Die Stellung der Fremden

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Autor: Hans v. Frisch
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Titel: Die Stellung der Fremden
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Erster Band: Die Grundlagen der Politik, Zweites Hauptstück: Der Staat, Abschnitt 11, S. 124−129
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[124]
b) Die Stellung der Fremden.
Von
Dr. Hans v. Frisch,
o. Professor der Rechte an der Universität Czernowitz.


Literatur:[Bearbeiten]

Die Literatur über die Rechtstellung der Fremden weist, so umfangreich sie auch ist, nur wenig zusammenfassende Werke auf; namentlich an rechtsvergleichenden Arbeiten fehlt es, meist ist das Fremdenrecht nur mit Rücksicht auf einen konkreten Staat dargestellt. Sehr zahlreich aber sind die zum Teil vorzüglichen Untersuchungen über einzelne Spezialfragen wie über Ausweisung, Auslieferung, Asylrecht etc. Knappe Darstellungen der Themas finden sich endlich in den Hand- und Lehrbüchern des Völkerrechts.

Das folgende Literaturverzeichnis enthält die grösseren Werke allgemeinen Charakters und eine Auswahl aus den zahlreichen Spezialschriften.

I. Historisches über das Fremdenrecht.[Bearbeiten]

Pappafava. Über die bürgerliche Rechtstellung der Fremden (1884).
Cybichowski. Das antike Völkerrecht (1907).
Hitzig. Der griechische Fremdenprozess im Licht der neueren Inschriftenkunde. Zeitschrift der Savigny-Stiftung XXVIII (1907).
Hitzig. Altgriechische Staatsverträge über Rechtshilfe.

II. Allgemeine Schriften über das Fremdenrecht.[Bearbeiten]

Stoerk. Staatsuntertanen und Fremde, in v. Holtzendorff’s Handbuch des Völkerrechts, II. (1887).
Pütter. Das praktische europäische Fremdenrecht (1845).
v. Martitz. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. (1888/97).
v. Bar. Das Fremdenrecht und seine volkswirtschaftliche Bedeutung (1893).
Weiss. Traité théorique et pratique de droit international privé II. (1894).
v. Overbeck. Niederlassungsfreiheit und Ausweisungsrecht (1907).
v. Frisch. Das Fremdenrecht (1910).

III. Die rechtliche Stellung der Fremden in einem konkreten Staate[Bearbeiten]

ist namentlich für Frankreich untersucht worden; für andere Staaten ist die Literatur äusserst dürftig.

Sapey. Les étrangers en France (1843).
Demangeat. Histoire de la condition civile des étrangers en France (1844).
Garnot. Condition de l’ etranger dans le droit public français (1885).
Durand. Les étrangers devant la loi française (1890).
Copineau-Henriet. Le séjour des etrangers en France (1895).
Mayr. Das französische Fremdenrecht. Annalen des Deutschen Reiches XIX (1896).
Lescoeur. La condition légale des etrangers (1898).
Andreani. La condition des étrangers en France (1907).
Halot. Traité de la Situation légale des étrangers en Belgique (1900).
Scherber. Die rechtliche Stellung der Ausländer in Bayern (1897).
Hoffmann. Die Niederlassung und rechtliche Behandlung von Fremden vornehmlich nach Staatsverträgen des Deutschen Reiches (1907).
Beutner. Die Rechtsstellung der Ausländer nach Titel II der preussischen Verfassungsurkunde (1913).
Lücke. Bevölkerung und Aufenthaltsrecht in den deutschen Schutzgebieten Afrika’s (1913).
Hartmann. Über die Rechtstellung der Ausländer im schweizerischen Bundesstaatsrecht. Zeitschrift für schweizerisches Recht, 48. N. F. 26. (1907).
Vesque von Püttlingen. Die gesetzliche Behandlung der Ausländer in Österreich (1842).
Torres Campos. Histoire de la condition juridique des étrangers dans la législation espagnole. Journ. du droit priv. XVIII. (1891).
Klibanski. Die rechtliche Stellung der Ausländer in Russland. Zeitschrift für internationales Privat- und öffentliches Recht. XIV. (1904).
Kazanski. Aperçu sur la condition des étrangers en Russie. Journal du droit intern. priv. XXV (1898).
Reuterskiöld. De la condition juridique des étrangers en Suède. Journal du droit intern. priv. XXXIII (1907).
Pavlovitsch. De la condition juridique des étrangers en Serbie. Journal du droit intern. priv. XI (1884).
Djuvara. De la condition des étrangers en Roumanie. Journal du droit intern. priv. XIX (1892).
Autonopoulos. Über die Exterritorialität der Ausländer in der Türkei (1895).
Laget. De la condition juridique des étrangers en Egypte (1890).

[125]

Lehmann. Die Rechtsverhältnisse der Fremden in Argentinien (1889).
Daguin. Les étrangers en Vénézuéla. Revue de droit intern, priv. (1905).
Pradier-Fodéré. De la condition légale des étrangers au Pérou. Journal du droit intern, priv. V (1878).
Dillon. Essai sur la constitution juridique des étrangers en Japon (1908).
Nagaoka. De la Situation juridique des étrangers au Japon. Journal du droit intern, priv. XXXII (1905).

IV. Spezialfragen aus dem Fremdenrecht.[Bearbeiten]

Bès de Berc. De l’ expulsion des étrangers (1888).
Féraud-Giraud. Droit d' expulsion des étrangers (1889).
Langhard. Das Recht der politischen Fremdenausweisung (1891).
Lehmann. Die Ausweisung im System des deutschen Fremdenrechts (1899)
Bornhak. Die Ausweisung fremder Staatsangehöriger. Festgabe für H. Dernburg. (1900).
Garzia. L’ espulsione degli stranieri (1900).
Darut. De l’ expulsion des étrangers (1902).
v. Conta. Die Ausweisung (1904).
Martini. L’ expulsion des étrangers (1909).
Bernard. Traité théorique et pratique de l’ extradition (1883).
Lammasch. Auslieferungspflicht und Asylrecht (1887).
O. Mayr. Die Auslieferung eigener Untertanen (1891).
Moore. Treatise on extradition (1891).
Delius. Das Auslieferungsrecht (1899).
Clark. The law of extradition (1903).
Wettstein. Die Staatsangehörigkeit im schweizerischen Auslieferungsrecht (1905).
Teich. Die Staatsangehörigkeit im deutschen Auslieferungsrecht (1909).
v. Mohl. Die völkerrechtliche Lehre vom Asyle. Staatsrecht, Völkerrecht und Politik I (1860).

§ 1. Geschichtliches.[Bearbeiten]

Es erscheint uns heute selbstverständlich, dass wir in jedem zivilisierten Staate uns aufhalten und niederlassen können, ohne dass uns die fremde Staatsgewalt daran hindert; wir werden in vieler Beziehung den Staatsangehörigen gleich behandelt, so dass ein Unterschied in der rechtlichen Stellung zwischen In- und Ausländern nur ausnahmsweise zutage tritt. Dies ist das Ergebnis eines Jahrtausende langen geschichtlichen Prozesses, in dessen Verlauf der Fremde von absoluter Rechtlosigkeit bis zur nahezu vollen Gleichberechtigung fortgeschritten ist. Im Altertum war der Staat in ausgeprägtem Masse Personengemeinschaft, er war lediglich für seine Bürger da, wer ihn verliess, gab mit der Heimat auch sein Recht auf, wurde rechtlos. Heute gibt es nur noch vereinzelte Reminiszenzen an die ehemalige Rechtlosigkeit der Fremden. Die geschichtliche Entwicklung des Fremdenrechts ging aber nicht einheitlich vor sich, sondern wies in den einzelnen Staaten, entsprechend der Entwicklung des nationalen Rechtes und Kulturzustandes grosse Mannigfaltigkeit auf, geriet wiederholt ins Stocken und so erklärt es sich, dass die Stellung der Fremden bis in die neuere Zeit in den einzelnen Staaten eine ganz verschiedene war und zum Teil noch ist. Erst in letzter Zeit haben die Staaten, die in einer günstigen und gleichartigen Stellung der Fremden ein Solidarinteresse erkannten, es unternommen, die durch die nationalen Gesetzgebungen herbeigeführten Verschiedenheiten zu beseitigen. Die Anerkennung des Grundsatzes der Reziprozität, die in den Staatsverträgen immer häufiger auftretende Meistbegünstigungsklausel, endlich Gewohnheitsrecht und Praxis haben wesentlich dazu beigetragen, ein homogenes Fremdenrecht zu schaffen. Aber zu einer vollständigen Gleichstellung, zur Aufhebung aller Unterschiede zwischen In- und Ausländern ist es bisher nicht gekommen; die Tendenz der neueren Gesetzgebung geht sogar in entgegengesetzter Richtung auf eine schärfere Abgrenzung der staatsbürgerlichen Rechte hinaus und zeigt sich dem seit der Stoa wiederholt gestellten Verlangen nach einem „Weltbürgertum“ gänzlich abgeneigt.

Zur Überwindung der ehemals vollkommenen Rechtlosigkeit der Fremden gelangten im Altertum zuerst die Handel treibenden Völker; es musste in ihrem eigenen Interesse liegen, Fremden Rechte zu gewähren und sie für sich selbst im Ausland beanspruchen zu können. Die uns bekannten Anfänge der Entwicklung liegen sehr weit zurück. Schon im 14. Jahrhundert v. Chr. schlossen die Ägypter Staatsverträge, in denen Niederlassungsfragen geregelt wurden.[1] Wesentliche Fortschritte in [126] dieser Richtung finden wir bei den Hellenen, von denen uns mehrere sogenannte Asylie- und Isopolitieverträge erhalten sind;[2] in den letzteren, die schon stark an unsere modernen Niederlassungsverträge erinnern, wird den Angehörigen des anderen Vertragsstaates schon nahezu vollkommenes Bürgerrecht verliehen. Ähnlich war die Entwicklung in Rom, wo sich, vom hospitium publicum ausgehend ein internationales Prozess- und Handelsrecht entwickelt hat.[3] Die nationalen Unterschiede der im römischen Weltreich zusammengefassten Völkerschaften blieben aber bis zur Bürgerrechtsverleihung des Caracalla (212) bestehen. Sehr schroff endlich standen die Germanen ursprünglich den Fremden gegenüber; alle germanischen Rechtsverhältnisse gingen von der Familie, dem Stamm aus und wer ausserhalb solcher Genossenschaft stand, war Fremder.[4] Die starke Opposition, die sich namentlich gegen die dauernde Niederlassung von Ausländern hier geltend machte und sich lange Zeit erhalten hat, zeigte sich in verschiedenen Rechtsinstituten, z. B. im sogenannten Wildfangrecht, wonach Fremde, die sich über Jahr und Tag an einem Orte aufgehalten hatten, unfrei wurden.[5] Auch bei den Germanen spielte die zu einem Rechtsinstitut ausgebildete Gastfreundschaft in der Überwindung der Schutzlosigkeit eine grosse Rolle.[6]

Zu Beginn des Mittelalters war zwar eine gewisse Rechtsfähigkeit der Fremden überall anerkannt, aber sie stand meist auf schwachen Füssen und die exklusive Gültigkeit des eigenen Rechts war damit noch nicht beseitigt.[7] Vielmehr tritt jetzt, im Frankenreich zuerst mit der lex Ribuaria[8] mit Konsequenz das Personalitätsprinzip auf, demzufolge der einzelne sein Recht mit sich trug, so dass er im fremden Lande nach eigenem Recht lebte. Dies Prinzip wurde in vielen Staaten zum herrschenden und hat sich vereinzelt bis in die neuere Zeit erhalten.[9] Den Übergang zum modernen Territorialprinzip bildet die sogenannte Statuten-Theorie, die zwar anerkennt, dass die Personen von ihrem Recht ins Ausland begleitet werden, dass aber für die Beurteilung von Handlungen das Recht des Ortes der Handlung, für Sachen die lex rei sitae massgebend sein soll.[10] Die Minderberechtigung der Fremden hatte die Ausbildung eines besonderen Institutes zur Folge, des Königsschutzes;[11] der König wurde in allen Staaten zum Schutzherrn der Fremden, für sie war das Recht des Königs massgebend. Das Recht wurde später zu einem königlichen Regal im vollen Sinne des Wortes und erhielt sich aus finanzpolitischen Gründen noch lange, als von einem wirklichen Schutz schon längst keine Rede mehr war.[12]

§ 2. Das heutige Fremdenrecht.[Bearbeiten]

Nach modernem Völkerrecht ist jeder Staat verpflichtet, die Fremden auf seinem Gebiet zu dulden und zu schützen und ihnen eine gewisse, meist in den Staatsverträgen näher präzisierte rechtliche Stellung einzuräumen.

[127] Von dem Grundsatz der Verpflichtung zur Aufnahme und Duldung der Staatsfremden gibt es aber gewisse Ausnahmen. Zunächst können politische und wirtschaftliche Rücksichten einen Staat zwingen, den Satz von der Gleichstellung fremder Staaten resp. ihrer Angehörigen zu durchbrechen und Sondergesetze gegen bestimmte Rassen oder Klassen zu erlassen. Solche Gesetze tragen den Stempel der Ausnahme von dem allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatz der Gleichstellung klar an sich. Hierhergehören die Gesetze amerikanischer Staaten gegen die gelbe Rasse[13] und die sogenannte Pauper-Einwanderung,[14] diese letztere in neuester Zeit auch in England[15] und in englischen Kolonien.[16] Das Recht zu derartiger Gesetzgebung kann vernünftigerweise keinem Staate abgesprochen werden, denn es handelt sich hier nicht um juristische Fragen, sondern um politische und vitale Interessen der betreffenden Länder, die sie, wenn es nicht anders möglich ist, auch mit Durchbrechung von Regeln des allgemeinen Völkerrechts zu schützen berechtigt sind.

Der Grundsatz, dass Fremde im Staat geduldet werden müssen, wird ferner durchbrochen durch das jedem Staate zustehende Recht der Ausweisung von Fremden. Kein Staat lässt sich das Recht beschränken, individuell bestimmte Ausländer aus Gründen, die in der Person derselben liegen, aus seinem Gebiete wegzuweisen oder sie gar nicht über seine Grenzen hereinzulassen, sie abzuweisen. Diese Massregel hat den Zweck, Volk und Gebiet von irgendwie gefährlichen oder unerwünschten Elementen rein zu halten.[17] Die Gründe für eine Ausweisung können ausserordentlich mannigfaltig sein, so dass sie jeder vollständigen Aufzählung in Gesetzen spotten;[18] sie werden deshalb nur ganz allgemein angegeben, wie z. B. „Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit des Staates“, so dass den ausweisenden Organen ein weiter Spielraum freien Ermessens zuzukommen pflegt.[19] Die Ausweisung ist in der Regel ein Akt der Exekutivbehörde; die Bestrebungen, sie zur Gerichtssache zu machen, um Willkürakte zu vermeiden, sind nur in einzelnen Staaten von Erfolg gewesen. [20] Da dem Fremden kein Recht auf Aufenthalt im Staate zukommt, besitzt er auch in der Regel kein Rechtsmittel gegen eine Ausweisung.[21] Von einem subjektiven Recht [128] auf Aufenthalt ist auch dann nicht die Rede, wenn in Staatsverträgen wechselseitig den Angehörigen ein Wohnrecht zugesichert wird;[22] in der neueren Literatur wird allerdings aus der in den Verträgen gewählten Formulierung vereinzelt ein Recht der Einzelnen auf Niederlassung und Aufenthalt konstruiert[23], was mir aber nicht zulässig erscheint; ich kann eine weitergehende Beschränkung des Ausweisungsrechtes als die durch das gemeine Völkerrecht gegebene in diesen Vertragsbestimmungen nicht sehen.[24]

Vorübergehende Ausweisung sämtlicher Angehörigen eines fremden Staates (Xenelasie) z. B. während eines Krieges ist völkerrechtlich zulässig, wird aber als „barbarisch“ empfunden.[25] Das bekannteste Beispiel aus neuerer Zeit ist die Ausweisung der Deutschen aus Frankreich im Jahre 1870. [26].

Normalerweise kann also jedermann fremdes Staatsgebiet, in der Regel formlos[27] betreten und sich vorübergehend oder dauernd im fremden Staate aufhalten.[28] Für die rechtliche Stellung der Fremden kann im allgemeinen[29] als massgebend gelten: Im Privatrecht ist der Fremde den Staatsangehörigen gleichgestellt, wenn nicht durch Gesetze eine Ausnahme gemacht ist; im öffentlichen Recht gilt das entgegengesetzte Prinzip, Ausländer haben an den Rechten keinen Anteil, wenn ihnen ein solcher nicht ausdrücklich zugesprochen wird; hier ist also Regel, was dort Ausnahme ist, und umgekehrt.[30] Dieses Prinzip wird durch Ausnahmen, die es nach beiden Richtungen hin gibt und wahrscheinlich immer geben wird, nicht erschüttert.

Im Privatrecht wird die Gleichstellung in der Regel unter dem Vorbehalt der Reziprozität gewährt.[31] Ausnahmen von der Gleichstellung finden sich in den meisten Staaten ziemlich übereinstimmend für gewisse Handelsbetriebe und Gewerbe.[32] Im öffentlichen Recht handelt es sich vornehmlich um die Ausübung der politischen Rechte,[33] die den Fremden nur in sehr seltenen Fällen zukommt, denn man sieht hierin eine Tätigkeit, die eine innige Verknüpfung mit dem Staat [129] und ein Interesse an seinem Leben und Wirken voraussetzt,[34] jene Tätigkeit der Bürger, in der die alten Hellenen die Freiheit erblickten.[35]

So gilt also nach heutigem Recht für die Fremden das Territorialprinzip; wer fremdes Staatsgebiet betritt, unterwirft sich mit dieser Tatsache den Gesetzen des Aufenthaltsstaates, nach denen seine Handlungen beurteilt, seine Rechte und Pflichten bemessen werden. Auf verschiedenen Wegen, verschieden rasch ist der Fremde von der ehemaligen absoluten Rechtlosigkeit bis zu nahezu vollständiger Gleichberechtigung fortgeschritten. Zahlreiche Gesetze und Verträge regeln heute seine Rechtsstellung, wozu Praxis und Gewohnheitsrecht ergänzend hinzutreten. Der Prozess scheint aber noch keineswegs abgeschlossen zu sein und manche Frage bedarf noch der Klärung. Von einem gänzlichen Schwinden der staatlichen Grenzen, von einer vollständigen Gleichstellung der In- und Ausländer sind wir aber weit entfernt[36] und werden dies auch − ich glaube zum Wohl der Menschheit − nicht so bald erreichen. Schon das Nationalbewusstsein sträubt sich gegen das allgemeine Weltbürgertum.




 



  1. v. Holtzendorff. Handbuch des Völkerrechts. I. S. 170; weitere Literatur darüber ebenda, S. 163. Cybichowski. Das antike Völkerrecht S. 10 ff.
  2. Cybichowski. A. a. O. Hitzig. Der griechische Fremdenprozess. Zeitschrift der Savigny Stiftung XXVIII. Rom. Abt. Hitzig. Altgriechische Staatsverträge über Rechtshilfe. Szanto. Das griechische Bürgerrecht.
  3. Mommsen. Römisches Staatsrecht III. 1. S. 591. Karlowa. Römische Rechtsgeschichte I. S. 279 f.
  4. Grimm. Deutsche Rechtsaltertümer I. S. 549. Stobbe, Handb. des deutsch. Privatrechts. I. S. 349.
  5. Schröder. Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. S. 790, 825 Anm. 4. Viollet. Précis de l’histoire du droit français S. 312.
  6. Tacitus. Germania Cap. XXI.
  7. Heusler. Institutionen des deutschen Privatrechts I. S. 144 ff. Brunner. Deutsche Rechtsgeschichte I. S. 399 ff. v. Bar. Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts 1. S. 25 f.
  8. Lex Rib. 31, 3; 61, 2. Die lex Salica kennt den Grundsatz noch nicht. Brunner. A. a. O. I. S. 384. Schröder. A. a. O. S. 228.
  9. Grimm. A. a. O. I. S. 550. Stobbe. Personalität und Territorialität des Rechts und die Grundsätze des Mittelalters über die collisio statutorum in Bekkers und Muthers Jahrbüchern des gemeinen deutschen Rechts. VI. S. 24 ff . Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter (2. Aufl.) S. 118 ff.
  10. v. Bar, a. a. O. I. S. 37 ff.
  11. Brunner, a. a. O. I. S. 400. Heusler, a. a. O. I. S. 145. v. Bar, a. a. O. I. S. 26. v. Frisch. Das Fremdenrecht S. 27, 31 ff. 37 ff.
  12. Über die mittelalterliche Rechtstellung der Fremden im einzelnen und deren Entwicklung in den verschiedenen europäischen Staaten vergl v. Frisch, a. a. O. I. Kap. §§ 2−4 und die dort angegebene Literatur.
  13. In der nordamerikanischen Union beginnt die sogen. Anti-Chinesengesetzgebung in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Beschränkungen auf gewerblichem Gebiet. Seit 1881 wird die freie Einwanderung beschränkt (Vertrag von Peking) und später überhaupt untersagt. Bisher haben sich alle Massregeln als nahezu unwirksam erwiesen. v. Frisch, Fremdenrecht S. 102 ff. wo auch die Literatur zusammengestellt ist.
  14. v. Frisch, a. a. O. S. 94 ff.
  15. An act to amend the Law with regard to Aliens (5. Edw. VII. ch. 13). Hatschek, Englisches Staatsrecht, II S. 534 ff. Das Gesetz gestattet den Ausschluss der „undesirables persons“, darunter sind vor allem solche Personen zu verstehen, die nicht die erforderlichen Mittel zum Lebensunterhalt besitzen, ferner Idioten, Irrsinnige und gewisse Kranke. Einwanderer dürfen nur in bestimmten Häfen, in denen Einwanderungskommissäre angestellt sind, ausgeschifft werden.
  16. Wirtschaftlich schwache Personen werden in den britischen Kolonien schon seit längerer Zeit ausgeschlossen. Vergl. die Gesetze von Kanada 1885, Natal 1897 und 1903, Australien 1901 u. a.
  17. Die Literatur über das Ausweisungsrecht ist sehr umfangreich, aber in Hand- und Lehrbüchern zersplittert. Als Werke allgemeinen Charakters seien genannt: v. Martitz. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I. S 7 ff. Langhard. Das Recht der politischen Fremdenausweisung, v. Overbeck. Niederlassungsfreiheit und Ausweisungsrecht. Feraud-Giraud, Droit d ’expulsion des etrangers. Bès-de-Berc. De l’ expulsion des étrangers. Martini, L ’expulsion des étrangers. Hier ein ausführliches Literaturverzeichnis. (S. 351 ff.). v. Conta, Die Ausweisung.
  18. v. Bar, Internationales Privatrecht, I. S. 294 ff. v. Martitz, a. a. O. I. S. 24 ff. Langhard, a. a. O. S. 76 ff. v. Conta, a. a. O. S. 10 ff. Martini, a. a. O. S. 54 ff. Weitere Literatur bei v. Frisch a. a. O. S. 163 ff.
  19. Es lassen sich drei Gruppen unterscheiden, in welche die zur Ausweisung berechtigenden Gründe zusammengefasst werden können, nämlich 1. Gründe der Strafrechtspflege, 2. polizeiliche Gründe (Armen-, Sicherheits-, Sitten-, Sanitätspolizei u. s. f.), 3. endlich politische Gründe; diese lassen sich am wenigsten spezialisieren.
  20. Ausweisung durch Gerichte kennen Österreich und Holland. Der in Frankreich 1882 eingebrachte Gesetzentwurf ist unerledigt geblieben. Erfolglos waren auch die in Belgien (1864, 65) und wiederholt in der Schweiz in dieser Richtung unternommenen Versuche.
  21. Man hat in verschiedenen Staaten versucht, gegen Ausweisungsbefehle untergeordneter Organe ein Rekursrecht einzuführen. Misslungen sind diese Versuche in der Schweiz, wo der Bundesrat wiederholt erklärt hat, seine auf Grund des Art. 70 Bundesverf. verfügten Ausweisungen seien endgültig und weder an die Bundesversammlung noch an das Bundesgericht könne Berufung eingelegt werden. Vergl. v. Salis, Schweizerisches Bundesrecht II. No. 276, 522; IV. No. 2036, 2049 S. 675 Anm. 2. Langhard, Die politische Polizei der schweizerischen Eidgenossenschaft S. 324 ff. Zulässig sind Rekurse in einzelnen deutschen Staaten (Preussen, Landesverwaltungsgesetz vom 30. Juli 1883, §§ 127, 130. Baden, (Gesetz vom 5. Mai 1870, § 2) in Österreich (Gesetz vom 27. Juli 1871, § 7) und der Niederlande (Gesetz vom 13. August 1847, Art. 20).
  22. Der deutsch-niederländische Vertrag von 1904 sagt in Art. 1: „Die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles sollen berechtigt sein, sich in dem Gebiete des anderen Teiles ständig niederzulassen oder dauernd oder zeitweilig aufzuhalten, wenn und solange sie die dortigen Gesetze und Polizeiverordnungen befolgen.“ Ähnlich der deutsch-schweizerische Niederlassungsvertrag von 1890, Art. 1.
  23. Aus der Literatur über diese Frage sei hervorgehoben: Laband, Staatsrecht des deutschen Reiches, I. S. 141 Anm. 1. Affolter. Der deutsch-schweizerische Niederlassungsvertrag. Archiv für öffentliches Recht VI. S. 378 ff. v. Overbeck, a. a. O. S. 37 ff. Heinrichs, Deutsche Niederlassungsverträge und Übernahmeabkommen S. 4.
  24. Eingehend habe ich die Frage in meinem „Fremdenrecht“ S. 129 ff. untersucht.
  25. So schon die Hellenen. Strabo XVII. S. 802.
  26. Lueder, in v. Holtzendorffs Handbuch des Völkerrechts IV. S. 349 ff. v. Martens, Völkerrecht II, S. 487.
  27. Passzwang kann von jedem Staate wieder eingeführt werden, wie es z. B. vorübergehend von Deutschland im Jahre 1888 gegen Frankreich geschah. Vergl. Ullmann, Völkerrecht (das öffentliche Recht der Gegenwart III.) S. 365 Anm. 1.
  28. Der Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt ist ein tatsächlicher, an den die Gesetze bisweilen anknüpfen, ohne dass der Unterschied von ihnen bestimmt wird. Vergl. Laband, a, a. O. I. S. 155. v. Frisch, a. a. O. S. 119 ff.
  29. Spezialgesetze und Staatsverträge begründen singuläres Recht und gehen dem gemeinen Völkerrecht vor.
  30. Der Versuch einer historischen Erklärung dieses Prinzipes bei v. Frisch, a. a. O. S. 115 ff.
  31. Im italienischen Zivilgesetzbuche von 1866 ist die Gleichstellung nicht mehr von der Reziprozität abhängig gemacht. Ullmann, a. a. O. S. 366.
  32. Die häufigsten Ausnahmen bestehen für die Küstenfischerei, Küstenschiffahrt, das Hausiergewerbe und einige andere Gewerbe. Auch der Erwerb und Besitz von Grundstücken wird noch vereinzelt beschränkt.
  33. Über den Begriff vergl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte S. 136. Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts S. 792. Anschütz, Deutsches Staatsrecht, in v. Holtzendorff’s Enzyklopädie II, S. 533.
  34. Von dem Prinzip, dass die Staatsangehörigkeit Voraussetzung für die Ausübung politischer Rechte sei, gelten Ausnahmen zunächst in einzelnen Bundesstaaten für Bundesangehörige, z. B. in der Schweiz (Bundesverf. Art. 43 al. 4 und 5). In deutschen Staaten sind Ausnahmen partikularrechtlich nur vereinzelt vorhanden (z. B. Baden, Gemeindeordnung §§ 9a, 12. Städteordnung §§ 7a, 12, 13). Während in diesen beiden Bundesstaaten Bundes-Ausländer prinzipiell von politischen Rechten ausgeschlossen sind, hat die nordamerikanische Union die Regelung der Frage den Einzelstaaten überlassen und viele derselben haben auch Nicht-Amerikanern politische Rechte zugesprochen. In anderen Staaten sind solche Fälle ausserordentlich selten und immer von untergeordneter Bedeutung.
  35. Eine schwierige Frage, die nicht einheitlich zu beantworten ist, ist die nach der Geltung der sogenannten Freiheitsrechte für Fremde. Sie lässt sich nur auf Grund der einzelnen Staatsverfassungen beantworten. Seit der französischen Charte von 1814 statuieren die Verfassungen meist „Rechte der Staatsangehörigen“, nicht „Menschenrechte“. Vergl. darüber Demangeat, Histoire de la constitution civile des étrangers en France. Weiss, Traité théorique et pratique du droit international prive II. S. 84 ff. Fuzier-Herman, Repertoire générale du droit français XXI. S. 108 f., 113. v. Roenne-Zorn, Das Staatsrecht der preussischen Monarchie II. S. 150 f. v. Frisch, Fremdenrecht, Kap. VIII, IX, X.
  36. Die im letzten Jahrhundert erfolgte schärfere Ausprägung und allgemeine Anerkennung einzelner moderner Rechtssätze wie z. B. der Regel von der Nicht-Auslieferung und Nicht-Ausweisung der eigenen Staatsangehörigen spricht dafür, dass die auf Gleichstellung abzielende Bewegung ins Stocken geraten ist. Auch einzelne Staatsangehörigkeitsgesetze suchen die Grenzen zwischen In- und Ausländern wieder schärfer zu ziehen.