Der wachsende Stein
Am Ranft der Kraich im Thale
Tritt aus der Wand ein Stein
Und wächst mit seinem Leibe
Bald in die Kraich hinein.
Mit jedem neuen Jahr
Stellt größer er und höher
Und mächtiger sich dar.
Man weiß nicht, was ihn wachsen
Auch wächst er nicht am Tage,
Er wächst nur in der Nacht.
Man glaubt drum auch vom Steine,
Er sei des Teufels Stein,
Manch frische Seel’ hinein,
Und lade von den Seelen
Die Sünden allzusamm,
Der Pack von Sünden gebe
Den Sündendamm bedecke
Als Hülle nur den Stein,
Und nur der Teufel könne
Zum Steine aus und ein;
Die Kraich, so schwell’ sie an,
Bis endlich ihre Wasser
Gebrochen sich die Bahn.
Dann schwemmten Stein und Sünden
Und dort verschläng’ ein Strudel
Den Nachts gewachsnen Stein.
Der Teufel woll’ ihn halten,
Der Strudel geb’ nicht nach,
Der Teufel selbst zu schwach. –[2]
Drum rieth’ ich großen Sündern,
Sie wüschen sich im Rhein,
Wascht der sie nicht, so müssen
- ↑ Dieser Stein, der mehrere Kubikklafter Mächtigkeit hat, liegt oder vielmehr steht als Ausläufer der niedrigen Thalwand am Wege zwischen Flehingen und Gochsheim, und soll (dicitur) wachsen etc.
- ↑ Das Wachsen des genannten Steines ist höchst wahrscheinlich dahin zu erklären, daß er aus einer luftbeständigern Felsmasse besteht, als die ihn unmittelbar berührende Thalwand. Je mehr diese durch Witterungseinflüsse sich auflockert und ablöst, um so mehr legt sie den Stein bloß, um so größer erscheint er, ohne deßhalb heraus- und in das Thal hinein zu wachsen; der schon vorher in seiner ganzen Größe vorhandene Stein wird nur sichtbarer und hat deßhalb bei dem Volke zu dieser Redensart, er wachse, Veranlassung gegeben.