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Diätetik des Gehirns und des Schlafes

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Diätetik des Gehirns und des Schlafes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 823–825
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Diätetik des Gehirns und des Schlafes.

Die Kenntniß der richtigen Behandlung des Gehirns, und zwar ebenso während seines Arbeitens beim Wachen, wie während seines Ausruhens im Schlafe, bringt dem Menschen in körperlicher und geistiger Beziehung Heil. Denn sein Gehirn ist es ja, welches den Menschen über das Thier erhebt und welches nicht bloß alle geistige Thätigkeit, also das Denken, Fühlen und Wollen vermittelt, sondern auch mit Hülfe der Empfindungen und willkürlichen Bewegungen bedeutenden Einfluß auf den Ernährungsproceß innerhalb unseres Körpers ausüben kann.

Die Grundgesetze der Hirndiätetik ergeben sich aus folgenden Thatsachen: das Arbeiten des Gehirns ist stets mit Verlust von Hirnmasse verbunden; – nur durch Wiederersatz des Verlorengegangenen kann das Gehirn zu frischer Arbeit restaurirt werden; – dieser Wiederersatz (Neubildung) kann nur während des Ruhens des Gehirns, also im Schlafe, gehörig vor sich gehen; – zu seiner Neubildung bedarf das Gehirn solch Material aus der Nahrung und Luft, aus welchem seine Masse aufgebaut ist; – dieses Material muß in und durch das Gehirn mittels eines regelmäßigen Blutlaufs geleitet werden; – die beim Arbeiten des Gehirns abgenutzte Hirnmasse muß, um das Gehirn von seinen Schlacken zu befreien, vom Blutstrome aus der Schädelhöhle hinweggeführt werden; – Ueberanstrengungen (zu starke oder zu lang anhaltende Reizungen) des Gehirns ziehen entweder einen bleibenden oder doch einen nur langsam und nach längerer Zeit erst schwindenden Lähmungszustand nach sich; – unausgesetztes und langwährendes Faulenzen des Gehirns setzt die Ernährung mit Thatkraft desselben allmählich bis zur Unfähigkeit zum Arbeiten herab; – Kopfverletzungen, sowie die längere Einwirkung heftiger Hitze und Kälte auf den Kopf, können sehr leicht dem Gehirne Schaden zufügen.

Was nun zuvörderst das sogen. psychische Thätigsein des Gehirns, besonders das Denken, betrifft, so ist der Grad der Erregbarkeit und der Arbeitskraft diesen Organs bei verschiedenen Menschen, in Folge der verschiedenen Erziehung und Ernährung der Gehirnmasse, so verschieden, daß für Alle gültige Gesetze gar nicht aufgestellt werden können. Nur ganz im Allgemeinen ist zu rathen, daß Wer bei und nach geistigen Arbeiten sich entweder widernatürlich aufgeregt oder abgespannt fühlt, dabei an Schlaflosigkeit, Zittern, Schwindel, Kopfschmerz, Eingenommenheit des Kopfes, überhaupt an sogenannter Nervosität (mit großer Empfindlichkeit für Temperatureindrücke, häufigem Wechsel von Kälte- und Hitzeempfindung, unangenehmen Gefühlen der verschiedensten Art und an den verschiedensten Stellen, leichter Erschöpfung des Körpers und Geistes, leichtem Wechsel der Gemüthsstimmung) leidet, daß Der gehörige Pausen in seinen Arbeiten eintreten lassen muß, damit sich in diesen das etwas abgenutzte und ermattete Gehirn gehörig restauriren könne. Natürlich müssen sich diese Pausen in ihrer Dauer und Häufigkeit nach dem Grade der geistigen Anstrengung und der Hirnaffection richten. Wie viele Menschen, und zwar noch in dem kräftigsten Lebensalter, sind nicht durch häufige Verstöße gegen das Gesetz: „das Gehirn verlangt für seine Arbeit entsprechende Ruhe“ in ihrem Verstandes- und Gemüthsleben auf lange Zeit oder für immer ruinirt worden! Vorzugsweise bei Blutarmen muß das geistige Arbeiten des Gehirns gehörig eingeschränkt werden. Am wichtigsten ist aber eine richtige Behandlung des Gehirns im Kindesalter, wo sehr oft durch unpassende geistige Anstrengungen und verkehrte Einflüsse auf die Empfindungs- und Willensthätigkeit des Gehirns der Keim zu späteren Hirnleiden gelegt wird.

[824] Durch Gemüthsbewegungen und Leidenschaften wird das Gehirn ebenfalls oft so angegriffen, daß es die mannigfachsten Störungen in seiner Arbeit zu erdulden hat, zumal wenn sich starke Gemüthserregungen mit geistigen Anstrengungen verbinden. Darum strebe man, soviel es nur immer geht (und der feste Wille vermag hier viel), nach einer ruhigen und heiteren Gemüthsstimmung und halte sich fern von Leidenschaftlichkeit, von Aerger, Kummer, Schreck. Jedenfalls muß dies vorzugsweise derjenige beachten, dessen Gehirn sich schon durch zu leichtes Erregtwerden als angegriffen kennzeichnet. Man glaube aber ja nicht etwa, daß der häufige Besuch von größeren Gesellschaften, Concerten und Theater etc., daß interessante Lecture und strapaziöse Reisen eine ruhige, dem Gehirn wohlthätige Gemüthsstimmung erzeugen können, in der Regel wird dadurch nur eine vorübergehende, nachträglich das Gehirn sehr ermattende Aufregung veranlaßt. Ueberhaupt ist ein stürmisches, ungeregeltes und unstetes Leben dem Wohlsein des Gehirns sehr gefährlich.

Häufige und heftige Reizungen des Gehirns materieller Art müssen, zumal von Solchen, deren Gehirn schon auf andere Weise stärker angeregt wird oder gar schon reizbarer ist, als es sein sollte, ängstlich vermieden werden. Am meisten gesündigt wird hierbei durch die Kälte, welche unglückseliger Weise von den Meisten für ein Nervenstärkungsmittel gehalten wird, während sie doch eines der heftigsten Reizmittel für Nerven und Gehirn ist. Die durch Kälte (kalte Begießungen, Waschungen, Bäder) erzeugte Erregung hält man leider für Kräftigung und schreibt die der Erregung folgende Ermattung lieber jeder andern Ursache, als gerade der Kälte, zu. Man achte nur einmal darauf, was aus den meisten Kaltwasserfanatikern endlich wird, die sich einige Jahre mit ihrer ausgezeichneten Lebenskraft, welche sie angeblich Kaltwassercuren verdanken, brüsteten. Abgesehen von dem vorzeitigen Ergrauen und überhaupt Altern, ist ihre Hirn- und Rückenmarksthätigkeit in dieser oder jener Hinsicht gestört, und bei Vielen sieht’s im Kopfe nicht recht richtig aus. – Nach der Kälte wirken auch starke spirituöse Getränke auf das Gehirn widernatürlich erregend ein und rufen, wenn sie in größeren Mengen oder öfter in Gebrauch gezogen werden, reizbare Hirnschwäche und endlich sogar Lähmung der geistigen Thätigkeit hervor. – Starker Thee und Kaffee, ebenfalls für das Gehirn ziemlich erregende Getränke, dürfen von Allen, deren Hirnhätigkeit nicht ganz in Ruhe und Ordnung vor sich geht, durchaus nicht genossen werden. Der Kaffee ist von allen Erregungsmitteln noch das unschädlichste und den Spiriuosen weit vorzuziehen.

Sinnes- und sinnliche Erregungen, wenn sie stärkeren Grades sind und häufig vorkommen, wirken stets auf das Gehirnleben verderblich ein, und dieser ihrer Wirkung muß deshalb immer durch hinreichende Pausen zwischen jenen Erregungen entgegen getreten werden. Vorzüglich leicht ist ein schon reizbareres Gehirn durch stärkere Eindrücke auf die höheren Sinne, das Auge und Ohr, sowie auch durch Alles, was heftigere Schmerzen verursacht, in einen peinlichen Zustand zu versetzen. Darum müssen sich zumal nervöse Damen von Musik, Lichterglanz und dergleichen fern halten. Excesse in geschlechtlicher Hinsicht sind sehr oft die Ursachen schwerer Hirnleiden; ebenso können auch Krankheiten in dieser Sphäre die Schuld an Gemüths- und Geistesstörungen tragen.

Soll nun die bei der Hirnarbeit abgenutzte Hirnmasse wieder in der richtigen Menge und Beschaffenheit ersetzt werden, so muß ein gutes, nahrhaftes und gehörig sauerstoffhaltiges Blut ordentlich in das Gehirn hineinströmen und, nachdem es der Hirnmasse die nöthigen Materien zum Neubaue abgegeben hat, bei seinem Abfließen die alten abgebrauchten Hirnschlacken mit sich fortnehmen. Es ist sonach auf Dreierlei zu achten: auf einen flotten Blutlauf durch das Gehirn, auf die richtige Zufuhr solcher Stoffe in’s Blut, aus denen die Hirnmasse aufgebaut ist, und auf die Aufnahme einer hinreichenden Menge von Sauerstoff innerhalb der Lungen aus der atmosphärischen Luft in den Blutstrom.

Der Blutlauf durch das Gehirn ist am besten durch langsames, tiefes Einathmen und kräftiges Ausathmen zu unterstützen. Jedoch muß dieses Athmen, welches natürlich nicht gewaltsam zu geschehen braucht, den Tag über öfters exercirt und erst ordentlich gelernt werden. Von großem Vorheile ist es, wenn das empfohlene Ein- und Ausathmen im Freien (besonders in sonniger, sauerstoffreicher Waldluft) neben mäßiger Körperbewegung vorgenommen wird. Damit ferner auch das Blut den nöthigen Flüssigkeitsgrad habe und in flottem Strome hinfließen könne, ist der Genuß einer hinreichenden Menge von Wasser (oder von wässrigen Getränken) nicht zu unterlassen. Daß der Rückfluß des Blutes vom Gehirn nicht auf mechanische Weise, durch enge Hals- und Brustbekleidung erschwert werden darf, versteht sich wohl von selbst.

Die Nahrungsmittel, welche unserm Gehirn passende Stoffe zur Verjüngung darbieten können, müssen vor allen Dingen, eiweißreich sein und phorphorhaltiges Fett besitzen. Unter allen steht eine butterreiche Milch oben an, nach ihr sind Eier, Fleisch mit Fett und Hülsenfrüchte (Erbsen und Linsen) zu empfehlen. Natürlich müssen alle diese Nahrungsmittel auch so zubereitet und genossen (tüchtig gekaut) werden, daß sie mit Hülfe der Verdauung in der zweckmäßigen Form in das Blut gelangen können. Und demnach hängt die richtige Ernährung der Hirnmasse nicht blos von passenden Nahrungsmitteln, sondern auch von der ordentlichen Verdauung derselben ab. – Eine große Menge von Hirnleiden rühren nur von Blutarmuth oder von falscher Beschaffenheit des Blutes her.

Sauerstoff (Lebensluft) scheint das Gehirn zu seinem Thätigsein in ziemlicher Menge zu bedürfen, und deshalb wirkt auch ein sauerstoffärmeres Blut sofort auf die Arbeitskraft des Gehirns schwächend ein. Darum ist denn auch das kräftige Athmen in freier reiner (besonders sonniger Wald-) Luft so belebend und stärkend für die Hirnkraft, während eine mit schlechten Gasarten verunreinigte Luft, die dem Blute seinen Sauerstoff verdrängt, das Gehirn mehr oder weniger belästigt und sogar unthätig machen kann. Von großem Werthe für die Ernährung der Hirnmasse ist die Reinigung des Blutes in der Leber, denn geschieht diese unvollständig, so bleibt im Blute eine Menge von Blutkörperchenschlacken zurück, durch die der Eintritt des Sauerstoffs in’s Blut erschwert und gehindert wird. Bei Unterleibsbeschwerden (Gartenl. 1854, Nr. 18), wo in Folge der Störung des Pfonaderblutlaufs eben die Leber nicht ordentlich arbeiten kann, finden sich deshalb immer auch Störungen in der Gemüthsthätigkeit des Gehirns, die sogar in Geisteskrankheiten ausarten können.

Der Schlaf, als der Ruhezustand des Gehirns, in welchem dieses zu neuem Thätigsein verjüngt wird, verlangt, wie aus dem Gesagten hervorgeht, die allergrößte Beachtung. Nur ganz im Allgemeinen läßt sich angeben, daß der erwachsene gesunde Mensch täglich etwa 7–8 Stunden, aber eines ruhigen Schlafes bedarf; daß dagegen Blutarme, Schwächliche und Personen mir reizbarem (Hirn-) Nervensysteme länger zu schlafen wohlthun. Der Schlaf in der Nacht hat nur insofern Vortheile vor dem am Tage, als jener weniger durch störende Einflüsse von außen beunruhigt und durch Träume unterbrochen wird. Denn Alles, was das Gehirn zu beruhigen im Stande ist, trägt auch dazu bei, Schlaf zu erzeugen, während das, was das Gehirn in Erregung erhält, den Schlaf verhindert. Wärme, das beste Beruhigungsmittel für erregte Nerven, wirkt deshalb auch schlafbringend. Dagegen muß Alles, was den Blutlauf (besonders die Herzthätigkeit) und den Verdauunggsproceß, überhaupt die vegetative Thätigkeit im Körper, sowie die Sinnesorgane erregen könnte, vor der Schlafenszeit vermieden werden, da hierdurch der Schlaf nicht blos unruhig gemacht, sondern sogar abgehalten wird. Am sichersten tritt ein ruhiger und bis zur völligen Wiederherstellung der Hirnkraft ununterbrochen fortdauernder Schlaf ein, wenn am Tage vorher die geistige und körperliche Thätigkeit das volle Maß der natürlichen Anstrengung erreichte und in den Abendstunden bis zur völligen Abspannung der Kräfte verringert wurde. Zu große Anstrengung während des Tages hat ebensowohl als völlige Unhätigkeit einen unruhigen von lästigen Träumen unterbrochenen Schlaf zur Folge, sowie auch der Eintritt des letztern erschwert mit verzögert wird, wenn in den spätern Abendstunden die geistigen und körperlichen Kräfte in zu große Anspannung versetzt wurden.

Die ganze Diätetik des Schlafes ist beim gesunden Menschen in der richtigen Bestimmung des Maßes der freien Thätigkeit enthalten, und diese lernt er dadurch kennen, daß er darauf achtet, ob sich eine tiefe Ermattung am Abend einstellt, welche eine wirkliche Sehnsucht nach Ruhe erzeugt. Wer eine solche Ermüdung nicht empfindet, sondern ohne Selbstüberwindung noch Stunden lang hätte wachen können, der hat das volle Arbeitsmaß am Tage nicht erreicht und thut wohl daran, am nächsten Tage fleißiger zu sein. – Alle anderen Regeln, welche man für die Beförderung des Schlafes aufzustellen pflegt, sind nur von untergeordneter Bedeutung. Allerdings [825] muß zugegeben werden, daß mäßige Bettwärme, in welcher der ruhende Körper weder der Erhitzung, noch der weit schädlichern Erkältung ausgesetzt ist, ein angenehmes Dunkel, nicht aber absolute Finsterniß, ein hinreichend geräumiges und luftiges Zimmer, welches von den Ausdünstungen nicht so leicht verunreinigt werden kann, zu einem gedeihlichen Schlafe wesentlich beitragen, und daß zu weiche und zu warme Betten und völlige Finsterniß des Zimmers zur übermäßigen Verlängerung des Schlafes sehr leicht Veranlassung geben.

Bock.