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Deutsche Wohlthätigkeits-Gesellschaften im Auslande

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Titel: Deutsche Wohlthätigkeits-Gesellschaften im Auslande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 720–724
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Deutsche Wohlthätigkeits-Gesellschaften im Auslande.

Die Deutschen sind von jeher Träger und Pioniere der Cultur im Auslande gewesen, leider aber ging früher ihre culturelle Thätigkeit oft der Nation verloren und gereichte nicht selten ausschließlich fremden Völkern zum Vortheil; denn so lange es noch kein deutsches Reich gab, war Deutschland in seiner Zerrissenheit dem Auslande gegenüber machtlos und entbehrte in der Fremde des so nöthigen Schutzes durch die heimathlichen Regierungsbehörden. Zahllose Deutsche im Auslande haben daher im großen Völkermeer jedes Vaterlandsgefühl abgethan, sodaß vollends ihre Nachkommen sich innerlich und äußerlich ganz mit der Nationalität vermischten, in deren Mitte sie ihre neue Heimath begründet. Manche legten schon bald nach der Uebersiedelung ihre deutschen Namen ab und romanisirten, englisirten oder slavisirten dieselben sogar. Man werfe aber darum keinen Stein auf diese Abtrünnigen! In ihrer Schutz- und Hülflosigkeit waren sie vielleicht zu schwach, um dem auf sie geübten Drucke zu widerstehen. Heute, nach Aufrichtung des mächtigen deutschen Reiches, ist die Sache freilich ganz anders und viel besser geworden.

Aber schon lange, bevor dieses heißersehnte Ziel erreicht worden, trat die erfreuliche Erscheinung zu Tage, daß thatkräftige Deutsche mit vereinten Kräften durchsetzten, was der Einzelne nicht zu erreichen vermochte, indem sie durch Privatthätigkeit in’s Leben riefen, was ihnen von obenher gebrach. Dieser Tendenz verdanken wir die deutschen Schutz- und Hülfsgesellschaften im Auslande.

Die ersten derselben entstanden in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in den Hafenstädten Philadelphia, New-York und Baltimore; ihnen folgten solche in den Hauptstädten der alten Welt, in London, St. Petersburg, Constantinopel, Paris und in einer zweiten englischen Stadt, in Dalston, worauf wiederum der Gründungseifer nach Nordamerika zurückkehrte, wo in St. Louis, New-Orleans, San Francisco und Chicago Hülfsvereine gegründet wurden. Bald darauf folgten den zur Linderung materieller Noth gegründeten Zufluchtsstätten solche zur Abwehr politischer Verfolgung: die Schweiz und Belgien.

Nach dem Jahre 1870, welches dem deutschen Reiche seine frühere Machtstellung wieder gab und somit auch die Deutschen im Auslande mit dem Gefühle junger Kraft erfüllte, schossen dann die deutschen Hülfs- und Schutzvereine überall wie Pilze aus der Erde, und kaum irgend eine bedeutende Stadt Amerikas und Europas entbehrt heute eines solchen Vereins. Die Zahl der deutschen Hülfsvereine, soweit sie uns nach den uns ziemlich vollständig vorliegenden Statuten und Jahresberichten bekannt wurden, beläuft sich heute auf 64, deren Entstehen zu fast dreiviertel ihrer Zahl auf die Zeit nach dem Jahre 1871 fällt.

Der erste und älteste aller deutschen Hülfsvereine im Auslande ist die „Deutsche Gesellschaft von Pennsylvanien“. Die Gründung derselben hat ihre eigene Geschichte. Die Gesellschaft verdankt ihren Ursprung der deutschen Einwanderung. Diese nahm ihren Anfang im Jahre 1683; denn die früheren Einwanderer in die englischen Colonien Nordamerikas dürfen nur als versprengte Vorläufer betrachtet werden. Die Anregung aber zu eigentlichen Wanderzügen aus Deutschland gab kein Anderer als Wm. Penn selbst, der dreimal – und zwar die ersten beiden Male vor der Gründung Pennsylvaniens (1671 und 1677) – selbst in Deutschland war, um für seine Secte, die Quäker, Propaganda zu machen und das zu Ehren seines Vaters benannte Land zu bevölkern. Penn predigte in Krißheim bei Worms und erließ ein Manifest (1681), in welchem er die Ansiedelung plausibel machte; alsbald entstanden denn auch in Frankfurt und Crefeld unter den Gläubigen Auswanderungs-Gesellschaften.

Am 6. October 1683 gingen die ersten Auswanderer ab, welche sechs Meilen von Philadelphia, das damals nur einige Häuser zählte, die Stadt Germantown gründeten, und ihnen folgten, dank den damaligen unseligen Zuständen in Deutschland, bald andere Auswanderungszüge nach.[1]

Die großen Zuzüge aus Deutschland beunruhigten die angesiedelten Engländer und drückten wie ein Alp auf ängstliche Gemüther, sodaß James Logan, der berühmte Secretär W. Penn’s, die Befürchtung aussprach, es könne den dortigen Angelsachsen dasselbe Schicksal widerfahren, wie im fünften Jahrhundert den britischen Kelten durch die Angelsachsen. Auch in der englischen Gesetzgebung der Colonie sprach sich durch zum Theil später wieder zurückgezogene Repressivmaßregeln dieselbe Befürchtung aus.

Da nun die meisten Auswanderer zu arm waren, um die gegen 200 Mark betragenden Kosten der Ueberfahrt zu zahlen, so trafen sie mit den Schiffseigenthümern ein Uebereinkommen, wonach sie sich verpflichteten, nach ihrer Ankunft in Amerika ein Arbeitsäquivalent für die Fahrt zu leisten. Ein solcher Dienstcontract war, wie ein lettre au porteur, übertragbar. Ein guter Arbeiter mochte mit drei bis vier Jahren abkommen, die Dauer der Arbeitsknechtschaft konnte aber auch bis zu sieben Jahren sich

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Deutsche Hospitäler im Auslande.
Originalzeichnung von Fritz Stoltenberg.
1. Die Halle der „Deutschen Gesellschaft“ in Philadelphia. – 2. Das „Deutsche Krankenhaus“ in Constantinopel. – 3. Das „Neue deutsche Hospital“ in San Francisco. – 4. Das „German-Hospital“ in Dalston. – 5. Das „Asyl des Wohlthätigkeits-Vereines“ in St. Petersburg.

[722] ausdehnen, und Kinder blieben bis zur Großjährigkeit Arbeitssclaven. Der Arbeiter wurde einfach „serf, Knecht“ genannt.

In den frühesten Zeiten der deutschen Einwanderung kamen derartige Fälle selten vor, zum ersten Male urkundlich 1686, und erst in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gelangte das System zur vollen Ausbildung und allgemeinen Anwendung. Die Agenten, welche große Provisionen bezogen, hießen „Neuländer“, wurden aber auch mit dem minder schmeichelhaften Namen „Seelenverkäufer“ bezeichnet. Wir besitzen von Zeitgenossen und Augenzeugen so genaue und lebensvolle Schilderungen dieser Zustände, daß uns bei der Lectüre derselben geradezu ein Grauen befällt.

Wenn die Schiffe in Philadelphia nach der langen Seefahrt landeten, durften nur die Zahlenden oder durch Bürgen Geschützten das Land betreten. Alle Anderen mußten warten, bis man sie kaufte, was oft, wenn sie nicht jung und gesund waren, wochenlang dauerte, sofern sie nicht inzwischen Krankheiten erlagen. Männer mit kranken Frauen und Frauen mit kranken Männern mußten, wenn sie die Ihrigen mit sich zugleich auslösen wollten, für diese durch eine längere Arbeitsdauer einstehen und oft wurden ganze Familien getrennt, indem Mann, Weib und Kinder an verschiedene Käufer gelangten und Mütter von ihren Kindern auf Nimmerwiedersehen lassen mußten, weil Letztere, wenn sie das Alter von fünf Jahren noch nicht erreicht hatten, nicht gekauft, sondern umsonst ausgegeben wurden und dann bis zum einundzwanzigsten Jahre dienen mußten. Das Schiff war der Markt des Menschenhandels: dorthin kamen, in Folge der Anzeigen im Philadelphiaer „Staatsboten“, welcher die Ankunft „frischer, gesunder Waare“ meldete, in großer Zahl, oft zwanzig bis dreißig Wegstunden weit her, die Käufer und handelten um Menschen – um unsere deutschen Landsleute! Es ist indessen zu bemerken, daß die Deutschen in Pennsylvanien sich niemals an diesem Menschenschacher betheiligt haben.

Zu alledem kam noch ein weiterer abscheulicher Mißbrauch der Rheder: Bei der Abfahrt von Europa wurde zwar das Gepäck der Auswanderer vor deren Augen mit verladen, heimlich aber wieder an’s Land gebracht, um entweder gar nicht oder auf später abgehenden Frachtschiffen nachbefördert zu werden. Es geschah dies, um für die Menschenwaare mehr Raum zu gewinnen. Die armen Auswanderer fanden sich dann bei ihrer Ankunft an den „gastlichen“ Gestaden der neuen Welt nackt und hülflos, und kamen die Kisten dann endlich an, so waren sie geöffnet und ihres besten Inhalts beraubt; häufiger aber blieben sie ganz aus.

Man wird fragen, wie es gekommen, daß so himmelschreiende Mißbräuche nicht gehörig untersucht und durch Bestrafung der Schuldigen abgestellt wurden? Die Antwort giebt Christoph Saur, der unermüdliche Freund und Schützer des Auswanderers. „Es war keine Maus“ – sagt er – „die der Katze wollte die Schellen anhängen. Die Leute, welche von der Ausbeutung der Passagiere ihren Nutzen zogen, hatten beim Gouverneur mehr Einfluß, als entrüstete Menschenfreunde.“

Die gesetzgebende Behörde erließ zwar im Jahre 1750 ein Gesetz zum Schutze der Einwanderer, aber es blieb Alles beim Alten; denn die eingesetzten Inspectoren waren käuflich und drückten ein oder beide Augen zu, sodaß, wie Saur sagt, „die Leute zuweilen nicht mehr als zwölf Zoll Raum und nicht halb genug Brod und Wasser hatten.“

So lagen die Dinge, als sich im Herbste 1764 das jammervolle Schauspiel ereignete, daß gleichzeitig mehrere Emigrantenschiffe in Philadelphia anlangten, welche mit Kranken und Sterbenden besetzt waren – ein Fall, der sich früher nur auf einzelne Schiffe beschränkt hatte. Ueber die Zahl der unterwegs Gestorbenen wurde nichts berichtet. In Folge dessen brachte der „Staatsbote“ am 19. November eine anonyme Einsendung, welche zur Unterstützung der Ankömmlinge das öffentliche Mitleid in Anspruch nahm. Der Herausgeber der Zeitung begleitete das Inserat mit einer warmen Fürsprache, und dadurch angeregt, trat eine Anzahl deutscher Männer, anfangs ohne alle gesellschaftliche Einigung, zur Linderung der augenblicklichen Noth ihrer Landsleute zusammen. Da aber voraussichtlich der Anlaß zu ähnlichem Einschreiten öfters wiederkehren mußte, so entschlossen sie sich bald darauf, durch die Stiftung einer deutschen Gesellschaft ihre wohlthätige Wirksamkeit zu einer bleibenden und planmäßigen zu machen: Am zweiten Christtage 1764 Nachmittags vier Uhr constituirte sich mit 65 Mitgliedern im Schulhaus der Cherrystraße zu Philadelphia die oben erwähnte erste deutsche Hülfsgesellschaft der Welt unter dem noch heute bestehenden Namen „Deutsche Gesellschaft von Pennsylvanien“.

Es würde zu weit führen, hier eine specielle Geschichte der Thätigkeit dieser Gesellschaft zu liefern, und so mag die Bemerkung genügen, daß der Verein zunächst ein Gesetz zum Schutze der deutschen Einwanderer durchsetzte, daß er dann den Schulunterricht, die Krankenpflege und die Armenunterstützung unter seine Fittiche nahm und eine deutsche Bibliothek gründete.

Eine Periode der Erschlaffung der Gesellschaft trat während der Jahre 1818 bis 1859 ein, in welcher Zeit die Vereinsverhandlungen sogar in englischer Sprache geführt wurden und die Mitgliederzahl erheblich abnahm. Bei der geringen Fürsorge der Gesellschaft für die Interessen der Einwanderer entstand um jene Zeit eine andere „Einwanderungsgesellschaft“ neben der Deutschen (1843), allein zu Beginn der sechsziger Jahre hob sich der Verein sichtlich und drängte somit das Gedächtniß an jene unrühmliche Zeit mehr und mehr in den Hintergrund. – – –

Die zweitälteste deutsche Hülfsgesellschaft im Auslande ist die „Deutsche Gesellschaft der Stadt New-York“;[2] sie wurde im Jahre 1784 gegründet und wird somit in zwei Jahren das Erinnerungsfest ihres hundertjährigen Bestehens feiern, wozu bereits großartige Vorbereitungen getroffen werden.

Die „Deutsche Gesellschaft von New-York“ verdient unsere besondere Beachtung; denn sie steht in ihrer Organisation und Gliederung als ein rühmliches Beispiel einzig da, und ihre Jahresberichte sind deshalb wahre Fundgruben für alle Auswanderer und Diejenigen, welche sich für die Auswanderung praktisch oder theoretisch interessiren; sie überragen an Ehrlichkeit, Freimuth und guten Rathschlägen alle anderen Monographien über Auswanderung. Die Gesellschaft hat eine vollkommen organisirte Armen- und Krankenpflege, ferner ein Arbeitsnachweisungsbureau, ein Bankdepartement und ein Auskunftsbureau; auch steht sie mit einem vor sechs Jahren gegründeten, von der Gesellschaft subventionirten[WS 1] Rechtsschutzverein in Verbindung. Das im Jahre 1868 begründete Bankdepartement leistet nicht blos den Einwanderern die bedeutendsten Dienste, indem es sich mit Auszahlungen nach Europa, mit Wechselvermittelung mit der neuen Welt, mit dem Arrangement von Passagen über den Ocean und mit Einlösung europäischer Anweisungen und Paketbeförderung befaßt, sondern verschafft auch durch die dafür gezahlten Gebühren und Provisionen der Gesellschaft einen sehr beträchtlichen Theil ihrer Einnahmen.

Die wichtigsten Stützpunkte der Gesellschaft sind Wards Island und ganz besonders Castle Garden. Ersterer Ort dient als vorübergehende Zufluchtsstätte für kranke und mittellose Einwanderer, wenn nicht, was selten vorkommt, deren Rücksendung in die Heimath geboten erscheint. In den letzten Jahren machten wenig Einwanderer von den Wohlthaten dieses Institutes Gebrauch, was im Allgemeinen auf den Vermögensstand und die Gesundheit der angekommenen Einwanderer einen günstigen Rückschluß gestattet. In Castle Garden dagegen müssen alle Zwischendeckspassagiere gelandet werden. Jedem von ihnen wird hier auf vierundzwanzig Stunden ein Unterkommen gewährt, wobei, auch seitens derjenigen, welche nicht von diesem Unterkommen Gebrauch machen, Name, Herkunft und Reiseziel angegeben werden muß. Die Ankömmlinge erhalten dort bereitwillig für ihr weiteres Fortkommen die umfassendsten Informationen und Rathschläge.

Castle Garden wird einzig und allein von der Deutschen Gesellschaft unterhalten, welche dazu seit 1876 eine von der Staatsregierung von New-York von Jahr zu Jahr neu bewilligte, ziemlich geringe Subvention erhält. Früher durften die Einwanderungs-Commissäre von jedem in Castle Garden gelandeten Einwanderer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: suventionirten

[723] ein Kopfgeld erheben, aber das Bundesgericht hat dieses Gefälle im Jahre 1876 für unconstitutionell erklärt, und so ist die Gesellschaft bezüglich der Erhaltung des Institutes, so lange nicht die Einwanderungsfrage von Congreßwegen geregelt wird, was schon mehrmals angeregt, aber noch nicht zum Austrag gebracht ist, auf ihre eigenen Kräfte angewiesen.

Die Auswanderungs-Commissäre üben ihr mühevolles Amt mit aufopferungsvoller Hingebung unentgeltlich, und nur dadurch ist es bisher möglich gewesen, das für die Sicherheit und den Schutz der Einwanderer so nothwendige Institut am Leben zu erhalten. Wer also nach den Vereinigten Staaten über New-York einwandert, ist heutigen Tages gottlob! nicht rath- und schutzlos. Niemand versäume im Local der „Deutschen Gesellschaft“, Broadway 13, vorzusprechen, wo er bis in die Details hinein jedenfalls mit gewissenhaftem Rathe, wenn nöthig aber auch mit materieller Unterstützung ausgerüstet werden wird.

Ein volles Menschenalter dauerte es, bis mit gleichen Tendenzen, wie die beiden vorigen, die „Deutsche Gesellschaft von Maryland in Baltimore“ entstand (1817), und wieder ein weiteres Vierteljahrhundert, bis, diesmal speciell in dem Sinne, in welchem zur Zeit alle europäischen Hülfsgesellschaften thätig sind, der „Deutsche Wohlthätigkeitsverein in St. Petersburg“ in’s Leben gerufen wurde (1. December 1842), zu dessen Gründung der inzwischen verstorbene Dr. Spieß die erste Idee gab. Wer die Schwierigkeiten kennt, welche sich der Gründung von ausländischen Vereinen und Gesellschaften in Rußland unabweisbar entgegenstellen, der muß die bei der Schöpfung dieses Verbandes entwickelte Energie bewundern, zumal das Gründungsjahr in die Zeit der Machtfülle des gewaltsamen und rücksichtslosen Kaisers Nicolaus fällt. Der Verein besitzt ein Asyl (Armen- und Erziehungshaus) sowie ein Arbeitsmagazin und zeichnet sich durch eine musterhafte Wirksamkeit aus, die sogar vor Opfern an der Substanz des Gesellschaftsvermögens nicht zurückscheut, wenn es gilt, wahrhaft nützlich zu wirken. Es gab eine Zeit, wo auch die Kraft dieses Vereins erschlaffte – in den letzten der sechsziger Jahre – und die Mitgliedschaft im Verwaltungsausschuß nur als eine Brücke für eine Ordensgewährung betrachtet wurde, während die Sorge für die Thätigkeit und für die Mehrung der Kräfte des Vereins wenig galt. Herrn Friedrich von Stein gebührt das Verdienst, die Reorganisation der Gesellschaft angeregt zu haben; freilich wurde dieselbe dann von Anderen mit Umgehung seiner Person durchgeführt. Seitdem haben sich die Einnahmen des Vereins vervierfacht, und das Grund- und Reservecapital hat sich um das Anderthalbfache vermehrt.

Zwei Jahre später (1844) wurden in Paris mit allgemeinen, denen des Petersburger Vereins entsprechenden Tendenzen und in Constantinopel speciell für Hospital- und Krankenzwecke Hülfsvereine gegründet. Subventionen genießt der letztere Verein nicht, hat aber die freie Benutzung des vom Reiche erbauten Krankenhauses, in welchem Diakonissen wirken.

Die beiden folgenden Gründungen entstanden auf englischem Boden: das „German-Hospital in Dalston“ (1845) und die „Deutsche Gesellschaft der Wohlthätigkeit in London“. Ersteres, in gesunder, anmuthiger Gegend und in der Nähe des großen Platzes am Westend von London belegen, ward auf Grund einer unter Protection der verstorbenen Königin Elisabeth von Preußen, Gemahlin des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten, weiter verfolgten Idee am 15. October 1845, dem Geburtstage des Königs, dem Verkehr übergeben. Das Provinzialcomité, welches den ersten Bau und die Verwaltung geleitet, erkannte im Jahre 1860 die Nothwendigkeit einer Vergrößerung desselben und beschloß einen Neubau, der auch im großen Garten des alten Hospitals unter Leitung des Herrn Architekten Grüning und Professor Donaldson im Jahre 1863 begonnen und 1866 vollendet wurde. Das neue Hospital wurde genau 20 Jahre nach der Eröffnung des alten mit 100 Betten dem Verkehr übergeben, denen später 5 Betten hinzugefügt wurden. Das Hospital kostet mit allem Zubehör 400,000 Mark.

Die „Deutsche Gesellschaft der Wohlthätigkeit in London“ ist zwar schon 1817 gegründet, beschränkte aber ihre Wirksamkeit bis zur Statutenänderung 1847 lediglich auf Mitglieder der Gesellschaft selbst. Dieses Institut sowohl wie das zu Dalston ist so bedeutend und großartig, wie die vorerwähnten Schöpfungen, und die Wirksamkeit des Präsidenten des Londoner Vereins, H. Charles Tuchmann, muß, nach den allgemein rühmenden Erwähnungen seiner Person, eine ungemein erfolgreiche gewesen sein.

Von den weiteren Vereinsbildungen in St. Louis und New Orleans (1847) sowie in San Francisco (1854) wollen wir nur noch der letzteren speciell gedenken, weil die „Allgemeine deutsche Unterstützungsgesellschaft von San Francisco“ neben dem „German-Hospital von Dalston“ an Mitgliederzahl und Jahresbudget die größte der Welt ist. Die Gesellschaft zählt doppelt so viel Mitglieder, wie der nach ihr größte Verein von Dalston, bezicht keine Subventionen wie dieser und hat gleichwohl aus sich heraus, trotz ungestörter Wirksamkeit in ihrer statutenmäßigen Thätigkeit, im Jahre 1871 die enorme Summe von 592,000 Mark für die Kriegsverwundeten nach Deutschland senden können. Das Jahresbudget der Gesellschaft erreicht fast dasjenige von Dalston.

Sämmtliche amerikanische und der St. Petersburger Hülfsverein dehnen ihre Wohlthätigkeit auf alle Personen deutscher Zunge, also auch Deutsch-Oesterreicher und Deutsch-Schweizer aus, die Krankenhäuser in Dalston und Constantinopel und der Londoner Hülfsverein auch nöthigenfalls auf Angehörige anderer Nationen. Dasselbe geschieht Seitens der „Deutschen Gesellschaft in New-York“.

Außer den gedachten Hülfsgesellschaften bestehen noch folgende: in Chicago (1854), Zürich (1856), Brüssel, Bern, Basel (1862), Genf, Aarau (1864), Livorno (1868), Malaga, Mailand, Triest (1871), Chur, Lausanne (1872), Neuenburg, Chauxdefonds, Nizza, Boston, Madrid (1875), Stockholm (1876), Wien (1877), Chicago, Winterthur, St. Gallen (1878), Havre (1879), Kairo, Milwaukee (1880), Florenz (1881), Cincinnati, Pittsburg, Cannes, Buenos Ayres, Lima, Rio de Janeiro, Santiago, Porto Alegre, Antwerpen, Lüttich, Ancona, Rom, Genua, Neapel, Lissabon, Bukarest, Jassy, Moskau, Odessa und Barcelona. Hieran schließen sich, seit das deutsche Nationalgefühl auch auf englischem Boden lebendig geworden, d. h. seit dem Jahre 1870, folgende Londoner Institute an: die „Deutsche Herberge in Finsbury-Square“, eine wahre Wohlthat für alle Neuankömmlinge aus Deutschland, das „Deutsche Waisenhaus“, das über eine Jahreseinnahme von 16,000 Mark und ein Stammvermögen von 100,000 Mark gebietet, sowie die im vorigen Jahre gegründeten „Daheim der deutschen Gouvernanten“ („Home of German Governesses“) und „Gordon House“, in welchem deutsche Dienstmädchen billige Unterkunft, Schutz und unentgeltlichen Arbeitsnachweis erhalten.

Um einen Ueberblick über die Wirksamkeit aller dieser Hülfsvereine zu gewähren, lassen wir hier eine kurze Zusammenstellung folgen:

Die Zahl der Mitglieder aller dieser Vereine zusammen betrug im Jahre 1880 18,680, und auf jeden Verein kamen deren durchschnittlich 311. Der Jahresbeitrag schwankt zwischen 4 Mark (einige schweizerische und einige italienische Vereine) und 40 Mark (New-York und San Francisco). Es betrugen im Jahre 1880 die Gesammteinnahmen dieser Vereine 1,303,000 Mark, die Gesammtausgaben 1,162,990 Mark, während das Grundcapital und die Realitäten der Vereine einen Gesammtwerth von 4,187,606 Mark darstellen.

Unter den deutschen Hülfsvereinen im Auslande befinden sich einige, welche noch der Statuten entbehren und nur confidentiell unter Leitung der Consulate verwaltet werden, wie diejenigen in Alexandria und Havre, während andere sich nur noch Unterstützungscassen nennen und noch andere Filialvereine sind. Dagegen haben wieder die größeren Vereine Zweig- und Frauenvereine zur Seite, wie Chicago. Sämmtliche Statuten und Jahresberichte sind in deutscher Sprache abgefaßt, und nur der Verein von Dalston macht eine kaum zu rechtfertigende Ausnahme, zumal das Hospital ausschließlich deutsche Officianten hat und von deutschen Diakonissinnen bedient wird, wie auch das Hospital in Constantinopel.

Mehrere Vereine haben Vertrauensmänner eingesetzt, welche gewählt werden und die Aufgabe haben, durch Erkundigungen möglichst an Ort und Stelle die Berechtigung der Bittgesuche und die Würdigung der Petenten zu prüfen, eine vortreffliche Einrichtung, die besonders in St. Petersburg gut organisirt ist und ihre Früchte trägt. Die amerikanischen Gesellschaften haben dagegen angestellte und bezahlte Agenten und Generalagenten für diese Zwecke.

Fast alle Vereine, auch die in den entferntesten Ländern, klagen in ihren Berichten über die Belästigungen des internationalen [724] Bummlerthums, welches allenthalben unter dem Deckmantel des „armen Reisenden“ an die Wohlthätigkeit appellirt, und vielen Ortes, z. B. in der Schweiz, Odessa, Constantinopel und Barcelona, haben die Vereine beschlossen, sich der Unterstützung solcher Individuen möglichst zu entschlagen und den Nothstand der angesessenen Deutschen in erster Reihe zu berücksichtigen.

Zu den Vereinen, die, abgesehen von der Verfolgung ihrer nächsten statutenmäßigen Zwecke, auch sonst des deutschen Vaterlandes in der Noth mit Wärme sich erinnern, gehört der von Mailand, wo die deutsche Colonie 1871 reiche Sammlungen für die Verwundeten (gegen 14,000 Franken) veranstaltete.

Wir können unseren Bericht nicht schließen, ohne außer den schon erwähnten noch einige Männer zu nennen, die sich um die Vereinsthätigkeit besonders verdient gemacht haben. Zu ihnen gehören – es soll durch diese Namen die Tüchtigkeit vieler Anderer nicht in Schatten gestellt werden – der Botschaftsprediger Fuhle in Constantinopel, Heinrich Blind in Genf und Pfarrer Greber in Kairo, welcher letztere nicht allein den dortigen Verein gegründet, sondern auch zur Erbauung eines deutschen Hospitals im vorigen Jahre durch Sammlungen ein Capital von fast 50,000 Mark aufgebracht und von der ägyptischen Regierung die unentgeltiche Hergabe eines geräumigen Bauplatzes erwirkt hat.

Mögen die deutschen Wohlthätigkeits-Gesellschaften im Auslande zur Ehre des Vaterlandes und zum Heile unserer bedrängten Landsleute in der Fremde nach wie vor kräftig blühen und wachsen, und so auch die aufopferungsvolle Mühe und Treue Derer lohnen, welche dem Ausbau und der Verwaltung dieser humanitären Vereine ihre besten Kräfte widmen!



  1. Besonders stark waren die Bedrückungen auch in Württemberg, und aus diesem Lande gingen Massenzüge von Auswanderern nach Amerika ab, das erste Mal 1709, dann wieder 1717. In einzelnen Jahren, wie 1711 und 1716, war die Auswanderung sehr stark; im Herbste 1749 langten 25 Schiffe mit deutschen Einwanderern in Philadelphia an, und der Reisende Kalm veranschlagt die damalige Zahl derselben auf 12,000. Auch 1750 und 1755 kamen wieder viele Schiffe mit Auswanderern, und im Jahre 1752 waren unter den 190,000 Bewohnern des Landes 90,000, im Jahre 1755 unter 220,000 fast die Hälfte Deutsche.
  2. Zur Bildung der „Deutschen Gesellschaft in New-York“ traten am 22. August 1784 dreizehn Männer zusammen, darunter zwei ehemalige Mitglieder der „Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien“. – Ob die „Deutsche Einwanderungsgesellschaft“ in Philadelphia noch besteht, konnte der Verfasser dieses Artikels nicht in Erfahrung bringen. Ebenso wenig ist aus den Quellen der amerikanischen Hülfsgesellschaften zu ersehen, ob die im Jahre 1766 in Charlestown gegründete „Deutsche Gesellschaft von Süd-Carolina“ sich noch erhalten hat, welche demnach älter wäre, als diejenige von New-York, oder ob sie sich aufgelöst hat. Eine Anfrage des Verfassers an die Adresse dieser Gesellschaft, deren in dem Seidenstricker’schen Werke „Geschichte der Deutschen Gesellschaft von Pennsylvanien“ Erwähnung geschieht, blieb ohne Antwort, und die Berichte der Hülfsgesellschaften von Nordamerika erwähnen zwar aller anderen Hülfsgesellschaften, welche jetzt bestehen, nicht aber derjenigen von Charlestown.