Die Auster und die Austernparks bei Husum

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Titel: Die Auster und die Austernparks bei Husum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 763–766
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Auster und die Austernparks bei Husum.

Es sind noch nicht zwanzig Jahre her, da waren eines schönen Herbsttages die Feinschmecker Breslaus in einer ganz entsetzlichen Aufregung. Die Austern waren wieder eingetroffen. Eine Stunde vor der gewohnten Zeit hatte sich der Commerzienrath B., die erste Autorität in derartigen Geschmackssachen, in den Keller begeben. Der Küper sucht die schönsten dieser Muschelthiere aus dem Korbe, bricht die Schalen auseinander und überreicht ein herrliches Exemplar dem sehnsüchtigen Gourmand, der noch den letzten Schluck Weißwein in seinem Munde umherquält. Ein prüfender Blick, – eine sicher geführte Operation, wodurch der Bart losgetrennt wird, – ein rascher Schnitt, der die Auster von der untern Schale löst – einige Tropfen Citronensaft – dann ein Schließen der Augen, der Kopf biegt sich sanft hinten über, und das Thierchen wird eingeschlürft. Aber Einschlürfen, Ausspucken und mit dem Fuß auf dem Boden kratzen, war ein und dasselbe.

„Pfui Teufel! – wie können Sie mir so’n Schundding vorsetzen? das hat ja weder Saft noch Kraft – gieb her!“ damit langte der Getäuschte nach einer zweiten Auster, aber nur um sie ebenso verächtlich wieder auszuspucken; einer dritten, vierten ergeht [764] es nicht besser, kurz: „diese Austern können Sie nur ruhig in die Gosse schütten“, das war das Resultat, womit sich der Arme endlich kummervoll entfernte.

Der Austernmißwachs wurde eine betrübende Thatsache, von der sich schließlich Alle überzeugt hielten, bis endlich ein Hamburger Kind den kühnen Ausspruch that, „die Austern wären vortrefflich, und daß sie den Leuten nicht schmeckten, würde wohl daher kommen, daß diese früher, wo es noch keine Eisenbahn gab, nur verdorbene gegessen hätten.“ Und so war es in der That. Solche Austern, wie man vor zwanzig Jahren im Binnenlande als Delicatessen genoß, erregen uns heute durch ihren Geruch und Geschmack nur Schauder. Saft und Kraft war ihnen allerdings in gewissem Sinne nicht abzusprechen.

Der Auster ergeht es wie den Krebsen, sie darf nicht lange unterwegs sein, und wenn man auch früher in Frankreich eine ganz besondere Austernpost hatte, so war die Beförderung häufig doch noch zu langsam. Erst die Eisenbahnen konnten den wirklichen Genuß an einem der ehrenwerthesten Seegeschöpfe von der Küste in das Innere des Landes verpflanzen. In den Seestädten ist die Auster ein Volksgericht, und der 5. August, wo die ersten in London wieder verkauft werden, ist ein Volksfest. Man rechnet, daß in dieser Weltstadt jährlich weit über 120 Millionen Austern nur auf der Straße „aus freier Hand“ verspeist werden.

Die Auster ist nahrhaft und leicht verdaulich, und sie könnte, wenn niedrigere Frachtsätze und Zolltarife den Bezug erleichtern wollten, zu einem allgemeinen Nahrungsmittel werden, während sie jetzt mehr oder weniger immer noch Luxusartikel ist. Man sagt zwar, daß in den Monaten ohne r der Genuß der Auster schädlich sei, in der kalten Hälfte des Jahres ist sie gewiß so gesund wie nur irgend etwas, nur noch ein wenig zu theuer.

Die neuere Zeit hat zwar durch rationelle Austernzucht, durch förmliche Meiereien unter dem Meere, durch Austerngärten, Brutplätze, Schulen, Parks, kurz durch ein vollständiges System der Pflege und Erziehung die Fruchtbarkeit ungemein vermehrt, indem die Sterblichkeit vermindert wurde, allein dies ist für den ungeheuren Markt noch zu wenig. Das Meer ist lange noch nicht ausgenützt genug. Die Auster ist wie eine Frucht: sie läßt sich förmlich säen und giebt millionenfachen Ertrag.

Wer hat das stille Geschöpf betrachtet und an etwas Anderes, als etwa an ihre Verschwiegenheit gedacht – und doch ist sie von einem merkwürdigen Fleiß. Bereits nach dem ersten Jahre laicht sie, und man muß ihre Betriebsamkeit bewundern, wenn man erfährt, daß eine einzige Austernmutter, obwohl sie nur ein Alter von etwa 10 Jahren erreicht, doch eine directe Nachkommenschaft von mehr als 20 Millionen Kindern in die Welt setzen kann. Wenn sie keins ihrer Kinder verlöre und es bei den Austern Sitte wäre, einen Leichenconduct zu bilden, so könnte sie mehr als 120 Millionen trauernder Kinder, Enkel, Urenkel u. s. w. zum letzten Geleite haben. Leider aber ist ihr Geschlecht von früher Jugend an dem widrigsten Geschicke anheim gegeben, und kaum entrinnt der hunderttausendste Theil dem Verderben.

Sehr viele erblicken gar nicht einmal das Licht der Welt, das heißt die Eier werden nicht befruchtet und können demnach auch nicht ausgebrütet werden, die glücklich ins Leben getretenen dienen aber theils den gefräßigen Meeresbewohnern zur Beute, theils finden sie keinen passenden Wohnort, und wie gesagt nur eine unverhältnißmäßig geringe Zahl vermag sich naturgemäß zu entwickeln.

Aus dem Ei der Auster geht zuerst eine kleine Larve hervor, die eine kurze Zeit mittels räderartiger Bewegungsorgane frei im Wasser umherzuschwimmen vermag. Findet sie einen passenden Gegenstand, so befestigt sie sich an ihm, um sich nie mehr von ihm zu trennen; wo nicht, so geht sie zu Grunde. Man sieht, die Wanderjahre sind sehr kurz. Von nun an führt sie das häuslichste Leben von der Welt. Sie wächst, und je nach der Lage ihres Wohnortes mehr oder weniger rasch. Die Auster verlangt einen gewissen Salzgehalt des Meerwassers, um zu gedeihen. Ein Zuviel ist ihr ebenso schädlich als ein Zuwenig, und die Bestrebungen der Kaiserin Elisabeth, die Austern an die russischen Ostseeküsten zu verpflanzen, waren ebenso vergeblich wie die Anstrengungen des alten Blücher, an der mecklenburgischen Küste eine Austernbank zu legen. Das Wasser der Ostsee ist durch die großen in sie einmündenden Flüsse zu süß, während das rothe Meer wiederum viel zu salzig ist.

Schon das gewöhnliche Meerwasser ist zu stark gesalzen, und obwohl in etwas salzreichem Wasser die Auster in körperlicher Beziehung sich sehr kräftig entwickelt, so nimmt doch ihr Inneres nicht in gleichem Maße mit Theil. Die wahren Austernesser halten derartige Thiere, für etwas roh und ziehen zum Beispiel die Austern der Lagunen und Buchten im mittelländischen Meere denen aus der offnen See vor. Man hat überhaupt eine Unzahl von verschiedenen Austersorten, die alle zu einer einzigen Art (ostrea edulis, eßbare Auster) gehören und ihre Unterschiede wahrscheinlich nur der verschiedenen Lebenssphäre verdanken.

Die schottischen Purfleet und die Colchester hält der echte Austernesser den norwegischen oder holländischen Austern gegenüber wie Rüdesheimer gegen Jenenser Schattenseite. Am besten gedeiht die Auster auf einem Meeresgrunde, der nicht zu tief und womöglich felsig und fest sein muß. Je mehr der jungen Brut Anhaftungspunkte geboten werden, um so weniger geht zu Grunde, und es ist wahrhaft wunderbar, wie einträglich die Bildung künstlicher Austernbänke mittels Faschinen, Reisigbündel etc. sich erwiesen hat, bei denen das Gewirr der einzelnen Zweige den kleinen Austern eine sichere Zufluchtsstätte bot. Der französische Austernhandel hatte sehr gelitten, die früher benutzten Bänke waren ausgebeutet und viele ganz und gar todt. Da legte die französische Regierung 1859 in der Bai von St. Brieux künstliche Austerbänke an. Ein großer Flächenraum, wo der Boden wenig Schlamm und Schlick enthielt, wurde im März mit alten Austerschalen zuerst förmlich gepflastert, sodann in zehn langen Bänken, mit drei Millionen Brutaustern besät, und zwischen diesen Bänken und vor ihnen gegen die offene See hin legte man Zäune von Faschinen, so daß auf dem Grunde des Meeres ein förmlicher Garten mit Beeten und Hecken entstand.

Ein Entrinnen der jungen Austern war unter solchen Umständen schwierig. Nach einem halben Jahre nahm man einzelne der Faschinen heraus; sie waren mit einer förmlichen Muschelkruste überzogen, und man zählte an einer einzigen Faschine, die so groß wie eine Getreidegarbe war, mehr als 20,000 junge Austern, die bereits einen Durchmesser von einem Zoll hatten. Da die Auster zwischen dem vierten und sechsten Jahre am schmackhaftesten ist, so kann man die Faschinen an den Brutplätzen erneuern und die junge Zucht an besonderen Mästungsplätzen wachsen lassen. Jedenfalls hat diese Bebauung des Meeresgrundes noch eine große Zukunft.

Die Auster ist durchaus nicht an einen bestimmten Wohnplatz gebunden, sie nimmt es nicht übel, wenn ihr eine Wasserveränderung bereitet wird. Im Gegentheil wirken derartige Versetzungen häufig sehr günstig ein. Man sieht das in den sogenannten Austernparks; das sind Reservoirs, Niederlagen, Stationen, wo die Austern aufbewahrt werden, sich erholen und von wo man sie weiter verschickt, damit nicht eine zu lange Reise von der Bank bis zu dem Verbrauchsort ihrer Güte schade. Für den Continent ist der Austernpark von Husum von der größten Bedeutung. Es ist eine wahre Austernsparbüchse, welche uns mit den köstlichsten Whitstabler versorgt, ohne die Stockungen, welche Stürme oder große Kälte so häufig in den gewöhnlichen Zusendungen hervorrufen.

Unsere Abbildung ist sehr geeignet, ein völlig klares Bild dieser bedeutenden Austernpension zu geben, welche sich ungefähr eine Stunde von der schleswigschen Stadt Husum, auf der äußersten Spitze des Dockkooges befindet.[1]

Ein 40 bis 50 Fuß hoher, nach außen mit gepflocktem Strohgeflecht und Steinen besetzter Damm (Deich) schützt den Koog, von dessen Land wir nur eine kleine Zunge in unser Bild hereinragen sehen, gegen den Andrang der Nordsee. Darüber hinaus gewahrt man links die Landspitze Silmannsberg, rechts die Insel Nordstrand. Innerhalb des Deiches aber liegen die drei durch die eingelegten Gehbalken gitterförmig erscheinenden Parks, deren jeder 60 bis 70 Fuß im Gevierte und circa 8 Fuß Tiefe hat. Vor ihnen, dem Beschauer zu, befinden sich zwei große Wasserreservoirs, von dem tieferen Theile des Kooges abgeschlossen, der durch eine Schleuße unter dem Deiche hindurch mit der Nordsee in Verbindung steht und zur Zeit der Fluth sich mit frischem Seewasser füllt. Aus diesem füllen sich durch besondere Schleußen die beiden Reservoirs. Sobald dies geschehen ist, läßt man aber die Schleußen

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Die Austernparks der Husumer Austern-Compagnie in Dockkoog bei Husum.

[766] nieder, um dem Wasser Ruhe zu geben, seinen Schlick absetzen zu können.

Die eigentlichen Parks liegen nun zwar etwas tiefer als die Reservoirs, aber immer noch höher als der umgebende Theil, und es kann also, wenn zur Zeit der Ebbe das Seewasser durch die Hauptschleuße sich hinaus in die Nordsee gezogen hat, das Wasser durch die hintersten Schleußen ab und dafür frisches aus den Reservoiren zugelassen werden, wodurch die Austern fortwährend gespült werden. Die Wände der Reservoirs sind Erdwälle mit Strohgeflecht besetzt; die Parks dagegen haben Wände von Erde mit Kleie vermischt und nach innen eine dicke Bohlenlage, welche ebensowohl wie der Fußboden massiv und so wasserdicht sein müssen, daß kein den Austern schädliches Untergrundwasser hinein dringen kann.

Die größte Reinlichkeit ist Hauptbedingung, denn die Anstalt ist gewissermaßen ein Rastort, wo die von Whitstable in England kommenden sogenannten Natives-Austern sich von den Anstrengungen der Reise erholen und erfrischen sollen. Die Schiffe legen an der Landungstreppe an; die Körbe werden ausgeladen und die Muscheln in den Parks untergebracht. Sollen sie aber weiter versandt werden, so werden sie wieder mit einer Art Netzschaufel herausgefischt, in dem nahe den Parks liegenden Winterhause sortirt und, in Körbe verpackt, von hier auf der Straße nach Husum gesandt, wo sie dann ihre Weiterreise auf der Eisenbahn fortsetzen.

Es leuchtet ein, daß die Austern jetzt in einem gesündern Zustande zu uns kommen, als wenn sie ohne Aufenthalt von England bezogen werden müßten, und die Austernesser können sich bei dem Herrn Joseph Miller in London bedanken, daß er trotz der großen ihm entgegenstehenden Hindernisse die Anlage dieser Parks bewerkstelligte. Seit dem Jahre 1858 hat die Husumer Austerncompagnie das Unternehmen in die Hände genommen, und unsere Zukunft, soweit sie von frischen Whitstabler Austern abhängig ist, dürfte dadurch gesichert sein.




  1. Kooge nennt man die jungen aus dem Meere erhobenen und umdeichten Marschländereien. Die ganze Küste ist nämlich in einem zwar langsamen, aber ununterbrochenen Aufwärtssteigen begriffen, und es rückt dadurch die Grenze des Meeres immer weiter hinaus.