Der kurhessische Drohbrief-Proceß

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Titel: Der kurhessische Drohbrief-Proceß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 791–795
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der kurhessische Drohbrief-Proceß.[1]


Das erste Regierungsjahr des Kurfürsten Wilhelm’s des Zweiten von Hessen war noch nicht ganz beendet, als eine Vergiftungsgeschichte zu den bedenklichsten Conjecturen Veranlassung gab. Ueber den Hergang berichtet die „Kassel’sche allgemeine Zeitung“ vom 7. Februar 1822 folgendermaßen: „Ein schauderhafter Vorfall beschäftigt seit einigen Tagen die Aufmerksamkeit sowohl der Behörden als der Einwohner hiesiger Stadt. Donnerstag den 31. vorigen Monats auf dem Maskenballe im Stadtbausaale wandelte einen Hoflakaien Seiner Hoheit, des Kurprinzen eine plötzliche Unpäßlichkeit an, so daß er nach Hause gebracht werden mußte. Hier stellten sich bald die heftigsten Zufälle ein, unter welchen der Unglückliche am 1. Februar Morgens verschied, nachdem er wiederholt versichert hatte, daß ihm eine maskirte Person ein Glas Grog angeboten habe, nach dessen Genuß ihm sogleich unwohl geworden sei. Die Leicheneröffnung vermehrte noch unter diesen Umständen den Verdacht der Vergiftung, und die Behörden sind seitdem mit unausgesetzter Thätigkeit bemüht, sowohl die Anzeichen über den Thatbestand zu sammeln, als den Spuren des Urhebers des vermutheten Verbrechens nachzuforschen.“ Die Kassel’sche Zeitung war nicht gewohnt, über irgend eine den Hof berührende Sache ohne höhere Autorisation das Geringste zu berichten. Wozu nun diese erst so spät gebrachte Nachricht von einem Vorfalle, nachdem er schon seit acht Tagen die Stadt in Aufregung gebracht hatte? Es sollte offenbar damit der allgemeinen Annahme begegnet werden, daß es mit der Vergiftung auf den Kurprinzen abgesehen gewesen wäre. Derselbe war nämlich im Geheimen ebenfalls auf der Redoute gewesen. Gegen Mitternacht hatte er seinen Domino gegen den des ihn begleitenden Lakaien Bechstädt gewechselt und diesem war bald darauf von einer dem Kurprinzen bisher stets auf dem Fuße folgenden Maske die vergiftete Erfrischung kredenzt worden. So lautete die Erzählung, wie sie in’s Publicum gekommen war, welches durchaus die Ueberzeugung von einem verfehlten Attentat auf das Leben des Kurprinzen gewann. Wem aber konnte derselbe im Wege stehen? war nun die Frage, und um diese zu beantworten, blieben die von Mißtrauen geleiteten Blicke auf einer in nächster [792] Nähe des Kurfürsten stehenden Persönlichkeit haften. Ein officieller Artikel der Kassel’schen Zeitung suchte nach einiger Zeit darzulegen, daß aus der Untersuchung kein anderes Resultat als die wohlbegründete Annahme hervorgegangen, Bechstädt habe sich selbst aus Lebensüberdruß vergiftet und nur deshalb den Verdacht nach einer andern Seite gelenkt, damit der Kurprinz sich seiner hinterlassenen Familie um so nachhaltiger annehme. Das Publicum schüttelte aber ungläubig den Kopf – ein Beweis dafür, wie tief schon ein gewisses Mißtrauen Wurzel gefaßt hatte.

Der äußerliche Glanz des kurfürstlichen Hofes und sein opulentes Leben führte zwar dem Geschäftsverkehre in Kassel bedeutende Summen zu und belebte denselben bis zu einem gewissen Grade. Das gefiel dem Theile der Residenzstädter, welcher für den Handel arbeitete und lieferte. Ein anderer Theil, und zwar der größere, glaubte aber mehr Ursache zum Klagen als zum Loben zu haben. Der frühere Fremdenverkehr (während der sehr theuren westphälischen Königthumsspielerei) hatte merklich abgenommen, und viele reiche Familien hatten wegen Mißverhältnissen zum Hofe die Stadt verlassen, wodurch das Gleichgewicht zwischen Production und Consumtion alterirt worden, unter gleichzeitigem vermehrtem Drucke von Abgaben. In den übrigen Städten des Landes war völliger Stillstand in allen Geschäften und auf dem platten Lande sogar ein wirklicher Nothstand eingetreten. Für den überreichen Erntesegen von drei Jahren gab es keinen Absatz. Zwar waren alle Lebensmittel beispiellos wohlfeil, aber das baare Geld so rar, daß doch die ärmeren Classen keinen Vortheil davon hatten, während mit der Steuereintreibung rücksichtslos vorgeschritten wurde. Auch über willkürliche und chicanöse Verwaltungsmaßregeln war allgemeine Klage. Ein sich für aufgeklärt haltender Bureaukratismus wollte überall bevormunden.

Immer bestimmter trat das Verlangen nach einer Berufung der Landstände hervor, um welche die Ritterschaft schon öfters vergebens gebeten. Sie hatte sich sogar dieserhalb an die Bundesversammlung gewandt, bei der aber die Petition auf eine bisher unerklärliche Weise unterschlagen worden war. Bei Hofe schien der Verdacht rege geworden zu sein, daß dieser Agitation der dem Kurprinzen nahestehende militärische Kreis nicht fremd geblieben. Sein Adjutant von Verschuer wurde als solcher entlassen, Major von Eschwege, Hauptmann von Radowitz und noch andere Officiere in entfernteren Garnisonen confinirt; dem Kurprinzen selbst wurde Marburg zum Aufenthaltsorte angewiesen. Man glaubte der Bildung einer kurprinzlichen Partei auf der Spur zu sein. Bald nach Ausführung der gegen dieselbe ergriffenen Maßregeln begab sich der Kurfürst in Begleitung der Gräfin Reichenbach nach dem Bade Nenndorf. Einige Minister, der französische und der preußische Gesandte begaben sich auch dorthin; der Ober-Polizeidirector von Manger fehlte ebenfalls nicht. Es war das erste Mal, daß Wilhelm der Zweite die Grafschaft Schaumburg besuchte. Er durchstreifte dieselbe in jeder Richtung und überall wurde ihm ein enthusiastischer Empfang zu Theil, was ihn oftmals bis zu Thränen gerührt haben soll. Der Rückkehr des Kurfürsten sah man für den 28. Juli, den Tag seines Geburtsfestes, zu dessen solenner Begehung schon bedeutende Zurüstungen in Kassel getroffen wurden, entgegen. Aber am Tage vor dem Eintritte des Festes gerieth die ganze Stadt in eine unbeschreibliche Aufregung durch folgendes Manifest des Gesammt-Staatsministeriums:

„Wenn die erwünschte und höchsterfreuliche Rückkehr Seiner Königlichen Hoheit des Kurfürsten, unseres allergnädigsten Herrn, in allerhöchstdero Residenz für die Bewohner derselben ein sehr glückliches Ereigniß ist, so ist es für uns ein um so traurigeres Geschäft, zur öffentlichen Kunde zu bringen, daß ein oder mehrere Bösewichter sich erfrecht haben, unter der Larve der Anonymität mit einem Mordanschlage auf das theure Leben unseres geliebtesten Landesherrn und eines Theils Höchstdessen Umgebung von hier aus zu drohen, wodurch außergewöhnliche Sicherheitsmaßregeln nothwendig geworden sind.

Je weniger diese gegen das strafbare Vorhaben eines im Verborgenen schleichenden Verbrechens außer Acht bleiben dürfen, um so mehr überlassen wir uns auf der andern Seite der gerechten und zuversichtlichen Hoffnung, daß jeder treue Unterthan Seiner Königlichen Hoheit des Kurfürsten, erfüllt von Abscheu über eine solche Unthat, sich auf das Aeußerste es werde angelegen sein lassen, jeden, auch den entferntesten Verdacht, welchen er in obiger Beziehung bereits haben oder noch schöpfen könnte, der Kurfürstlichen Ober-Polizeidirection, welche auf behöriges Anmelden das Nähere eröffnen wird, mitzutheilen und so durch die That die in der Brust eines jeden braven Hessen tief eingegrabene Anhänglichkeit an die geheiligte Person des Landesherrn zu bewähren; daher es der Zusicherung nicht bedürfen wird, welche wir gleichwohl hierdurch zu ertheilen ermächtigt sind, daß demjenigen, welcher sichere, zum Beweise führende Anzeigen zu machen im Stande ist, eine Belohnung von zehntausend Thalern, oder, im Falle er nicht einer der Urheber, sondern blos ein Mitwisser wäre, die Straflosigkeit zu Theil werden wird.“

Eine Bedrohung des Lebens des Landesherrn, und noch dazu von seiner Residenzstadt aus, wie sieben ernste Männer, die das Gesammtministerium bildeten – Schmerfeld, Witzleben, Schminke, Meyer, Starckloff, Kraft und Rieß – verkündigten, das mußte jedes Kasseler Herz mehr als peinlich berühren. Nachdem man sich von der ersten Ueberraschung erholt, erfaßte man die Gelegenheit des kurfürstlichen Geburtsfestes, um den Gefühlen loyalster Anhänglichkeit erneuten Ausdruck zu geben; in allen Kreisen wurde sich gewissermaßen darin überboten; überall fanden Festessen, entsprechende Reden, Feuerwerk etc. statt. Die Kurfürstin hielt große Hoftafel und brachte die Gesundheit ihres Gemahls aus. Zur Festvorstellung im Theater erschien, wer nur ein Billet bekommen konnte, und auch hier ertönten rauschende Lebehochs. Am andern Tage, wo der Kurfürst wieder eintreffen sollte, wogte es zum Leipziger Thore hinaus, um ihm bis Sandershausen entgegen zu gehen; an der Grenze der städtischen Gemarkung stellte sich der Stadtmagistrat auf. Hier kam der Kurfürst zur Mittagsstunde an, und der Oberbürgermeister Schomburg redete ihn im Namen der Bürgerschaft an und drückte in wenigen Worten die innigsten Gefühle und Gesinnungen aus, welche die Bürgerschaft seiner Hauptstadt stets beseelten. Der Kurfürst antwortete mit sichtbarer Rührung. Das Officiercorps hatte sich zu seinem Empfange vor dem Palais aufgestellt; die Civilbehörden erwarteten ihn zu Wilhelmshöhe, wohin er sich alsbald begab. Gegen Abend kam er wieder zur Stadt und fuhr nach dem Kasernenplatze, wo er die einzelnen Corps der Garnison anredete und sein Vertrauen zu ihrer Treue aussprach; mit kräftigem Hurrah! und Lebehoch! wurde ihm geantwortet. Es kamen auch die Kurfürstin, der Kurprinz und die Prinzessinnen zu Wagen und wurden ebenfalls mit freudigem Zurufe begrüßt. Nachdem sich die allerhöchsten Herrschaften entfernt, hielt das Militär eine Nachfeier des kurfürstlichen Geburtstags mit Musik und Tanz auf dem festlich geschmückten Exercirplatze ab; zugleich feierte die Stadt die glückliche Wiederkehr des Landesherrn mit einer großartigen Illumination, deren Glanzpunkt die Beleuchtung der großen Martinskirche bildete. Der Kurfürst durchfuhr einige Straßen unter Begleitung einer ihm zujubelnden Menge.

In den nun folgenden Tagen traten aber Maßregeln ein, die zu den mit so sichtbarer Genugthuung entgegengenommenen Beweisen treuer Anhänglichkeit wenig paßten. Der Kurfürst zeigte sich öffentlich nicht anders mehr als umgeben von Mannschaften einer zu seiner persönlichen Sicherheit schnell errichteten Gensd’armeriegarde. Seine Loge im Theater wurde mit Eisenblech gegen Gewaltthat von außen gesichert; alle Nebeneingänge des Wilhelmshöher Schlosses wurden fest gesperrt, die Durchgangsbögen der nach den Seitenflügeln führenden Galerien vergittert und sogar die Schornsteine auf dem Dache gegen ein Einsteigen von oben verwahrt. Wen sein Dienst oder persönliche Angelegenheit in das Schloß berief, der mußte mit einer vom Hofmarschallamte ausgestellten Karte versehen sein. Die für den Tag gültige hatte eine andere Farbe als die für die Nacht; Muster davon waren in den Schilderhäusern vor den Eingängen angeheftet, damit die Schildwachen sich danach richten konnten; sie durften selbst Officiere ohne eine solche Karte nicht einlassen. Ueberdies war ein Kreis bestimmt, über den hinaus keine Annäherung zum Schlosse erlaubt war. Wer einer Zurückweisung nicht augenblicklich Folge leistete, wurde verhaftet und in Untersuchung genommen. Eine vollständige Postenkette umgab in einiger Entfernung das Schloß; in den Gebüschen standen Piquets mit geladenen Gewehren; Patrouillen und Ronden [794] waren stets auf den Beinen; sie sollten auf Jeden schießen, der auf ihren Anruf nicht stehen blieb; eine Section von zehn Gensd’armen stationirte auf Wilhelmshöhe, auch ein Polizeicommissar mit Sergeanten. Ganz Wilhelmshöhe wurde wie im Belagerungszustande behandelt.

Eine oberpolizeiliche Bekanntmachung führte den Fremden zu Gemüthe, daß, wenn sie diesen Park besuchen und daselbst spazieren gehen wollten, sie sich mit einer polizeilichen Legitimation versehen müßten, damit sie auf Befragen sich gehörig ausweisen könnten. Wer solches versäume, setzte sich der Gefahr aus, verhaftet und vor die Polizei gestellt zu werden. Unter solchen lästigen Bedingungen verzichteten die Fremden gern auf eine Betrachtung der Wilhelmshöher Natur- und Kunstschönheiten, und selbst die Kasselaner entwöhnten sich des häufigen Ausflugs dahin. Auch für das Residenzschloß in Kassel wurden ähnliche Sicherheitsmaßregeln getroffen. Schildwachen reihten sich an Schildwachen, die, sobald es dunkel wurde, Jeden, der etwa vorübergehen wollte, schon von weitem anriefen. So weit das Palais reichte, durfte diese Seite der Königsstraße auch nicht einmal am Tage begangen werden. –

Und trotz dieses gewaltigen Absperrungsapparates wurden neue Drohbriefe in unmittelbarer Nähe des Kurfürsten selbst gefunden.

Zur Ermittelung des Verfassers des ersten Drohbriefs und der Mitglieder der darin gedachten geheimen Verbindung war eine Commission von drei Mitgliedern bestellt worden, der noch bei der Urtheilssprechung, insofern sie eine Militärperson betreffen würde, zwei Officiere und bei einer Civilperson zwei Obergerichtsmitglieder beigeordnet werden sollten, vorbehaltlich einer Berufung an das Oberappellationsgericht. Es mochte wohl dabei das Bild der Mainzer Centralcommission zur Verfolgung der demagogischen Umtriebe vorgeschwebt haben, was aber keineswegs die bedenkliche Umgehung der ordentlichen Gerichte rechtfertigte. Besonders charakterfeste Juristen waren denn auch der Meinung, daß der Generalauditeur Bode und der Oberappellationsgerichtsrath Schwenke ein solches Commissorium nicht hätten annehmen sollen. Ich nenne diese Namen, weil sie unter einer öffentlichen Bekanntmachung der „Kurfürstlichen zur Untersuchung der gegen Se. kurfürstliche Hoheit ausgestoßenen Drohungen verordneten Commission“ sich befanden. Welcher Art diese Drohungen gewesen, darüber stand keine Gewißheit zu erlangen, da eine Veröffentlichung des ersten und eigentlich allein in’s Gewicht fallenden Drohbriefs ängstlich vermieden wurde; man erfuhr nur im Allgemeinen, daß darin gefordert worden, dem Volke eine Verfassung zu geben, den Einfluß der Grafin Reichenbach auf die Regierungsgeschäfte zu hemmen und die Züchtigung der Untergebenen mit eigener Hand zu unterlassen, widrigenfalls der Kurfürst und die Gräfin ein Opfer von hundert verschworenen Jünglingen, deren Dolche schon geschliffen, werden würden. –

Zunächst wurde versucht, den Verdacht auf Radowitz zu lenken, weil dieser trotz seiner Confinirung in Ziegenhain an dem Tage in Kassel gewesen sein sollte, wo der erste Drohbrief hier auf die Post gegeben worden, und weil er dann, ohne erst die Bewilligung des geforderten Abschieds abzuwarten, nach Berlin zum Eintritt in preußische Dienste abgereist sei. Da nun aber bei Radowitz selbst keine Nachforschung mehr möglich, so sollte sie bei Verschuer, Eschwege und noch anderen diesem Kreise angehörenden Personen angestellt werden, was aber von dem damit beauftragten Oberpolizei-Director v. Manger unterlassen wurde, da er die völlige Resultatlosigkeit voraussah. Hieraus wurde ihm später ein Verbrechen deducirt. Im Uebrigen hatte Manger es keineswegs an Eifer fehlen lassen, vielmehr sein geheimes Polizeinetz über das ganze Land und sogar weit über dessen Grenzen hinaus gesponnen. Er war es, welcher der Commission ein kaum zu bewältigendes Material lieferte, denn die ausgesetzte hohe Belohnung reizte zu den leichtfertigsten und böswilligsten Denunciationen.

Durch den zweiten Drohbrief, welcher im Schlosse zu Wilhelmshöhe gefunden und an die Gräfin Reichenbach gerichtet war, wurde die Sache noch verwickelter. Sein Inhalt ist durch die gedruckte Vertheidigung eines darüber Angeklagten bekannt geworden und lautet: „Frau Gräfin! Der Verfasser des bewußten Briefes wird nicht entdeckt werden. Sagen Sie dem Kurfürsten, daß er fortfährt, rechtlich, menschlich und fürstlich zu handeln, so wird er nichts zu befürchten haben. Durch die Gensd’armerie macht er sich lächerlich; diese könnten ihn gegen eine Windbüchse nicht schützen. – Rathen Sie ihm, daß er auf eine schonende Art drei wichtige Personen versetzt, und zwar den Ober-Polizei-Director v. Manger, den Finanzrath Deines und den Castellan Hahn. Dieser letztere ist insofern wichtig, indem seine nächsten Verwandten bei Sr. Königlichen Hoheit dem Kurprinzen angestellt sind. Das Nähere hierüber sollen Sie später erfahren. Rathen Sie auch dem Kurfürsten, daß er seiner Livréedienerschaft streng verbietet, daß sie nichts wieder reden, was bei der Abendtafel gesprochen wird.“

Wenn es wahr ist, daß der erste Drohbrief ein wohlstilisirter und gute Bildung verrathender gewesen, wie immer behauptet worden, so hätte bei diesen zweiten gerade das Gegentheil davon auffallen müssen, und daß die Satzbildung nicht einmal dem specifisch Kasseler Jargon entsprach. Es ist daher unbegreiflich, daß man nicht sofort auf die richtige Spur gekommen und statt dessen den Cabinetssecretär des Kurfürsten mit neunmonatlicher Untersuchungshaft gequält hat. Die Anwendung der französischen Untersuchungsmaxime, zunächst nach einer etwaigen weiblichen Betheiligung zu forschen, wäre hier am Platze gewesen. Der in diesem Briefe genannte und später eine Subalternstelle im Staatsdienste bekleidende Castellan hatte nach vielen Jahren die Absicht, Aufklärungen darüber zu veröffentlichen; sein Manuscript ist ihm aber gegen hohes Douceur abgenommen worden.

Ein dritter Drohbrief kam aus Sarnen in der Schweiz; damit wäre es leicht dem Postmeister Thielepape in Wabern schlecht ergangen. Der Brief trug die Adresse des Kurfürsten und war unter einem an Thielepape gerichteten Couvert in Wabern angelangt. Dieser, eine wichtige Staatssache dahinter vermuthend, eilte sofort nach Kassel und ließ den Brief dem Kurfürsten in seinem Cabinet zustellen. Der Kurfürst trat bald darauf in den Audienzsaal, wo außer dem Postmeister noch andere Staatsbedienstete warteten, und theilte in großer Aufregung die abermalige Bedrohung mit. Thielepape erhielt als Botenlohn eine Vorladung Seitens der Untersuchungscommission, um sich wegen etwaiger Mitwissenschaft vernehmen zu lassen. Es war ihm leicht, diesen Verdacht zu beseitigen, – aber den Schrecken hatte er weg.

Als sich die bisherigen vielen Vernehmungen und Verhaftungen zur Erlangung einer sichern Spur als vergeblich erwiesen hatten, sicherte die Commission mit allerhöchster Ermächtigung selbst den Mitwissern, denen als Belohnung ihrer Anzeige durch die Ministerialverkündigung nur Straflosigkeit zugesagt war, jetzt sogar ebenfalls die Belohnung von fünftausend Thalern zu – und auch dieses Mittel wollte nicht verfangen. Endlich wandte sich der Verdacht nach einer ganz andern Seite – nach der Polizei selbst. Der Oberpolizeirath Wende bekam Hausarrest; der Oberpolizeicommissar Windemuth, sowie der Polizeiregistrator Urban wurden in’s Castell gebracht, und da ihre Aussagen weniger compromitirend für sie selbst als für ihren Chef, den Oberpolizeidirector, waren, so wurde auch gegen diesen vorgeschritten. Um aber weniger Aufsehen zu erregen, wurde ihm aus dem kurfürstlichen Cabinet zu wissen gethan, der Kurfürst habe beschlossen, daß er unverzüglich eine Untersuchung in Fulda anstellen und dahin reisen solle. Was ihm bevorstand, davon hatte er keine Ahnung. In der „Kasselschen Zeitung“ wurde seine Abreise nach Melsungen angezeigt. Aber hier angekommen, nahmen ihn Gensd’armen in Empfang und geleiteten ihn nach Fulda, wo er einstweilen in dem Hause des dortigen Polizeidirectors bewacht wurde. Einige Tage später fand sein Transport nach der Bergfeste Spangenberg statt, wo ihn die Untersuchungscommission schon erwartete. Warum der große Umweg gewählt worden, ist nicht einzusehen.

Der plötzliche Sturz des zu sehr hoher Gunst bei dem Kurfürsten gelangten Oberpolizeidirectors machte gewaltiges Aufsehen. Bedauert wurde er von Niemand. Ueber seine Behandlung im Gefängnisse erfuhr man Einiges durch die „Dorfzeitung“. Darnach war sie so streng, wie sie nur bei höchst gefährlichen Staatsverbrechern in Anwendung zu kommen pflegt. Ein Gensd’arm, der sich aber auf keine Unterhaltung einlassen durfte, war in seinem Zimmer bei Tag und bei Nacht anwesend. Der Gebrauch des Messers war ihm beim Essen nicht gestattet. Für die Unterhaltungskosten des an ein sybaritisches Leben gewöhnten Mannes waren, inclusive Aufwartung, Wäsche, Licht etc. täglich nur anderthalb Thaler ausgeworfen. Erst nach dreijähriger [795] Untersuchung wurde das Urtheil über Manger von der Commission gefällt, mit der Publicirung aber noch weitere zwei Jahre gewartet. Es lautete auf Entsetzung von Aemtern und Würden und eine fünfjährige Festungsstrafe. Bei Verkündung der Strafsentenz hatte der dazu beauftragte Richter dem Verurtheilten zugleich einen Cabinetsbefehl zu eröffnen, welcher ihn zu lebenslänglicher Haft verdammte.

Die Commission hatte ihn verurtheilt 1) wegen ihm zur Last gelegter nachgefolgter Theilnahme an den in dem Drohbriefe liegenden Verbrechen der beleidigten Majestät, weil er Agentenberichte unehrerbietigen und dem Drohbriefe ähnlichen Inhalts vorgelegt, 2) wegen Fälschung und Täuschung, weil er ein schmutziges Pasquill nicht alsbald vorgelegt, die Auslöschung eines schmutzigen Reims an einem Gartenhäuschen ohne vorher genommene Abschrift befohlen, auch unrichtige Anzeigen in Beziehung auf die Untersuchung und seine Geschäftsthätigkeit gemacht, 3) wegen versuchter Nöthigung, weil er hierdurch die Handlungsweise Seiner königlichen Hoheit zu leiten versucht, 4) wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt, weil er einen Beschuldigten ohne genügende Anzeichen polizeilich hatte verhaften lassen. Schon der einfache Laienverstand mußte dieses Urtheil für wenig stichhaltig ansehen. Die Vorlage der „Agentenberichte“ war, wie man wußte, auf ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten geschehen. Worin die „Fälschung und Täuschung“ bestanden, ist nicht weiter bekannt geworden. Das „schmutzige Pasquill“ und der „schmutzige Reim“ hatten den Kurfürsten gar nicht betroffen. Der Reim hatte sich an der Außenseite des Aborts – euphemistisch „Gartenhäuschen“ genannt – in dem Garten einer mit der Gräfin Reichenbach befreundeten Bürgerfamilie gefunden. Die Gräfin hatte Abends vorher einer von dieser Familie ihr zu Ehren veranstalteten Gartensoirée beigewohnt, worauf in derselben Nacht die schönen Anlagen des Gartens von Frevelhänden völlig verwüstet worden. – Die versuchte Nöthigung, die Handlungsweise des Kurfürsten zu leiten, ist wohl darauf zurückzuführen, daß Manger denselben zu bestimmen gesucht, seine Residenz nach Hanau zu verlegen, unter der Vorspiegelung, daß er nur dadurch einer ihm in Kassel unaufhörlich drohenden Lebensgefahr entgehen werde. Was endlich die Verhaftung eines Beschuldigten ohne genügende Anzeichen betrifft, worauf der Mißbrauch von Amtsgewalt beruhen soll, so fragte sich Jedermann, ob denn die vielen anderen durch Manger ebenfalls bewirkten Verhaftungen auch wirklich auf genügenden Anzeichen beruht haben. Oder waren diese nur der unverantwortlichen Commission zuzuschreiben?

Wir viel Böses auch dem früheren Polizeibeherrscher gegönnt wurde, so wollte sich doch Niemand mit der an ihm geübten Cabinetsjustiz befreunden; man erblickte darin eine Gefährdung der allgemeinen Rechtssicherheit. Bei einer Revision des Urtheils hat denn auch das Oberappellationsgericht dasselbe in den Hauptpunkten cassirt, die Entlassung aus der schon beinahe fünf Jahre gedauerten Haft und die Nachzahlung des so lange eingezogenen Gehaltes ausgesprochen. Einige untergeordnete Dienstvergehen wurden als durch die Länge der Untersuchungshaft hinreichend verbüßt erachtet. Daß Manger der böse Dämon in dem monströsen Verfahren und der hauptsächlichste Anstifter der vielen Verdächtigungen und Einkerkerungen gewesen, darf man wohl daraus schließen, daß nach der Einstellung seiner Thätigkeit auch keine weitere Heranziehung von Personen zur Untersuchung und Haft vorgekommen sein möchte.

Wenden wir jetzt noch einen Blick auf Diejenigen, die aus Anlaß der Forschung nach den Betheiligten an den Drohbriefen die Bekanntschaft mit den Annehmlichkeiten des Castells in Kassel haben machen müssen, so begegnen wir zunächst einem Manne, der nicht allein wegen seines bedeutenden Vermögens, sondern auch als anerkannter Publicist großes Ansehen genoß, dem Hofrath Dr. Friedrich Murhard. Obgleich in Kassel angesessen, hielt er sich meistens in Frankfurt auf. Von da hatte ihn ein ihm befreundeter hessischer Polizeibeamter zu einer Spazierfahrt nach Hanau verlockt und unterwegs seine Verhaftung bewirkt. Sein Umgang mit einem früheren im Rufe der Demagogie stehenden hessischen Officier, der sich aber später als ein geheimer Agent der Kasseler Polizei entpuppte, sollte ihn verdächtig gemacht haben. Vergebens bot Murhard eine Caution von vielen Tausenden; er mußte in’s Gefängniß wandern, aus dem er erst nach sieben Monaten wieder entlassen wurde. Der Cabinetssecretär Müller blieb neun Monate lang verhaftet, weil in ihm der Verfasser des im Wilhelmshöher Schlosse aufgefundenen Drohbriefes vermuthet wurde. Obwohl er als völlig unschuldig erkannt wurde, ist er doch nicht wieder in Dienst und Gehalt gesetzt, vielmehr noch überdies aus Kassel entfernt worden. Das gleiche Schicksal traf noch eine Reihe anderer ebenso Unschuldiger, und wer vermag die Zahl aller Derjenigen anzugeben, die durch polizeiliche Ueberwachung, Haussuchung und gerichtliche Verwahrung gequält worden sind? Es muß auch noch angeführt werden, daß die doch nur für die Drohbriefe bestellte Commission gewissermaßen en passant auch drei junge Männer aus Fulda in den Bereich ihrer Untersuchungen gezogen und über sie Festungsstrafe erkannte, weil sie vor sechs Jahren in Jena zum „Bunde der Jungen“ gehört hatten.

Und was ist nun am Ende bei der ganzen Drohbriefgeschichte, die für das Hessenland so viele Trübsal im Gefolge gehabt, herausgekommen? Dem Gerichte gegenüber ist sie im Sande verlaufen, für die Erkenntniß der Zustände unter der Regierung Wilhelm’s des Zweiten wird sie aber auch heute noch ein wichtiges Moment abgeben. Obgleich der über ihr lagernde Schleier bis jetzt als nur zu einem kleinen Theil gehoben erscheint, dürfte doch so viel feststehen, daß ihr hauptsächlich die Bemühungen zweier rivalisirender Parteien zu Grunde gelegen, die den Kurfürsten durch Schreckbilder zu mystificiren gedachten. Die eine wollte ihn zu einem freiwilligen Rücktritte veranlassen, während die andere auf das Ziel hinsteuerte, ihn noch mehr zu isoliren und dadurch einen nicht mehr zu durchbrechenden Einfluß auf ihn zu gewinnen. Die Letztere hatte sich leider am wenigsten verrechnet, wie sich von Tag zu Tag immer mehr herausstellte.


  1. Die obige Mittheilung läßt über eine Episode kurhessischer Hof- und Staatsgeschichte, welche in den Zeiten vor der Julirevolution viel unheimliches Grausen erregte, neue Streiflichter fallen. Wir entnehmen dieselbe den Aushängebogen eines nächstens erscheinenden Werkes: „Kassel seit siebzig Jahren, Fragmente aus den Erzählungen eines noch Lebenden,“ (Verlag von Dietrich und Müller in Kassel). Der Verfasser beginnt seine Aufzeichnungen mit dem Ende von 1805; er führt uns demnach noch bis auf zwei Jahre vor der „Westphälischen Zeit“ zurück, schildert uns diese mit lebendigen Zügen, ausgeschmückt mit manchem charakteristischen Geschichtchen der Geschichte, und läßt uns dann die Zopfseligkeit des alten heimgekehrten Kurfürsten wie die neue Doppelehe seines Sohnes miterleben, mit dessen „Drohbrief-Proceß“ die uns vorliegenden Bogen schließen. Unsere Leser werden aus obiger Schilderung ersehen, welche höchst interessante Mittheilungen das Buch verspricht.
    D. Red.