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Deutschlands Nationalturnfest im Jahre 1863

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Textdaten
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Autor: Georg Hirth
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Titel: Deutschlands Nationalturnfest im Jahre 1863
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 346–350
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[346]
Deutschlands Nationalturnfest im Jahre 1863.
Von Georg Hirth.

„Als nun die Botschaft in das Reich ging,
Da fuhr ein reger Geist in alles Volk.“

Die letztverflossenen Jahre haben einen großen, vorher kaum geahnten Aufschwung des deutschen Volksbewußtseins erstehen sehen. Nach den Schrecknissen der Schlacht bei Solferino zog ein neuer, heilbringender Geist in ganz Europa ein; in unserem Vaterlande hatte er schon kurz vorher Wurzeln gefaßt mit dem Eintritt der damals vielverheißenden Regentschaft in Preußen. Nun regte sich’s überall zu Gunsten des lange gehemmten Fortschritts, der deutsche Einheitsgedanke, der fast erdrückt schien von der Last einer zehnjährigen Gedankenlosigkeit, wurde mächtiger und mächtiger, zündete immer mehr und dehnte sich, genährt durch eine friedliche, aber consequente Agitation, auf die Massenschichten der Bevölkerung aus.

Die Nationalfeste der letzten Jahre waren es namentlich, die solch neues Leben hervorzaubern halfen; jene großen Versammlungen, die Hunderte und Tausende aus allen Gauen des Vaterlandes in froher Festgemeinschaft vereinigten und die volksthümliche Idee, so zu sagen, erst wirklich populär machten und verkörperten. Denn zu dem Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit kam hier das einheitliche Streben auf verschiedenen praktischen Gebieten des Volkslebens; beide ergänzten sich, das eine wuchs mit dem andern und richtete sich an ihm empor.

Den Anfang machten die Turnvereine, von denen eine größere Zahl, als man allgemein annimmt, in rühmlichem Festhalten an der Sache die Reactionsperiode der fünfziger Jahre überstanden hatte. Wenigstens zeigte das erste, in den Tagen vom 16.-18. Juni 1860 zu Coburg unter dem Schutze eines freisinnigen Fürsten abgehaltene Turnfest einen gesunden, kräftigen Kern, wohl geschaffen, dem nun folgenden großartigen Aufschwung des Turnwesens einen sicheren Halt, eine gedeihliche Entwicklung zu geben. Das über alles Erwarten günstige Gelingen dieses ersten deutschen Turnfestes ermuthigte die Gesangvereine zu gleichem Thun, und so sahen wir einen Monat später in den Mauern derselben Stadt und unter derselben Theilnahme des Volkes Deutschlands Sänger ein aus allen Theilen des Vaterlandes beschicktes erstes Gesangfest feiern. Im Jahre 1861 folgte das erste deutsche Schützenfest zu Gotha, das zweite Sängerfest zu Nürnberg und das zweite Turnfest zu Berlin, im Jahre 1862 auch ein zweites Schützenfest zu Frankfurt a. M. – großartige nationale Feiertage, wie das deutsche Volk seit lange keine begangen.

In Berlin hatte die Turnsache wiederum einen glänzenden Triumph gefeiert. Die Bevölkerung der zweitgrößten Stadt Deutschlands war der Turnerjugend mit einer Herzlichkeit entgegengekommen, die am Schluß des Festes zum einstimmigen Jubel wurde; die Presse war voll vom Lobe der herrlichen Tage, „eines Festes, wie Berlin noch keines gesehen,“ und selbst die Kreuzzeitung konnte nicht umhin, einen gelinden Weihrauch zu streuen. Damit war nun zwar die Zukunft der deutschen Turnfeste vollständig gesichert, zugleich aber war es offenbar geworden, daß sich von nun an nur große Städte zu Festorten eigneten. Die Wahl der Turnvereine fiel zuerst auf Nürnberg, doch entschied sich später der in Berlin gebildete „Ausschuß der deutschen Turnvereine“ dafür, daß das dritte allgemeine Fest im Sommer 1863 in Leipzig und erst ein viertes im Sommer 1865 zu Nürnberg abgehalten werden solle. Für Leipzig sprach mehr als ein triftiger Grund. Schon am 18. September 1861, noch ehe die deutsche Turnerschaft über die Wahl des nächsten Festortes im Klaren war, beschlossen die Stadtverordneten eine Zuschrift an den Stadtrath des Inhalts: „Das Collegium, welches die Wahl Leipzigs zum Festorte des dritten allgemeinen Turnfestes mit Freuden begrüßen würde, erklärt sich bereit, die zu einer würdigen Feier desselben erforderlichen Kosten zu verwilligen, und giebt dem Wunsche Ausdruck, daß die Behörden die Wahl Leipzigs in jeder Hinsicht begünstigen möchten.“ Und der Rath antwortete am 16. October: „Er sei dem Beschlusse der Stadtverordneten, daß sie die Wahl Leipzigs zum Festorte mit Freuden begrüßen würden, einstimmig beigetreten, sei bereit, die Wahl der Stadt in jeder Weise zu begünstigen, und werde die seitens der Stadtverordneten ausgesprochene Bereitwilligkeit, die zu einer würdigen Feier des Festes erforderlichen Kosten zu verwilligen entsprechend benutzen.“ Dazu kam der Umstand, daß der sehr zahlreiche Leipziger Turnverein seit einer langen Reihe von Jahren die erste Stelle unter allen deutschen Turnvereinen eingenommen hatte, daß die Turnsache bei der Bevölkerung und den Behörden Leipzigs mehr als irgend anderswo in Ansehen stand.[1] Endlich sprach für die Wahl Leipzigs die Erinnerung an den vor fünfzig Jahren dort entschiedenen Befreiungskampf.

Die Aufgabe, welche nun den Leipzigern zufiel, war keine geringe. Zwar hatte man voraussichtlich nicht mit Vorurtheilen gegen die Turnsache zu kämpfen, die z. B. die Vorbereitung des nachmals so wohlgelungenen Berliner Festes schwierig gemacht; im Gegentheil, es fehlte nicht an Entgegenkommen seitens der Bevölkerung und der Behörden der Stadt, auch die sächsische Regierung hatte bereitwillig die Abhaltung des Festes gestattet. Die Schwierigkeit lag in dem großartigen Umfang, den das Fest annehmen mußte, und in der Eigenthümlichkeit der zu treffenden Anordnungen. Nach dem erneuten Aufschwunge des Turnvereinwesens in allen deutschen Gauen, namentlich im Königreich Sachsen und den benachbarten Ländern, mußte man von vornherein auf eine Zahl von 10–15,000 auswärtigen Festtheilnehmern rechnen, die nicht nur alle gemeinschaftlich verkehren und jubeln, sondern auch turnen und wohnlich untergebracht sein wollten. Aehnliches [347] hatte kein einziges der bisher abgehaltenen Volksfeste aufzuweisen; man mußte also einen selbständigen, ganz neuen Plan entwerfen.

In voller Würdigung dieser Umstände und mit rühmlicher Hingabe und Umsicht nahm der Turnrath des Leipziger Turnvereins die vorläufigen Beratungen schon Anfang vorigen Jahres auf, in der Absicht, seine Vorschläge einem später zu gründenden großen Festausschuß, gebildet aus angesehenen und einflußreichen Bürgern der Stadt Leipzig und Freunden der Turnsache, vorzulegen. Denn der Turnrath war, wie er selbst ausgesprochen, von vornherein der Ueberzeugung, daß die ihm unmittelbar zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte nicht hinreichen würden, das Fest so zu gestalten, daß es den Erwartungen der Turnerschaft wie der Stadt Leipzig gleicherweise genüge. Diese Erwartungen gingen ja nicht auf ein Fest hinaus, wie es eine einzelne Gesellschaft einigen Gästen, sondern wie es ein großes bürgerliches Gemeinwesen der gesammten Jugend der Nation giebt. So versammelten sich denn am 17. Januar d. J. auf Einladung des Turnraths über 150 Männer, die sich einmüthig bereit erklärten, dem Gelingen des Festes ihre Kräfte zu widmen. Damit waren die Festvorbereitungen in ein neues, wichtiges Stadium ihrer Entwickelung getreten, die Lösung der schwierigen Aufgabe um ein Bedeutendes gesicherter.

Nach dem von der constituirenden Versammlung einstimmig angenommenen Organisationsplan bestand der nun gebildete Gesammtfestausschuß aus einem Centralausschuß und sieben Specialausschüssen. Wir wollen die Zusammensetzung und die Aufgaben derselben hier kurz andeuten, um ein übersichtliches Bild von der Art und Weise zu geben, wie die mannigfachen Vorarbeiten zum Feste vertheilt sind. Voraus bemerken wir, daß jeder der Unterausschüsse sich selbstständig zu organisiren, sein eigenes Bureau zu wählen und das Recht hat, sich nach Bedürfniß durch eigne Wahl zu ergänzen. Also:

Der Centralausschuß bestehend aus 6 Mitgliedern, und zwar Bürgermeister Dr. Koch, Stadtrath E. Sander, Stadtverordnetenvorsteher Dr. Joseph, Turnvereinsvorstand Kaufmann P. Bassenge, Vorsitzender, Banquier A. Mayer (Firma Frege u. Co.), Advocat F. v. Zahn II. – hat die oberste Leitung sämmtlicher Festanglegenheiten und vertheilt die Geschäfte an die Specialansschüsse nach Maßgabe ihrer Bestimmung; er wird von allen Ausschußbeschlüssen vor deren Ausführung in Kenntniß gesetzt.

Dem Finanzansschuß (14. Mitglieder, Vorsitzende Bürgermeister a. D. Berger und Kaufmann J. C. Cichorius) sind angewiesen: Die Beschaffung der erforderlichen Gelder, Aufstellung eines allgemeinen Budgets, Druck, Ausgabe und Verkauf der Fest- und Eintrittskarten, Einrichtung eines auf dem Festplatze anzulegenden Wechselcontors, Berichtigung sämmtlicher Rechnungen, Stellung der allgemeinen Schlußrechnung.

Dem Bauausschuß (22 Mitglieder, Vorsitzende Stadtrath R. Härtel und Baudirector Dost) fällt die Herstellung und Beseitigung sämmtlicher durch das Fest nöthig werdender baulicher Einrichtungen und unbeweglicher Decorationen zu.

Der Wirthschaftsausschuß (20 Mitglieder, Vorsitzende Advocat P. v. Zahn I. und Stadtrath W. Felsche) hat die Verträge mit den Wirthen abzuschließen, die Aufsicht über die Wirthe und die allgemeine Aufsicht in der Festhalle.

Der Wohnungsansschunß (55 Mitglieder, Vorsitzende Adv. J. Tscharmann und Adv. Th. Winter) hat die Aufsuchung und Prüfung der für die Gäste erforderlichen Wohnungen, die Verhandlungen mit den Verkehrsanstalten, den Empfang der ankommenden Gäste und die Ausgabe der Wohnungszettel zu besorgen.

Dem Turnausschuß (17 Mitglieder, sämmtlich Turnlehrer und Vorturner; Vorsitzende Director Dr. Lion und Kaufmann O. Faber) kömmt die Ausstattung des Festturnplatzes mit den nöthigen Geräthschaften, die Vorbereitung des allgemeinen und besonderen Leipziger Schauturnens, die Verkündigung und Aufrechterhaltung der Turnordnung, die Anordnung und Aufstellung der turnerischen Festzüge zu.

Der Festordnungsausschuß (33, Mitglieder, Vorsitzende Goldarbeiter J. Müller und Adv. Dr. H. Mayer) hat die Beschaffung der beweglichen Decorationen (Festzeichen, Vorturnerbinden, Schärpen, Standarten, Preiskränze etc.), die Besorgung eines Locals für die Begrüßungsfeierlichkeit und den Turntag, Veranstaltung etwaiger Lustbarkeiten auf dem Festplatze, die Anordnung der Festlichkeiten am vierten Tage des Turnfestes.

Dem Festpolizeiausschuß (25 Mitglieder, Vorsitzende Adv. Max Rose und Prof. Dr. Winter) endlich sind zugewiesen die Besorgung der angemessen erscheinenden ärztlichen Hülfe und die feuerpolizeilichen Vorkehrungen auf dem Festplatze, die Handhabung der allgemeinen Sicherheitspolizei und der Ordnung daselbst, sowie die polizeiliche Unterstützung sämmtlicher Ausschüsse.

Man sieht auf den ersten Blick, daß der Haushalt des Festausschusses mit Geschick angelegt ist und Nichts zu wünschen übrig läßt. Selbstverständlich bestehen nun innerhalb der einzelnen Unterausschüsse so und so viele größere und kleinere Commissionen. Tüchtige Kräfte sind reichlich vorhanden und entsprechend vertheilt; so ist es fast selbstredend, daß die Spitzen der Kaufmannschaft ihren besten Wirkungskreis im Finanzausschuß, Architekten, Baubeflissene und Maler im Bauausschuß, Turnlehrer im Turnausschuß, Schriftsteller und Künstler im Festordnungsausschuß, Aerzte und Beamte im Festpolizeiausschuß gefunden haben.

Seit ihrer Gründung am 17. Januar herrschte reges Leben in der großen, vielgegliederten Körperschaft. Selten verging wohl ein Tag, an dem nicht irgend einer der acht Ausschüsse oder irgend eine Untercommission berathen hätte. Herüber und hinüber floß der Meinungsaustausch, und nicht selten bedurfte es angestrengter, wenn auch friedlicher Debatten, um über diesen oder jenen zweifelhaften Punkt in’s Klare zu kommen. Da waren es Hunderte von Kleinigkeiten, die reiflich erwogen werden mußten; wollte man doch nicht nur ein glänzendes, sondern auch ein in jeder Beziehung vollendetes und solides Fest vorbereiten. – Eine der Hauptfragen bildete das Budget, das, bevor an größere Ausgaben zu denken war, möglichst genau festgestellt und von den städtischen Behörden genehmigt sein mußte – ein schwieriger Punkt, von dessen Entscheidung das Wohl und Wehe des ganzen großartigen Unternehmens abhing. Anfang April d. J. konnte dies Budget dem Stadtrathe und den Stadtverordneten vorgelegt werden und einstimmig wurde in beiden Instanzen eine Summe von 75,000 Thlrn. verwilligt; ja es wurde sogar ein Antrag des Stadtverordneten Bassenge, des Vorsitzenden des Centralausschusses, wonach dessen Mitglieder für etwaige Ueberschreitungen jener Summe persönlich zu haften sich bereit erklären sollten, abgeworfen! – (Nach den Budgetanschlägen würde nach Abzug allermuthmaßlichen Einnahmen ein Deficit von ca. 29,000 Thlrn. bleiben.)

Unter den allgemeinen Festkosten stehen in erster Linie die Ausgaben für die baulichen Einrichtungen auf dem Festplatze. Dieser Platz, circa fünfhundert Schritt von der Stadt vor dem Zeitzer Thore, zwischen der Chaussee nach Connewitz und der baierischen Eisenbahn gelegen, wurde schon zu Anfange vorigen Jahres von der Stadt für die Zwecke des Turnfestes eingeräumt. Daß man gerade dieses Ackerfeld und nicht einen der näheren Wiesengründe im Westen und Südwesten der Stadt zum Festplatze ausersehen, erklärt sich aus den häufigen Ueberschwemmungen, denen die letzteren im Sommer ausgesetzt sind. – Auf die nach der baierischen Bahn zugekehrte Seite des 1½ Million Quadratfuß haltenden Platzes kömmt die Festhalle zu stehen. Bestimmt, einen Mittelpunkt für den geselligen Verkehr der ganzen Festgenossenschaft abzugeben, mußten ihre räumlichen Einrichtungen auf das gleichzeitige Unterkommen von Tausenden berechnet sein; andererseits mußte dem äußeren Eindruck Rechnung getragen werden – und dies war, wollte man nicht das Festbudget mit unerschwinglichen Summen belasten, eine schwierige Klippe. Den in jeder Beziehung ansprechenden und zweckmäßigen Entwurf, der nunmehr bestimmt zur Ausführung kömmt, verdankt der Bauausschuß seinem thätigen Mitglied Architekten Lipsius. Die Festhalle, die den Bauunternehmern an 70,000, dem Festausschuß nach Rückgabe der Baumaterialien 28,000 Thaler kostet, bildet ein längliches Rechteck von 60 Ellen Breite und 324 Ellen Länge; zwei an den Breitseiten angebrachte vieleckige Ausbauten (Polygonen) geben der Halle eine Gesammtlänge von vierhundert Ellen. In seiner Längenrichtung besteht das Gebäude aus einem Mittelschiff (30 Ellen breit, bis zum Dach 28, bis zum First 34 Ellen hoch) und zwei Seitenschiffen (je 15 Ellen breit und 16½, bez. 20 Ellen hoch). Die Vorderfaçade[2] wird durch einen großen Mittelbau ausgezeichnet, der die Hauptzugänge zur Halle weithin sichtbar macht. Dieser Mittelbau trägt zwei Thürme von 55 Ellen Höhe, zwischen denen sich auf geschmackvollem Fußgestell eine Germania erhebt. An jedem der [348] beiden mittleren Thürme befindet sich ein großes, Abends transparentes Zifferblatt, auf deren einem die Stunden, dem anderen die Minuten von 5 zu 5 angegeben werden. Zwei Eckthürme auf den Seiten der Halle haben je eine Höhe von fünfzig Ellen und sind mit Treppenhäusern und Gallerien zur Umsicht versehen. An der vorderen Seite der Bedachung des Mittel- und Seitenschiffes vom Hauptbau sowohl als den Anbauten sind in gleichen Abständen 114 Fahnen mit den Farben und Wappen der deutschen Staaten und größeren Städte angebracht. Die Hauptfahnen auf den Thürmen (auf den beiden mittleren derselben bis zur Spitze 85 Ellen

Vorderansicht der Festhalle zum dritten deutschen Turnfest zu Leipzig.
Nach dem Entwurf des Architekten Lipsius gezeichnet von Sprosse.

hoch) tragen die deutschen Farben; die Fahnen auf den Ecken der Thürme dagegen die der Stadt Leipzig und Sachsens. Die Vorderseite des Mittelbaues hat 9 durch Fahnentrophäen ausgezeichnete Portale, von denen sich drei im Vorbau, je zwei unter den mittleren Thürmen befinden. Außerdem sind auf den Seiten der Vorderfaçade noch zehn, an den Eckthürmen noch je zwei Eingänge. – Der innere Raum der Halle gewährt Sitzplätze für sechstausend Personen. Die Tafeln laufen in der Längenrichtung des Gebäudes. In derselben Richtung gehen drei Gänge zwischen durch, von denen der mittlere zu acht, die beiden zur Seite zu vier Ellen Breite angenommen sind. Der Raum unter dem Mittelbau enthält nur die Rednertribüne und Plätze für den Festausschuß. Das Innere der beiden polygonischen Anbauten wird durch zwei Orchester für Instrumental- und Vocalmusikaufführungen ausgefüllt. Gegenüber den vorderen Eingängen befinden sich in der Halle vier große Büffets, welche mit den dahinter liegenden zwei Küchen – jede ca. 50 Ellen lang und durchschnittlich 15 Ellen breit – in Verbindung stehen. Jede dieser Küchen hat in ihrer Mitte einen 9 Ellen langen, 3½ Ellen breiten Kochheerd, ferner 4 eingemauerte Kessel à 350 sächsische Meßkannen und 4 Bratöfen mit doppelten Röhren, je 1½ Elle breit, 2 Ellen tief. Zwischen beiden Küchen ist ein 60 Ellen langer Raum zum Reinigen des Geschirrs etc. gelassen, mit ihnen in Verbindung stehen 2 Eishäuser, eine Halle für die Tischwäsche, ein Contor für die Wirthe etc. Die Beleuchtung der Halle geschieht durch Gas, das aus der Stadt auf den Festplatz geleitet wird. Lediglich für den Bedarf der Küchen werden hinter der Festhalle zwei Brunnen (außer zwei anderen auf dem Festplatz) gegraben. (Die gesammte Schank- und Speisewirthschaft in der Halle ist gemeinschaftlich von vier Leipziger Wirthen übernommen worden. Soviel uns von dem bisherigen Uebereinkommen dieser Herren bekannt ist, werden allein für den Dienst in der Festhalle ca. 250 Kellner angestellt, 2000 Dutzend Teller, 2000 Schüsseln, 6000 Paar Messer und Gabeln, ca. 10,000 mit auf das Fest bezüglichen Sinnbildern versehene Biergläser, eine entsprechende Zahl von Weingläsern etc. angeschafft werden.)

Der Festturnplatz, den bei Weitem größeren Theil des Festplatzes einnehmend, bildet in der Mitte einen 252,000 Quadratfuß [349] großen Raum lediglich zur Ausführung von Massenfreiübungen (durch ca. zehntausend Mann) dar. Die vier Eckplätze, jeder ca. hunderttausend Quadratfuß enthaltend, sind für das Geräthturnen bestimmt. Im Ganzen werden hier sechshundert Turngeräthe aufgestellt, und zwar 200 Recke, 200 Barren, 200 Sprunggeräthe, darunter 80 Pferde, 40 Böcke, 40 Freispringel und 40 Sturmspringel. Auf jeden einzelnen der vier Plätze kommen 50 Recke, 50 Barren, 20 Pferde, 10 Böcke, 10 Frei- und 10 Sturmspringel zu stehen. (Die Kosten für Beschaffung und Aufstellung dieser Geräthe, die durchweg neu und zum großen Theil schon jetzt fertig sind, hat der Turnausschuß auf 3142 Thaler veranschlagt.) Auf der Westseite des Festplatzes sind zwei Zuschauer-Tribünen errichtet, je 325 Ellen lang und 37 Ellen breit, die zusammen Raum für zehntausend Personen gewähren. Der Freiübungsplatz, der außer der für das Turnen angesetzten Zeit dem geselligen Verkehr übergeben ist, enthält eine Tribüne für die Leiter des Turnens und die Festredner; außerdem noch vier Tanzplätze und ebenso viele Orchester, unter denen sich unterirdische Privets befinden.

Der vom Turnplatz und der Festhalle nicht eingenommene Raum des Festplatzes wird von Buden und Zelten besetzt werden. Die Zahl derer, die sich um Ueberlassung kleiner Stücken Platzes beworben haben, ist nicht unbedeutend; Schankwirthschaften, photographische Ateliers, kohlensaure Trinkhallen, Kaufläden etc. werden sich hier in buntem Gemisch zusammendrängen. Dazu kommen noch die verschiedenen Büreaux des Festausschusses, ein Wechselcontor, ein telegraphisches, ein Post- und ein Festzeitungsbüreau u. s. w. – Der ganze Festplatz ist in einer Länge von neunzehnhundert Ellen, soweit ihn nicht die Tribünen begrenzen, durch eine 4 Ellen hohe Planke aus übergedeckten Bretern eingeschränkt. Eine zweite Einplankung, über siebenhundert Ellen lang und nur 1½ Elle hoch, grenzt den eigentlichen Turnplatz vom Zuschauerraum ab. Für die Festzüge wird eine eigene Ehrenpforte erbaut, für den täglichen Verkehr besondere Ein- und Ausgänge offen gehalten; für Droschken und Omnibusse ist ein Halteplatz außerhalb der Umplankung bestimmt.

Alles das, was wir in gedrängter Kürze hier mitgetheilt haben, umfaßt aber nur einen, wenn auch nicht den geringsten Theil der Arbeiten, die der Festausschuß zu vollbringen hatte. Wir erinnern nur an die schweren Pflichten des Wohnungsausschusses, der „fürsorglichen Mutter“ der zum Feste erwarteten Turngenossen. Wahrlich, es ist keine kleine Aufgabe, zehntausend und wer weiß wie viel mehr Leuten Quartier, und noch dazu freies Quartier zu schaffen. Ein Glück, daß man sich in Leipzig unter einem Turner kein vorweltliches und urwäldliches Ungethüm mehr vorstellt. Die Turnsache und ihre Jünger werden, wie es ja bei vernünftigen und praktischen Leuten gar nicht anders sein kann, von der wackeren Leipziger Bevölkerung hochgehalten, und mit Freuden wird sie die deutsche turnende Jugend aufnehmen, die es, sollte die Noth an den Mann gehen, wohl auch nicht verschmähen wird, ein schlichtes [350] Nachtlager auf einem der nahen Dörfer zu beziehen. – Auch dafür, daß die Turner mit möglichst geringen Kosten ihre Reise nach Leipzig machen können, hat der treffliche Wohnungsausschuß gesorgt. Auf Antrag des „mitteldeutschen Eisenbahnverbands“, an den man sich deshalb wandte, hat die Direction des deutsch-österreichischen Eisenbahnverbandes an alle Bahnverwaltungen das Ersuchen ergehen lassen, den Besuchern des Leipziger Festes freie Rückfahrt zu gewähren, und es ist dies, soviel uns bekannt, bisher vom besten Erfolg gewesen. (Zur Erlangung der Fahrpreisermäßigung ist an den betreffenden Abfahrtsstationen die Festkarte vorzuzeigen, welche schon vor dem 1. Juli – im Falle der Inhaber auf freie Einquartierung Anspruch macht – gegen Zahlung von 1 Thaler bestellt sein muß.)

Damit es schon vor dem Feste nicht an Gelegenheit fehle, zwischen dem Festausschuß und den Festtheilnehmern vermittelnd und anregend zu wirken, werden von Mitte Juni an beim Verleger der Gartenlaube „Blätter für das dritte deutsche Turnfest zu Leipzig, herausgegeben von G. Hirth und Ed. Strauch“ erscheinen – eine Festzeitung, die, im Ganzen etwa 12 Nummern haltend, auch noch während und nach dem Feste ausgegeben werden und nach ihrer Vollendung ein würdiges Gedenkbuch zur Erinnerung an das Fest sein soll. Sie wird alle Bekanntmachungen des Festausschusses, Originalaufsätze über Leipzig und seine Schlachtfelder, eingehende Festbeschreibungen etc. enthalten.

Soweit das Festprogramm sichergestellt ist, mag hier noch Einiges über den Verlauf des Festes und bezügliche Einrichtungen gesagt sein; die „Gartenlaube“ wird von nun an regelmäßig über alle weiteren Schritte des Festausschusses so schnell als möglich Bericht erstatten.

Sonnabend, den 1. August. Empfang der fremden Gäste auf den fünf Bahnhöfen der Stadt und Geleitung derselben nach dem Schützenhause, wo der Wohnungsausschuß seine Quartierbüreaux, für jede Landsmannschaft eines, aufschlagen wird. Abends Begrüßung der Festgäste seitens der städtischen Behörde und Uebertragung des formellen Festpräsidiums an den Ausschuß der deutschen Turnvereine im Schützenhaus. Hierauf in den festlich decorirten Räumen desselben Locals Concert und geselliger Verkehr. (Sonnabend Nachmittag Sitzung des Ausschusses der deutschen Turnvereine im Turnrathszimmer der Leipziger Turnhalle.)

Erster Festtag, Sonntag, 2. August. Morgens Reveille. Um 11 Uhr Vormittags Beginn der Verhandlungen des Turntags (d. i. einer Versammlung von etwa 300 gewählten Vertretern der deutschen Turnvereine) im großen Saale des Schützenhauses. Während dem findet von 10 Vormittags an ein Eröffnungsconcert auf dem Festplatze statt; ob gleichzeitig auch ein Schauschwimmen in der Elster angesetzt werden wird, ist noch nicht bestimmt. Mittags 1 Uhr Essen in der Festhalle; Nachmittags Unterhaltungsmusik auf dem Festplatze, beziehendlich in der Festhalle; von 7 Uhr an Instrumentalconcert mit Männergesangsaufführungen (von den sämmtlichen Leipziger Liedertafeln unter Leitung des Festausschußmitgliedes Director Dr. Langer) in der Festhalle.

Zweiter Festtag, Montag, 3. August. Morgens Reveille. Vormittags elf Uhr Aufstellung, um zwölf Uhr Abmarsch des Festzugs, der, lediglich aus Festtheilnehmern und Mitgliedern deutscher Turnvereine gebildet, sich in einer Stärke von circa fünfzehn- bis zwanzigtausend Mann durch die Straßen der Stadt nach dem Festplatze bewegen wird. (Die Aufstellung geschieht auf dem Augustusplatz und in den benachbarten Anlagen in der Ordnung nach Landsmannschaften, die einander so folgen werden: Preußen, Schlesier, Pommern, Märker, Mecklenburger, Holsten und Hamburger, Friesen, Hannoveraner, Kurhessen, Niederrheiner, Mittelrheiner, Oberrheiner, Schwaben, Baiern, Thüringer, Sachsen, Oesterreicher.[3] Jeder Landsmannschaft wird eine Standarte, den Abgesandten jedes einzelnen Ortes ein Schild mit betreffenden Inschriften vorangetragen.) Um drei Uhr Nachmittags beginnt auf dem Festplatze das allgemeine Schauturnen, eingeleitet durch eine Rede, gehalten von Dr. Goetz aus Lindenau. 1. gemeinsame Freiübungen, gleichzeitig von circa 10,000 Mann unter der Leitung des Dr. Lion ausgeführt. 2. Riegenturnen, mit möglichster Sonderung der einzelnen Landsmannschaften und Vereine. Nach Schluß des Schauturnens Unterhaltungs- und Tanzmusik auf dem Festplatze und in der Halle. Von neun Uhr Abends Nachtmanöver der Leipziger Feuerwehr.

Dritter Festtag, Dienstag, 4. August. Morgens acht Uhr Zug der Turnvereine Leipzigs und der umliegenden Dörfer (zusammen mit circa 4500 Mitgliedern) nach dem Festplatze und Specialschulturnen derselben von zehn Uhr an. Mittags Festmahl in der Halle. Nachmittags allgemeines Kür- und Wettturnen. (Das letztere beschränkt sich auf Uebungen im Laufen, Werfen und Springen; das Werfen geschieht mit 1/3 Zollcentner schweren Steinen. Für jede der drei Uebungen werden drei Ehrenkränze, zusammen also neun, als Preise an die Ausgezeichneten gegeben; die Rede bei der Preisverteilung wird Rechtsanwalt Georgii aus Eßlingen halten.) Von Abends 7 Uhr an Unterhaltungsmusik in der Festhalle, zu gleicher Zeit vielleicht auch eine Festvorstellung im Theater.

Vierter Festtag, Mittwoch, 5. August. Morgens 8 Uhr Zug der Festgenossen nach dem Festplatze, woselbst eine Feier zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig stattfinden soll, bestehend in einer Festrede (gehalten vom Dr. von Treitschke) und Männergesangsaufführungen. Nach gemeinschaftlichem Mittagsessen finden getrennte Züge nach den wichtigsten Punkten des Schlachtfeldes (auf dem übrigens, wie wir bemerken, der Festplatz mitten innen liegt) statt. Von Abends sechs Uhr an Concertmusik auf dem Festplatze. Den Schluß des Tages und des Festes überhaupt bildet ein großartiges Feuerwerk auf dem Festplatze.

So ist für den würdigen und großartigen Verlauf des dritten deutschen Turnfestes reichlich gesorgt. Leipzig wird es sich zur Ehre rechnen, Deutschlands turnende Jugend gastlich zu empfangen, und das gesammte Vaterland wird der wackeren Stadt dafür Dank wissen. Es bleibt nur zu wünschen, daß auch der Himmel mit freundlichem Auge auf das Fest herabblicken und Leipzig in den Tagen vom 1–5. August auf eine Stunde im Umkreis mit Regengüssen freundlich verschonen möge!

  1. Der Leipziger Turnverein wurde im Jahre 1845, hauptsächlich auf Anregung Prof. Bock’s, der den ersten Vorturner abgab, und Prof. Schreber’s, gegründet. Seitdem hat das Turnen der Leipziger stets in Blüthe gestanden. Heute zählt der Verein nahe an 2000 erwachsene Mitglieder, zu denen noch 2200 Knaben und 170 Mädchen, von den 6 Vereinsturnlehrern unterichtet, kommen. Unter den Mitgliedern (die übrigens sämmtlich turnen, denn „passive Turner“ giebt es in Leipzig nicht) sind alle Altersclassen, vom Jüngling bis zum Greis, und alle bürgerlichen Berufsarten vertreten. Die Leitung des Vereins hat ein 18 Mann starker Turnrath, meist aus älteren, im städtischen Gemeinwesen ehrenvolle Stellungen einnehmenden Vereinsmitgliedeen zusammengesetzt (Vorsitzender Stadtverordneter Paul Bassenge), und eine 40 Mann starke Vorturnerschaft unter technischer Leitung des Dr. Lion. – Im vorigen Jahre erbaute die Stadt lediglich für die Zwecke des Vereins eine neue schöne Turnhalle für 42,000 Thaler.           D. Verf.
  2. Sonderabdrücke unserer Abbildung können durch die Expedition der „Gartenlaube“ bezogen werden.           D. Red.
  3. Es ist diese Reihenfolge nach der in der kürzlich erschienenen Statistik der deutschen Turnvereine beobachteten Ordnung bestimmt worden.