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Deutsche Colonisation in Palästina

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Textdaten
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Autor: Richard Kiepert
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Titel: Deutsche Colonisation in Palästina.
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. S. 375–376
Herausgeber: Wilhelm David Koner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons Google
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Deutsche Colonisation in Palästina.
Jaffa, Ende Mai 1870.

Etwas älter als ein Jahr sind die ersten Anfänge einer Colonisation in Palästina, die, von Deutschen unternommen, wohl das Interesse ihrer Landsleute in Europa erwecken kann. Sie geht aus von einer religiösen Secte, dem „Tempel“, der besonders in Würtemberg Verbreitung hat, wie denn auch in sämmtlichen Colonien der schwäbische Dialect dem Besucher entgegenklingt. Ueber die religiösen Anschauungen dieser Leute etwas zu sagen, ist hier nicht der Platz: uns interessirt das Statistische, ihr materieller Zustand.

Schon beläuft sich die Zahl der unter norddeutschem Schutze stehenden Ansiedler auf nahe 200 Seelen, die fortwährenden Zuzug erfahren. Das Unternehmen beruht auf solider Basis; denn die Colonisationskasse des „Tempels“ enthielt schon im September 1869 fast ¼ Million Franken, zu 9 Zehntheilen Einlagen der Mitglieder, die ihr Vermögen auf diese Weise anlegen. Der Untergang zweier früheren Colonien, einer deutschen in Samunieh bei Nazareth und einer amerikanischen in Jaffa, deren Mittel unzulänglich waren, hat die Theilnehmer dieser zweiten Unternehmung gewitzigt: man nahm zuerst Bedacht auf Beschaffung hinreichender Geldmittel, dann auf Auswahl gesunder Ortslagen. An vier Orten haben sich bis jetzt Anhänger des „Tempels“ niedergelassen, in Jerusalem, Beirut, Haifa und Jaffa.

Ihre Zahl beläuft sich in Jerusalem auf circa 25 Seelen, bis auf 3 Familien von zusammen 10 Personen lauter ledige Handwerker, die in der Stadt zur Miethe wohnen. Den Nutzen dieser Schlosser, Schneider, Schuhmacher, Sattler, Tischler, Drechsler u. s. w. sowohl für die 190 europäischen Bewohner der heiligen Stadt, als für die zahlreichen Reisenden wird jeder ermessen können, der einmal bei eintretenden Defecten in seiner Ausrüstung einem arabischen Arbeiter in die Hände gefallen ist.

In Beirut befindet sich eine gleiche Zahl dieser Leute wie in Jerusalem, davon 5 Handwerker, der Rest Dienstmädchen, stets in festem Zusammenhange mit ihren Landsleuten.

Die größte Anzahl aber sitzt bei Haifa, an 70 Personen stark, die meist dem ackerbauenden Stande angehören. Diese Ansiedlung ist erst im Werden begriffen; ihr Anfang datirt aus dem September des vorigen Jahres. Für die [376] 12 dort befindlichen Familien werden bis Ende dieses Jahres 12 steinerne Häuser fertig gestellt sein. Schon steht die Hälfte davon, sowie auch das Gemeindehaus, das als Kirche und Schule dient. Schon ist eine Schule im Gange, wo ein Lehrer etwa ein Dutzend Kinder der Colonisten und etwas mehr arabische Kinder unterrichtet. Für eine höhere Schule, wo Handwerke, Ackerbau, sowie Sprachen, Geographie u. dergl. gelehrt werden sollen, sind schon einige Lehrer berufen; ja, schon haben sich einige ältere Araber angemeldet, die ebenso wie die Kinder eine große Gelehrigkeit im Erlernen der deutschen Sprache zeigen. – Bis jetzt besitzt die Colonie nur 50 Morgen Land zu Gärten; sie hat von größeren Ankäufen vorläufig Abstand genommen, weil ihr der Vali von Damaskus bedeutende Landschenkungen in Aussicht gestellt hat. Mit Viehzucht hat sie bereits begonnen; baldmöglichst sollen Ackerbau, Waldanpflanzungen, Weinbau nachfolgen. Zu letzterem begleiteten Neckarreben die Ansiedler in den Osten, wie überhaupt Geräthe und Sämereien jeder Art. Hoffentlich wird dann bald Karmelwein sich dem von Deutschen bereiteten Jerusalemer und Betlehemer zur Seite stellen und dem scheußlichen Getränke gegenüber, das die Juden in Tiberias durch Kochen der Trauben gewinnen und als Wein verkaufen, der palästinensischen in der Bibel so gerühmten Weincultur wieder zu Ehren verhelfen.

Wohl am schönsten aber liegt die Colonie bei Jaffa inmitten der Gärten, die ½ deutsche Meile weit die Stadt rings umgeben. Da erheben sich zwischen reich bewässerten Granat-, Apfelsinen-, Citronen- und Orangengärten, welche riesige Opuntienhecken umgehen, auf einem Hügel etwa 10 Minuten nördlich von der Stadt, die zwei- und dreistöckigen, villaartigen Häuser der Colonie, die fertig gezimmert von den einstigen amerikanischen Ansiedlern 1866 aus ihrer Heimath Maine mitgebracht worden waren.

Hier wohnen in 6 Häusern an 60 Personen, davon 2/3 ledige Leute und 5 Familien. In der Mitte erhebt sich die kleine Kirche, zugleich als Schule dienend, an welcher zwei Lehrer unterrichten. Ihr gegenüber liegt das Hotel des Hrn. Hardegg, ein vortreffliches, wohl verwaltetes Haus, das einem wirklichen Bedürfniß abgeholfen. Eigenthum der Colonie ist auch ein kleines Spital in der Stadt mit 6 Betten, sowie eine Dampfmühle. Die Ansiedler sind meist Handwerker; einige auch Landleute, denen bis jetzt circa 100 Morgen Land nördlich der Stadt und ihrer Gärten gehören und die im Begriff sind, diesen Besitz weiter auszudehnen. Hier gedeiht im Winter jegliches Gemüse, wie denn bis jetzt Kopfsalat, Rettig, Bohnen, Erbsen, Linsen, Rüben, Kartoffeln, Spinat, Kraut, Blumenkohl etc. mit Erfolg gezogen wurden. Wenn erst die aus zahlreichen Quellen und Brunnen zuspeisende Wasserleitung vollendet ist, so wird dadurch während des ganzen Jahres der Gartenbau ermöglicht. Die gesunde Lage Jaffa’s, die kühlende Nähe des Meeres, der Wasserreichthum wird hoffentlich dieser Colonie zu günstigem Erfolge und ihren Bewohnern zu dem gleichen Ansehen verhelfen, dessen ihre Genossen in Jerusalem genießen, die als die fleißigsten und zuverlässigsten Bewohner der Stadt gelten.

R. Kiepert.