Der unerwartete Zeuge

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Titel: Der unerwartete Zeuge
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 139–140
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[139] Der unerwartete Zeuge. Bei meinem letzten Besuche des Mississippi kam ich an einem schönen Herbstabende nach dem Dorfe Deepwoods, wohin ich von Moody Creek aus aufgebrochen war. Das Wirthshaus war voll Leute und ich hörte, es sei Gerichtssitzung. An dem oberen Ende der Tafel saßen die Richter und ein halb Dutzend Advocaten, die Landschaftsbeamten und zahlreiche Zuhörer. Ich hatte mit einem Kaufmanne, Namens Landor Wallace, in dem Orte etwas zu thun und machte mich nach seinem mir bekannten Geschäftslocale auf. Ich fand es jedoch fest verschlossen und wandte mich deshalb seiner Privatwohnung zu. Ich pochte, eine Schwarze öffnete. Auf meine Frage, ob Mr. Wallace zu Hause sei, sah sie mich zuerst eine Weile an und brach dann in Thränen ans.

„Zu Hause sein, aber Master todt,“ schluchzte sie.

Darauf hörte ich von ihr, daß er Tags zuvor ermordet worden und morgen darüber Gericht gehalten werden solle. Unter solchen Umständen wollte ich die Familie nicht stören und, nachdem ich mir einige Umstände von der Negerin hatte sagen lassen, kehrte ich nach dem Wirthshause zurück, um mich dort näher zu erkundigen. Dort vernahm ich zwar einige Gerüchte, die mir jedoch nicht klar wurden, und mußte mich deshalb bis zum nächsten Tage gedulden, um eine Einsicht in die Sache zu gewinnen.

Obwohl der Mord erst kürzlich geschehen und der Leichnam noch nicht beerdigt war, so sollte doch die Sache gleich verhandelt werden, weil der Gerichtshof zu den Vierteljahrssitzungen versammelt und ein Angeklagter und Zeugen vorhanden waren.

Als ich am nächsten Morgen in den Gerichtssaal trat, kam die Sache gleich vor. Der Angeklagte war ein Mann von nicht mehr als 25 Jahren, Namens Edward Demarton. Er war mehrere Jahre hindurch Commis [140] bei Wallace gewesen und galt für einen geschickten jungen Kaufmann. Ich hatte mit ihm zu thun gehabt und ihn lieb gewonnen. Er war von zartem Wuchse, hübsch und besaß den Stolz seines Landes, der ihm Festigkeit und Würde verlieh, ohne ihn hochmüthig zu machen. Er war eine Waise, von französischer Abkunft und in New-Orleans geboren und erzogen.

Ich konnte ihn deutlich sehen. Er war bleich und schien viel zu leiden, sah aber nicht wie ein schuldiger Mann aus. Ich glaubte auch nicht, daß er einen Mord begangen habe; dazu war er zu brav und ehrenhaft.

Endlich fing das Gericht an. Die Zeugen machten ihre Aussagen, und mir sank das Herz, als ich hörte, wie viele Umstände gegen ihn sprachen. Es war erwiesen, daß er Landor Wallace’s Nichte zu heirathen beabsichtigte, und daß der Onkel sich dem widersetzt hatte. Daraus war ein Streit entstanden, und Demarton hatte den Dienst seines Herrn verlassen. Es war ferner erwiesen, daß er Wallace zum Duell herausgefordert, und der Letztere es nicht angenommen hatte, weil er sagte, er könne sich nicht mit Jemand schlagen, den er als seinen Sohn betrachte. Ferner wurde ausgesagt, daß Demarton darüber wüthend geworden, und fluchend geäußert hätte: „Mr. Wallace solle sich entweder mit ihm schlagen oder die Folgen erleiden, denn er sei entschlossen, sich Genugthuung zu verschaffen.“

Am Morgen der Ermordung ritt der Kaufmann nach Dantonville, eine halbe Stunde nachher nahm der Angeklagte ein Pferd und sagte: „er würde Mr. Wallace bald einholen.“ Dann fügte er hinzu, was drei Zeugen gehört hatten: „Ich kann meine Sache so gut auf der Straße nach Dantonville als anderswo abmachen.“ Das war um sechs Uhr Nachmittags. Um neun Uhr kam ein Mann, Namens Harold, des Weges, stieß auf Landor Wallace’s Leiche, und sah in demselben Augenblick Edward Demarton von der Stelle hinwegreiten. Im Mondschein erkannte er ihn deutlich. Er sprang vom Pferde, fand den Kaufmann besinnungslos, aus mehreren tiefen Wunden blutend, und dabei ein Bowiemesser mit Silbergriff, welches dem Angeklagten gehörte. Das Messer war mit Blut bedeckt, und die Aerzte erklärten, daß die Wunden von demselben herrührten. Auch sah man einen Schlag an dem Kopfe, der allein tödtlich war. Harold war ein wüster Gesell, groß, breitschulterig, gegen 40 Jahre alt, mit düstren, rauhen Zügen und sah ganz wie ein Schurke aus. Die Vertheidiger wiesen auch nach, daß Harold Zwistigkeiten mit dem Angeklagten gehabt, und diesem Rache geschworen habe. Dies kam jedoch wenig in Betracht.

Die Sache schien zu deutlich gegen den Angeklagten zu sprechen. Er hatte den Ermordeten herausgefordert und ihm Rache geschworen, war ihm gefolgt, man hatte ihn sagen hören, er wolle seine Sache mit ihm auf der Landstraße abmachen, sein blutiges Messer lag bei dem Ermordeten und seine Kleider und Hände waren voll Blut gefunden worden.

Endlich ließ man Edward Demarton zum Worte. Er war bleich, aber seine Stimme fest. Er rief zuerst Gott zum Zeugen, daß er die Wahrheit spreche. Dann sagte er, er habe den Nachmittag vor dem Mordtage mehrere Stunden bei Wallace zugebracht und der Streit zwischen ihnen sei beigelegt worden. Der Kaufmann habe ihm erklärt, weshalb er seine Einwilligung versagt habe. Sein Bruder habe ihm die Verpflichtung auferlegt, seine Tochter nicht vor ihrem zwanzigsten Jahre heirathen zu lassen. –

„Wir schlichteten Alles und Mr. Wallace fragte mich, ob ich in seinen Dienst zurückkehren wolle. Ehe ich daraus antworten konnte, trat Jemand ein, der Wallace zu sprechen hatte. Ich sagte ihm darauf, ich müsse nach Dantonville und werde nach meiner Rückkehr bei ihm vorkommen. Er erwiderte, auch er müsse dahin und bat mich, ihn dort aufzusuchen. Darauf hatte ich Geschäfte am See und als ich zurückkam, hörte ich, daß Wallace seit einer halben Stunde fort sei. Ich ließ sogleich mein Pferd satteln und sagte beim Aufsteigen die Worte, welche die Zeugen aussagten. Ich meinte sie scherzhaft, da unser Streit ja freundschaftlich ausgeglichen war. Ich ritt fort und fand nach etwa zehn Meilen Mr. Wallace’s Pferd am Wege stehen, weiter ab lag der Kaufmann in seinem Blute. Ich sprang herab und kniete neben ihm nieder. Ich richtete sein Gesicht auf, rief seinen Namen, er war noch warm, aber das Leben schien entflohen zu sein. Dadurch wurden meine Hände und Kleider voll Blut, aber daran dachte ich nicht. Ich hatte nur fortzusprengen und Hülfe zu holen. Man hat gefragt, warum ich nicht nach Dantonville ritt, das nur eine halbe Meile weit war. Daran dachte ich jedoch nicht, sondern mein Instinct trieb mich nach Hause. Nach vier Meilen schnellen Galopps fiel mein Pferd und gleich darauf wurde ich von Harold und einem anderen Manne wegen Mordes verhaftet. – Was das Messer betrifft – es gehörte mir allerdings, war mir aber an diesem Tage gestohlen worden.“

Nach dieser Rede setzte sich der Jüngling und der Richter schüttelte den Kopf.

„Jeder kann eine solche Geschichte erfinden, um die Geschworenen zu täuschen,“ sagte er, „aber Niemand wird sie glauben, wenn solche Umstände vorhanden sind.“

Kurz, es schien keine Hoffnung für den jungen Mann da zu sein. Obwohl die Zuhörer ihn bemitleideten, schüttelten sie die Köpfe, als er seine Unschuld betheuerte.

Der Richter hatte resumirt und die Zeugenaussage gegen den Gefangenen geschärft und die Geschworenen wollten sich eben zurückziehen, als eine Bewegung an der Thüre entstand und gleich darauf ein junges Mädchen mit flatterndem Haar in den Gerichtshof stürzte und mit flammenden Augen und wogendem Busen hereintrat. Es war Isabelle Wallace. Sie war ein schönes Mädchen, mit edlen regelmäßigen Zügen, herrlichen, vollen Formen, und die Leidenschaft machte sie noch schöner. Einen raschen Blick nach dem Angeklagten werfend, wandte sie sich nach dem Richter und rief:

„Ist er schon verurtheilt, Herr? Ist er für schuldig befunden?“

„Noch nicht, aber es wird bald geschehen,“ erwiderte der Richter, sein Erstaunen beweisend.

„O, er ist unschuldig, er ist unschuldig!“ rief das schöne Mädchen.

„Er ist kein Mörder! He da, Gerichtsdiener, ergreift Harold und laßt ihn nicht entwischen. Rasch, rasch!“

Als das Mädchen eintrat, hatte sich Harold nach der Thür hin bewegt und bei ihren letzten Worten suchte er hinauszuschlüpfen, ein starker Matrose hielt ihn jedoch fest, bis der Sheriff herankam. Er wollte sich nicht gefangen geben, ein Paar Handschellen machten ihn jedoch bald unschädlich und er wurde zurückgebracht.

„Jetzt,“ fuhr das Mädchen zu dem Richter gewandt fort, „habt die Güte, und sendet zu meinem Oheim, seine Aussagen aufzunehmen. Er lebt!“

Bei diesen Worten sprang Eduard Demarton auf, und stieß einen Freudenschrei aus. Sein Gefühl war jedoch zu heftig, er sank ohnmächtig zurück. Nachdem er wieder zu sich gekommen, erklärte Isabelle, was sich ereignet hatte. Sie sagte, zwei Aerzte seien mit ihrem Oheim beschäftigt, er sei aus einer Lethargie erwacht, hätte sein Bewußtsein wieder erlangt, und wolle den befugten Beamten sagen, wer ihn angefallen und ermordet habe.

Der Hof wurde sogleich vertagt und der Richter begab sich selbst mit drei Juristen und dem Vormann der Geschwornen nach des Kaufmanns Hause. Die Aerzte erklärten, er könne nicht lange mehr leben und die Beamten setzten sich sofort um das Bett des todtwunden Mannes. Er bestätigte, was Demarton über die Beilegung ihres Zwistes und die Absicht seines Rittes nach Dantonville gesagt hatte. Er hatte eine Brieftasche mit 5000 Dollars bei sich. Es dunkelte, als er fort ritt, der Mond schien jedoch. Als er den Wald erreichte, holte ihn Harold ein. Er fürchtete diesen, denn er hatte ihn das Geld in die Brieftasche packen sehen, deshalb faßte er nach seinem Pistol, ehe er es jedoch ziehen konnte, gab ihm Harold einen Schlag, nach dem er vom Pferde sank, dann erinnerte er sich, daß der Schurke mehrere Male nach ihm gestochen, und ihm die Brieftasche entrissen habe. Mehr konnte er sich nicht erinnern. Diese Aussage wurde zu Protokoll genommen, und die Aerzte bezeugten, daß der Kranke völlig bei Sinnen sei.

Dann wurde die Gerichtsverhandlung wieder aufgenommen, und Edward Demarton sogleich von den Geschwornen freigesprochen. Die Zuschauer brachen darüber in lauten Jubel aus, dem der Richter nicht Einhalt zu thun vermochte.

Gleich darauf wurde Harold angeklagt und verurtheilt. Als er sah, daß er verloren sei, gestand er die That und den Raub. Er wußte, daß Demarton nach Dantonville reiten würde, und stahl das Messer des jungen Mannes, um den Verdacht auf diesen zu lenken.

Mr. Wallace lebte bis zum nächsten Nachmittag. Vor seinem Tode legte er die Hand seiner schönen Nichte in die Eduard Demarton’s und bat sie, in seinem Hause fortzuleben. Er hatte keine Kinder, und Isabella erbte sein Vermögen, er bestimmte jedoch, daß Edward es verwalten und das Geschäft fortführen solle. Der Verlust ihres geliebten Oheims versetzte Isabellen zwar in tiefe Trauer, diese verhinderte jedoch nicht, sich freudig an dem Gedanken zu weiden, daß der Geliebte ihr so wunderbar erhalten worden, und Beide lebten nach ihrer Verheirathung außerordentlich glücklich.