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Die Ballschuhe

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Textdaten
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Autor: Arthur von Loy
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Titel: Die Ballschuhe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 119–122
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Ballschuhe.
Von Arthur von Loy.


Comtesse Ida Hahn saß im Erkerzimmer des väterlichen Schlosses und überzog sich eigenhändig ein Paar rosa Atlasschuhe. Wahre Kinderfüßchen, die Füßchen Aschenbrödels mußten es sein, die diese zierlich kleinen Formen tragen konnten. Ihre junge Besitzerin befestigte eine Schmetterlingsschleife auf dem kurzen Spann, nähte schmale Kreuzbänder an – es war zu Mitte der zwanziger Jahre – und betrachtete dann das vollendete Werk mit unverhehlter Zufriedenheit. Sie dachte dabei an die hübsche Geschichte, welche man anläßlich der Verlobung der Königin Luise erzählt. Ob es wohl wahr gewesen war, daß die junge Prinzeß von Mecklenburg-Strelitz auch just gesessen und sich ihre Ballschuhe frisch bezogen hatte, als der preußische Kronprinz, nachmalig Friedrich Wilhelm der Dritte, von Berlin kam, um ihre Hand zu erbitten?

Die Comtesse seufzte, indem sie sehnsüchtig durchs Fenster auf die langen öden Schneeflächen der Heimath hinausblickte. Holstein und Mecklenburg – wohl waren es zwei reizende gesegnete Schwesterländer, besonders im Sommer, wenn die üppigen Kornfelder und die goldenen Rapssaaten bis zum Horizonte wogten und der Storch sein Familienleben auf den grauen Strohdächern der malerisch gestreuten Einzelgehöfte entwickelte. Wo fand man einen schöneren Strand, an welchem die schaumgekrönten Wogen des herrlichen grün-blauen Baltischen Meeres unmittelbar die prächtigsten Buchenwälder bespülten, und nirgends langweilige Sanddünen störten? Aber ach, war die Ratnr auch poetisch, so gestaltete sich das Leben desto prosaischer. „Praktisch und uninteressant“ lautete seine Devise. Die Frauen redeten hier nur von kleinen Kindern und schlechten Dienstboten, die Männer sprachen über Pferde und Dünger; waren diese Themata erschöpft, so bildete das Wetter den eisernen Bestand der Unterhaltung für beide Geschlechter. Das ergab eine dürre trostlose Atmosphäre für ein phantasiereiches Köpfchen, dessen Stirn sogar der Genius der Poesie geküßt hatte! Und deßhalb entschädigte sich die nach Glück und Abwechselung dürstende Seele des erst einundzwanzigjährigen Mädchens längst durch die Zauberkreise eines selbstgeschaffenen Traumlebens, in welches aber die frühreife Klugheit der Comtesse auch schon zuweilen einige graue Fäden der Resignation mit einwebte. Doch die holde Illusion der Jugend drängte trotz des Mangels an Wahrscheinlichkeit noch zu einem freudigen Abschlusse; und so hoffte auch Ida heimlich auf einen Befreier, der gleich dem Märchenritter hergezogen käme, um das Dornröschen aus den Banden der Alltäglichkeit zu erlösen, in denen es ersticken zu müssen wähnte.

Die Thür des Erkerzimmers ward jetzt hastig geöffnet, und ein älterer Herr, welcher vornehm und excentrisch zugleich aussah, trat herein. Er hielt einen Brief in den Händen, dessen Inhalt ihn offenbar bewegt hatte.

Ida war es gewohnt, ihren Papa aufgeregt und von bestimmten Ideen hingenommen zu sehen, doch zählte er trotzdem zur Klasse der zärtlich rücksichtsvollen Väter. Sie durfte deßhalb erstaunt sein, daß er heute ohne Weiteres auf sie zu schritt, sie unter das Kinn faßte, ihr prüfend ins Gesicht schaute, so ungenirt, als betrachte er ein Bild, dann die Hand mit einer kleinen unschmeichelhaften Geberde des Mißmuthes wieder sinken ließ und voll ungeduldigen Bedauerns sagte:

„Ich fürchte, Ida, .. Du bekommst niemals einen Mann!“

„Weil ich ein Blaustrumpf bin?“ meinte die Comtesse erröthend.

„Nun, Dein Schreiben schreckt wohl hin und wieder auch Jemand ab, aber davon rede ich doch jetzt nicht. Nein, weil wir zur armen Linie gehören und Dein Vater der ‚Theatergraf‘ ist, jener sanguinische Thor, welcher sein Herz an das deutsche Theater gehängt hat und gleich einem zweiten Wilhelm Meister die Welt mit einer Schauspielertruppe durchzieht, die er ernährt und bekleidet ... weil Du die Tochter des allgekannten ‚verdrehten‘ Hahn bist, deßhalb nimmt Dich Keiner!“ rief der alte Graf mit überquellender Bitterkeit. „Wer möchte der Schwiegersohn des Verschwenders werden, der, immer wieder von Neuem hoffend auf unverbürgte Lorbeeren und noch ungewissere Einnahmen, das Vermögen seiner Familie hinopfert ...“

„Von wem ist denn der Brief?“ fragte Ida den sich immer mehr Aufregenden, in der liebevollen Absicht, ihn von seinen plötzlichen Reue-Anfällen, die ja doch keine Aenderung der Dinge erzielten, abzulenken.

„Das ist ein Schreiben des Erbgrafen Friedrich aus Schloß Basedow, der auch nur Glück hat, wie alle Dummen und Reichen,“ antwortete der Gefragte übellaunig.

„Inwiefern?“ forschte die Comtesse.

„Nun, Du weißt es ja auch, daß man sagt, der junge Erbgraf von Hahn-Basedow ginge auf Freiersfüßen. Zum Zweck der Brautschau scheint er zuerst eine Rundreise durch Holstein und Mecklenburg machen zu wollen - gnädig berücksichtigt auch der stolze Vetter von der reichen Linie den armen Ast der Familie dabei. Auf morgen hat er sich herablassend bei seinem halbbankerotten Verwandten angemeldet – morgen, wo wir den großen Ball geben, zu dem ich die ganze hochadelige Nachbarschaft zusammengetrommelt habe, der ich unter dem Vorwande eines ‚Balles‘ ein auserlesenes theatralisches Quodlibet darzubieten gedachte, um unsere unlitterarische Gesellschaft etwas aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln und für mein Theater zu erwärmen! Nun werden meine guten Schauspieler vor ungeduldigen Zuhörern spielen, die Jugend wird ungestüm zum Tanze drängen, und Erbgraf Friedrich wird der Held des Abends sein. Dem machen wir es mit unserer Mühe und unseren Kosten wahrlich prächtig bequem! Denn einen volleren Strauß liebreizender Mädchenblumen sieht er schwerlich je wieder vereint, als er morgen bei uns findet. Die reichen Bernstorffs, Bülows, Moltkes und Stojentins, sie werden jubeln über den wunderbaren Freiersmann, den das blinde Glück ihnen auf die Bahn wirft, und ihn wahrscheinlich auch erringen, denn Geld drängt sich ja stets zum Gelde ... und ich bin es gewohnt, für Andere zu arbeiten.“

Die väterlichen Worte frischten ein halbverlöschtes Bild in der töchterlichen Erinnerung wieder auf. Vor etlichen Jahren hatte Ida den Erbgrafen Friedrich auf einem Rennen gesehen. Da war er ein mannhaft hübscher Jüngling gewesen, mit kecker Miene und flotten Manieren, von schlau berechnenden Müttern und heirathsfähigen Töchtern wie ein Stück Kuchen von hungrigen Fliegen umschwärmt. Ein wildes Pferd hatte er mit leichter Mühe gebändigt und dann unter Paukenklang und Beifallsrufen „den Fürstenpreis“ aus großherzoglicher Hand erhalten. ... Die junge Comtesse war dem glücklichen Sieger damals wahrlich nicht gram gewesen – er hatte ihr sogar sehr gut gefallen!

Der alte Graf ging im Zimmer umher, wie Jemand, der ausschließlich mit einem Gedanken beschäftigt ist. Beim Vorüberschreiten fiel sein Blick auf die rosa Ballschuhe, welche zierlich gepaart auf der Tochter Schoß lagen. „Reizend!“ rief er ganz entzückt, erfaßte die Schuhe und hielt sie betrachtend empor. [120] „Ach Ida, wenn doch Alles so hübsch an Dir wäre, wie Deine Füße, dann ...!“ Er hielt inne, fühlend, daß ihm eine Unzartheit auf den Lippen schwebte. Reuig darüber, küßte er die Tochter zärtlich und vollendete:

„Ich liebe Dich ja so, wie Dich die Natur geschaffen hat. Aber mir blutet doch das Vaterherz, wenn ich sehe, wie wenig Du am richtigen Platze stehst und in der Werkeltagsarbeit aufgehst, tugendsam Dir Deinen Putz selbst anfertigst und Dich ehrlich abmühst, den Groschen in einem Haushalt zu sparen, wo der Thaler nicht geachtet wird. Ach, die vornehmen Aschenbrödel der Gesellschaft, sie erreichen nur sehr selten jene Belohnung, wie sie dem Urbilde im Märchen zu Theil wird! Es wird zwar auch ein Märchenprinz in unser Haus kommen, ein schöner junger reicher Graf, aber er wird wahrscheinlich an Dir vorübergehen, armes Kind, weil Du keine Märchenschönheit besitzest! Der Mann schätzt leider gewöhnlich das Verdienst beim Weibe nur, wenn es mit der Schönheit gepaart ist .... Daß Väter vom Ruin durch glänzende Heirathen ihrer Töchter gerettet werden, gehört wohl auch in das Reich der Romantik! .... Nun, laß es Dich nicht anfechten, meine tapfere Ida, wir wollen unsere Gedanken nicht länger an unnütze Dinge heften, sondern uns mit den Vorbereitungen zum Balle beschäftigen.“ Damit verließ der Graf das Gemach.

Ida aber sprang auf und eilte vor den großen Pfeilerspiegel hin. War sie denn wirklich so reizlos, daß der Märchenprinz auf jeden Fall an ihr vorübergehen mußte? Besaß sie denn wirklich gar nichts, womit sie ihn zu fesseln vermochte?

Gräfin Ida Hahn-Hahn hat in ihren späteren Romanen der weiblichen Schönheit begeistert Kränze geflochten. Ihre Lieblingsheldinnen - halb Madonnen, halb Helenen - pflegte sie immer mit siegender Aeußerlichkeit auszustatten. Daneben schilderte sie angenehm überzeugend die Häßlichkeit mit schöner Seele, die dennoch den Geliebten schließlich gewinnt. Doch nie erwähnt ihre Feder jenes Durchschnittsschicksal der Weiblichkeit, die fatale, uninteressante Mittelmäßigkeit der Reize – so oft sie auch sich selbst schilderte! Sie theilte ihren berauschenden Frauengestalten von ihrem Geist und ihrer Feuerseele mit, sie gab ihnen ihre Faustinennatur, aber nicht ihre Züge, nicht die eigene Statur. Nur die Grazie, die Eleganz und die Hände, „weißer Mull mit rosa Seide gefüttert“, sind wahrheitsgemäß. Und doch hätte die Gräfin wohl zufrieden sein können, denn sie soll in den Jahren der Reife, zwischen dreißig und vierzig, eine ganz bezaubernde, reizende Frau gewesen sein. Trotzdem verzieh sie es dem Schicksal nicht, daß es ihr die Gabe der Schönheit versagt hatte. Sie ähnelte darin ihrer berühmten Kollegin, Frau von Staël, durch deren ganzes Leben und sämmtliche Schriften die Klage über die eigene Reizlosigkeit wie ein zorniger Schmerzensruf klingt.

Der Pfeilerspiegel zeigte eine nüchtern-blonde Mädchenerscheinung mit schlanker, doch eckig magerer Figur. Die Stirn war viel zu groß und zu rund, die Nase stand etwas schief im Gesicht, was freilich ein Zeichen der Klugheit sein soll. Von den sanften blauen Augen der Comtesse schielte leider das eine, besonders wenn sie verlegen oder angegriffen war. Hauptsächlich fehlte aber jener Verklärungsschimmer, den die Jugend oft sogar über noch viel weniger hübsche Mädchengestalten ausgießt. Ach, und gerade ein Ball, wo das Vergnügen und die Wohlthat der Toilette selbst den fast Unschönen auf Augenblicke den Gürtel der Venus leihen, war für Ida leider ganz besonders unvortheilhaft, trotz der angeborenen Grazie ihrer Bewegungen und obgleich sie leicht wie eine Feder tanzte. Denn bei solchen Gelegenheiten spielte ihr das erregte junge „Blaublut“ lauter ärgerliche Streiche, es streute ihr entstellende Hitzflecke auf Stirn und Hals, und das heftige Echauffement löste ihre schönen blonden Locken – die weichen Haare der Intelligenz – frühzeitig in trübselige Verwirrung auf, dergestalt, daß die Comtesse schon nach den ersten Tänzen einer zerwehten Frühlingsblume zu ähneln pflegte. Und aufgelöste Locken waren damals ganz besonders mißfällig, denn man lebte im Stadinm des Glatten. Die Jugend trug den zierlichen Coeurscheitel, vorn entweder dicktoupirte kurzgesteckte Kanonenlocken oder langherabhängende sentimentale Schmachtlocken, letztere erhielten dann später in ihrer Ausartung den Namen „Korkzieherlocken“. Im Nacken band man das Haar empor und wand es um ein Drahtgestell. Das nannte man einen Hasenzopf; er war sehr schwer zu machen, namentlich übten zu weiche und schwere Haare die Unart, sich unbemerkt loszuziehen, dann schwebte das Drahtgestell wie ein leeres Vogelbauer sehr komisch einsam und allein auf der Spitze des Hinterkopfes.

Selbst die berühmten schönen Hände der Gräfin litten einst vom Schicksal der Jugend, indem die Hitze sie roth, die Kälte hingegen blau machte. Und der Reiz des Ungewöhnlichen fehlte noch ganz und gar, die später so gewandte Salondame, welche auf den Flügeln der Genialität die Welt durchreiste und auch namentlich durch den eigenartigen Zauber ihrer Persönlichkeit wirkte, sah in ihrer ersten Jugend wie ein unbedeutendes kleines Provinzmädchen aus, „ganz entsetzlich mecklenburgisch“, wie eine schlesische Schwester in Apollo von ihr gesagt haben soll.

Comtesse Ida war viel zu klug, um nicht einzusehen, daß sie leider sehr wenig besaß, was einen anspruchsvollen jungen Lebemann hätte bezaubern können. Es gefielen ihm vielleicht manchmal noch unschönere Frauen – hatte man ihr doch jüngst auf einem Hofball in Schwerin eine Dame gezeigt, mit welcher Erbgraf Friedrich im Gerede war, und die geradezu häßlich genannt werden durfte – aber die kämpften dann wohl mit anderen Waffen als eine bescheidene unschuldige Landcousine zu gebrauchen wagte. Einen Augenblick erlag das junge Mädchen jenem beschämenden Gefühl der Ohnmacht, welches die beste und solideste Frau empfindet, wenn sie merkt, daß es ihr versagt ist, mit ihren äußerlichen Mitteln einen Eindruck zu machen. Dann aber regte sich in ihr der Stolz des geistigen Uebergewichts, und eine gewisse Zuversicht breitete sich wie eine wohlthätige Hülle über ihr zagendes Gemüth. Wozu besaß sie denn ein erfinderisches Hirn? Weßhalb sollte man stets die Intrigue in das Reich der Poesie bannen? Ließ sich denn das Leben selbst nicht auch einmal umdichten? ...

Der traurige Ausdruck verschwand aus Ida’s Antlitz. Sie trat von dem Spiegel zurück und ergriff ihre Ballschuhe – der Schalk blitzte wieder aus ihren Augen – wahrlich, mit ihrem Kopfe – mit diesen Füßen – sie brauchte doch vielleicht noch nicht ganz zu verzweifeln!

*      *      *

Anderen Tages langte Erbgraf Friedrich Hahn-Basedow schon um zwölf Uhr Morgens an. Ida’s Vater hatte zu seinem Empfange ein Champagnerfrühstück besorgt und mehrere junge Kavaliere der Nachbarschaft dazu eingeladen.

Die Comtesse und ihre gräfliche Mutter machten als einzige Damen die Honneurs. Ida sah allerliebst aus im dunklen Hauskleide, ein weißes Latzschürzchen vorgebunden, der Zuschnitt der Häuslichkeit stand ihrem frischen Teint und ihrer mädchenhaften Figur vorläufig eben am besten. Der junge Erbgraf unterließ auch nicht, der neuentdeckten Cousine sofort zu huldigen, was aber im Grunde doch leider freilich von nur geringer Bedeutung war. Einmal konnte der Erbgraf überhaupt kein halbwegs niedliches junges Mädchen sehen, ohne ihr den Hof zu machen, zweitens war keine Rivalin vorhanden, und drittens hatte dem Erbgrafen aus Ida’s lebhaften Zügen jener Ausdruck entgegengeleuchtet, den kein Mann mißversteht. Die Comtesse nämlich, obgleich ja eigentlich nur erst die Knospe eines Weibes, theilte doch schon im vollsten Maße die wunderbare Vorliebe der geistreichen Frauen für flache Männerschönheit, und so hatte sie es nicht verhindern können, daß ihr der Vetter keineswegs um seines Reichthums willen allein gefiel, sondern daß bei seinem Anblick dieselbe Saite in ihrem Herzen wieder erklang, die sich schon einmal auf dem erwähnten Rennen in ihrer Seele geregt hatte.

Als die Frühftücksstimmung der Herren gar zu lebendig wurde, zogen sich die Damen zurück. Ida’s Mama bemerkte indeß zu ihrem Erstaunen, daß ihre Tochter die Thür des Eßzimmers geflissentlich nur anlehnte und offenbar auf das Gespräch da drinnen zu horchen beabsichtigte.

„Laß das,“ warnte die alte Gräfin, „was junge Herren beim Wein reden, taugt nicht für Mädchenohren.“

„Ei, ich muß Charakterstudien machen für meinen schriftstellerischen Beruf,“ entgegnete Ida, „die Herren Recensenten behaupten ja ohnedies, Frauenfedern schilderten nur Männerschemen und Männerschablonen, die Helden in weiblichen Romanen unterschieden sich nur durch die Bartfarbe von einander!“

Anfangs hörte die Lauscherin nichts, was sie interessirte. Jagdgeschichten wechselten mit kecken Anekdoten. Endlich kam man [121] von den Pferden auf die Damen, speciell auf das Thema der weiblichen Schönheit – und Erbgraf Friedrich wurde tüchtig geneckt mit seiner Vorliebe für kleine Füße!

„Parbleu, ich ziehe doch ein schönes Gesicht einem hübschen Fuß vor!“ rief der lange Junker von Plüskow, „Sie aber, bester Graf, sollten lieber einen Schuster für Ihre Brautschau engagiren, der den heirathsfähigen Töchtern des Landes gleich das Maß nimmt und sie numerirt wie in einem Schuhladen – die kleinste Nummer zöge dann wahrscheinlich als glückliche Herrin auf Schloß Basedow ein.“

„Der kleine zierliche Fuß ist mir allerdings eine Hauptsache bei der weiblichen Schönheit,“ erwiderte ernsthaft der Geneckte. „Abgesehen davon, daß ich ihn bewundere, gilt er mir auch als ein untrüglicher Seelenspiegel. Ich kann den ganzen Charakter einer Dame in ihrem Fuße erkennen; aus der Form ihres Schuhes weissage ich mit Zuverlässigkeit, ob sie klug, bestimmt, zartfühlend, hingebend ...“

„Hören Sie auf, Sie Fußfanatiker!“ lachten alle durch einander. Und der kleine Graf Behr-Regendanck rief: „He, Oertzen, das ist etwas für Sie – in Ihrer Familie ist ja eine hervorragende Dichterader – Sie müssen uns die Auslassungen des Grafen Friedrich in Verse kleiden. Dichten Sie uns eine ‚Apotheose des Fußes‘, oder schreiben Sie eine Abhandlung ‚Der schmale Hacken‘, Beitrag zur Charakteristik des Weibes ...“

Diese Unterhaltung wurde nicht fortgesetzt, denn der Gastgeber trat herein – welcher dringend wünschte, wegen der Vorbereitungen zum Balle und zur Theateraufführung sich seiner Gäste bis zum Abend zu entledigen und sie bis dahin passend zu unterhalten – indem er verkündete, daß die Wagen angespannt wären, welche die Herren nach einem entfernten Vorwerk bringen sollten, woselbst eben angekommene ungarische Schweine der Besichtigung harrten.

Das erste Kapitel des „Romanes“.

Als nach einer Weile der alte Graf unvermuthet durch den Korridor schritt, auf welchen des reichen Vetters Logirzimmer mündete, war er sehr erstaunt, seiner Tochter dortselbst zu begegnen. Er hätte schwören mögen, sie käme aus des jungen Grafen Zimmer! Doch das war ja ganz unmöglich, denn die Comtesse wußte als wohlerzogene junge Dame genau, was sich schickte.

„Wie kommst Du denn hierher?“ fragte er befremdet und blickte forschend auf ein Stück zerknittertes Papier, welches die Comtesse sichtlich verlegen zu verbergen strebte.

„Ich versuche eben das erste Kapitel zu einem Roman zu entwerfen,“ lautete die überraschende Antwort.

„Aber ich bitte Dich, Ida,“ ries ungeduldig der Vater, „so denke doch lieber an die Bowle, das Souper und an Deine Toilette! Wie kommst Du denn nur heute auf die absonderliche Idee zu schreiben?“

„Mein Roman wächst auch wahrscheinlich gar nicht über den eben begonnenen Anfang hinaus,“ erwiderte die Comtesse mit eigenthümlich melancholischem Tone.

*      *      *

Als Erbgraf Friedrich mit Eintritt der Dämmerung von der Besichtigung der ungarischen Schweine zurückkehrte, war sein Hauptgedanke, nach den Strapazen eines üppigen Frühstücks und vor dem Ereignisse eines großen Balles „einen langen Schlaf zu thun“. Er fand in seinem Zimmer ein behagliches Eckchen, wo ein teppichbehangener Divan unter einem Holz-Sims an der Wand stand. Der junge Mann streckte sich lang aus auf dem angenehmen Lager; daß von dem Rande des Simses ein Paar rosa Bändchen herabflatterten und ihm fast die Stirn berührten, nahm er sich gar nicht die Zeit zu bemerken, sondern versank gleich in festen Schlummer.

Fast eine Stunde lag er ohne sich zu rühren. Dann ward sein Schlaf ein unruhiger, der Graf veränderte die Lage, brachte auch den Kopf etwas höher ... sonderbar – gab es denn jetzt noch Fliegen? Er schlug danach ... wieder berührte es ihn - was baumelte ihm denn nur immer an die Nase? Ein energischer Griff ... platsch – da kollerten zwei Gegenstände von der Wand herab, der eine schlug neben ihm auf den Boden nieder, der andere fiel ihm auf die Brust und blieb just auf seinem Herzen liegen. Nun war es nur gut, daß eben auf dem Korridor die Flurlampe angezündet wurde und deren helles Licht auch einige Strahlen durch ein großes Fenster in des Grafen dunkles Zimmer entsendete. Da konnte er doch wenigstens sehen, was ihm denn da auf das Herz gefallen war ... ein reizender Atlasschuh! Ein kleineres Füßchen glaubte der Graf sich nicht vorstellen zu können. Er wendete bewundernd die zierliche Form in seinen Händen um und um, eine ganze Liste der schönsten weiblichen Eigenschaften ahnend. Wie originell die Sohle gebogen war, kräftig, doch maßvoll, ein geniales Köpfchen gehörte sicher zu diesem Fuße! Offenbar war der Schuh schon getragen – desto besser, dann hatten sich die Eigenschaften der Besitzerin recht genau darin ausgeprägt. Am leisen Wachsfleck, der sich mitten unter der Fußspitze festgesetzt hatte, sah der Graf, daß die Herrin des reizenden Liliputaners einen geraden festen Tritt habe. Der feine Hacken verrieth eine zarte nervöse Konstitution. Die schmale Spitze bekundete einige Anlage zur Koketterie, und das leichte Ueberschweifen des Oberzeuges in der Gegend der kleinen Zehe deutete Vorliebe für [122] Glanz und Pracht, Freigebigkeit, große Lebenslust an. Also keine Duckmäuserin! Fast hatte der Graf schon etwas dergleichen gefürchtet, als er den schmalen, schwach entwickelten Ballen bemerkte. Denn je weniger Ballen vorhanden ist, je karger ist das sanguinische Element vertreten, und Zahlensinn, Ordnungsliebe und Pedanterie überwiegen.

Der Graf hob nun auch den andern Schuh vom Boden auf. Wie hübsch sauber die niedlichen Dinger noch waren! Er bog sich näher dem Licht, um besser sehen zu können – ei, das Pärchen war neu bezogen und zwar mit großem Geschick! Ob das eigenhändige Arbeit der Besitzerin war? Auch noch nadelgewandt und sparsam bei so viel Genialität? Entzückend! Und inwendig hatte ein liebenswürdiger Sinn für Aesthetik die Schuhe mit rosa Seidenpapier ausgekleidet – sie mußten wirklich das Eigenthum einer Fee sein – nein, besser noch, sie gehörten einem hochidealen jungen Mädchen an, in dem alle bestrickenden Eigenschaften des Weibes schlummerten. Glücklich Derjenige, an dessen Herzen solche Knospen zu Blüthen reifen durften – „der Teufel soll mich holen wenn ich den Engel nicht heirathe, dem diese Schuhe zu eigen sind!“ rief der Graf plötzlich ganz laut.

Doch er war noch so müde – wieder schlief er ein. Jetzt träumte er von der Cousine Ida. Sie bog sich im weißen Brautgewande mit Myrthenkranz und Schleier über ihn, wie ein holdes Räthsel, welches Lösung verlangt. Der Graf wollte ihr die rosa Schuhe anpassen, doch stets, wenn er ihr nahe kam, glitt sie wie ein Schemen weiter, mit rhythmischen Bewegungen voll lieblichster Anmuth. Mädchenhaftigkeit – o, reizende Neuheit, wie sie den Weltmann berauschte! Heftig, leidenschaftlich eilte er der Comtesse nach – fast hatte er sie erreicht und wollte sie umfassen, da –

„Poch – poch!“ klang es mit kräftigen Schlägen gegen des Grafen Zimmerthür. Der erwachende Träumer mußte sich erheben und öffnen.

Draußen stand die stämmige Landzofe Ida’s. „Ach, Herr Graf,“ klagte dieselbe, „meine gnädige Comtesse ist in Verzweiflung, sie zieht sich zum Balle an und kann ihre eigenhändig bezogenen Ballschuhe nicht finden! Das ganze Schloß haben wir schon durchsucht. Nun meinen wir, daß bei der allgemeinen Umräumerei für unser Fest und unsere Gäste vielleicht eine unberufene Hand die Vermißten in Ihr Zimmer gestellt haben könnte. Gestatten der Herr Graf, daß ich einmal eintreten und nach den Ballschuhen suchen darf?“

„Hier sind sie!“ sagte der Graf, indem er einen Kuß auf jede der kleinen Sohlen drückte. „Bestellen Sie zugleich meine unterthänigsten Empfehlungen an Ihre gnädige Comtesse und sagen Sie ihr – da ich persönlich so kurz vor einem Balle nicht mehr zu stören wage – daß ich sie um die Gunst bitten lasse, heute Abend mit mir den ersten Walzer und den Cotillon zu tanzen!“

*      *      *

Einen erfolgreicheren Ball hatte der alte Graf Hahn noch nie gegeben.

Ida erschien in einem weißen Tüllkleide, die rosa Schuhe an den Füßen, einen idealen Rosenkranz auf dem Haupte. Fast noch nie in ihrem Leben hatte die Comtesse so hübsch ausgesehen, denn nichts verklärt so, wie der Strahl des Beifalls. Erbgraf Friedrich wich nicht von ihrer Seite, und der beglückte Pulsschlag von Ida’s Herzen schien selbst dem jungen Blaublut zu gebieten, denn kein Hitzfleck und keine unangenehme Röthe beeinträchtigten an jenem Ballabend den Ausdruck des geistigen Lebens und die Fülle poetischer Innerlichkeit, welche Ida’s Physiognomie widerspiegelte, wenn sie vergnügt und angeregt war. Sogar die Locken hielten sich so lange als möglich und lösten sich erst ganz zuletzt in kleidsame Unordnung auf. Ida’s Grazie übertraf ja stets die aller Damen und so bemühten sich denn die sämmtlichen anderen jungen Töchter des hohen Adels vergebens um den begehrenswerthen Freier – sie mußten es erstaunt mit ansehen, wie rasch Erbgraf Friedrich sich zur Rolle des Königssohnes im Märchen Aschenbrödel entschlossen hatte.

Nach Ablauf einer Woche verlobte sich Ida mit ihrem Vetter, und sehr bald fand dann auch die Hochzeit statt. Auf dem Polterabende las Herr von Oertzen einen „Hymnus auf den kleinsten Fuß der schönsten Seele“ vor, und der glückliche Bräutigam ließ es sich nicht nehmen, nach alter galanter Polensitte den kleinen rosa Ballschuh, der sein Herz gefangen genommen, mit Champagner zu füllen und auf das Wohl der Braut bis zur Nagelprobe zu leeren.

„Wie waren denn aber die famosen Schuhe nur überhaupt in das Zimmer gekommen?“ fragte der alte Graf unschuldig, „wer hatte sie denn eigentlich hineingesetzt?“

„Ich, lieber Vater!“ antwortete Ida, indem sie den guten Papa herzlich küßte, „das war jener Anfang eines Romans, von dem ich sprach – das erste Kapitel in der Geschichte meines weiblichen Lebens!“

*      *      *

Ob diese Ehe glücklich wurde? Nein und abermals nein! Denn es war dasjenige zu wenig dabei berücksichtigt worden, wonach überhaupt leider viel zu selten gefragt wird, und was doch nur allein den Keim der Zufriedenheit und die Möglichkeit des Glücks in sich birgt – das ist die Ebenbürtigkeit der Seelen! Poesie und Prosa, Bildung und Rohheit soll man aber gewiß am wenigsten zusammenfügen, und deßhalb war auch die Katastrophe fast unvermeidlich, welche schon nach drei Jahren erfolgte, nämlich die Scheidung. Sie war einst ein vielbesprochenes Ereigniß in der vornehmen Welt. Grausame Verleumdung, aber auch leider eigene Schuld, zogen einen verhängnißvollen Ring um die junge Frau, selbst das Auge des Wohlwollens vermag nicht ganz klar bei dieser Angelegenheit zu sehen und ein richtiges Endurtheil zu fällen.

Wer sich für die Gräfin Hahn-Hahn interessirt, muß ihre Romane lesen, die einst zündeten und ihren Namen durch ganz Europa trugen. Der Rechte – Faustine – Levin – sind Gebilde einer glühenden Phantasie und eines ganz außerordentlichen, wenn auch mitunter ungesunden Geistes. Die Romane ihrer katholischen Epoche besitzen einen geringeren Werth und haben weniger Reiz. In ihnen erscheint die hochgeniale Schriftstellerin nur noch wie der verblaßte Schemen ihrer selbst. Sie war eben ein Weltkind, die Klosterschwester vertrug sich mit ihrem Talent nicht, welches nun einmal wurzelte in der irdischen Liebe Freud und Leid.