Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Rîgsmâl
So wird gesagt in alten Sagen, daß Einer der Asen, der Heimdall hieß, auf seiner Fahrt zu einer Meeresküste kam. Da fand er ein Haus und nannte sich Rigr. Und nach dieser Sage wird dieß gesungen:
Der kraftvolle, edle, vielkundige As,
Der rüstige, rasche Rigr einher.
Traf er ein Haus mit offener Thür.
Er ging hinein, am Estrich glüht’ es;
Da saß ein Ehpaar, ein altes, am Feuer,
Ai und Edda in übelm Gewand.
Er saß zu beiden der Bank inmitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Schwer und klebricht, der Kleien voll.
Mehr noch trug sie auf den Tisch alsbald:
Schlemm in der Schüßel ward aufgesetzt,
Und das beste Gericht war ein Kalb in der Brühe.
Rigr, der ihnen wohl rathen konnte,
Legte zu beiden ins Bett sich mitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Dann ging er und wanderte des Wegs inmitten.
Darnach vergingen der Monden neun.
Weil schwarz von Haut geheißen Thräl.
Rauh an den Händen war dem Rangen das Fell,
Die Gelenke knotig (von Knorpelgeschwulst),
Die Finger feißt, fratzig das Antlitz,
Der Rücken krumm, vorragend die Hacken.
Mit Bast binden und Bürden schnüren.
Heim schleppt’ er Reiser den heilen Tag.
Schwären am Hohlfuß, die Arme sonnverbrannt,
Gedrückt die Nase Thyr die Dirne.
Ihr zur Seite des Hauses Sohn.
Redeten, raunten, ein Lager bereiteten,
Da der Abend einbrach, der Enk und die Dirne.
Geheißen, hört ich, Hreimr und Fiosnir;
Klur und Kleggi, Keffir, Fulnir,
Drumbr, Digraldi, Dröttr und Höswir,
Lutr und Leggialdi. Sie legten Hecken an,
Misteten Äcker, mästeten Schweine,
Hüteten Geißen und gruben Torf.
Öckwinkalfa und Arinnefja;
Ysja und Ambatt, Eikintiasna,
Tötrughypia und Trönubenja,
Von ihnen entsprang der Knechte Geschlecht.
Kam an ein Haus, halboffen die Thür.
Er ging hinein, am Estrich glüht’ es;
Da saß ein Ehpaar geschäftig am Werk.
Gestrält[WS 2] war der Bart, die Stirne frei.
Knapp lag das Kleid an, die Kiste stand am Boden.
Und führte den Faden zu feinem Gespinst.
Auf dem Haupt die Haube, am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken, Nesteln an der Achsel:
Afi und Amma im eigenen Haus.
Auf stand er vom Tische des Schlafs begierig.
Da legt’ er zu beiden ins Bette sich mitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
(Dann ging er und wanderte des Wegs inmitten.)
Darnach vergingen der Monden neun.
Amma genas, genetzt ward das Kind
Und Karl geheißen; das hüllte das Weib.
Roth wars und frisch mit funkelnden Augen.
Da zähmt’ er Stiere, zimmerte Pflüge,
Schlug Häuser auf, erhöhte Scheuern,
Führte den Pflug und fertigte Wagen.
Im Ziegenkleid die Verlobte Karls;
Snör (Schnur) geheißen saß sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen und wechselten Ringe,
Breiteten Betten und bauten ein Haus.
Halr und Drengr, Höldr, Degn und Smidr,
Breidrbondi, Bundinskeggi,
Bui und Boddi, Brattskeggr und Seggr.
Snot, Brudr, Swanni, Swarri, Spracki,
Fliod, Sprund und Wif, Feima, Ristil.
Von den Beiden entsprang der Bauern Geschlecht.
Kam er zum Saal mit südlichem Thor.
Angelehnt wars, mit leuchtendem Ring.
Die Eheleute saßen und sahen sich an,
Vater und Mutter an den Fingern spielend.
Den Bogen zu spannen, Pfeile zu schäften;
Dieweil die Hausfrau die Hände besah,
Die Falten ebnete, am Ärmel zupfte.
Die Schleppe wallend am blauen Gewand;
Die Braue glänzender, die Brust weißer,
Lichter der Nacken als leuchtender Schnee.
Zu beiden saß er der Bank inmitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Von schimmerndem Lein, den Tisch zu spreiten.
Linde Semmel legte sie dann
Von weißem Weizen gewandt auf das Linnen.
Mit Speck und Wildbrät und gesottnen Vögeln;
In kostbaren Kelchen und Kannen war Wein:
Sie tranken und sprachen bis der Abend sank.
Da blieb er drauf drei Nächte lang:
Dann ging er und wanderte des Weges inmitten.
Darnach vergingen der Monden neun.
Ein Kind, das genetzt und genannt ward Jarl.
Licht war die Locke und leuchtend die Wange,
Die Augen scharf wie Schlangen blicken.
Den Schild lernt’ er schütteln, Sehnen winden,
Bogen spannen und Pfeile schäften,
Spieße werfen, Lanzen schießen,
Hunde hetzen, Hengste reiten,
Schwerter schwingen, den Sund durchschwimmen.
Rigr gegangen ihn Runen zu lehren,
Nannte mit dem eignen Namen den Sohn,
Hieß ihn zu Erb und Eigen besitzen
Erb und Eigen und Ahnenschlößer.
Durch feuchtes Gebirg bis vor die Halle.
Da schwang er die Lanze, den Lindenschild,
Spornte das Ross und zog das Schwert.
Kampf ward erweckt, die Wiese geröthet,
Der Feind gefällt, erfochten das Land.
Vertheilte die Schätze, Alle beschenkend
Mit Schmuck und Geschmeide und schlanken Pferden.
Er spendete Ringe, hieb Spangen entzwei.
Kamen zur Halle vom Hersir bewohnt.
Entgegen ging ihm die Gürtelschlanke,
Adlige, artliche, Erna geheißen.
Des Jarls Verlobte ging sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen und waren sich hold,
Führten fort den Stamm froh bis ins Alter.
Jod und Adal, Arfi, Mögr,
Nidr und Nidjungr; Spielen geneigt
Sonr und Swein, sie schwammen und würfelten;
Kundr hieß Einer, Konur der jüngste.
Zähmten Hengste, zierten Schilde,
Schälten den Eschenschaft, schliffen Pfeile.
Zeitrunen und Zukunftrunen;
Zumal vermocht er Menschen zu bergen,
Schwerter zu stumpfen, die See zu stillen.
Den Sinn zu beschwichtigen, Sorgen zu heilen.
Auch hatt er zumal acht Männer Stärke.
In allerlei Wißen erwarb er den Sieg.
Da ward ihm gewährt, da war ihm gegönnt,
Selbst Rigr zu heißen und runenkundig.
Warf das Geschoß und stellte nach Vögeln.
„Was willst du, Fürstensohn, Vögel beizen?
Dir ziemte beßer — —
Hengste reiten und Heere fällen!
Erb und Eigen nicht reicher als Ihr.
Doch können sie wohl auf Kielen reiten,
Schwerter prüfen und Wunden hauen.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied