Die älteste noch vorhandene Landkarte

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Autor: Unbekannt
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Titel: Die älteste noch vorhandene Landkarte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 395–396
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Peutingersche Tafel aus der Zeit des Kaisers Augustus
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Die älteste noch vorhandene Landkarte.

Die Kunst, die Oberfläche der Erde bildlich darzustellen, ist fast so alt, als die Geschichte der Völker. In der That steht sie auch im innigsten Zusammenhange nicht nur mit der Entwickelung des Handels und der Schifffahrt, sondern auch der Kriegskunst und Mathematik. Dem Seefahrer und Kaufmann waren Karten von jeher ein ebenso nothwendiges Bedürfniß, wie dem Feldherrn, der auf Eroberung in fremde Länder auszog. Daher finden wir nicht allein schon in der Bibel Andeutungen über ihr Vorhandensein, sondern die Schriftsteller der Alten haben uns auch die bestimmte Kunde hinterlassen, daß der griechische Geograph und Astronom Anaximander, der 500 Jahre vor Chr. G. auf Kreta lebte, der Erste war, der seine Forschungen und Kenntnisse über die Erdoberfläche im Zusammenhange bildlich zu veranschaulichen suchte. Durch die Handelszüge der Griechen und Carthager, ganz besonders aber durch die Ausdehnung des macedonischen Reichs unter Alexander d. Gr., der bis über das heutige Afghanistan nach Indien vordrang, endlich späterhin durch die Entwickelung der römischen Weltherrschaft wurde naturgemäß die Kenntniß der Erde im Sinne der Geographie beträchtlich erweitert. Bewunderungswürdig ist uns noch heute die Vollkommenheit des römischen Heerwesens und alles damit Zusammengehörigen. Zur Blüthezeit der Römerherrschaft, d. i. zur Zeit von Christi Geburt, bedeckten die Militärcolonien und Standlager der Legionen Roms in systematischer und strategischer Ordnung fast die ganze damals bekannte Welt, und als redende Zeugen dieser glanzvollen Vergangenheit sprechen zu uns nicht nur die Trümmer ihrer Ansiedelungen, aus denen viele unserer blühendsten Städte hervorgegangen sind (Köln, Mainz, Straßburg, Augsburg), sondern auch die Meilensteine, welche den kriegerischen Schaaren ebenso gut als Wegweiser wie der politischen Eintheilung als Grenzmarken dienten. Der Afrikareisende Heinrich Barth fand sie tief im Innern Afrika’s in der großen Oase Fezzan in der Sahara ebenso gut, wie sich ihre Linien noch heute am Südfuße der schottischen Gebirge, längs des Rheins und des ganzen Laufs der Donau, ja am Südhange der Karpathen verfolgen lassen. In Asien reichen sie weit über den Taurus bis an den Euphrat und Tigris, in Aegypten bis an den Obernil in der Wüste Bahiuda. Es liegt nahe, daß zur Verwaltung dieses Reichs eine Art Landkarten vorhanden sein mußte, und es bestätigt dies der Schriftsteller Varro, nach welchem die Römer Zeichnungen ihrer Länder in ihren Archiven besaßen; Cäsar selbst nahm an den Ausmessungen verschiedener Länder in Germanien thätigen Antheil. So darf es uns denn auch nicht wundern, daß M. Agrippa eine auf Straßenvermessung beruhende Weltkarte entwerfen ließ, welche Kaiser Augustus vollendete und im Sinne der damaligen Zeit durch Anmalen an die Wand des von Agrippa erbaueten Porticus zu Rom zum Gemeingut für das Publicum machte. Und merkwürdigerweise ist daraus für unsere Zeit die einzig übriggebliebene Karte aus jenem Zeitalter hervorgegangen.

Diese Karte ist in der gelehrten Welt unter dem Namen der Peutinger’schen Tafeln bekannt, so genannt, weil Conrad Peutinger zu Augsburg der Erste war, der sie aus dem Dunkel hervorzog. Das an dem Porticus gezeichnete Original ist natürlich längst, wahrscheinlich schon zur Zeit der Verwüstung Roms durch die Germanen, zu Grunde gegangen, ebenso sonstige gezeichnete Pläne und Karten aus der römischen Vorzeit. Aber jenes Original, welches sich mit einer riesigen Post- und Reisekarte nach unsern heutigen Begriffen vergleichen läßt, war zweifelsohne in Bruchstücken vielfach copirt worden und zum Staats- und Militärgebrauch in den römischen Colonien und Ansiedelungen vorzufinden. Auf diesem Wege gelangte im 13. Jahrhundert ein der Zerstörung entgangenes Exemplar in die Hände eines Mönches zu Colmar, der es copirte, vielleicht auch nur die Nachbildung einer Originalcopie vornahm. Diese Zeichnung kam endlich in den Besitz des genannten Patriziers Peutinger, der die historische Wichtigkeit derselben zuerst erkannte und bekannt machte. Aus Peutinger’s Händen, der 1547 starb, ward das Original Eigenthum Martin Welser’s zu Augsburg, und späterhin ward es von der kaiserlichen Bibliothek zu Wien erworben, wo das kostbare Document noch jetzt aufbewahrt wird. Im Laufe der letzten drei Jahrhunderte ist dasselbe mehrfach publicirt und der allgemeinen Beurtheilung zugänglich gemacht worden, doch mochten sich durch das mehrfache Abzeichnen einer Auflage von der andern Irrthümer eingeschlichen haben. Deshalb erwarb sich Franz Christoph von Scheid ein großes Verdienst, indem er das Original zu Wien von einem Sachverständigen auf in Oel getränktes Papier durchzeichnen und 1753 in einer neuen Ausgabe in Blättern in natürlicher Größe (ein jedes 13 Zoll hoch und 24 Zoll lang) herausgeben ließ. Auf dieser Karte beruht endlich die neueste von der Münchner Akademie der Wissenschaflen 1824 veranstaltete Publication, nachdem mehrere Gelehrte die Scheib’sche Karte nochmals mit dem Original verglichen hatten. Ein verdienter Geograph, Conrad Mannert, Mitglied jener Akademie, hat die Tafeln mit einem erläuternden Texte in lateinischer Sprache versehen.

Soweit reichen die historischen Nachweise über den interessanten Fund; was diesen nun selbst angeht, so wird der Anblick eines Bruchstücks dieser Karte, das wir hier beifügen, den Beschauer allerdings mit einer gewissen Enttäuschung berühren. Vor Allem ist es die Verschiebung des Bildes in Bezug auf geographische Länge und Breite, was uns zunächst auffällt. Indeß ist zu bedenken, daß den Alten die Vollkommenheit unserer Meßgeräthe nicht zu Gebote stand, daß auch die sogen. mathematische Geographie noch in der Wiege lag. Obschon vor Christi Geburt von den Schülern des Aristoteles die Lehre von der Kugelgestalt der Erde aufgestellt worden war, so war dieser Lehrsatz doch zu August’s Zeiten noch nicht zu allgemeiner Anerkennung gelangt. Man hielt den damals bekannten Theil der Erdoberfläche vielmehr für eine ebene Scheibe. Erst 160 Jahre nach Chr. Geb. trat der alexandrinische Gelehrte Claudius Ptolemäus, ein berühmter Astronom und Geograph, mit der Bezeichnung der Meridiane, Polarcirkel und des Aequators hervor; doch konnte dies auf die Peutinger’schen Tafeln nicht mehr rückwirken, wenn das uns überkommene Exemplar auch erst aus der Zeit Kaiser Alexander Sever’s (der 235 n. Chr. starb) stammt, wie Wietersheim in seiner Geschichte der Völkerwanderung schlagend nachweist. Ihre Entstehung datirt eben aus dem Anfange der Kaiserzeit. Jedenfalls wurde diese alte Staatskarte je nach den Gebietsveränderungen der Römer zeitweilig nachgetragen und abgeändert, und da wir aus den Schriften jener Zeit die Sitze der Völker zu jeder Periode ziemlich genau kennen, so ist auch das Alter jener Karte nahezu festgestellt. –

Das auffallende Mißverhältniß zwischen der geographischen Länge und Breite in der Lage der Orte rührt jedenfalls daher, daß die ursprüngliche Bestimmung der Karte, vom Publicum in einem Säulengange angeschaut zu werden, es nothwendig machte, das Bild sehr lang, aber nicht zu hoch zu machen. Es sind aber auch die Entfernungen der Orte unter sich nicht proportional, was jedenfalls daher rührt, daß der Chartograph alle Wegelängen, wie die angeschriebenen Distanzen verrathen, geradlinig eintrug, ohne auf die Wegekrümmungen, Steigungen und Senkungen Rücksicht zu nehmen. Man bedenke aber auch die einfachen Hülfsmittel, die den alten Römern nur zu Gebote standen. Eine astronomische Zeitdifferenz zur Bestimmung der Lage der Orte konnten sie nicht ausdrücken, da ihnen unsere Taschenuhren und Chronometer unbekannt waren. Als Ersatz diente ihnen die Gnomonik, die Kunst, aus der Länge des Schattens, den der Stift auf die Ebene einer Sonnenuhr wirft, den Stand einer Sonnenhöhe und sonach die Tageszeit zu ermitteln. Wollten die Alten eine Höhe messen, so bedienten sie sich des Jakobsstabes, ein einfaches Instrument, das auch noch lange [396] die Seefahrer anwendeten, um die Höhe eines Sternes oder der Sonne anzugeben. Es bestand aus einem viereckigen stabartigen Stück gut ausgetrockneten Holzes, das an seinen Seitenflächen eine Einteilung hatte, die zugleich die Winkel angab oder in Zolle und Linien eingeteilt war. Im letzteren Falle war dann eine Tabelle nöthig, welche die mit den Zollen und Linien entsprechenden Winkel angab. An diesem Stäbe war kreuzartig ein anderes Holz angebracht, welches sich vor- und rückwärts schieben ließ. Um nun einen Winkel, z. B. die Steigung eines Weges, zu messen, sah man mit dem Auge über das erste Holz und schob das andere so lange vor- oder rückwärts, bis die beiden Punkte, welche mit dem Auge des Beobachters den zu messenden Winkel bildeten, über die Endpunkte des zweiten Holzes genau abschnitten. An der Scala der Seitenflächen las man den gemessenen Winkel ab. Diese Manipulation konnte nach unsern heutigen Begriffen nur sehr oberflächlich ausfallen und eine genaue Grundlage zur Kartenconstruction nicht abgeben.

So liegt der Werth der Peutinger’schen Karte denn mehr darin, daß sie uns den damaligen Stand der Chartographie vergegenwärtigt, da alle sonstigen Karten im Gewirre der Völkerwanderung, ganz besonders aber durch den Brand der großen Bibliothek zu Alexandrien unter dem fanatischen Araber Amru für uns verloren gegangen sind. Endlich bildet sie aber in Verbindung mit den wenigen erhaltenen Schriften aus jener Zeit eins der wichtigsten historischen Documente, wenn sich auch durch die Mangelhaftigkeit des Urbilds wie durch die Unwissenheit der Nachahmer und Abschreiber vielfache Unrichtigkeiten nachweisen lassen. Immerhin ist es höchst wichtig, die Richtung der großen Militärstraßen der Römer, die Entfernung der Reisestationen, die Lage der Hauptstädte, Castelle, Bäder, Colonien, die Stellen, wo Flüsse zu passiren sind, die Wohnsitze der barbarischen Völker, endlich sogar eine Art Gebirgsdarstellung in diesem interessanten Documente niedergelegt zu finden.

Die älteste Landkarte.

Das in genauer Abbildung hier dargestellte Bruchstück ist dem Segment II. entnommen und enthält den Mittellauf des Rheines abwärts von Coblenz (Confluentes). Der an dem obern Rande der Zeichnung laufende Fluß ist der Rhein (Fl. Rhenus). Da die Karte nicht mit der jetzt üblichen Orientirung angelegt ist, wonach der Norden oben liegt, sondern um ¼ Kreis nach links gedreht ist, so entspricht der Name Burcturi auf dem rechten Rheinufer der Völkerschaft Bructerer, welche nach der Karte etwa zwischen dem heutigen Neuß und Ober-Ingelheim gewohnt haben müssen, nach Wietersheim’s Forschungen aber ihren Sitz südlich der Lippe hatten. Das ganze rechtsrheinische Gelände unterhalb der Main-Mündung hatte sich bis zum 3. Jahrhundert noch frei von römischer Eroberung gehalten, war daher noch nicht bekannt. Das linksrheinische Gelände war dagegen schon seit Jahrhunderten eine blühende römische Provinz, Germania im engeren Sinne genannt. In den Grundzügen sehen wir auf der Peutinger’schen Karte noch dieselben strategischen Straßenlinien wie heute, so die linksrheinische Straße von Coblenz über Bonn (Bonnae) nach dem Straßenknoten Köln (Agrippina). – Bei Coblenz sehen wir die Mosel (Fl. Musalla) einfallen und an derselben das uralte Trier (Augusta Trevirorum) verzeichnet. Sogar die Quellgebirge der Mosel und das linksrheinische Schiefergebirge (Eifel, hohe Veen) finden wir angedeutet; ebenso die dort wohnenden Urbewohner Treveri, Trierer, und Mediamatrici (von Mediomatricum, Metz), also die Metzer oder Lothringer. Der links entspringende Fluß Mosa ist die Maas, an deren Quellen wir ein großes römisches Standlager bemerken.

Wir begnügen uns mit diesen Andeutungen, welche dem Beschauer ein ungefähres Bild der chartographischen Behandlungsweise dieser alten Karte geben, und fügen nur noch bei, daß sie sich in gleichem Charakter weiter fortsetzt. Sie enthält in dieser Manier ein Stück des alten Britanniens, Galliens und Spaniens, ferner in Deutschland das linksrheinische Gelände aufwärts von der Nordsee bis Mainz; von hier springt die Nordgrenze ins Quellgebiet der Donau (das Zehntland) und folgt der Donau bis in die Nähe von Peterwardein im heutigen ungarischen Banat. Eine Heerstraße führt von hier nach Temesvar und eine andere von 50 Meilen Länge von Orsova bis an die obere Theiß am Fuße der Karpathen (das westliche Dacien). Weiter geht die Karte durch die heutigen Donaufürstenthümer bis zu den großen Flußmündungen der Donau, des Dniester, Bug und Dnieper in den Pontus (das schwarze Meer) und umschließt Kleinasien, die Länder am Euphrat, Tigris und oberen Ganges, Syrien, Aegypten und Libyen und endigt mit Theilen der mauritanischen (nordafrikanischen) Küstenländer. Selbstverständlich sind alle in diesem Umfange liegenden Lander (Italien, Griechenland) ausführlich behandelt. – Bei allen Mängeln, welche dieses Kartenwerk begleiten, ist daher schon der Umfang desselben von interessantester Belehrung für den Geschichtsforscher. –