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Deutsche Bühnenleiter/Max Grube

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Textdaten
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Autor: Otto Neumann-Hofer
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Titel: Max Grube
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 824–825
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie: Deutsche Bühnenleiter
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Deutsche Bühnenleiter.

Max Grube.

Unter den hervorragenden deutschen Bühnenleitern ist Max Grube einer der jüngsten, dem Alter wie der Würde nach. Am 25. März 1854 geboren, hat er die vierzig noch nicht erreicht, und seit Dezember 1890 „Oberregisseur“ des Königlichen Schauspielhauses zu Berlin, hat er seine Direktionsfähigkeiten kaum zwei Spielzeiten hindurch bewähren können. Nichtsdestoweniger hat er sich die allgemeinste Achtung zu erwerben gewußt, und man sieht wieder mit langentbehrtem Vertrauen in die Zukunft der königlichen Bühne. Grube heißt nicht „Direktor“, er ist es aber dennoch. Er selbst lehnte diesen Titel ab, da er nicht der Meinung ist, daß „eine Würde, eine Höhe“ die Vertraulichkeit entfernen müsse. Im Gegentheil: er verspricht sich ein ersprießliches Zusammenwirken von Haupt und Gliedern nur dann, wenn beide einem Körper angehören. Darum ist er auch entschlossen, niemals damit aufzuhören, selbst zu spielen, wie bedrohlich immer die Direktionsgeschäfte anwachsen mögen. Die Schauspieler haben mehr Vertrauen – das ist sein Glaubensbekenntniß – offenbaren leichter ihre künstlerische Seele, den Kern ihres Könnens, wenn der Führer unter derselben Schminke sich müht wie sie; wenn sie in ihm für jeden Zug, den sie aus sich herausholen, nicht das von außen kommende Verständniß des wenn auch noch so wohlwollenden Kunstliebhabers finden, sondern das von innen aufsteigende Verständniß des Handwerksgenossen, der jeden Tag in die Lage kommen kann, denselben Zug machen zu müssen; die Schauspieler fühlen sich viel enger mit einem Leiter verwachsen, der wie sie der öffentlichen Kritik sich aussetzt, der wie sie Sturm und Wind des Kampfes um Erfolg sich um die Nase pfeifen läßt und die Gefahr nicht scheut, im öffentlichen Urtheil selbst unter diesen oder jenen seiner Mitkämpfer gestellt zu werden.

Als Grube seinen heutigen Posten antrat, war seine Stellung nichts weniger als beneidenswerth. Das Königliche Schauspielhaus hatte jahrzehntelang an einem Stillstand gekrankt. Grube übernahm dasselbe ohne ein einheitliches Ensemble, ohne ein hoffnungsvolles Repertoire, dagegen trat er die volle Erbschaft von Mißtrauen und Geringschätzung an, welche die litterarischen und kunstverständigen Kreise der Hauptstadt dem königlichen Theater gegenüber empfanden. Und es ist seither besser geworden, Mißtrauen und Geringschätzung haben sich während der kurzen Zeit der Grubeschen Leitung in Vertrauen und Achtung verwandelt. Nicht daß die königliche Bühne heute schon die Stellung in Berlin einnähme, die sie einnehmen müßte: an der Spitze des künstlerischen Lebens! Aber viel ist doch schon geschehen.

Nach drei Richtungen hin hatten sich Grubes Bemühungen zu erstrecken; was der Bühne noththat, war erstens eine Erneuerung, eine Blutverjüngung des Personals, zweitens ein einheitlich abgestimmtes und charakteristisch bewegtes Zusammenspiel in einer den Anforderungen der Gegenwart entsprechenden Jnscenierung und drittens eine Belebung des Repertoires. Das war alles nicht leicht. Denn Grube war nicht Herr über sein Haus wie ein Direktor, der auf eigene Rechnung spielt, und wenn seine Absichten auch ein geneigtes Ohr beim Intendanten Grafen Hochberg fanden, so giebt es doch an einem großen Hoftheater Schwerkräfte mannigfachster Art, die niemand im ersten Anlauf überwinden kann. Seit Grubes Herrschaft weht ein frischer Hauch im Hoftheater, und daran muß man sich für den Anfang genug sein lassen.

Grubes Bühnenleitung ist zwei Einflüssen unterworfen: den Nachwirkungen der Meininger Schule und der scharf ausgesprochenen Verständigkeit seines Wesens. Er hat als Meininger begonnen und als Meininger geendet, bevor er nach Berlin kam, und die Schule des Herzogs Georg zeigt sich überall in seinen scenischen Anordnungen. Wohl tritt das Aeußerliche zurück: die peinliche Treue der Dekorationen und die Echtheit der Requisiten; das ist nur einmal möglich, und jede Nachahmung ist abscheuliches Plagiat. Aber die innere Verbindung von Dichterwort und Dekoration, von Rolle und Requisit – das ist von Meininger Herkunft. Nicht der Glanz des Rahmens ist hierbei das Entscheidende, sondern seine genaue Uebereinstimmung mit dem Text. Mit geläutertem Geschmack hergestellt, ist dieser Einklang von Leib und Kleid, von Wort und Bild ein mächtiges Hilfsmittel, um die erwünschte Stimmung zu erzeugen, die Illusion vollkommen zu machen. Zu mechanisch aber, zu absichtlich herbeigeführt, kann die dem Dichter peinlich folgende Inscenierung gerade das Gegentheil der beabsichtigten Wirkung erzeugen, nämlich die Illusion zerstören. So z. B. wenn bei den Worten Fausts im Osterspaziergang:

Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn –

dieser „letzte Kahn“ wirklich erscheint, wie auf ein Stichwort aus der Versenkung emporsteigt, wenn dann Menschen ihn anfüllen und die Zurückbleibenden am Ufer mit Hüten und Tüchern schwenken. Das, was der in die Ferne schauenden Phantasie in bunter überreicher Fülle erscheinen soll, wird hier dürftig in die Nähe gerückt. Die Einbildungskraft sieht bei den Worten Fausts nicht nur den letzten Kahn, sondern auch alle, die vorangegangen waren, voll fröhlichen Lärms und bunt bewimpelt. Der eine Kahn aber giebt dem Auge eine unwillkommene kleinliche stumme Illustration zu den Worten; er verringert das Bild und schwächt den Eindruck. Das ist nur ein Beispiel für viele, wie eine überdeutliche Inscenierung verflacht. Dieser Gefahr dessen, was man „Meiningerei“ nennt, hat sich Grube noch nicht entwunden; er steckt noch zu tief in der Schule. Wir erwarten von ihm das volle Maß seiner Kunst erst dann, wenn er die werthvollen Meininger Bildungseinflüsse völlig verarbeitet und sich zu freier Entfaltung seiner eigenen Anschauung durchgerungen haben wird.

Das, was er selbst aus seinem eigenen Wesen hinzubringt, ist [825] eine scharfe Verständigkeit. Grube vereinigt eine gediegene Geistesbildung mit einem durchdringenden und anschmiegsamen Verstande. Er faßt die Gedanken eines Grillparzer ebenso sicher wie die eines Schiller. Im Schauspielerischen führt ihn diese Fähigkeit zur Pflege des Charakteristischen, bei sich selbst wie bei andern. Der wie ein schwerer Strom hinfließende, alles in Rhythmus ertränkende sogenannte „Idealstil“ ist ihm zuwider. Ihm selber spielt freilich sein Scharfsinn oft gar üble Streiche. Als Schauspieler grübelt er zu viel. Sein Hamlet, sein Shylock, sein Franz Moor, sein Kaliban, sein Narziß, sein Richard III, sein Bancban, vor allem sein Mephisto, sie haben alle einen gemeinsamen fatalen Grundzug: sie sind erklügelt, des Gedankens Blässe haftet ihnen an. Aber nicht zu leugnen ist’s: es ist eine interessante Blässe. Man freut sich dieses Darstellers tiefster Charaktere, weil man sich sagt: der Mann hat sie verstanden, den Dichter und sein Geschöpf, und er hat den Muth, seine Einsicht, mag sie noch so kraß der schauspielerischen Gewöhnung widersprechen, in That umzusetzen.

Gleichzeitig ist Grube jedoch viel zu klug, um die Klugheit an anderen zu überschätzen. Er weiß ganz gut, daß der Schauspieler mit Klugheit allein eben nicht weit kommt, und so ist der Anhaltspunkt, wonach er das Talent eines Kunstjüngers bemißt, nicht der Vortrag einer Rede, sondern – der Schrei. Wer seines Inneren gesammelte Gefühle in einen Schrei zusammenzupressen vermag, das ist ein Schauspieler. Mit dieser Ueberzeugung steht er im Berliner Schauspielhaus formend und umformend vor einem Kunstkörper, in dem das Verschiedenartigste sich zusammenfindet. Altes neben Neuem, Recitatoren neben Charakteristikern, Männer der reinen Uebung neben natürlichen Talenten, Pensionäre neben frischem Blut. Keine leichte Arbeit mit einem Ziel vor Augen, das erst die langsam schreitende, Altes allmählich entwurzelnde Zeit zu erreichen helfen kann!

Hamlet.   Shylock.   Franz Moor.
Max Grube.

Noch einige Worte über Grubes äußeren Lebensgang. Er ist in Dorpat geboren, seine Mutter war eine Polin. Das Deutsche erlernte er erst in seinem vierten oder fünften Jahre, als er nach Breslau kam, wo er auch das Gymnasium besuchte. In seinem zehnten Jahr war er zum ersten Mal im Theater; der „Freischütz“ wurde gegeben, am nächsten Tage wußte er das Textbuch auswendig. Damals schon schwärmte er dafür, Schauspieler zu werden; vor der Hand begnügte er sich jedoch, ein leidlicher Schüler zu sein, E. T. A. Hoffmann und Schiller zu verschlingen, litterarische Kränzchen zu gründen und unter Beihilfe des alten Holtei eine Tragödie zu schreiben. Mit 18 Jahren ließ sich Grube von Professor Bürde in Dresden, dem Gatten der Bürde-Ney und Lehrer am Konservatorium, auf seine schauspielerischen Fähigkeiten prüfen. Der gütige Herr rieth nicht ab, aber die meist aus Pastoren und Justizräthen bestehende Familie Grubes war entsetzt über des ungerathenen Sprößlings Absicht, unter die Komödianten zu gehen. Die Folge war: der unternehmungslustige Max ging durch. Er reiste mit der kleinen Summe, die er sich in Breslau durch Privatstunden erspart hatte, geradeswegs nach Meiningen und empfahl sich hier in einem langen bangen Schreiben voll Herzensqual und heimlichen Stolzes der gütigen Frau Wiedmann, die den Brief dem Herzog zeigte. Grube wurde stracks gegen 40 Gulden monatlich angestellt, galt übrigens als guter Briefstilist und schlechter Schauspieler. 1873, beim ersten Gastspiel der Meininger in Berlin, sprang er für einen erkrankten Kollegen als Junker Fabio in „Was ihr wollt“ ein und gefiel; die 40 Gulden steigerten sich auf 75 Gulden, aber weitere Anerkennung wollte nicht kommen. „Gehen Sie Holz hacken“, rieth ihm Direktor Grabowski. Beim zweiten Berliner Gastspiel 1875 verließ er die hoffnungslose Stellung und ging nach Pyrmont, wo er Nachfolger Lautenburgs, des jetzigen Direktors des Berliner Residenz-Theaters, in Charakterrollen wurde. Direktor Borsdorff, der außer in Pyrmont auch in Detmold, Osnabrück, Münster, Bielefeld, Dortmund spielte, hatte es darauf abgesehen, die „Meininger“ nachzuahmen, wobei er sich der guten Dienste Grubes erfreute. Mit Borsdorff ging Grube noch 1875 nach Lübeck, wo er im Hause Geibels gastlich aufgenommen wurde und bleibende litterarische Eindrücke empfing. In Lübeck diente Grube sein Jahr ab, während dessen er übrigens mit Erlaubniß seiner Vorgesetzten weiter spielen durfte; hier lernte er auch seine nachmalige Gattin Fräulein Leisch kennen, die im „Hamlet“ seine Ophelia war. 1877 kam er nach Bremen, verkehrte viel mit Arthur Fitger und Bulthaupt und führte zeitweise die Oberregie. 1881 ging er nach Leipzig, hier „fühlte er sich reif werden“. Später kam ein Ruf nach Dresden ans Hoftheater, wo er sich jedoch nicht in die herrschende deklamatorische Manier finden konnte. So kehrte er 1885 ans Hoftheater nach Meiningen zurück, wo er verblieb, bis ihn 1888 Direktor Anno für das Berliner Königliche Schauspielhaus verpflichtete, dessen Leitung er zwei Jahre später übernahm.

Auch litterarisch hat sich Grube versucht. Mit Koppel-Ellfeld schrieb er ein Schauspiel „Hans im Glück“. Allein verfaßte er einen Einakter „Strandgut“ und ein fünfaktiges Trauerspiel, welches das tragische Geschick des genialen schlesischen Dichters Christian Günther behandelt, ferner ein Festspiel „In des Kaisers Schutz“ und ein Büchlein voll Gelegenheitspoesien „Im Bann der Bühne“. In Bälde soll auch ein Band gesammelter Gedichte von ihm herauskommen.

So steht er schaffend, anregend und organisierend auf einem Posten, der dem schärfsten Urtheil ausgesetzt und offener und verborgener Schwierigkeiten aller Arten voll ist. In frischer Manneskraft ist er vor eine Aufgabe gestellt, wie sie einem Bühnenleiter in Deutschland nicht leicht zufallen kann; bleibt er ihr wie bisher gewachsen, so ist er früh zu einem reichen Dasein auserlesen gewesen, in dem er sich mit allen seinen Fähigkeiten voll auszuleben vermag. Otto Neumann-Hofer.