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Der versunkene Garten

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Textdaten
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Autor: Aug. H. Plinke
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Titel: Der versunkene Garten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 568–569, 579–580
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[568–569]

Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.
Lustiges Volk.
Nach einem Gemälde von A. H. Plinke.

[579] Der versunkene Garten. (Zu dem Bilde S. 568 und 569.) Wer kennt sie noch, die alten Fürsten von Nassau-Saarbrücken, die einst in des Reiches Westmark ihren lustigen Hof hielten? Was an Staub und Asche übrig ist von ihrem Gottesgnadentum, das ruht in den Gewölben der alten Stadtkirche von Saarbrücken und in der Gruft des schönen gotischen Stiftes von St. Arnual, das über das weite grüne von Waldhügeln umhegte Saarthal zur Stadt herüberschaut. Eine einzige halbvergessene Sage geht noch im Volke um von dem Letzten seines Stammes, der „das Gänsemädel von Fechingen“ frisch von der Weide hinweg in goldener Karosse zu seinem Schlosse entführte, wo die Schöne wundersam schnell das Regieren erlernte und den rebellischen Hofstaat leichter nach ihrem Willen zwang als die schnatternde Herde, die sie am heimischen Dorfbache zurückgelassen hatte. Sonst aber ist der Ruhm des stolzen Geschlechtes mit ihm dahingegangen und von aller Herrlichkeit der Rokokoresidenz ist nichts geblieben als die geraden Straßen der alten Stadt und die weiten, quadratischen Plätze, wo symmetrische Paläste in allen Schattierungen des Verfalles von dem versunkenen Glanze träumen und düster, wie neidisch auf den verschnörkelten Bau einer Barockkirche starren, die einzig von dem allgemeinen Schicksale der „Encanaillierung“ bewahrt ist. Denn eine neue Zeit ist mit gewaltigem Hauche über die kleine Residenz des vergessenen Duodezstaates gekommen. Auf den Schloßberg, von dessen einstiger Vornehmheit kaum noch ein Schatten übrig ist, und wo das Gras lustig zwischen den spitzen Pflastersteinen wuchert, schaut fernher vom Halberge das neue schloß des „Eisenkönigs Stumm“ herab, und in der Stadt selbst rücken Kasernen und Fabriken den Resten des alten Regimes gar scharf zu Leibe. Diese Gegensätze zwischen dem Heute mit seiner zielbewußten Arbeit, seinem unbarmherzigen Ernst und dem Einst mit seiner lustigen, sorglosen, malerischen Liederlichkeit schaffen in Saarbrücken Bilder von eigentümlichem Reize für den, der Auge und Herz dafür hat. Hier breitet sich die Vorstadt aus mit den kleinen Häusern einer schwer um das tägliche Brot ringenden Bevölkerung; links klettert die Straße, die weiterhin zu den „Spicherer Höhen“ führt, mühsam die Bergsteile hinan, rechts dehnen sich weite Gärten, die von einer hohen geheimnisvollen Mauer gegen die Außenwelt abgeschlossen sind. Vielstimmiger Kinderjubel klingt herüber – das lacht und lacht, und ich denke, wo man einen Blick auf jauchzende Jugend gewinnen kann, da lohnt es, zwischen Arbeit und Arbeit und Sorge und Sorge ein Weilchen inne zu halten und aufatmend in das Stückchen Himmel zu schauen, das aus glücklichen Kinderaugen hervorlacht. Mit dem Skizzenbuche des Malers in der Hand, das so oft schon auf schwierigem Boden mir als „Berechtigungsschein“ gedient hat, will ich es auch hier einmal wagen. Leise drücke ich die schwere Flügelthür auf und vor mir entfaltet sich ein entzückendes malerisches Bild: ein Kindergarten. Von der hohen Treppe sehe ich hernieder auf das kleine Volk, das lachend, singend und springend den weiten, von Kastanien beschatteten Kiesplatz erfüllt, behütet und regiert von einer Kaiserswerther Schwester und ihrer jungen Gehilfin. Welch’ eigenartiger Platz! Geradeaus führt eine breite, von schönen, halbzerschlagenen Rokokovasen flankierte Freitreppe zu dem langsam sich senkenden Garten hernieder und weiterhin zu einem zierlichen Schlößchen mit Kuppeldach und runden Fenstern, das im Schatten uralter, fremdländischer Bäume wie verzaubert zu schlafen scheint und über dem noch etwas von jener koketten Grazie liegt, um derentwillen wir jene Zeit grausamer Despotie aus der sicheren Entfernung der Gegenwart zu lieben pflegen.

Das ist der „Versunkene Garten“ und das „Verwunschene Schloß“, eine jener „Eremitagen“ und „Solituden“, die so getauft wurden, weil keine Eremiten in ihnen hausten, und die, welche die Einsamkeit und die [580] Einkehr fürchteten, mit dem Jauchzen bacchantischer Feste ihr Echo weckten. Wenn ich später hier an meiner Arbeit saß und die Bäume aus fremden Zonen leicht im Abendwinde flüsterten, dann wurden die Geister des Ortes lebendig in der sinkenden Dämmerung. Seidene Schleppen rauschten über den Kies und auf den Treppen klapperten die zierlichen Stöckelschuhe; die Grotten mit ihren ängstlich ins Epheu sich duckenden Nymphen hallten wieder von feurigen Liebesworten, von französischem Geplauder, von seichten Compliments und leichter Médisance. Dann wird es plötzlich still. Der „Läufer“ eilt den breiten Mittelweg herab und meldet, daß die Herrschaften soeben zu „arrivieren“ geruhten, und schon steigt Serenissimus, zierlich mit zwei Fingern die Hand der neuen Favoritin haltend, halb Würde, halb Huld auf dem feisten, glatten, rosigen Rokokogesichte, die Freitreppe hernieder, während ringsum der schillernde Hofstaat sich beugt und neigt wie ein Kornfeld im wehenden Sommerwinde. Bunte Lichter flammen auf, und die hohen Mauern ringsum scheinen sich höher zu recken, denn was sie jetzt umschließen, ist geschaffen, um Tag für Tag an der Freudentafel des Lebens zu sitzen, und muß in seinem Genusse selbst vor den Blicken derer bewahrt werden, die geboren wurden, um durch ihrer Hände Arbeit denen hier drinnen die Tage der Freude und der Feste zu sichern.

Ich bin seitdem heimisch geworden in dem alten Garten mit seinen verschwiegenen Mauern. Manche unvergeßliche Stunde frischer, fröhlicher Arbeit habe ich hier verlebt mit meinen lieben kleinen Freunden und der guten Schwester Marie. Hier, wo einst eine privilegierte Kaste sich ängstlich abschloß von dem Volke, das von ihr gedrückt und ausgesogen wurde und dessen Berührung sie doch wie einen Pesthauch mied und verabscheute, hier hat jetzt die christliche Liebe den Kindern der Stadt ohne Unterschied von Rang und Reichtum einen herrlichen Tummelplatz bereitet. Hand in Hand mit dem Sprossen des Millionärs zieht hier das Kind des Bergmanns leichten Herzens seinen Reigen. Und unten im kleinen Schlößchen, wo damals „Madame“ mit einem liederlichen Hofe vom Schweiße des Volkes praßte, da werden heute die Armen gespeist; eine warmherzige Frau schafft dort mit einem Stabe fleißiger Gehilfinnen am riesigen Herde und stellt jahraus jahrein ein kräftiges schmackhaftes Gericht auf die sauberen Tische, dem Arbeiter um ein Billiges, dem Armen für „Gottes Dank“. Wo früher die irdische Liebe ihre Feste feierte, da thut jetzt die himmlische Liebe ihre ernste soziale Arbeit. Ja, von all den Zeugen der entschwundenen Fürstenherrlichkeit hat dieser Liebesgarten den weitesten Weg abwärts gemacht und doch den besten. Denn ich glaube, wenn jetzt den hellen Morgen über die bunte Kinderschar unter den alten Kastanienbäumen ihr Spiel treibt, und wenn an einem schönen, sonnigen Sommertage die armen Kinder im Freien an den langen Tafeln sitzen und ihren Hunger stillen, dann werden die alten Baumriesen über ihnen, die so manches gesehen und gehört haben, für das Bild von heute die eleganten Watteauschen Figuren vergangener Tage sich nicht zurückwünschen und die Musik des Kinderjubels und das fleißige Klappern der Eßlöffel in den Blechnäpfen nicht tauschen wollen gegen das verklungene Flötenspiel arkadischer Schäfer und das Guitarrengeklimper höfischer Spaßmacher. Diese alten fremden Bäume sind die letzten Zeugen jener „guten alten Zeit“; aber, wenn sie reden könnten, würden sie uns bezeugen, daß jene Zeit alles war, lustig, interessant, malerisch, vielleicht auch alt, aber sicher nicht gut, und daß die Gegenwart besser ist, als die Pessimisten sie schelten. Aug. H. Plinke.