Deutsche Wanderschaft
Deutsche Wanderschaft.
Frühjahr 1868.[1]
Der Wald steht in Blüthe, die wilden Schwäne zieh’n,
Mir klingt’s im Gemüthe wie Wandermelodie’n;
Zum Stab muß ich greifen beim klaren Morgenschein,
Und singend wieder schweifen in’s deutsche Land hinein.
Ihr dunklen Eichenwipfel, wie rauscht ihr so süß!
Ihr wollt mir’s erzählen, daß wieder hoffnungsvoll
In alle deutschen Seelen ein Lenzodem quoll.
Durch Steingeklüft und Forsten zu klimmen, o Lust,
Tief unten verklingen die Glocken weit umher,
Ein Adler hebt die Schwingen vom Felsen zum Meer.
In’s Brausen der Quellen wie pocht der Hämmer Schlag!
Da födern die Gesellen das Eisen zu Tag,
Der noch am deutschen Heerde uns dreinzureden meint.
Nun kommst auch du geschwommen im Kranze von Wein,
Willkommen, willkommen, du königlicher Rhein!
Du tränkst mit goldner Freude dein blühend Geländ,
Wie lang wird es währen, Altvater, so preßt
Man wieder deine Beeren zum Kaiserkrönungsfest!
Da kommt auf deinen Wogen im Purpurgewand
Der Hort des Reichs gezogen, das Banner in der Hand.
Dran tausend Jahr geschaffen, das Werk deutscher Macht,
In Norden und Süden der letzte Zwist gesühnt,
Und Freiheit und Frieden, so weit die Eiche grünt!
- ↑ Das obige Gedicht wurde uns schon vor mehreren Monaten von dem Dichter eingesandt. Es beweist wenigstens, daß Emanuel Geibel bereits „im Frühjahr 1868“, also lange vor dem Lübecker Königsgruß und der Münchener Katastrophe, seinem politischen Zukunftswunsch Ausdruck gegeben hat. D. Red.