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Die Insel S. Vicente

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Textdaten
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Autor: Carl Martin
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Titel: Die Insel S. Vicente
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 5. Band. S. 372–375
Herausgeber: Wilhelm David Koner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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[372]
Die Insel S. Vicente.
Von Dr. Carl Martin,
Arzt in Puerto Montt.

Die Insel S. Vicente ist die letzte Kohlenstation nördlich vom Aequator, und hier versorgen sich alle nach den südlichen Küsten des atlantischen Oceans bestimmten Postdampfer für ihre weitere Fahrt bis zu den nächsten Kohlenstationen in Pernambuco, Bahia, Rio, Montevideo, Buenos Ayres oder die Capstadt mit Kohlen. Die capverdischen Inseln, zu denen auch S. Vicente gehört, bilden klimatisch zwei Gruppen, eine östliche aus den Inseln „Sal, Alayo, Boavista und Santiago“, und eine westliche aus den Inseln „Saõ Antonio, Saõ Vicente, Santa Luzia, Saõ Nicolas, Brava und Fuego“ bestehend. Nach dem Bericht des englischen Consuls in S. Vicente, John Rendale (Guide to the Cap de Verd Islands, London 1861) sind die östlichen Inseln alle unfruchtbar, heiß, dürr und sehr ungesund, sowie ohne gutes Wasser, wie sich dies aus ihrer Nachbarschaft zur Sahara, von wo stets die heißen Passatwinde herüberwehen, leicht erklären läßt; die westlichen mehr in den Ocean hinausgelegenen sind hingegen fruchtbarer, kühler und etwas feuchter. In der That dienen die östlichen Inseln Sal, Mayo und Boavista hauptsächlich zur Salzgewinnung, indem dort das Meerwasser in den Felsenklüften von der Sonne direct ausgetrocknet wird; wegen gänzlichen Regenmangels ist eine Auflösung des Salzes durch Regen nicht zu befürchten. Der furchtbar öde und wüste Eindruck, den die westlichen Inseln, wenigstens das am meisten besuchte S. Vicente, auf den Reisenden machen, läßt einen Schluß ziehen auf den unwirthbaren, der Sahara näher liegenden östlichen Inselgruppe. S. Vicente ist die einzige Insel unter den Capverden, welche einen vor den Wogen und meist vor den Winden geschützten Hafen besitzt und der zu allen Jahreszeiten besucht werden kann, wenigstens einige Erfrischungen darbietet und gesund sein soll. Dadurch, daß an dem Nordwestende der Insel sich zwei Felsreihen weit in den Ocean hineinerstrecken, die eine mehr als halbkreisfömige abgerundete Bucht einschließen, wird der Hafen gebildet, welcher noch durch einen vorliegenden steil emporstrebenden Felsen „Ilha dos Passaros“ (Vogelinsel) genannt, abgeschlossen wird. Die Bucht, welche über eine englische □Meile groß sein mag, wird außerdem noch durch die etwa eine deutsche Meile weit entfernte hohe langgezogene Insel Saõ Antonio nach Norden und Westen hin geschützt. Da nun auf der anderen Seite der Hafen selbst durch hohe Berge geschützt ist, so dringt eigentlicher Sturm von keiner Seite herein, wenn auch fast fortwährend von jenen Bergen heftige kühle Windstöße, besonders von Osten herabkommen. Zwischen den beiden Inseln können nun die Dampfer bequem von Europa herein und auf der südamerikanischen Seite wieder hinausfahren und sich im schönen, tiefen Wasser vor Anker legen. Allerdings haben sie von ihrem Ankerplatz einen ziemlichen Weg bis zu den Kohlenschuppen, von denen aus ein hoher mit Schienen versehener Damm in die See hineingebaut ist. Gegenwärtig wird von der Felsenecke unter dem Fort ein zweiter Damm in die Bucht hineingebaut, so daß alsdann die Dampfer unmittelbar vom Lande aus die Kohlen einnehmen können, während dieselben jetzt ihnen mittelst zahlreicher großer eisenbeschlagener Leichtern zugeführt werden, die entweder von einem kleinen Dampfer oder von Kähnen, die von Negern [373] gerudert werden, bugsirt werden. Dutzende solcher Leichter liegen in der Bucht stets beladen. Auch von anderen Schiffen ist der Hafen belebt; so ankerte dort eine große russische Bark, welche mit Kohlen beladen war; daneben lag ein schmucker amerikanischer zur Walfisch- und Robbenjagd ausgerüsteter Schooner. Außerdem sahen wir noch den kleinen portugiesischen Schooner, der täglich nach Saõ Antonio hinüberfährt und Proviant holt, und einen großen portugiesischen Postdampfer, welcher monatlich von Loanda her über Saõ Vicente nach Lissabon fährt. Auch erwartete man stündlich zwei französische Postdampfer von und nach Südamerika. Fast täglich laufen Dampfer hier ein, um ihren Kohlenbedarf von oft mehreren Hundert Tons (1 Ton = 10 Ctr.) einzunehmen. Die Ton von den besten englischen Cardiffkohlen kostet in England höchstens 15 Schilling, in S. Vicente aber 40–50. Die Fracht macht allerdings zwischen 15 u. 20 Schilling aus; es verdient mithin der Händler, ein Herr Müller, in S. Vicente an jeder Tonne wenigstens 5 Schilling, sogar meist vielmehr. Derselbe hat übrigens keine Concurrenz zu fürchten, da er den ganzen brauchbaren Strand angekauft haben soll. Allerdings hat er diesen, sowie den Damm, die Kohlenschuppen, die Leichter, den Bugsirdampfer anzukaufen gehabt und zu unterhalten, aber in dem gleichmäßig trocknen Klima ist letzteres wohl nicht schwer. Auch besoldet er eine Anzahl Commis, englische Arbeiter und Aufseher, sowie viele Dutzende von Schwarzen, ja, eigentlich lebt die ganze Insel von ihm. Die übrige Bevölkerung besteht, außer den portugiesischen Autoritäten, nur aus einer Anzahl portugiesischer Krämer, die von dem Schiffs- und Kohlenverkehr leben, und aus etwa 2000 Negern, von denen etwa 100 noch Sklaven sind. Die meisten leben in der Stadt von Kohlen- und Schiffsarbeit, die anderen zerstreut auf der Insel. Jene portugiesischen Autoritäten bestehen aus einem Hafenmeister und einigen Zoll- und Postbeamten, sowie einem Geistlichen. Die Subalternbeamten, Zollwächter und Soldaten sind alle Neger und sprechen nur portugiesisch. Außerdem giebt es noch einen englischen Consul und einen von der portugiesischen Regierung mit 600 Dollars besoldeten schweizer Arzt, Dr. Salis, der früher in Mozambique stationirt war. Da letzterer von jedem einfahrenden Schiffe ein Pfund Sterling erhält und ein kleines Gehalt (80 Dollar) von dem englischen Comptoir bezieht, so mag er sich jährlich auf einige 1000 Dollars (portugiesische Milreis) stehen. Die Oberbehörden für die capverdischen Inseln, sowie der eine Bischof, wohnen in Praga Grande auf Santiago, ein zweiter Bischof auf Saõ Nicolas. Da aber Praga Grande ein außerordentlich ungesunder, besonders von perniciösen Wechselfiebern heimgesuchter Ort sein soll und keinen guten Hafen besitzt, so stehen alle diese Behörden im Begriff, nach S. Vicente überzusiedeln. Deshalb werden hier mehrere große Gebäude mit großen kühlen Parterreräumen und hohen Fenstern aus großen Lavaquadern, wie sie die Insel reichlich liefert, gebaut. Das eine für den Zoll und die Post bestimmte Gebäude ist bereits fertig, ein anderes soll für die Regierung bestimmt sein und ein drittes, alle anderen überragendes wurde mir als künftiges Hospital bezeichnet. Sonst enthält die Stadt nur einige freundliche, den Engländern und dem Dr. Salis gehörige Häuser, meist mit Verandas und kleinen Vorgärten. Außerdem befinden sich hier ein Paar zweistöckige von portugiesischen Kneipen und Kramläden besetzte Häuser, sonst aber nur elende kleine viereckige Hütten mit einer kleinen Thüröffnung, die übrigens [374] meist blendend weiß, gelb oder roth angestrichen und mit glänzenden Ziegeldächern oder dürren Binsen gedeckt sind, sämmtlich aber in regelmäßig bezeichneten Straßen erbaut. Da es nie regnet, giebt es weder Moos noch irgend eine Unreinlichkeit. Am Zollhause befindet sich auch der Platz Dom Luiz, auf dem einige Palmen ihr kümmerliches Dasein fristen. Außerhalb der Stadt sieht man nur noch Steinhaufen, welche Hütten darstellen. Diese finden sich auch in den tiefen Thalschluchten, wo an einzelnen Wasserpfützen gelb- und rothblühende dickblättrige Stauden einer goldregenartigen Pflanze sich hinziehen, hie und da auch mimosenartige Sträuche. Etwas Gras steht auch auf den allmorgendlich bethauten Basaltkuppen und Tuffrücken, die einige hundert Fuß hoch sich vielfach durch die Insel hinziehen und auf ihren Gipfeln Kandelaber-Euphorbiaceen tragen. Wenn man dann noch die bräunlichgrünen Wachholdersträuche hinzuzählt, die sich auf den flachen Sandflächen bei der Stadt finden, so giebt das ein Bild der Vegetation, die ich bei meinen Streifzügen auf der Insel zu Gesicht bekam, und ist es natürlich, daß diese spärliche Vegetation kaum hinreicht, um den wenigen mageren Rindern und Eseln Nahrung zu liefern. Freilich sollen viele Stellen sich mit Grün bedecken, wenn es, wie in den Monaten August bis December in manchen Jahren vorkommen soll, regnet. Auch soll die Vegetation etwas üppiger sein und sich bis zu Bananenhecken und Maisfeldern auf dem flachen Gipfel des alle übrigen weit überragenden Berges der Insel erheben, welcher allerdings fortwährend von weißen Wolken bedeckt und umzogen ist. Sonst sieht die ganze Insel nur schwarz und roth aus. Schwarz sind die Basalt- und Lavaberge, roth in manchen Schattirungen die Schutthügel, Tuffrücken und Trümmerhaufen, die sich um jene herumlagern. Dunkelrothbraun ist der Sand, in dem man überall, mit Ausnahme jener Berge und der Uferklippen, herumwatet. Auffallend waren mir an manchen Stellen weiße weithinsichtbare Adern an den Bergen, die sich auch bei näherer Besichtigung als oberflächliche Ablagerungen, ganz ähnlich dem Kesselsteine unseres Dampfers, erwiesen; ferner an fast allen Steinstücken große schwarze krystallartige Einsprenglinge, wie der Olivin in den deutschen Basalten und ganz schwarz.

Von wilden Landthieren sah ich nur kleine schwarze Geier, den brasilianischen Urubus ähnlich (ich glaube nicht, daß ich mit ihnen Krähen verwechselt habe) und einen braunen, großen Bussart oder Falken. Die kleinen sperlingsartigen Vögel, die bei meinem vorigen Besuche, Juni 1862, die Wachholderbüsche neben der Stadt belebten, waren diesmal nicht zu bemerken. Sehr belebt ist dagegen der überaus interessante Strand. Da sitzen die großen vielfach zu rundlichen Bassins ausgehöhlten und mit weichem frischhellgrünen Tang überdeckten Klippen voll von Napfschnecken (Patella, Fissurella), Mantelschnecken (Chiton). In den Ecken haben sich große Seeigel (Echinus) mit ihren langen, spitzen, dunkelpurpurnen Stacheln eingenistet, und neben ihnen breiten wunderbar rothe See-Anemonen ihre zarten Fühler nach den durchsichtigen Gamarren aus. Hebt man einen von den vielen großen aus zusammengebackenem Sande bestehenden Steinen auf, so entwickelt sich da ein buntes Leben von niederen Seethieren und kleinen Fischen, welches gewiß jeden Zoologen in Entzücken setzen dürfte.

Schließlich bemerke ich noch, daß die oben erwähnte Schrift des englischen Consuls, aus der ich für einige dieser Beobachtungen eine Bestätigung fand, eine [375] Menge unwahrer Dinge enthält, besonders aber ganz falsche Preise für die Schiffsbedürfnisse angiebt, so daß unser Capitän dadurch leider sehr irre geführt worden ist. Es ist auf den Inseln Nichts gut und billig zu haben, selbst Trinkwasser ist sehr theuer und sehr salzig, und zum Kochen völlig unbrauchbar. Auch alle europäischen Artikel haben kolossale Preise, da sie durch den Zoll unmäßig vertheuert werden. So kostet ein Pfund ganz ordinärer Seife (für die Feuerleute und Kohlenschaufler) etwa einen Schilling, da der Zoll ebenso hoch ist als der ursprüngliche Preis, die Flasche Sodawasser 8 Pence, die Flasche Bier 3 Schilling etc.