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Der angebliche Weltuntergang im November

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Textdaten
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Autor: Hermann Joseph Klein
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Titel: Der angebliche Weltuntergang im November
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 736–738
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: die Kometen Biela und Tempel-Tuttle als vermeintliche Bedrohung für die Erde
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[736]

Der angebliche Weltuntergang im November.

Von Dr. H. J. Klein.

Der November des gegenwärtigen Jahres wird eine Himmelserscheinung bringen, auf die schon seit Jahren aufmerksam gemacht wurde, ja, die von manchen als ein der Erde und vor allem dem Menschengeschlecht höchst gefährliches Ereignis dargestellt worden ist. In der That konnte man schon vor Jahren in den Wandervorträgen von R. Falb hören, daß der Erde im November 1899 etwas sehr Unangenehmes bevorstehe, und wenn es gegenwärtig nicht dazu kommt wie anno 1533 (für welches Jahr der Prediger Stiefel den Weltuntergang prophezeit hatte), daß nämlich Leute sich auf das Weltende vorbereiten, so liegt dies kaum daran, daß die heutige Menschheit weniger religiös, sondern nur, daß sie weniger leichtgläubig ist als die frühere. Freilich haben auch die modernen Weltuntergangspropheten selbst nicht mehr den Mut ihrer Ueberzeugung, welche ihre Vorgänger an den Tag legten. Denn wir hören, daß der obenerwähnte Prediger Stiefel an dem von ihm für den Weltuntergang prophezeiten Tage seine gläubige Herde um sich versammelte, die Kanzel bestieg und betete, was ihm freilich abends, als der Weltuntergang einzutreten zögerte, übel bekam, da die Gemeinde ihren Prediger ohne Luthers Vermittlung umgebracht hätte.

Seit jenem Tage ist der Weltuntergang wiederholt angekündigt worden, so für das Jahr 1613, dann für das Jahr 1784, von dem gelehrten Prälaten Konsistorialrat Bengel für den 18. Juni 1836, gleichzeitig mit der Wiederkunft Christi, nachdem vier Jahre vorher der Antichrist aufgetaucht sei. Mit Recht lächelt man heute über solche thörichte Vorhersagungen, dennoch aber giebt es, wie verschiedene mir zugekommene Anfragen beweisen, viele Leute, welche glauben, daß in diesem November dem Menschengeschlecht durch einen Kometen großes Unheil drohe, womöglich sogar der Untergang bevorstehe. Der vielfach verbreiteten Meinung nach handelt es sich hierbei um den Kometen, welcher die Sternschnuppen in der Nacht des 13. November verursacht, oder auch um denjenigen Kometen, der zu den Meteoren vom 23. bis 27. November in Beziehung steht.

Nun ist es eine in ihrer Art interessante Thatsache, daß die Astronomen, deren Aufgabe es ist, die Bewegung dieser Kometen zu überwachen und das Erscheinen dieser Himmelskörper voraus zu berechnen, zur Zeit durchaus nicht mit Sicherheit genauer angeben können, wo diese beiden Kometen sich befinden.

Was zunächst den letztgenannten Kometen (derjenige, welcher mit den Meteoren des 23. bis 27. November in Verbindung ist) anbetrifft, so heißt er nach seinem Entdecker der Bielasche Komet. Er wurde am 28. Februar 1826 durch den österreichischen Hauptmann v. Biela zu Josefstadt in Böhmen entdeckt, und gleichzeitig erkannte derselbe, daß dieser Komet eine Umlaufszeit von 6 Jahren 270 Tagen besitzt. Die Bahn, welche der Komet um die Sonne beschreibt, liegt nun im Weltraum so, daß sie der Erdbahn in einem Punkte äußerst nahe kommt. Wenn demnach beide Weltkörper, der Komet und die Erde, gleichzeitig sich an diesem Punkte befinden, so muß es zwischen denselben zu einer Art Zusammenstoß kommen. Diesen Umstand hat man schon vor 70 Jahren erkannt, aber auch, daß das gleichzeitige Zusammentreffen beider Weltkörper in absehbarer Zeit nicht eintreten wird.

Als der Komet im Winter 1845 bis 1846 wieder erschien, ereignete sich unter den Augen der Astronomen die merkwürdige Thatsache, daß er sich in zwei Kometen teilte, von denen jeder einen Kopf mit Nebelhülle und einen kleinen Schweif zeigte. Die Entfernung beider voneinander betrug im Februar 1846 etwa 40 000 deutsche Meilen. Dieser Vorgang, ein wahrhaftes Weltereignis, erregte mit Recht das größte Aufsehen, und nachdem beide Kometen im Frühjahr mit zunehmender Entfernung immer lichtschwächer geworden und endlich verschwunden waren, erwarteten die Astronomen mit Ungeduld das Jahr 1852, in welchem das Doppelgestirn wieder zurückkehren mußte. Im Spätsommer wurde es sichtbar, und man fand, daß beide Kometen in der Zwischenzeit sich bis auf 350 000 Meilen voneinander entfernt hatten.

Die nächste Rückkehr im Jahre 1859 konnte nicht beobachtet werden, da der Rechnung gemäß die Kometen eine solche Stellung zur Sonne hatten, daß sie von der Erde nicht zu sehen waren; im Frühling 1866 mußten sie dagegen wieder gut sichtbar werden. Allein sie blieben aus. Alle Bemühungen der Astronomen, das Doppelgestirn oder einen Teil desselben zu sehen, war vergebens, und so ist es geblieben bis zur heutigen Stunde.

Würde der Komet sich in seiner früheren Bahn seit 1852 fortbewegen, so mußte er im gegenwärtigen Jahre schon zur Sommerszeit in der Sonnennähe sein, ohne freilich von der Erde aus gesehen werden zu können. Indessen hat die Bewegung des Kometen seit 1852 zweifellos erhebliche Veränderungen erlitten, infolge deren die Astronomen erklären müssen, sie wissen nicht, wo der Komet sich zur Zeit befindet. Wie soll man überhaupt das Verschwinden dieses Gestirns deuten? Die Zerteilung 1846 legt den Gedanken nahe, daß sich die beiden Kometen noch weiter aufgelöst haben, und zwar bis zur gänzlichen Unsichtbarkeit von der Erde aus. Aber in was haben sich die Kometen aufgelöst?

[737] Diese Frage erhielt eine klare Antwort in der Nacht vom 27. zum 28. November 1872.

In dieser Nacht befand sich die Erde an jenem Punkte ihrer Bahn, welcher der Bahn des Bielaschen Kometen außerordentlich nahe kommt, und nun ereignete sich ein ungeheurer Sternschnuppenfall, bei welchem Tausende von Meteoren aus dem Sternbilde der Andromeda wie Leuchtkugeln aufblitzten, unzählige auch gleich Raketen am Himmel dahinschossen. Es blieb kein Zweifel: die Erde war mit einem ungeheuren Schwarm von Sternschnuppen zusammengetroffen, der sich in der Bahn des Bielaschen Kometen bewegte. Klinkerfues, der sich zuerst und sogleich über die Verhältnisse klar war, schloß, der Bielasche Komet könne auch nicht weit von diesem Sternschnuppenschwarm entfernt sein und man müsse ihn an dem dem Sternbilde Andromeda gerade entgegengesetzten Punkte des Himmels sehen. Sogleich telegraphierte er an die Sternwarte zu Madras: „Bielas Komet hat die Erde berührt, suchen Sie ihn im Sternbilde des Centauren!“ In Madras herrschte leider schlechtes Wetter, und erst in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember konnte der dortige Astronom Pogson der Aufforderung nachkommen. Wirklich fand er nahe dem bezeichneten Orte einen kleinen Kometen, von dem es aber zweifelhaft geblieben ist, ob er einer der verschwundenen Bielas oder die aus großer Entfernung wie ein Kometennebel sich darstellende Sternschnuppenwolke war. Am 27. November 1885, als die Verhältnisse der Erde zu der Meteorwolke in der Bahn des Biela ähnlich lagen, ereignete sich abermals ein Sternschnuppenfall, noch großartiger als 1872, aber weder die sich entfernende Meteorwolke noch ein Komet ist auf der südlichen Erdhälfte wahrgenommen worden. In der Nacht des 23. November 1892 wiederholte sich der Sternschnuppenfall aus der Konstellation der Andromeda, doch war er dieses Mal nur in Nordamerika sichtbar (weil sein Erscheinen für uns in die Tagesstunden fiel) und auch nicht so großartig wie 1885. Im Jahre 1890 ist der Schwarm bei seinem Laufe durch den Himmelsraum dem Planeten Jupiter ziemlich nahe gekommen und durch dessen Einwirkung wahrscheinlich erheblich auseinandergerissen worden, seine Auflösung hat also zugenommen.

Im gegenwärtigen Jahre wird die Erde sich um den 23. November wieder an dem Punkte ihrer Bahn befinden, wo sie dem Meteorschwarm begegnete, und da nun außerdem um diese Zeit der Mondschein nicht eben hinderlich sein wird, so darf man einen ansehnlichen Sternschnuppenfall erwarten; möglicherweise gelingt es auch den Astronomen dieses Mal, ein Ueberbleibsel des Bielaschen Kometen zu entdecken, vielleicht auch nicht.

Jedenfalls wird die Erscheinung nicht großartiger als 1885, und daß dabei vollends von einer Gefahr für die Erde oder die Menschheit keine Rede sein kann, ist nach dem Vorhergehenden klar genug.

Aber im heurigen November tritt noch ein anderer Sternschnuppenschwarm in Aktion, der ebenfalls mit einem Kometen in Beziehung steht, nämlich mit dem ersten Kometen des Jahres 1866, der nach seinem Entdecker der Tempelsche Komet heißt.

Auch auf diesen haben die Weltuntergangspropheten ein Auge geworfen und ihn als verderblich für die Erde dargestellt. Nun ist es aber merkwürdig, daß auch bezüglich dieses Kometen die Astronomen nicht in der Lage sind, den Zeitpunkt seiner Rückkehr zur Sonne mit Sicherheit anzugeben. Man kennt nämlich seine Umlaufsdauer nicht genau, sondern die Rechnungen darüber schwanken zwischen 31⅔, und 34⅘ Jahren; sonach kann der Komet schon seit Herbst 1897 unbemerkt vorübergezogen sein, er kann aber auch noch bis zum Herbst 1900 erwartet werden.

Dieser Komet ist vor uralter Zeit durch die anziehende Wirkung der Planeten Uranus und Saturn in seine heutige Bahn geworfen worden. Wahrscheinlich hat sich auch damals ein Teil dieses Kometen abgelöst, der seitdem als Meteorwolke durch die Himmelsräume zieht und auf der Erde großartige Sternschnuppenfälle verursacht, die über 1000 Jahre in den Annalen der Völker verfolgt werden können. So sind die „grewliche Feuerzeichen am Himmel als ob zwei oder drei Heer gegeneinander zögen“, deren die Chronik Braunschweigs für das Jahr 979 gedenkt, nichts anderes als ein Sternschnuppenfall der in Rede stehenden kosmischen Wolke, ebenso das Ereignis von 1202, als die Sterne in Aegypten „wie Heuschrecken“ durch die Luft flogen. Am bekanntesten ist dieser Meteorschwarm durch den ungeheuren Sternschnuppenregen am 12. November 1799 geworden, den man auf der ganzen Nordhalbkugel der Erde sah. Ihm folgte das großartige Ereignis in der Nacht vom 12. zum 13. November 1833, welches in Nordamerika gesehen wurde und bei dem die Sternschnuppen zahlreich gleich Schneeflocken den Himmel durchzogen und viele darunter so groß und hell erschienen wie der Vollmond! Etwas Gleiches hatte die Welt bis dahin nicht gesehen; auch fand man damals, daß diese Meteore aus dem Sternbilde des großen Löwen gekommen schienen, weshalb man sie gegenwärtig als Schwarm der Leoniden bezeichnet. Der amerikanische Naturforscher Olmstedt bezeichnete den Vorgang ganz richtig als das Zusammentreffen der Erde mit einem Kometen und berechnete die Größe mehrerer Meteore des Schwarmes zu 170 m im Durchmesser. Aber keine der Millionen Sternschnuppen, welche damals hoch durch die Atmosphäre sausten, ist auf den Erdboden herabgekommen, und ebensowenig geschah dies, als der Vorgang sich im November 1866 in großartiger Weise wiederholte.

[738] Dieses Mal kam die Erscheinung den Astronomen nicht mehr unerwartet, sondern dieselben hatten sich aufs beste zu deren Beobachtung vorbereitet, ja man kann wohl sagen, daß nur selten ein astronomisches Ereignis mit größerer Aufmerksamkeit erwartet worden ist. Die Sternschnuppen kamen fast sämtlich aus dem Sternbilde des großen Löwen, gegen welches hin die Bewegung der Erde gerichtet war, und stürzten in die Atmosphäre mit einer Geschwindigkeit von 60 km in der Sekunde, wodurch sie infolge der Hemmung dieser Bewegung in den obersten Luftschichten in Glut gerieten und völlig vergasten. Kein Meteor aus diesem ungeheuren Schwarm hat den Erdboden erreicht. Das Aufleuchten der Meteore fand den Beobachtungen zufolge in Höhen von durchschnittlich 150 km statt, und sie erloschen, nachdem sie sich etwa 50 km tiefer herabgesenkt hatten. Die Zahl dieser Sternschnuppen, welche zwischen 1 und 2 Uhr früh gesehen wurden, beziffert sich auf 75 000, während nach begründeten Rechnungen die Gesamtmenge der überhaupt in die Atmosphäre der Erde damals eingedrungenen Sternschnuppen auf 1000 Millionen anzunehmen ist. Diese ungeheure Anzahl macht es begreiflich, daß die Meteore dicht wie Schneeflocken die Lufthülle zu durchziehen schienen; aber sehr würde man irren, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Meteorwolke auch nur im entferntesten so dicht von Sternschnuppen erfüllt sei wie die Flocken in einer Schneewolke. Im Gegenteil war die Dichtigkeit der Meteorschwärme außerordentlich gering, ja so weit waren die einzelnen Körperchen voneinander entfernt, daß das Ergebnis der Berechnung derselben sogar den Fachmann überraschte. Es fand sich nämlich, daß zur Zeit der größten Häufigkeit der Sternschnuppen in jener Nacht (zwischen 1 und 2 Uhr morgens) in der Erdatmosphäre jede Sternschnuppe von der andern durchschnittlich 10–15 Meilen entfernt war, indem auf je 3000 Kubikmeilen Raum je 1 Sternschnuppe kam! Nur die große Entfernung und die ungeheure Ausdehnung, innerhalb deren der Raum um die Erde mit Sternschnuppen erfüllt war, verursachte den Beobachtern auf dem Erdboden den Eindruck, als seien die Sternschnuppen dicht geschart wie die Schneeflocken. Jetzt begreift man auch schon eher, weshalb die Meteore sämtlich in der Höhe sich auflösten und keins davon auf den Erdboden herabkam, besonders wenn man annimmt, daß das Gewicht jedes derselben, nach Schätzungen, die auf ihrer durch Erglühen verursachten Helligkeit beruhen, meist nur wenige Gramm betragen kann.

Ob die Erscheinung im kommenden November an Großartigkeit diejenige von 1866 erreichen wird, ist fraglich, vielleicht wird sie ihr kaum nahe kommen, denn die kürzeste Entfernung der Bahn des Schwarmes von der Erdbahn hat sich mittlerweile nicht unbedeutend vergrößert infolge der Einwirkung der Planeten Saturn und Jupiter. Auch der Zeitpunkt der Sichtbarkeit wird sich etwas verschieben, so daß man den Hauptschwarm erst in der Nacht vom 16. zum 17. November erwarten darf. Genaueres hierüber läßt sich zur Zeit nicht angeben, vielmehr müssen die Beobachtungen abgewartet werden. So viel nur ist unter allen Umständen gewiß, daß der Erde durch die Annäherung der Sternschnuppenwolke kein Unheil droht und ebensowenig dem Menschengeschlechte. Die aufleuchtenden Meteore werden in den höchsten Regionen der Atmosphäre zergehen, der Schwarm selbst aber wird durch die Anziehung der Erde noch mehr aufgelöst werden, als er ohnehin schon ist, denn die gewaltige Erdmasse wirkt auf ihn wie ein heftiger Sturm auf eine Rauchwolke.