?“ Auf die Versicherung seines Begleiters, daß die Leute hier zu Lande höchst gutmüthiger Natur wären, erwiderte er: „Ei was, so ist die Canaille durchweg“.

Am Ziel angekommen, konnte der streng bewachteste Staatsgefangene kein monotoneres und langweiligeres Leben führen, als der große Meister in seinem Zimmer. Nichtsdestoweniger verließ er dasselbe nur selten und ungern, da er sich in der absoluten Einsamkeit am behaglichsten zu befinden schien. –

Sänger und Virtuosen müssen ihre Künste mühsam erringen und durch täglich mehrere Stunden wiederholte Tonleitern, Solfeggien und Uebungen schwerer Stellen Stimme oder Finger geschmeidig und gelenkig zu erhalten suchen. Aber auch darin war dieser wunderbare Mann eine fast unglaubliche Ausnahme. Es ist erwiesen, daß auf allen seinen Reisen Niemand aus seinem Zimmer heraus einen Geigenton vernommen, als etwa das Stimmen der Violine, und das nur an Concerttagen, wenige Augenblicke vor der Probe oder vor dem Concerte selbst. Paganini machte auch gar kein Hehl daraus, daß er seine Geige nicht anders anrühre, als wenn er müsse; „ich habe genug im Leben geübt und bin froh, wenn ich die Geige nicht aus dem Kasten zu nehmen brauche,“ sagte er.

Da Paganini daheim gänzlich unbeschäftigt blieb, dürfte man glauben, daß er die Zeit zum Componiren benutze. Aber auch dies war nicht der Fall. Die Werke, Concerte, Variationen etc., womit er auf seinen Reisen auftrat, hatte er alle in Italien verfertigt, und nicht ein einziges neues Product auf seinen Reisen zu Tage gefördert.

Von Belesenheit war bei ihm keine Rede, da er außer seiner Muttersprache nur ein wenig Französisch verstand, alle anderen Sprachen ihm fremd waren und er zur Lectüre keine Neigung hatte. Er machte auch gar kein Hehl daraus, wenigstens gegen seinen Begleiter nicht, daß er gar keine wissenschaftliche Bildung besitze. Seine Entschuldigung war: „Man kann nur eine Wissenschaft gründlich erlernen. Meine ganze Lebenszeit habe ich meiner Geige und der Theorie der Musik gewidmet, und keine Zeit für andere Wissenschaften übrig gehabt.“ Eine lange Reihe von Jahren hat Paganini täglich zehn bis elf Stunden gegeigt. Ebenso wenig hatte er Sinn für andere weltliche Dinge; an den politischen Ereignissen nahm er keinen Theil; die ungeheuersten Erscheinungen und Wandlungen in der Weltgeschichte, der Fall der mächtigsten Existenzen, der Gedanke an Napoleon’s Sturz, der Aufstand und die heroischen Thaten der Griechen, oder der Gedanke an sein zerrissenes ohnmächtiges Vaterland machten weniger Eindruck auf ihn, als eine platzende Saite seiner Geige während des Spiels vor dem Publicum.

Diese äußerste Einseitigkeit seines Geistes aber, dieses Fixiren auf nur das Eine, sein Violinspiel, machte ihn zu dem größten Virtuosenphänomen, das die Welt je gesehen.

Im Ganzen war Paganini Melancholiker, wie wohl die meisten, denen gesunde Tage eine Seltenheit sind. Der kranke Körper ist ein trübes Fenster, durch welches der Geist keine heitere Welt erblicken kann. Doch hat auch der Melancholiker Momente des Frohseins und namentlich des Humors. So konnte Paganini, wenn er mit einigen Bekannten zusammentraf, der redseligste und amüsanteste Gesellschafter sein. Er erzählte dann vorzugsweise Anekdoten aus seinem Leben, die er sehr pikant und humoristisch vorzutragen verstand. Von großen Gesellschaften, Gastessen war er ein abgesagter Feind, und es bedurfte stets der Ueberredung, um ihn aus seinem Zimmer zu bringen, um eine Einladung anzunehmen. Dann sprach er bei Tische wenig, genoß aber desto mehr. Bei der größten Gasterei ließ er selten eine Speise ungekostet. Sein Appetit war einer der stärksten; er konnte mehrere Stunden fortwährend essen, ohne die geringsten Beschwerden davon zu haben, und war auch dem Gott Bacchus nicht abgeneigt. Dabei war er gewöhnlich so zerstreut, daß er selten wußte, was er, und ob gut oder schlecht genossen hatte. Am Gespräch nahm er wenig Theil. Nach aufgehobener Tafel entfernte er sich bald, um seine Siesta zu halten. In Abendgesellschaften, wo es ungezwungener herging, war er zugänglicher; wollte man sich aber über Musik [32] mit ihm unterhalten, oder ihn mit einer musikalischen Soirée beglücken, dann war seine gute Laune unwiederbringlich dahin. An Karten und gesellschaftlichen Spielen nahm er keinen Theil. Für Personen hatte er ein außerordentlich treues Gedächtniß, dagegen gar keines für Orte. Die Namen der Städte, wo er Concerte gegeben, entschwanden seinem Gedächtniß, wenn er sie kaum verlassen. Wie die Natur Paganini ganz besonders für das Violinspiel eingerichtet hatte, war ganz merkwürdig. Die Finger hatten eine außerordentliche Länge und eine beispiellose Biegsamkeit; so konnte er den Daumen so weit zurückbiegen, daß er mit dem Nagel desselben die Oberfläche der Hand zu berühren vermochte. Ebenso außerordentlich war die Gelenkigkeit seiner Arme. Ohne alle Anstrengung bog er die beiden Ellenbogen dicht aneinander.

Vorzüglich merkwürdig war das Benehmen Paganini’s auf dem Wege zu den Concerten, in den Concertproben und hinter den Coulissen. In den Stunden zeigte er sich sowohl in persönlicher als artistischer Beziehung am allerinteressantesten. Seine Stimmung und sein ganzes Wesen am Morgen vor der Probe war ernster und feierlicher als gewöhnlich, Obgleich seiner Leistungen sicher, konnte er sich doch einer Art Befangenheit nicht erwehren. An einem solchen Morgen that er gar nichts, er saß still im Sopha. Wenige Augenblicke bevor er zur Probe fuhr, öffnete er den Violinkasten, um zu sehen, ob keine Saite gerissen sei, stimmte die Geige, griff höchstens ein paar Accorde, schloß dann den Kasten wieder zu, und ordnete die an dem Tage nöthigen Musikalien. Dabei schnupfte er fast ununterbrochen Tabak, ein sicheres Zeichen bei ihm der inneren Unruhe und des Nachdenkens. Fand er, daß sich Zuhörer eingeschlichen hatten, was nicht selten geschah, so markirte er seine Solos nur, deutete sie wohl blos durch ein leises Pizzicato an.

Sein Gehör war das denkbar feinste; der geringste Fehler entging ihm nicht. Beim stärksten Orchestertutti rief er: „Die zweite Clarinette bläst nicht! Ich höre den Alt nicht!“ etc. Spielte man ihm nicht zu Dank, so konnte er sehr heftig werden; begleiteten ihn die Musiker aber mit Präcision, dann rief er ihnen mitten im Spiele ein lautes „Bravissimo“ zu. Wir hatten vernommen, daß er in den Fermaten seine höchsten Künste zeige, und spitzten die Ohren, als er in der Probe nach dem Ende im ersten Satze kam. Er überraschte uns aber auf sehr unangenehme Weise, indem er die Violine mit den Worten absetzte: „Und so weiter, meine Herren!“ und weiter fortfahren ließ. Aus Furcht, daß man ihm eine Pièce entwende und abschreibe, nahm er seine Musikalien jedes Mal sorgfältig wieder mit sich, obgleich die Principalstimme gar nicht dabei war, da er Alles auswendig spielte. Nach der Probe genoß er ein einfaches Mittagsmahl und ruhte dann aus.

Sonderbar war’s, daß diesen an Concerttagen den Tag über schweigsamen, ernsten, melancholischen Mann von dem Augenblick an, wo er in dem ihm angewiesenen Nebenzimmer angekommen war, bis zu seinem Heraustritt vor das Publicum aller Ernst, der ihn den Tag über begleitete, verlassen hatte. In der Zwischenzeit trieb er gewöhnlich nichts als Scherze und Späße, und trieb das fort, bis der Capellmeister ihm ankündigte, daß die Reihe an ihm sei, wo er, plötzlich zum gewöhnlichen Ernst umgewandelt, vor dem Publicum erschien. Da er nach jedem Solostück so stark transpirirte, daß er zwei, drei Mal an einem Concertabende die Wäsche wechseln mußte, so glaubte man, daß das Spiel seinen schwächlichen Körper sehr angreife. Dies konnte aber nicht der Fall sein, da er am Abend nach dem Concert in der Regel heiterer war, als zuvor, und es ihm weder an Appetit noch an Schlaf fehlte.

Frei von gewissen Gewohnheiten der Großen war er auch nicht ganz. Wie bei Revuen oder Festparaden das Militär wohl stundenlang in brennender Sonnenhitze oder bei starker Winterkälte auf seinen General oder Kriegsherrn warten muß, so kam auch Herr Paganini nicht gleich, sondern ließ das Publicum eine geraume Anzahl von Minuten auf sich warten, bis er erschien. In den Zwischenacten wimmelte sein Cabinet von Musikfreunden, Blumensträuße und Gedichte stellten sich ein, meistens von Damen herrührend, denen er dann die artigsten Complimente machte. Es gehört dergleichen zum Virtuosenglück – wer’s dafür nimmt. Kirchenmusik hörte Paganini gern, weniger machte er sich aus der Oper, namentlich der deutschen. Doch schätzte er „Don Juan“ außerordentlich. Der Militärmusik war er nicht hold: „Diese Leute bringen es selten zum Zusammenklang!“ sagte er. Dagegen hatten Glockenspiele auf den Thürmen einen großen Reiz für ihn.

Ein schöner Zug in seinem Charakter war seine stets bereite Gefälligkeit. Junge Musiker, die ihm ihre oft dickleibigen Partituren brachten, junge Frauenzimmer, die von ihm wissen wollten, ob ihre Stimme sonor genug für die Bühne sei, Geigen, die ihm zur Beurtheilung gebracht wurden, Künstler, von deren Talent er sich überzeugt hatte und die ihn um Empfehlungen baten – Allen war er freundlich und gab ihnen Bescheid nach seiner Ueberzeugung. Lob hörte er gern, und las die Journale, in welchen es ihm gespendet wurde, mit Eifer und Genugthuung. Seine Correspondenz führte er in italienischer Sprache, seine französischen Briefe mußte er sich corrigiren lassen. Seine Handschrift war nicht die leserlichste.

Aeußere Pracht und Luxus waren ihm zuwider, selbst seine Orden trug er selten anders, als wenn er öffentlich erschien, und dann auch nur das Band derselben in der Ordensschnalle. Oftmals sagte er: „Wozu kann das Alles gut sein? Ich bin nicht stolz.“ Sich vom Gelde zu trennen war für ihn, den ehemaligen Verschwender, nach seiner Umwandlung zur Sparsamkeit, die allerschwierigste Aufgabe. Er konnte wegen einer nach seiner Meinung zu hohen Trinkgeldforderung höchlichst aufbrausen. Er handelte überhaupt auch bei den gewöhnlichsten Ausgaben, um abzudingen, was er sich in Italien hatte angewöhnen müssen; deshalb kam er bald in den Ruf eines Geizhalses, welcher in dem Maße stieg, als seine Reichthümer durch die außerordentlichen Einnahmen bei seinen Concerten zunahmen, die er nie anders als mit doppelten, oft mit dreifachen Eintrittspreisen gab. Daß er aber auch wohlthätig sein konnte, wo er es für angewandt erachtete, davon hat er ein Beispiel gegeben, wie es ein nobleres wohl nicht leicht geben mag. Bekanntlich lebte Berlioz den größten Theil seines Lebens in ärmlichen Umständen, ohne andere Schuld, als daß er an seinem Ideal mit eiserner Consequenz festhielt, das aber den Franzosen nicht zusagte. Auf Paganini machten aber Berlioz’ Werke einen wunderbaren Eindruck, und als er dessen „Romeo und Julie“ mit angehört und von des Componisten kümmerlicher Lage Kenntniß erhalten, schrieb er ihm am andern Tage:

„Mein lieber Freund!

Nachdem Beethoven entschlafen, konnte nur Berlioz ihn wieder aufleben lassen, und ich glaube nach dem Genuß Ihrer göttlichen Compositionen, die eines Genies wie das Ihrige würdig sind, Sie bitten zu müssen, als ein Zeichen meiner Huldigung zwanzigtausend Franken anzunehmen, die Sie nach Vorzeigung des Beigeschlossenen von Herrn Baron v. Rothschild ausgezahlt erhalten werden.“

Paganini erschien mir damals, in meiner warmen Jugend, als der vollkommenste Virtuose, als der Unvergleichliche im höchsten Sinne des Worts, und er ist es mir heute noch, wo das Blut in den Adern des fünfundsiebenzigjährigen Greises kalt und langsam hinschleicht. Ob je einer wiederkommen wird auf der Geige, der ihn vollständig erreicht, kann ich nicht wissen, bis heute ist’s noch nicht geschehen. Denn welchen Aufruhr er unter den Geigern auch erregte, mit welcher Wuth sie sich auch seitdem Tag und Nacht abwürgten, seine Künste ihm abzulernen und nachzumachen, in ihren Stübchen, und wo sie nur die Geige zur Hand hatten, bis zu den Pausen in den Proben (in den Proben im Berliner Orchester zum Beispiel mußte es förmlich verboten werden, sich Paganini’s Kunststücke einzuüben) – es sind nach ihm allerdings tüchtige Virtuosen gekommen, sie haben ihm auch manche seiner Künste abgelernt und mit mehr oder weniger Geschick nachgeahmt; aber alle seine besten Nachfolger, sie mögen Namen haben wie sie wollen, sind höchstens nur Bruchstücke von ihm. Das weiß ich und wissen Alle, die ihn gehört, daß über ihn hinaus kein Sterblicher mehr steigen wird noch kann. „Paganini ist der Wendepunkt der Virtuosität,“ sagte Robert Schumann und er hatte Recht. Die Folgezeit hat nur noch einmal ein Paganini ebenbürtiges Virtuosen-Phänomen erschaffen, auf dem Clavier, Franz Liszt. Auch er hat den Culminationspunkt auf seinem Instrument erstiegen, auch er hat die Virtuosität bei manchen seiner Nachfolger und Schüler außerordentlich gesteigert, und von Manchen wird gesagt, daß sie ihm nahe gekommen; erreicht in seiner ganzen Kraft und Herrlichkeit hat ihn keiner, übertroffen kann und wird er ebensowenig werden als Paganini. Doch steht der Ungar Liszt in geistiger Hinsicht als Componist, Schriftsteller und fast in allen Fächern menschlichen Wissens unendlich hoch über dem beschränkten Italiener.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Cafil