Deutsche Männer (Die Gartenlaube 1861)

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Autor: Unbekannt
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Titel: Deutsche Männer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21–22, S. 332–334; 346–349
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen an den Tiroler Freiheitskampf 1809
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Deutsche Männer.

Tyrol hat stets an den Kämpfen Deutschlands gegen seine Feinde einen thätigen Antheil genommen; vor dem Ruhme des Jahres 1809 treten jedoch alle früheren Ereignisse in den Hintergrund, und auch in diesem Jahre fällt der Glanz hauptsächlich auf Hofer’s Waffengefährten, welche mit ihm bei Sterzing und auf dem Berge Isel kämpften. Und doch giebt es noch viele Stätten, wo Heldenblut floß, noch manche Männer, deren mächtige Gestalten, welche ein langer fauler Friede vergaß, wieder vor das deutsche Volk hintreten sollten, denn auch jetzt droht ein Feind gleicher Art, gleichen Namens, noch gefährlicher durch seine List als sein Genie.

Der Leser lehnt es vielleicht nicht ab, mir in das schöne Unterinnthal zu folgen, dorthin, wo an der Grenze gegen Salzburg die Felsen näher zusammenrücken und den berühmten Paß Strub bilden. Zuerst trinken wir zu Waidring auf der Post einen Schoppen rothen Tyrolerwein; auf dem Hausflur hängt ein Oelgemälde, mit mehr Fleiß als Kunst entworfen stellt es die Gefechte dar, in welchen die Bauern, während die österreichischen Generäle Böcke schossen, ihren heimathlichen Boden mit einem Muthe vertheidigten, der ihnen gewiß einen Ehrenplatz neben den bewunderten Heroen Griechenlands anweist. Schon zu Waidring ist das Thal enger, rechts und links erheben sich waldige Berge, deren unersteigliche Felsengrate wie Mauerkronen emporragen. Einer derselben ist die Kammerkar, berühmt durch ihre Fernsicht und den Reichthum an Versteinerungen, welche in einem schönen rothen Marmor eingeschlossen sind, der für alle Kirchen der Umgebung das Material zu Säulen und Nischen lieferte. Folgt man dem Bache, so schließen sich die Kalkberge immer enger wie Coulissen einer ungeheuren Bühne, man kann von einem Abhang zum andern leicht mit einem Steine werfen, das Wasser überspringt schäumend die haushohen Felsblöcke, und nur die Straße hat noch spärlichen Raum gefunden. Dort, wo sie am engsten ist, steht ein Kirchlein, nebenan ein alter morscher Thurm, von dem eine zerbröckelnde Mauer den Berg hinaufläuft. Das ist die Thalsperre von Strub. Noch eine kleine Strecke vorwärts, und es erhebt sich eine steinerne Säule, rechts mit dem Adler von Tyrol, links mit dem Wappen von Salzburg. Von hier kann man in einer halben Stunde den Markt Lofer erreichen; auf dem Wege aber, den wir plaudernd zurückgelegt, stürmten die Franzosen unter Lefèbvre und Wrede tagelang vergeblich gegen die Tyroler, deren lautes Jauchzen von den Felsen wiederklang, ein kühner Jubelgesang der Freiheit, welche den wackern Männern auch später nicht blühen sollte. Damals waren die Zeiten des Rheinbundes, der tiefsten Schmach und Erniedrigung, und unsere Bauern dichteten das wilde Trutzlied:

Schämt euch, Baiern und Niederland
Und ihr Deutschlands falsche Bürger,
Man heißt euch nur Menschenwürger,
Euch bleibt ewig eure Schand’!

Man schießt nicht mit sanften Rosen
Auf euch her und die Franzosen,
Denn man nimmt das grobe Blei
Und bleibt wie das Gold getreu.

Es war am 1. November 1805. Gewöhnlich sind die Herbsttage im Hochgebirge weit schöner als der Frühling, wo das Wetter unbeständig wechselt und oft wochenlang der Regen niederströmt. Mit voller Klarheit spannte sich der Himmel von Berg zu Berg, sein tiefes dunkles Blau deutete bereits den Eintritt des Scirocco an, dessen Stürme stets den Schneemantel über die Alpen breiten. Im Passe Strub herrschte reges Leben, durch das Fallgitter des Thurmes lugten zwei Kanonen, etwas rückwärts waren Pferde an den Bäumen angebunden, die Dragoner hielten ihnen entweder in den Körben das Futter vor oder putzten das Riemzeug; weiter rückwärts, wo das Thal etwas breiter wurde, waren lässig einige Bataillone österreichische Infanterie aufgestellt, man mochte etwa 1500 Soldaten zählen. An den Abhängen des Berges lungerten Schützengruppen, theilweise in Hemdärmeln, die Pfeife im Munde oder erzählend von dem und jenem, denn es waren hier durch den Waffenruf Bekannte versammelt, welche sich oft jahrelang nicht gesehen. In die Schützencompagnien wurden damals nur solche Männer aufgenommen, welche beim Scheibenschießen mehrmals im Tage das Schwarze trafen, die anderen dienten als Landsturm, der mit Morgensternen drein schlagen mußte, wenn es zum Handgemenge kam. Eine solche Waffe wurde vor einigen Jahren im Strubpasse gefunden, sie wird jetzt im Museum zu Innsbruck aufbewahrt; es gehörte ein starker Arm dazu, sie zu handhaben. Jetzt ist es mit den sogenannten Tyroler Schützencompagnien anders, da wird jeder, der sich oft nur des hohen Soldes wegen meldet, eingereiht, gleichviel ob er schießen kann oder nicht, und so läuft Alles kunterbunt durcheinander. Die Scheibenschützen sind meistens wohlhabende Leute, welche ihren gutgenährten Leib weder den Strapatzen, noch auch feindlichen Kugeln aussetzen mögen und daher lieber Geld zahlen als ausmarschiren. Minister Bach hat das letzte Flämmchen des Patriotismus ausgelöscht, und so ist es ein Glück, daß unsere Compagnien mit den Schaaren Garibaldi’s nicht in Kampf geriethen, der rothe Tyroler Adler wäre schändlich gerupft worden, wie mir Schützen selbst vor zwei Jahren am Gardasee sagten. Wenden wir uns zu einer bessern ruhmvollen Vergangenheit.

Auf einem Platze, wo man ein gutes Stück Weg übersehen konnte, stand der österreichische General Julien und Hager, der Wirth von Kirchdorf, ein Mann im kräftigsten Alter, der Zeit Anführer der Schützen seines Bezirkes. Er schnallte am Säbelgurt, man sah es ihm an, daß er diesen Schmuck nicht gewohnt war und viel lieber nach Art der Bauern die breite Lederkatze mit den weißen Stickereien über dem Bauche trüge. Plötzlich rannte athemlos ein Schütz des Weges daher und rief: „Was thut’s denn da? Die Oesterreicher sind z’Lofer davong’laufen, und die Boarn rucken an, daß all’s blau ist wie Flachsfeld, wenn’s blüht.“ Einige flüchtige Soldaten bestätigten die Sache, und so galt es, sich für den nächsten Morgen vorzubereiten. Das kaiserliche Militär wurde auf die Straße gestellt, die Schützen vertheilten sich rechts und links zwischen Felsen und Bäumen. Als der Morgen graute, eröffneten zwölf Kanonen das Feuer gegen den Paß, schadeten jedoch den Vertheidigern nichts, denn die Kartätschen erreichten denselben kaum und die Vollkugeln gingen zu hoch und rissen nur Bäume ab. Bald rückten auch die leichten Truppen des Feindes vor, und nun begannen die Schützen das Concert, so daß alle Artilleristen fielen und die Soldaten in der Eile die Kanonen zurückziehen mußten. Da ritt General Deroi daher, um den Paß zu beobachten; der Schütze Empl aus St. Johann erblickte ihn, sein Stutzen krachte aus dem Wald, und jener sank schwer verwundet vom Rosse.

Nun wollten die Baiern nicht mehr vorwärts; da die Schützen bei Tage zu scharf zielten, so beschloß man nach Anbruch der Dämmerung einen Angriff zu versuchen. Die Tyroler merkten das, fällten quer über die Straße Bäume als Verhau, während der Landsturm rechts und links an den Felsenwänden Steinblöcke und Holzprügel in Bereitschaft hielt, um sie auf den Feind zu rollen. Die Baiern stürmten gegen beide Flügel und suchten die Tyroler zu umgehen, denn hoch im Gebirge führt ein Fußsteig in den Rücken des Passes Strub, wo nur ein Mensch nach dem andern fortkommen kann. Hager hatte ihn jedoch vorsichtig durch einen Schwarm Sturmmänner verlegt, so daß die Baiern unvermuthet über die Felsen geschleudert wurden. Aus dem Thale donnerten indeß die Kanonen, krachten die Gewehrsalven der Infanterie, von welchen sich die Stutzenschüsse scharf unterschieden; die Berge entlang rollte der Wiederhall, doch plötzlich schien es, als sollten auch sie mit kämpfen, die Felsentrümmer stürzten nieder und das Geheul aus der Tiefe bewies, daß sie getroffen hatten.

Der Feind floh, ermannte sich jedoch noch einmal zu einem Hauptsturm. Da wendeten Tyrolerschützen und österreichische Soldaten, weil sie keine Steinbatterien mehr hatten, eine List an; sie ließen in verstellter Flucht die Straße bis zum Thurme frei, wo die zwei Kanonen standen, und vertheilten sich auf den Abhängen. Der Feind ging wirklich in die Falle und rückte im Sturmschritt vor. [333] Als er vor der Mündung der Kanonen stand, wetterten diese mit Kartätschen in die dicht gedrängte Masse, das Militär und die Schützen entluden ihre Gewehre. Als der Feind sich zur Flucht wendete, hieben die Dragoner ein, so daß die Bedrängten in größter Verwirrung dem Bache zusprangen, um durch sein steiniges Bett, welches einige Deckung vor den Reitern gewährte, zu entrinnen. Dieses war der letzte ernstliche Angriff; denn schon während des Gefechtes fing es stark zu regnen und zu schneien an, daß die Gewehre nicht mehr losgehen konnten, und vor Finsterniß vermochte man auch nicht mehr zu sehen, man schoß daher nur dorthin, wo man Feuer aufblitzen sah und den Feind vermuthete. Die Nacht verging ruhig, denn der Feind, welcher über 2000 Mann todt und verwundet auf dem Platze gelassen hatte, begann sich über Lofer zurückzuziehen.

Zu Mittag kam der Feldmarschall-Lieutenant Chasteler, welcher unthätig mit 5000 Mann, während eine kleine Heldenschaar den Paß vertheidigte, zu St. Johann, nur drei Stunden rückwärts, sich aufgehalten hatte, und belobte – die Schützen, die ihm jedoch über sein spätes Eintreffen nicht viel Schmeichelhaftes sagten. Wir haben hier eine geschichtliche Unwahrheit, welche wohl nicht ohne Absicht verbreitet wurde, berichtiget; Chasteler, der angebliche Held vom Strubpasse, hat bei der Behauptung desselben nicht mehr Verdienst, als die Bauernweiber, welche gleichzeitig die Kühe molken; der Ruhm gebührt Julien, Hager und den Schützenhauptleuten, welche, obwohl sie großen Verlust erlitten, standhaft ausharrten.

Tyrol wurde vom Kaiser Franz an die Krone Baiern abgetreten. Dem hohen Herrn ging die Trennung von den braven Tyrolern gewiß nicht so zu Herzen als diesen von ihm; so mancher verließ, um nicht unter dem verhaßten Feinde zu leben, die Heimath und wanderte nach Oesterreich aus. Hager empfand den Schmerz so tief, daß man ihn von der Zeit an, als er die Abtretung Tyrols erfuhr, weder lachen noch irgend eine Lustbarkeit mitmachen sah; er versank in Trübsinn und starb den 8. Juni 1808 am gebrochenen Herzen. Hätte er doch noch 1809 erlebt! Sein Name würde unter den berühmtesten glänzen, aber freilich blieb ihm auf diese Weise auch die bittere Enttäuschung erspart, welche das treue Tyrol erfahren mußte.

Es war damals eine[WS 1] böse erbärmliche Zeit. Deutsche kämpften gegen Deutsche, Brüder eines Landes mordeten sich unter einander. Das Volk trug nicht die Schuld dieser Nichtswürdigkeiten.

Der Bergpaß Strub bei Waidring

Im Jahre 1809 widerhallten auch diese Berge von Krieg und Kampfgetöse, und es gelang Oppacher, dem Wirth von Jochberg, seinen Namen für immer zu verherrlichen. Er hatte bereits 1805 am Passe Strub gefochten und war hier von einer Musketenkugel verwundet worden; jetzt wählten ihn die Schützen zu ihrem Hauptmann. In den ersten Tagen des Mai verbreitete sich die Nachricht, daß die Franzosen unter Marschall Lefèbvre mit den Baiern, welche Wrede befehligte, die Ostgrenze Tyrols angreifen würden.

Da sie bereits einmal am Passe Strub Schläge geholt hatten, so erwartete man, sie würden die leichter zu überwindenden Stellungen bei Kössen zu erobern trachten, und sandte die meisten Schützen unter dem trefflichen Rupert Wintersteller dahin. Chasteler zog es vor, diesesmal mit seinen 8 Bataillonen Soldaten noch weiter zurückzubleiben als 1805, und stellte sich zu Wörgl am Inn auf. So bestand die ganze Besatzung des wichtigen Passes Strub aus 275 Schützen unter Oppacher, 90 Soldaten, welche ein Lieutenant commandirte, und zwei sechspfündigen Kanonen.

Kaum hatte dieses Häuflein die von den Baiern schon früher zerstörten Befestigungswerke des Passes besetzt und etwa hundert Schritte davon einen Verhau über die Straße gelegt, als auch schon die Nachricht anlangte, daß der Feind in einer Stärke von 15,000 Mann anrücke. Oppacher traf eiligst alle Anstalten zur Vertheidigung und schickte die schnellsten Läufer nach Kössen um Hülfe; Wintersteller beharrte jedoch auf seinem Irrthum, daß die Hauptmacht nicht gegen Strub vordringe. So brach der verhängnißvolle 12. Mai an. Schon um 6 Uhr Morgens rückte Wrede zum Sturm vor und ließ die Stellung der Tyroler mit 12 Kanonen beschießen. Kein Schuß antwortete, denn Oppacher hatte befohlen, daß jeder Schütz nur dann losbrennen dürfe, wenn er völlig sicher sei, seinen Mann zu treffen. Um 8 Uhr waren die baierischen Colonnen formirt und drangen vor. Jetzt krachte es von allen Seiten. „Eine Freud’ ist’s g’wesen“, erzählte mir ein alter Schütz. „Hat man eine Minute auf einen Baiern zielt, so ist es schon zu spät g’wesen, ein Anderer hat ihn derweil schon wegg’schossen. Ganze Reihen sind g’fallen und nachher die andern davon g’loffen.“ So waren bereits zwei Stürme abgeschlagen, aber auch die österreichischen Kanonen verstummten. Der tapfere baierische Artillerielieutenant Gouthy fuhr nämlich so schnell als möglich mit einer Kanone in den Paß, protzte ab und richtete sie selbst so geschickt, daß sogleich eine Haubitze die kaiserlichen Kanoniere tödtete. Deßungeachtet hielten die Schützen aus. Wohl schauten sie sich oft um, ob keine Hülfe komme, da klang helles Jauchzen durch das Thal, und auf einem Wagen stürmte der verwegene Empl mit 20 auserlesenen Schützen daher, jeder so viel werth als 20 Franzosen.

Sie nahmen sogleich am Kampf Theil. Ein Schütz hatte den Einschlag vergessen. Soll nämlich das Blei sicher treffen, so muß es fest im Laufe des Stutzen liegen; es wird daher zu diesem Zwecke in ein Stück Leinwand gewickelt, das man Einschlag nennt, und mit einem hölzernen Schlegel in die Mündung getrieben. Der Schütz zog ohne [334] Weiteres das Hemd aus, riß es in Fetzen und pflasterte damit seine Kugeln. Als er es aufgebraucht, zog er dem neben ihm stehenden kaiserlichen Officier das Hemd aus der Hose und schnitt ohne Umstände ein Stück herab. Die Baiern stürmten noch zweimal, wurden jedoch wieder mit großem Verluste zurückgeworfen. Da machte sich der Jäger Stefl von Reichenhall anheischig, dem General Wrede einen Weg, welcher über die Loferer Alm in den Rücken der Tyroler führte, zu zeigen. Der General brach mit Militär auf, überzeugte sich jedoch bald, daß für Truppen aus dem Flachlande im tiefen Schnee des Hochgebirges nicht fortzukommen sei, und befahl umzukehren. Er zog von der erklommenen Höhe den Vortheil, daß er die Gegend ganz überblicken konnte, wobei er bemerkte, wie schwach der Paß besetzt sei. Auf dem Wege von Waidring nahte nirgends Unterstützung. Da faßte er den Plan, rasch Colonne auf Colonne in den Paß zu werfen und die Tyroler, welche die Seiten nur schwach decken konnten, durch den Stoß der Uebermacht zurückzudrängen. Der Oberst Graf Berchen trat an die Spitze der stürmenden Infanterie, Lieutenant Weigard erstieg mit einigen Soldaten eine Anhöhe rechts vom Thurm, sie beobachteten hier ein unbesetztes Fenster, kletterten hinauf und öffneten von innen das Thor. Die schnellen Schützen schlugen sich im wüthenden Handgemenge durch, erreichten die Berge und entrannen; die österreichischen Soldaten, welche ihnen nicht folgen konnten, wurden gefangen. Der Feind hatte den Besitz des Passes mit einem Verlust von nahezu 2000 Mann erkauft.

Nach einer Reihe von Jahren traf Oppacher mit Wrede auf dem Markt zu Mondsee zusammen, und es entspann sich ein Gespräch, welches der alte Held gern erzählte und Peternader aufzeichnete. Es ist so charakteristisch für den Mann und die Verhältnisse, daß wir es hier wiedergeben.

„Woher seid Ihr?“ fragte Wrede Oppacher.

„Von Jochberg,“ antwortete Oppacher.

„Lebt der dortige Wirth noch?“

„Der bin ich selbst.“

„Also wart Ihr es, der mich 1809 am Passe Strub um so viel Leute brachte?“

„Damals waren halt schwere Zeiten; wir thaten, was wir konnten.“

„Hätte ich gewußt, daß der Paß so gering besetzt war, schnell hätte ich ihn forcirt. Wie konntet Ihr es wagen, mit so wenig Mannschaft solchen Widerstand zu leisten?“

„Wir hatten gute Schützen, hofften von Minute zu Minute auf Verstärkung, die aber ausblieb, und so mußten wir den Paß verlassen, weil wir schon Mangel an Munition hatten und durch Ihre Geschicklichkeit in der Art umgangen waren, daß ich mich nur über die höchsten Gebirge retten konnte.“

„Hätte ich Euch und den Hauptmann von Kitzbüchl damals bekommen, ihr wäret des Todes gewesen.“

„Auf den Tod waren wir schon gefaßt, wir vertrauten auf Gott.“

„Ich wollte schon von St. Johann aus eine Abtheilung Cavallerie nach Kitzbüchl und Jochberg schicken, Eure Auslieferung verlangen und, wenn sie nicht erfolgen sollte, beide Orte plündern und vernichten lassen. Allein der Dechant von St. Johann schilderte Euch so vortheilhaft und bat so rührend um Gnade, daß ich meine Rache aufgab. Später erfuhr ich, daß der Dechant von Euch die Wahrheit gesprochen hatte, daß Ihr mit den Gefangenen gut umgegangen seid und die Verwundeten wie Freunde verpflegt habt. Darum ließ ich meine Rache ganz fahren, sonst wäre es Euch nicht besser gegangen als den Kirchdörfern, wo der tollkühne Wintersteller durch seinen Widerstand das Unglück des Ortes herbeiführte. Jetzt ist Alles vorbei und vergessen, jetzt sehe ich auch ganz anders, als ich 1809 gesehen habe. Ueberhaupt hatte ich die Tyroler immer lieb und sah sie beim baierischen Militär gerne, denn es waren immer so muthvolle und brave Leute.“

Schließlich lud Wrede den Oppacher ein, wenn er wieder nach Mondsee komme, ihn zu besuchen und bei ihm zu essen.

[346] Von Strub weg eilte Oppacher zu Wintersteller, dem er die bittersten Vorwürfe machte, daß er ihn verlassen. Dieser, betroffen durch den Verlust des Passes, eilte mit all seinen Schützen gegen Waidring, fest entschlossen, trotz der mehr als zehnfachen Uebermacht des Feindes den Kampf zu wagen. Ehe wir das Gefecht beginnen, wollen wir unsere Leser mit Wintersteller, der zu den besten Führern der Tyroler gehört, näher bekannt machen. Er stammt aus einer berühmten Familie. Sein Urgroßvater, ebenfalls Wirth zu Kirchdorf, war Commandant des Landsturmes, als 1703 der bairische Kurfürst Max Emanuel in Tyrol eindrang, um sich mit den Franzosen, welche an der Etsch herauf rückten, zu vereinigen. Sein Heer wurde von den Wogen des Aufstandes verschlungen, dabei zeichnete sich Wintersteller vor Allen aus, indem er vier Fahnen und eine große Trommel eroberte. General Heister, welcher, wie die Oesterreicher meistens, erst dann in Tyrol angekommen war, als die Bauern den Feind bereits ausgekehrt hatten, hängte ihm im Auftrage des Kaisers Leopold die große goldene Medaille um.

Sein Sohn zeichnete sich 1742 im österreichischen Erbfolgekrieg für Maria Theresia aus. Der Pandurenführer Trenck, welcher mit seinen Horden im Unterinnthal einquartiert war, unterrichtete ihn in der Kriegskunst. Er rückte mit den Schützen aus und wirkte am 12. Februar bei der Erstürmung Münchens mit. Jubelnd und mit reicher Beute beladen führte Wintersteller seine Schaar zurück; die Beute überließ er ganz seinen Schützen, ja er forderte nicht einmal Ersatz für die ausgezahlten Löhnungen. Die Kaiserin ehrte seine Tapferkeit und Hingebung durch die große goldene Medaille mit doppelter goldener Kette und einen Wappenbrief mit vielen Vorrechten. Er war so stark, daß unter den Bauern noch jetzt von ihm erzählt wird, er sei im Stande gewesen, wenn ein Paar Robler in seinem Hause rauften, mit jeder Hand Einen beim Schopf aufzuheben und so Beide zugleich zur Thüre hinauszuwerfen.

Reich an Ruhm und Unglück war sein Enkel Rupert. Er nahm Theil an allen Kriegen Tyrol’s 1796 bis 1809. Hier begegnen wir ihm wieder zu Waidring. Oppacher rieth bei der großen Ueberzahl des Feindes von jedem Widerstande ab, da hielt der Metzger Vörgöttler eine kühne Rede und entflammte Alle auf’s Neue, um so mehr, als Chasteler sagen ließ, man solle sich nur bis fünf Uhr Morgens halten, dann werde er mit 10,000 Mann eintreffen und man könne den Feind gänzlich aufreiben. An Kämpfern hatte man zur Verfügung etwa 700 Schützen, 1200 Landstürmer und vierzig Weiber, [347] die, mit Gabeln bewaffnet, sich unter ihrer Anführerin Anna Feichtinger freiwillig anschlossen und, als es d’ran und d’rauf ging, verwegen wie der Teufel unter den Feind fuhren. Um 1 Uhr Nachts sammelte Wintersteller die Hauptleute, unterrichtete sie von dem entworfenen Vertheidigungsplane, demgemäß die Schützen die Abhänge des engen Thales standhaft behaupten, die Sturmmänner rückwärts die Unterstützungen bilden sollten. Ihm gegenüber stand Wrede mit 10,000 Mann Fußvolk und Reiterei und sechzehn Kanonen.

Um vier Uhr Morgens fielen die ersten Schüsse, eine bairische Colonne wollte auf der Straße vorrücken, wurde jedoch bald gehemmt; am schärfsten nahmen die Schützen die Kanoniere und Reiter auf das Korn. Der Versuch einer Umgehung wurde durch die Keulenschläge des Landsturms vereitelt, wobei dem Hauptmann Hörl eine Kanonenkugel den Kopf abriß. Nun entbrannte der Kampf auf der ganzen Front sehr heftig. Wintersteller flog auf seinem weißen Rosse, er war nämlich ein sehr gewandter Reiter, hin und her, überall anordnend und befeuernd. Die Schützen krochen bis auf 120 Schritt gegen die Kanonen und zwangen den Feind zweimal sie zurückzuziehen und, weil die Artilleristen erschossen waren, von Infanterie bedienen zu lassen. Da trat allmählich Mangel an Pulver und Blei ein, die Schützen erboten sich zum Sturmlaufen, sie wollten unter die Feinde springen, um sie niederzuschlagen, Wintersteller verbot es jedoch, weil er die kleine Schaar nicht opfern wollte. So wurde es elf Uhr, aber kein österreichischer Soldat ließ sich sehen. Da befahl Wintersteller einen langsamen Rückzug. Am Aberg, wo ein Bergvorsprung sich an die Straße drängt und diese rechts durch Sümpfe eingeengt wird, wollte er noch einmal Widerstand leisten und einen Verhau anlegen. Vergebens! die Baiern waren ihm auf der Ferse. Den Hansl-Bauer holten drei Reiter ein; er sprang über den Straßenzaun und schoß Einen, der einen Hieb nach ihm führte, nieder; dann lief er querfeldein, verfolgt von den zwei anderen, er hatte aber wieder geladen und schoß den zweiten vom Pferde, dann lud er noch einmal und traf auch den dritten. So erlitt der Feind einen starken Verlust.

Während dieses Gefechtes hielt sich der kaiserliche General Fenner zu St. Johann auf. Als er um vier Uhr früh den feindlichen Kanonendonner vernahm, verlor er derart den Kopf, daß er vom Bette aufsprang und sich eine Weile im Pferdestall verbarg. Dann lief er wie toll im Hause herum und warf sich endlich auf sein Pferd und ritt davon. Auf der Brücke lauerte aber ein Schütz, der den Auftrag halte, Niemand durchzulassen. Er hielt Fenner den Stutzen vor. Dieser rief: „Wer hat Euch das befohlen“ – „Unser Commandant!“ war die Antwort. Er entgegnete: „Euer Commandant bin ja ich!“ – „Das ist nicht wahr,“ entgegnete Jener, „denn wärst Du unser Commandant, so würdest Du jetzt, wo schon die Kanonen schallen, nicht davon reiten.“ Da kam der Hauptmann, zu dessen Compagnie der Schütz gehörte, und sagte ihm: „General, Sie hören, in welcher Gefahr die Unsrigen sind. Jetzt wäre Ihr Beistand am nöthigsten. Ich lasse Sie reiten, wenn aber die Sache schlecht geht, so verklagen wir Sie beim Kaiser.“ Fenner entschuldigte sich, er wolle nur Hülfe holen, und galoppirte davon, nicht die Stimme der Ehre, sondern nur die Kanonen hörend. Seitdem geht in St. Johann der Spruch: „General Fenner war ein Flenner!“

Die Feinde waren durch ihren großen Verlust sehr erbittert. Wie man meistens die Erfahrung gemacht hat, waren nicht die Franzosen, welche nur stahlen, was ihre Klauen faßten, fürchterlich, sondern die Rheinbündler, welche oft mit viehischer Grausamkeit wütheten. Sie waren unedel genug, ihrem tapfern Feinde die Habe zu verwüsten und sein Haus anzuzünden. Wintersteller sah es von ferne auflodern und schwur grimmige Rache. Nur die alte Trommel, die sein Großvater von den Baiern erbeutet hatte, ward gerettet. Er rief aus: „So ist’s recht, ich werde darauf den Mordbrennern zur Hölle trommeln!“ Ueber die Barbarei der Baiern, deren Unthaten selbst ihren in Napoleon’s brutaler Schule gebildeten General Wrede empörten, theilen wir den Brief eines Augenzeugen, des Bauer Millinger, mit. „Die eingefallenen Soldaten raubten und plünderten, was sie bekamen, zerhackten und zerschnitten Kästen, Truhen, Kleidungen, schlugen die Fenster ein und ruinirten Alles; selbst in die Gotteshäuser drangen sie, nahmen Meßgewänder und die geweihten Gefäße, zertrümmerten die Orgeln und Kirchenfahnen, erbrachen die Tabernakel, streuten die heiligen Hostien auf den Boden und nahmen Monstranzen und Kelche mit. Die Einwohner waren geflohen. Sie erwischten nur alte Leute, Troddeln und einige Weibsbilder. Jene stachen sie wie Kälber ab, diesen schnitten sie die Brüste heraus, streuten Salz und Pfeffer in selbe, schändeten sie noch halbtodt, stachen ihnen die Augen aus, schnitten ihnen Nasen und Ohren ab und marterten die unschuldigen Menschen auf’s Gräßlichste, bis sie den Geist aufgaben. Zu St. Johann brachten sie die im Spitale befindlichen Troddeln um, einen umwickelten sie mit Baumwolle, zündeten diese an und jubelten seiner Schmerzen spottend. Wir haben die gefangenen Baiern vor vier Wochen gewiß nicht schlecht behandelt, haben ihnen von unserm Geld auf den Weg noch Brod gekauft, das Mittagsessen mit ihnen getheilt, aber mit uns sind sie ganz anders. Doch ich höre auf von diesem Tage zu schreiben, er war der schrecklichste und traurigste meines Lebens.“

Wintersteller, auf dessen Kopf ein Preis von 100 Ducaten gesetzt war, entfloh in’s Gebirge. Als der Feind vorwärts marschirte, wollte er neuerdings die Schützen sammeln und im Rücken desselben den kleinen Krieg anfangen. Der Dechant Wieshofer bat ihn jedoch, der Klugheit Gehör zu geben, damit nicht alles Eigenthum zerstört und Weiber und Kinder dem Verderben preisgegeben würden. Dieser würdige Priester hat durch seine Vorbitte, durch sein starkmüthiges Benehmen das große Dorf St. Johann vom Untergange gerettet. Als die Franzosen am 12. Mai eindrangen, erbittert durch den hartnäckigen Widerstand bei Waidring, befahl Lefèbvre, St. Johann anzuzünden und den Geistlichen, welchen er für einen Hauptaufwiegler hielt, vor der Kirchthüre zu hängen. Wieshofer warf sich auf den Boden und kroch dem Marschall so lange auf den Knieen nach, bis er für die unschuldige Gemeinde Gnade erhielt. Nun stand er auf und dankte; ohne ein Wort weiter zu sagen, war er bereit, den schmählichen Tod zu erleiden, ein wahrer Hirt, der für seine Heerde stirbt. Lefèbvre bewunderte den Muth des ehrwürdigen Greises und ließ das Todesurtheil nicht vollziehen. Unsere Balladendichter suchen so oft nach Stoffen und stöbern alle Ritterburgen durch; in diesen Kriegsgeschichten liegt genug, um zehn dieser Herren vollauf zu beschäftigen.

Der Feind wurde am Berg Isel geworfen und floh aus dem Lande. Neuerdings bot Wintersteller auf Hofer’s Befehl die Schützen auf und half die Festung Kufstein blockiren. Der französische Marschall zog jedoch Verstärkungen an sich, 5000 Mann brachen in das Pinzgau und konnten von hier aus den Vertheidigern der Ostgrenze in den Rücken fallen. Um so gelegener war es Wintersteller, daß der Führer der feindlichen Armee eine Unterredung mit dem Commandanten der Schützen verlangte. Er sandte zwei Schützen ab, welche einen Vertrag schlossen, demgemäß die Tyroler noch in der Nacht abziehen und die Baiern Tags darauf einrücken sollten. Lefèbvre versprach, ohne Jemand ein Leid zuzufügen, schnell vorzurücken, und hat auch Wort gehalten, indem er, als einige Soldaten plünderten, die geraubten Sachen zurückstellen ließ.

Am 1. August wurden 25 der gefährlichsten Tyroleranführer nach Innsbruck vorgeladen, ihnen jedoch Verzeihung und freie Rückkehr zugesichert. Wintersteller machte sich auf den Weg, zwei seiner treuesten Hauptleute begleiteten ihn freiwillig, entschlossen, jedes Loos mit ihm zu theilen. Man stellte sie alle drei dem General Drouet vor, der, nicht Deutsch verstehend, sich ihre Rechtfertigung verdolmetschen ließ und ihnen schließlich, wenn sie noch einmal aufständen, mit einer Pantomime den Galgen drohte. Wintersteller betrachtete er lang und aufmerksam und klopfte ihm, als er ihn entließ, freundlich auf die Schulter. Tags darauf schickte er ihm einen Paß und den Befehl, schnell heim zu kehren, denn schon drohte Hofer vom Brenner herab. Auch diesesmal unterlag der Feind. Am 21. August kam Hofer nach Wörgl und beauftragte Wintersteller, den Oberbefehl über die Schützen der Gegend zu übernehmen. Er gehorchte mit männlicher Entschlossenheit ohne Rücksicht auf die Gefahren, welche ihm an Leib und Leben drohten. Auch Speckbacher traf ein. Am 24. September marschirten sie mit 4300 Mann ab, wovon die eine Hälfte Speckbacher, die andere Wintersteller befehligte, welcher über Kössen nach Unken vorrücken sollte. Der Feind auf dem Kniepaß wurde von Oppacher geworfen und durch ihn die Verbindung zwischen Beiden hergestellt. Er stellte sich dann in einem Wäldchen an der Saale unweit der Straße auf, um sich nach Erforderniß rechts oder links zu wenden. Speckbacher begann den Angriff bei Lofer und drängte den Feind gegen Unken. Auf der Straße empfing ihn Oppacher. Als kein Entrinnen mehr möglich war, warfen die Baiern ihre Gewehre weg. Oppacher selbst erzählt, daß es ihm bei dieser Scene [348] eiskalt über den Rücken lief und ihn der größte Schauder ergriff, als das ihm vielfach überlegene feindliche Militär, welches so tapfer gekämpft hatte, die Waffen niederlegte und um Pardon schrie. „Die Thränen der Rührung traten mir in die Augen, als auf meinen Ruf: „Haltet ein, meine Landsleute! wir geben Pardon; wir wollen Christen sein und sind wehrlosen Feinden Gnade schuldig!“ – meine bei der Erinnerung an die von den Baiern verübten Gräuelthaten zur Wuth gereizten Schützen die Stutzen von der Wange senkten und ausriefen: „Ja, Oppacher, wir wollen Christen sein!“ und sie, anstatt sie für ihre Frevel zu tödten, verschonten und gefangen nahmen.“

Als Wintersteller von weitem das Getöse des Kampfes vernahm, gürtete er sich zum Waffentanze. Der Feind hatte als Schlüssel der ganzen Stellung den Friedhof von Unken verschanzt und sich in die nahen Häuser geworfen, wo er den Tyrolern einen ernstlichen Widerstand bereitete. Da befahl Wintersteller dem Hauptmann Reischer, mit 600 Schützen Sturm zu laufen. Sechs Mal nahm er den Friedhof, und sechs Mal vertrieben ihn die Baiern wieder, und er mußte daher, um sich zu behaupten, neue Hülfe erwarten. So wogte der Kampf hin und her. Da stellte der Feind jenseits der Brücke eine Compagnie und zwei Kanonen auf, wodurch die Tyroler, von einander abgeschnitten, in eine gefährliche Lage gebracht worden wären. Kaum hatte es Wintersteller bemerkt, so rief er mit lauter Stimme: „Wer Schneid hat, freiwillig vor!“ Da stürmten, eh’ noch die Geschütze abgeprotzt waren, drei Bauerburschen und der Schullehrer Hölzl mit umgekehrten Gewehren über die Brücke, ihnen nach Empl mit einer ganzen Compagnie. Der Anlauf war so rasch und heftig, daß die Baiern nicht mehr Zeit zur Flucht fanden und sich ergeben mußten. Hölzl erbeutete das Pferd des Officiers. Nach dem Treffen sagte ein ihm unbekannter Schütze: „Du hast ein schönes Roß erwischt, laß mich aufsitzen, ich werde sehen, wie es zum Reiten geht.“ Hölzl hielt gutmüthig das Pferd am Zaume und – hatte von seiner Beute nichts als das Nachsehen, denn „Roß und Reiter sah man niemals wieder.“ Auf anderen Punkten dauerte der Kampf mit großer Heftigkeit fort, denn die Baiern wollten nicht nachlassen, weil man ihnen gesagt hatte, daß die Tyroler jeden Gefangenen zu Tode marterten. Da schrie Wintersteller mit lauter Stimme: „Vorwärts, vorwärts! Sturmlaufen! sonst können wir nicht siegen!“ Nun wälzten sich Schützenmassen und Landsturm mit der unwiderstehlichen Gewalt einer Lawine von den Höhen herab, und schnell war die Stellung des Feindes erobert. Etwa 200 Baiern wollten sich durch die Flucht retten und liefen der Saale zu. Dort versuchten sie den Fluß zu übersetzen, indem sie einander die Hände reichend eine Kette schlossen. Allein die nachlaufenden Schützen sprengten diese, indem sie einzelne Glieder herausschossen, so daß Viele ertranken. Dabei zeichneten sich vor Allen Empl und der Teufelsveit aus. Der Feind hatte außerordentlichen Verlust erlitten, das bairische Leibregiment war den Stutzenkugeln fast vollständig erlegen. Da kein Hinderniß mehr entgegenstand, so rückten die Tyroler in Baiern ein und kamen noch an diesem Tage bis zu den Höhen, von denen Schloß Karlsburg die Stadt Reichenhall beherrscht. Obgleich in dem Lande eines Feindes, welcher Tyrol unterdrückte und überall die Spuren der Gräuel zurückgelassen hatte, untersagte Wintersteller jede Plünderung auf das Strengste und zwang einige Schützen, zu ihrem großen Verdrusse, das geraubte Gut zu ersetzen. Bis zum 17. October hielt er sich in seinen Stellungen an der Grenze; da erlitt Speckbacher bei Melleck eine schwere Niederlage. Wintersteller konnte sich nur durch einen schleunigen Rückzug, den er mit großer Klugheit ausführte, vor Tod und Gefangenschaft retten. Dabei mußte er seine zwei Kanonen zurücklassen; bei der Nacht gelang es Empl, den Feind durch List zu täuschen und sie in einem Heufuder fortzuschmuggeln. Die Baiern rückten indeß unaufhaltsam durch das Innthal vor und erstickten die letzten Funken des Aufstandes am 2. November auf dem Berg Isel, wo die Tyroler bisher stets siegreich gewesen waren. Einige Hitzköpfe wollten auch jetzt noch den Kampf fortsetzen, und es gelang ihnen, obschon die Botschaft von dem Friedensschlusse, welcher Tyrol neuerdings an Baiern auslieferte, allgemein verbreitet wurde, hie und da ein Aufflackern der Flamme zu bewirken; der bedachtsame und kluge Wintersteller hielt jedoch die Sache für beendet und ließ sich weder durch Bitten noch durch Drohungen bewegen, noch einmal zum Stutzen zu greifen. Die Leute hatten felsenfest auf Oesterreich vertraut, sie wußten nichts von den Kniffen einer unwürdigen Diplomatie, Oppacher schrieb an Wintersteller: „Mir scheint, es kann nicht möglich sein, daß mit dem Kaiser Franz der Frieden abgeschlossen worden ist.“ Während diese treuen Herzen bluteten oder in Elend brachen, bereitete Kaiser Franz die Hochzeit seiner Tochter mit dem verhaßten Corsen vor.

Auch Wintersteller und Oppacher wurden vor das Kriegsgericht geladen. Mit ruhigem Gewissen und ohne Furcht erschienen sie vor Drouet, welcher schon früher mit dem Hängen gedroht hatte. Die Baiern selbst mußten ihnen bezeugen, daß sie stets menschlich gegen die Gefangenen gewesen seien und nie von ihren Siegen einen Mißbrauch gemacht hätten. Sie wurden frei gelassen. Besonders lebhaften Antheil nahm der Kronprinz Ludwig, welcher sich später als Förderer deutscher Kunst einen unvergeßlichen Namen erwarb, an ihnen; er sprach lange und freundlich mit Wintersteller und ließ sogar auf seine Vorbitte einige gefangene Bauern aus ihrer schweren Haft befreien.

Wintersteller kehrte nach Kirchdorf zurück. Seine Felder waren verwüstet, sein Haus lag in Trümmern, der Schaden, den er erlitten, belief sich auf 49,000 fl., sodaß er in große Dürftigkeit gerieth. Zur Seite ein braves, edles Weib, ertrug er sein Elend mit männlichem Schweigen, obwohl er die Gnadenketten, welche seine Ahnen von den Kaisern als Auszeichnung erhalten hatten, verkaufen mußte. Treu dem Lande wollte er nicht auswandern, wie andere Führer der Tyroler, welche ihr Glück in Wien suchten; er war nicht der Mann in den Vorzimmern zu lungern und, da ihm die Baiern keinen Paß ausgestellt hätten, viel zu stolz, sich heimlich davon zu schleichen.

Endlich schickte ihm der Kaiser 7000 fl. Er suchte damit Haus und Scheune neu aufzubauen, als jedoch die Baiern merkten, daß er sich erhole, suchten sie ihn mit schweren Processen heim, und er konnte kaum wieder emporkommen. Das Unglück läuterte ihn wie siebenfach Gold; wie vorher auf dem Schlachtfeld, leuchtete er jetzt in Noth und Leiden als frommer Mann hervor. Als er vernommen hatte, daß sein Waffenbruder Hofer verhaftet worden, sandte er trotz seiner Mittellosigkeit einen eigenen Boten an den Kaiser Franz, damit dieser Alles für die Rettung aufbiete, und erhielt wenigstens tröstliche Worte zurück. Die Sache hatte keine Eile. Wie man es den Tyrolern überlassen hatte, allein zu siegen, so kam man auch jetzt zu spät, und Hofer fiel auf den Wällen von Mantua. Als diese Festung wieder kaiserlich geworden, kümmerte man sich nicht einmal um seine Leiche, bis diese endlich einige Tyrolerjäger, keineswegs zur Freude des Kaisers, der nun ein Denkmal setzen lassen mußte, heimlich ausgruben und zu Innsbruck in heimathliche Erde senkten. Man hörte später zu Wien nicht mehr gern vom Jahr 1809 reden, denn es war ja möglich, daß die Tyroler, welche die Waffen so kühn gegen den König von Baiern getragen, sie einmal gegen den Kaiser kehren möchten, der ihnen zu Nutz und Frommen des Absolutismus ihre alten Rechte nicht mehr zurückgab. Als Wintersteller die Botschaft vom Tode Hofer’s vernahm, weinte er bitterlich und rief aus: „Den unschuldigsten, christlichsten und redlichsten Menschen, der so vielen tausend gefangenen Feinden das Leben rettete und sich keiner Grausamkeit schuldig machte, haben sie gemordet; die Strafe des Himmels kann und wird dafür nicht ausbleiben!“

Als im Jahre 1813 Deutschland sich erhob, so ließ die bairische Regierung Wintersteller und andere Tyroler ergreifen und nach Ingolstadt führen, wo man sie in Eisen schlug. Die Schergen höhnten ihn und drohten ihm mit dem Tode, sein treues Weib, welches zu München um seine Freiheit bat, wurde zurückgewiesen. Erst nach dem Vertrage von Ried ließ man ihn frei. Tyrol wurde wieder kaiserlich. Nun fragt es sich: wie wurde Wintersteller, der für seinen Herrn Haus und Hof geopfert hatte, von diesem belohnt? Er erhielt vom Landeschef eine Uniform geschenkt, auf welche man ihm die goldene Medaille heftete. Er nahm diese mit Dank an; denn erst jetzt, sagte er, fühle er sich seinen Ahnen, deren jeder die gleiche Auszeichnung empfangen, gleich. Sein Hauswesen ging aber in Folge der Kriegsschäden und großen Theuerung zurück; er fühlte zu edel, seine Noth auf den Markt zu tragen, und mußte lange in sehr beschränkten Umständen leben, bis er eine Pension erhielt. Man rathe, wie viel? – 400 fl., mit Worten vierhundert Gulden, es ist um keine Null zu wenig! Er starb 1832, und das ärztliche Gutachten sagt: „er sei in Folge seiner Unglücksfälle seit den letzten 12 Jahren physisch wie psychisch auf einen [349] Punkt herabgesunken, daß er sich selbst nicht mehr ähnlich war, die körperliche und geistige Thatkraft ganz verlor und endlich im 50. Jahre nach einer langwierigen Krankheit einer allgemeinen Entkräftung unterlag.“ Wintersteller war ein stattlicher Mann, groß und breitschulterig, das Antlitz festknochig, das Auge feurig, die Stimme laut und tönend. Sein Scharfsinn war eben so groß als sein Muth; daß er mehr zum Feldherrn geboren war, als mancher hochgeborene Herr der österreichischen Armee, hat er sattsam bewiesen.

Machen wir noch einen Besuch bei Oppacher in Jochberg. Auch ihm hatte man für seine Verdienste eine goldene Medaille gegeben, denn die Orden gehörten damals fast nur der haute volée, welche sie gar nicht zu verdienen brauchte. Mehr als dieses erfreute ihn jedoch der Besuch des Kaisers Franz, der auf der Durchreise bei ihm einsprach und ihn sehr herablassend behandelte. Als Denkzeichen an dieses Ereigniß prangt noch ob der Hausthüre eine rothe Marmortafel mit goldenen Lettern. Oppacher genoß unter den Bauern eines großen Ansehens und wurde von ihnen zum Vertreter auf dem Landtage erwählt. Seine kurze, gedrungene Statur ließ auf große Stärke schließen, die Stirne, von der langes graues Haar zu beiden Seiten niederhing, war hoch, der Blick frei, die Nase stark gewölbt. Die Züge des bescheidenen Mannes, der wenig Aufhebens von sich machte, waren mild und sanft. Wie alle diese Männer von 1809 war er sehr fromm und der Kirche treu ergeben. Er verschied 1845 in einem Alter von 75 Jahren.

Vielleicht fragt nun der Leser, welcher sich die Mühe nahm, diese Episoden aus einer großen Zeit zu lesen: „Warum alte Wunden aufdecken und die Kriege, welche blutsverwandte Stämme mit einander in grimmiger Erbitterung führten, neuerdings vor die Erinnerung führen?“ Man kann es den Deutschen, welche einig die Welt bezwingen würden, nicht oft genug in’s Gedächtniß rufen, daß sie sich selbst die schrecklichsten Uebel zufügten, wenn sie den Fremden dienten. Zwischen den Tyrolern und Baiern ist jetzt Friede und Freundschaft, über die Leichen der Gemordeten wächst Gras, und die alten viel umstrittenen Schanzen in den Engpässen sind zu bemoosten Erdhaufen zerfallen. Vor zwei Jahren sagte mir ein alter Schütz: „Ich weiß nicht, ob es nicht etwa besser wäre, wenn wir bairisch geblieben wären; das thät mich aber freuen, wenn ich mich noch einmal an der Seite der Baiern gegen die verfluchten Franzosen schlagen dürfte, denn die Baiern sind wackere und feste Leute.“ Möge nie dynastisches Sonderinteresse die deutschen Brüder trennen; wenn sie Seite an Seite unter dem deutschen Banner gegen den Feind kämpfen, so werden gewiß die Helden von 1809 sie versöhnt aus ihren Gräbern segnen, und wie die Schatten der griechischen Heroen bei Salamis zum Siege vor ihnen herziehen!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ein