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Deutschlands größte Räuberburg

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Deutschlands größte Räuberburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 744–746
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutschlands größte Räuberburg.
Ein österreichisches Natur- und Culturbild, von Friedrich Hofmann.

Man wird es heute kaum für möglich halten, daß in einem Alpenthale, bei welchem die Grenzen der industrie- und verkehrreichen Länder Steiermark, Kärnthen und Krain zusammenstoßen und das selbst über sechshundert Einwohner zählt, viele Jahre lang gegen dreihundert dem Strafgesetz verfallene oder entwichene Menschen das freieste und großartigste Räuberleben führen konnten. Um diese Möglichkeit zu begreifen, müssen wir in das „Nachtquartier“ vordringen, wo der „Mond“ ihre „Sonne“ war.

Wer, sei es von Wien her über den Sömmering, oder von Triest her über den Karst, die bezwungene, wilde Gebirgsnatur auf den kühnsten Schienenwegen an sich vorüberstürmen ließ, der gelangt im grünen Steiermark in ein Thal, wo er freudig aufathmet und gern verweilt: das Thal von Cilli oder das Santhal, wie es nach seinem Hauptflusse genannt wird. Man braucht hier nur zu der nahen Terrasse des „armen Capuzinerklösterleins“ jenseits der San am Abhang des Nicolaibergs emporzusteigen, um nicht nur den Anblick über das stundenweit gen Norden, Osten und Westen hin sich ausbreitende und von sanften Hügeln durchzogene Thal zu genießen, sondern zugleich schon hier zu einer Riesenburg „freier Flüchtlinge“ hingelockt zu werden, denn als Rahmen des Thalbildes ragt am Horizont eine ununterbrochene Reihe von Alpen-Zügen, -Rücken und -Köpfen, bald waldbedeckt, bald starrer Fels, bald in weichen Linien, bald in der weißröthlichen Felsenpracht der südlichen Kalkalpenkette empor – nach rechts hin die waldigen Höhen, die nach Ungarn und Croatien hinüberstreichen, gerade vor uns das Bachergebirge mit meilenweiten Urwäldern über den Marmorlagern, aus denen einst die Römer die Paläste ihrer großen Stadt Claudia Celleja bauten, auf deren Fundamenten jetzt das kleine Cilli steht; zur Linken aber beginnt eine wilde Bergwelt, vor welcher der heilige Kreuzberg und die heilige Ursula mit ihren weißen, hellleuchtenden Wallfahrtskirchen jeden frommen Christenmenschen zu warnen scheinen, dort drohen die sägeförmigen Zinken, Pyramiden, Nasen, Hörner und Zacken der Kalkfelshäupter so reizend zu uns herüber, daß wir den Pater Capuziner, der just am Marterkreuz beim Thor der Klostermauer gebetet hat, fragen: „Was sind das für herrliche Berge?“

„O,“ sagt er und blickt uns, den Zeigefinger vermahnend erhoben, groß an, „das ist ein abscheuliches Gebirg, wohin kein Mensch reist. Sie heißen’s zwar die Untersteierische Schweiz und der Fluß da unten, die San, kommt dorther, aber gehen Sie ja nicht dorthin, denn wenn auch das Sulzbacher Thal, das jene schiechen Berge einschließen, schon ein zwölf bis vierzehn Jahre her vom großen Raubgesindel durch das kaiserliche Militär gereinigt ist, so finden’s ja doch nichts dort, als einsame Steige und schreckliche Felsen.“

Ein abscheuliches Gebirg, wohin kein Mensch reist, einsame Steige und schreckliche Felsen, und zu alledem noch jüngst der Sitz einer großen Räuberbande – bedarf es einer weitern Empfehlung zum Besuch desselben für Jeden, der die vom Touristenschwarm plattgetretenen Straßen scheut? Die Leute in Cilli halten es jedoch noch heute immerhin für gerathen, in die Sulzbacher Alpen sich nicht allein, sondern nur in Gesellschaft und nicht ganz unbewaffnet zu wagen.

Von Cilli bis eine Stunde vor dem Markt Laufen folgt man der alten Poststraße von Graz nach Laibach; sie biegt dann nach Süden ab, während der Weg nach Sulzbach westlich weiter geht. Je näher an Laufen, desto mächtiger treten die Gebirgsriesen uns entgegen, aber erst später zeigt es sich, daß sie nur die Thürme einer großen, schier uneinnehmbaren Veste sind, in deren Außenwerken man schon von Sausen an wandert und zwar längere Zeit ohne es zu wissen, weil anfangs die himmelhohen Wälle dieser Burg vor lauter Wald nicht zu sehen sind. Zwei Stunden lang führt der schmale Weg die San entlang, bald hart an dem Felsenufer des schäumenden und tosenden Bergwassers hin, bald an steilen Abhängen aufwärts in immer unheimlichere Einsamkeit. Da, eine plötzliche Windung des Weges – und vor uns liegt das Dorf Leutschdorf und jenseits desselben trotzt uns eine ganze Seite der Veste entgegen; dort der 7422 Fuß hohe Thurmberg Oistritza, von dem aus als unübersteiglicher Wall der Roßberg quer über das Thal hinzieht, während im Süden die Karnitza und im Norden die Raducha, beide weit über 6000 Fuß hohe, felsenstrotzende Eckthürme dieser Alpenburg bilden.

Hier, in Leutschdorf, hat jeder Reisende sich ehrlich zu gestehen, ob er eines schwindelfreien Kopfes Herr ist; wer zum Schwindel neigt, muß, wenn er mit in das Innere der Felsenburg dringen will, hier ein Pferd besteigen und im Bette der San hineinreiten. Die Uebrigen setzen zu Fuß ihren Weg fort, der gleich außerhalb des Dorfs über einen Steg auf das linke Ufer der San springt und nach ungefähr einer Stunde vor einer ungeheuren Naturbastei stehen bleibt. Der Logerfels gebietet hier Halt! Nur wer sich aufs Klettern versteht, benützt die in das Gestein gehauenen Stufen und erklimmt die Höhe. Oben führt der Steig am Eingang zu einer Höhle vorüber, die noch unerforscht sein soll, obwohl der Volksmund behauptet, sie reiche bis nach Kärnthen hinüber und habe im Fellachthale ihre Mündung. Jenseits derselben senkt sich abermals unser Pfad steil zur dunkelgrünen San mit ihren blüthenweißen Schaumspitzen hinab, um den Wanderer bis vor den letzten Felsenwall zu geleiten. Abermals gilt es, über zweihundert Fuß hoch am Felsen hinanzuklimmen, die San unter uns im Abgrund, und nirgends sehen wir die Möglichkeit, weiter zu kommen. Da zeigt sich endlich eine Spalte in der außerdem unübersteiglichen Felswand. Tritt man näher, so hat man ein Naturthor vor sich, das dreizehn Fuß hoch und drei Fuß breit ist; und wenn wir etwa sechs Fuß weit in ihm vorschreiten, stehen wir vor einem tiefen Felsenriß, wie vor einem letzten Wallgraben, über welchen ein schmales Bret führt. Dieses Bret ist die Zugbrücke zur Festung. Auf der ganzen steiermärkischen Seite ist kein anderer Zugang in das Sulzbacher Thal möglich, als durch diese Spalte, die das Volk wegen ihrer Aehnlichkeit mit einem Nadelöhr die Nadel (wendisch: jigla) nennt, und im Bette der San, das jedoch leicht durch Felsbrocken und Baumstämme undurchdringlich zu machen ist, wenn der von längeren Regen, Gewittern oder vom Schneeschmelzen angeschwollene Bergstrom nicht selbst die Benützung seines Bettes verbietet. Wer jenseits des Abgrunds stehend das Bret wegnimmt, hat die einzige Zugbrücke des Bollwerks aufgezogen.

Wir eilen über den schwindelnden Steg – und sind in der verrufenen Räuberburg. Unwillkürlich verfällt hier die Gesellschaft, sollte sie bis dahin noch so heiter gewesen sein, einem plötzlichen eigenthümlichen Ernst. Zugleich wächst mit jedem Schritte das Staunen vor der Größe dieser Festung, denn erst nach anderthalbstündigem Marsche erreicht man den Mittelpunkt des Thals in dem Dorfe Sulzbach, einer zerstreuten Gruppe von etwa achtzehn Häusern. Des Dorfes alte Pfarrkirche ist der heiligen Maria in Sulzbach geweiht, die während der langen Räuberzeiten ohne Zweifel manches wunderliche Gebet um Hülfe und Beistand zu hören bekommen hatte. Ein zweites Dorf des Thals ist das zum Heiligen Geist, von der halben Größe Sulzbachs. Die übrigen Häuser der Gemeinde liegen zerstreut an den Hängen des Gebirgs; im Ganzen zählt man deren etwa achtzig.

Wer die Räumlichkeit dieser Riesenveste und ihre Hochgebirgswälle weiter kennen lernen will, muß dem Ursprung der San nachforschen. Dies führt zunächst in eine Felsenschlucht, in welcher der wilde Bach uns donnernd entgegenstürzt und kaum Platz läßt zu schmalen Pfaden, die oft von einem Ufer zum andern, doch stets auf sicheren festen Stegen, übergehen. Diese Wanderung währt über eine Stunde; aber sie gestattet über all die bewaldeten Vorberge hinüber den Blick auf den nördlichen Hauptwall, welcher das Sulzbacher Thal von Kärnthen trennt durch den siebentausend Fuß hohen Ouschowa (Schafberg) und seinen langgestreckten Rücken; noch imponirender tritt er uns am Ausgang der Schlucht gegenüber, wo er vom tiefen grünen Grund einer breiten Matte in seiner vollen Pracht zum Himmel strebt. Auf dieser Matte liegt ein stattliches Bauerngut, dessen Besitzer „der Logarbauer“ heißt; neben dem Gehöfte bricht vom Schatten uralter Erlen bedeckt die San unter einem Felsblock hervor. Boden- und Quellenkundige behaupten jedoch, daß hier nur eine Stätte der Wiedergeburt der San sei; um zum eigentlichen Ursprung derselben vorzudringen, muß man an der westlichen Wand des urwaldgekrönten Felsenwalles hinanklimmen und dies führt uns vor das großartigste [745] und erhabenste Felsgebilde der gesammten Alpenwelt; aus grünem Vorgrund von Matten und Waldhügeln gipfelt sich ein Amphitheater von Felsen empor, so riesig, so thurmartig, so gestaltenreich und schwindelhoch, daß wir lautlos nur hinaufschauen und Gott danken, der uns bis hierher geführt hat. Dieser Anblick allein ist viele Tagereisen, Mühen und Gefahren werth. Die weitgereistesten Männer finden nur in den Pyrenäen europäische Seitenstücke zu diesem Naturwunderbau. Hier betritt man den Hochwald, um sich zu einer Stelle emporzuarbeiten, die eine Uebersicht der ungeheuren Festungswerke gewähren soll, deren Unbezwingbarkeit mit jedem Schritte mehr einleuchtet. Nach zwei Stunden mühseligen Kletterns über Steingeröll und Holzriesen und einer halben Stunde weiteren Steigens steht man vor der Bergwand Okreschel (Rundung), von welcher eine Cascade etwa fünfzig Fuß hoch herabstürzt. Hier überschauen wir das ganze Panorama der Sulzbacher Hochgebirge, der ununterbrochenen Wälle und himmelaufragenden Thürme dieser – Räuberburg! Zur Linken zeigt uns jetzt die Oistritza ihr Doppelhaupt, näher rücken uns die Pyramiden und Kronenzacken des Kotschna-Gebirgs, die bis zu 8580 Fuß aufragen, aber Alles überstrahlt die Hoheit und Pracht der Rinka, der über 9000 Fuß hohen Jungfrau dieser Berge, die noch kein Sterblicher bestiegen hat.

So sehen wir nach allen Seiten, nach Steiermark, nach Kärnthen und hier nach Krain hin, die Festung der Sulzbach sturmfrei geschlossen. Nur wenige (im Ganzen vier), ebenso beschwerliche wie gefährliche Alpensteige führen aus dem Thal nach Kärnthen und Krain, und auch sie scheinen mehr als Ausfallpforten für die Räuber, denn für den Verkehr mit jenen Nachbargegenden da zu sein. Die nur den kühnsten Bergsteigern zugänglichen Plateaus der meilenweiten Wälle dieser Felsenburg sind bedeckt mit undurchdringlichem Urwald und belebt von Urwalds-Thiergeschlechtern, die sich einer vollkommen amerikanischen Freiheit erfreuen.

Nachdem somit der Leser einen Blick in die Fels- und Urwaldburg von Sulzbach gethan, wird er die Möglichkeit erkannt haben, daß hier Zustände sich ausbilden konnten, wie sie Schiller’s jugendfeurige Phantasie für „die böhmischen Wälder“ kaum großartiger ersonnen hat. Dazu gehörte allerdings, daß die Bevölkerung des Thals selbst für ein der staatlichen Ordnung feindseliges Treiben empfänglich war oder durch die Vortheile, die es ihr bot, gemacht wurde. Abgeschlossen vom großen Verkehr der Welt, auf niederster Bildungsstufe stehend und durchschnittlich arm, vermochte sie mit ihrem moralischen Fonds der Verführung schon an sich kaum zu widerstehen, hier half aber außerdem die angeborene Gutmüthigkeit des Alpenvolks über die letzten Bedenken hinweg, denn die große Mehrzahl und wahrscheinlich überhaupt die ersten Schaaren der zu ihr Geflüchtetnn bestanden aus Deserteuren und der Recrutirungspflicht Entwichenen. Diese vor ihren Verfolgern sicher zu stellen, hielt man für ein gutes Werk; solchen Söhnen der Wildniß gilt die Obrigkeit nicht als Beschützer, dessen Gebote dem allgemeinen Wohl dienen, sondern als eine feindliche Gewalt, die man sich allezeit fern halten muß.

Dieser wilde Begriff vom Staat gab den Sulzbachern frühzeitig das klügste Mittel ein, ihr Thal und seine Gehöfte möglichst vor dem Besuch von Gensd’armen zu sichern. Sie wußten aus Erfahrung, daß die häufigste Veranlassung dazu die Steuereintreibung gab, und deshalb besorgten sie dieselbe unter sich selbst und schickten das Geld stets pünktlich zu den bestimmten Terminen an die Behörde, gewiß auch eine seltene Erscheinung im österreichischen Staate. Aber die Sicherheit gegen die Obrigkeit, die dadurch im Thale fühlbar wurde, mochte nun die Hauptveranlassung sein, daß auch die vom Gesetz verfolgten Verbrecher aller Art dort ihre Zuflucht suchten. Hatten bisher die Flüchtlinge meist als Arbeiter in den Holzschlägen und als Wildschützen ihr Brod verdient, so kam jetzt als neuer Erwerbszweig der Raub dazu, zu dem bald von verwegenen Führern auch mancher in dieser Beziehung vorher Unbescholtene verlockt wurde.

Solche Raubzüge wurden Jahre lang mit ebensoviel List wie Kühnheit ausgeführt. Ihre Ausfallpforten, die selten von anderen Menschen betretenen Bergpfade nach Kärnthen und Krain benützend, brachen sie aus dem Dunkel der Wälder und der vielen Höhlen des Gebirgs oft meilenweit bis zu den Heerstraßen des großen Verkehrs vor und wußten stets ihre Flucht nach dem Raubanfall so geschickt einzurichten, daß kein Verdacht auf ihre große Räuberburg fiel. Die Straße von Graz nach Laibach mit dem großartigen Verkehr zwischen Wien und Triest war zu Zeiten durch die vielen nächtlichen Raubanfälle förmlich berüchtigt, so daß Gensd’armerie und Militär zur Sicherheit derselben aufgeboten werden mußte; dennoch fiel der Verdacht eher auf Croaten und Zigeuner, als auf die „freien Flüchtlinge“ von Sulzbach. Drang aber ja einmal die bewaffnete Macht in das Thal, um Haussuchung anzustellen, so gingen die Warnrufe und Warnzeichen von Berg zu Berg, von Haus zu Haus, und nie fand man etwas Anderes, als die „friedlichen Bewohner“ und ihr unverdächtiges Eigenthum. Die Burg war groß genug, um eben so viel Tausende zu beherbergen, als Hunderte in den reichlich verproviantirten Höhlen und Schluchten und auf Urwaldhöhen, wohin nur der Wildschütze den Gemsenpfad kannte, des Gesetzes und seiner Wächter lachten. Wurden sie aber auf frischer That überfallen und verfolgt, so scheuten sie auch kein Mittel der Vertheidigung. Im Jahr 1839 wollte eine Schaar Soldaten aus Kärnthen in das Thal eindringen, um Recrutirungspflichtige dort auszuheben; diesen widersetzten sich die „freien Flüchtlinge“, indem sie mächtige Felsbrocken von den Höhen auf sie hinabschleuderten. Viele dieser Kärnthner fanden den Tod und kein Lebender kam ohne schwere Wunden davon. Dennoch wurde dem Unwesen nicht schon damals ein Ende gemacht, ja es scheint sogar von dieser Zeit an, wo man von der Gefährlichkeit der Bevölkerung der Sulzbacher Gebirge endlich überzeugt sein mußte, die Unbezwinglichkeit dieser Räuberburg zum festen Glauben bei dem Volke und selbst bei den Behörden der benachbarten Provinzen geworden zu sein.

Dieser Glaube war aber nicht weniger fest bei den „freien Flüchtlingen“ selbst. Ihr Uebermuth kannte bald keine Grenzen mehr und gedieh zu seiner höchsten Blüthe, als im Jahre 1848 die Sage von der großen Freiheit draußen im Reiche und sogar in Wien bis in das Thal von Sulzbach gedrungen war. bei dem Sulzbacher Begriff vom Staat nahm natürlich auch der von der neuen großen Freiheit eine ganz eigenthümliche Gestalt an. Die „freien Flüchtlinge“ hielten sich nunmehr für berechtigt, ihr freies Leben auf Kosten Anderer fortzuführen, da es ja zugleich ein Kampf gegen die „herrische“ Obrigkeit war. Am hellen Tage fielen sie in bewaffneten Hausen in Kärnthen ein und brandschatzten die Ortschaften. Dies wagten sie nach und nach immer großartiger, dehnten ihre Razzias bis Windisch-Kappel und Schwarzenbach, ja schließlich bis Bleyburg aus, das trotz seiner zwei Gerichte und eintausend Einwohner sich der Räuber Execution unterwerfen mußte. Das wären die goldenen Tage von Sulzbach: „ein Leben voller Wonne!“

Allein nicht so bald, als die Kunde von der großen Freiheit, war die Kunde von der großen Reaction in das Thal gekommen; hier schwärmte man noch in der üppigsten Freiheit, während sie „draußen im Reich“ schon wieder begraben war. Dieser Irrthum half die Sulzbacher „freien Flüchtlinge“ in gar zu große Sicherheit einwiegen, sie versäumten die alten Vorsichtsmaßregeln, und dies führte auch für sie den tödtlichen Schlag herbei.

Am 17. December 1851 hatte sich eine Patrouille von drei Gensd’armen von Kappel in Kärnthen nach Sulzbach gewagt; der Warnungsruf muß diesmal unterblieben sein, denn sie fanden mehrere Deserteure, fesselten sie und führten sie ab. – Kaum hatten sie jedoch den Gebirgswall überstiegen und den jenseitigen Weg nach Kappel eingeschlagen, so fielen über sechszig der „freien Flüchtlinge“ über sie her, schlugen mit Haken und Cepinen (Griesbeilen mit Haken zum Heben und Schleppen der Holzblöcke) auf sie ein, verstümmelten sie auf das Grausamste und stiegen als Sieger mit den befreiten Gefangenen in ihre Burg zurück. Das war ihr letzter Triumph.

Von den drei Gensd’armen hatte einer sich noch bis Kappel hingeschleppt, die beiden andern waren von einem Hammerschmied, der des Weges kam, aufgefunden und ebendahin gebracht worden. Die Folge der Anzeige dieses Ueberfalls war der Beschluß, endlich einmal „in der Sulzbach“ gründlich aufzuräumen. Nachdem die Behörden der drei Provinzen Kärnthen, Krain und Steiermark die diesmal ungewöhnlichen Maßregeln geordnet, setzten sich Anfangs Januar 1852 mit der verstärkten Gensd’armerie bedeutende Militärmassen gegen die Felsenburg von Sulzbach in Marsch, von Cilli aus Abtheilungen des Infanterie-Regiments Prinz Emil von Hessen, um über Leutschdorf den uns bekannten Weg in das Thal zu verfolgen, und von Kärnthen aus mehrere Compagnien vom Infanterie-Regiment Wimpfen, die über Sappel vordrangen.

[746] Der Ernst dieser Maßregeln war dem Thal nicht verborgen geblieben und er wirkte so nachhaltig auf die Schaar der Flüchtlinge, daß wahrscheinlich nicht wenige die einzige noch militärfreie Seite, die nach Krain hin, zur Flucht benützten und von den übrigen keine Vertheidigung ihrer unüberwindlichen Räuberburg versucht wurde. Die Soldaten hatten überdies mit den Terrainschwierigkeiten schon hinlänglich zu kämpfen, ehe die furchtbaren Wälle hinter ihnen lagen.

Auch im Thale, nachdem Sulzbach und Heiligengeist stark besetzt waren, zeigte sich kein anderer Widerstand, als den die Natur den Haussuchungen und Streifzügen entgegensetzte. Mit Steigeisen ausgerüstet, zogen Gensd’armen und Soldaten zu diesen Expeditionen aus; die einzelnen, wie Schwalbennester an den Hängen klebenden Häuser sind oft in guter Jahreszeit schwer zugänglich, geschweige in dieser winterlichen Zeit; dennoch blieb nicht die kleinste Hütte undurchforscht und überall zerrte man angstschlotternde Resultate aus den Winkeln hervor. Gleichwohl erschien nach Verlauf der ersten Woche der Erfolg all dieser müh- und gefahrvollen Züge noch verhältnißmäßig ungenügend; man hatte einundneunzig Flüchtlinge, darunter dreiundfünfzig Militärpflichtige, in Gewahrsam gebracht. Kälte und Hunger wurden jedoch bald gute Verbündete der Soldaten, der aus Schluchten und Höhlen aufsteigende Rauch mußte der Verräther der dorthin Geflüchteten werden, und ehe die nächste Woche verging, hatte man noch einhundert fünfundsechszig Deserteure in Ketten und Banden gelegt, sechs längst steckbrieflich verfolgte schwere Verbrecher fand man in einer auf Monate verproviantirten und trefflich befestigten Höhle, aber auch sie ergaben sich, trotz ihrer starken Bewaffnung, jetzt ohne Widerstand. Andere Strolche und Ausweislose stellten sich freiwillig. So konnte denn zum guten Ende die stattliche Schaar von zweihundert sechsundfünfzig „freien Flüchtlingen“ unter ebenso stattlichem militärischen Geleite von dem romantischen Schauplatz ihrer nichtsnutzigen Romantik abziehen. Eine angemessene Besatzung blieb noch längere Zeit im Thale, um eine neue Ansammlung solcher Freien zu verhüten, und bis zum Herbst 1856, wo ich Untersteiermark verließ, ist kein Anzeichen irgend welcher Unsicherheit im Thale von Sulzbach öffentlich bekannt geworden.

Was die Männer von Sulzbach selbst zu dieser „Epuration“ ihres Thales sagen? Nichts, denn sie trauen Keinem, der ein „herrisches“ Gewand trägt, auch wenn er ihre wendische Sprache spricht; nur ein unwillkürliches Achselzucken läßt ihre Ansicht errathen, daß „die schönen Tage von Sulzbach“ vorüber seien.