Die Betschwester
Die frömmste Frau in unsrer Stadt,
In Kleidern fromm, und fromm in Mienen,
Die stets den Mund voll Andacht hat,
Wird diese nicht ein Lied verdienen?
Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf;
Kaum tönt der Klang vom achten Stundenschlage:
So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage.
Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon gethan:
Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen:
So fleht sie doch um Mäßigkeit im Essen.
Und ob sie gleich auf alle Pfänder leiht:
So seufzt sie doch um Trost bey ihrer Dürftigkeit.
Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweymal aus,
Und reißt dadurch ihr ganzes Haus
Auf ewig aus des Teufels Klauen.
Zwölf Lieder stimmt sie täglich an.
Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stören?
Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hören.
Geh nur, und hungre, wie zuvor!
Sie hebt ihr Herz zu Gott empor,
Und itzt an einen Armen denken?
Sie singt, und trägt das Essen singend auf.
Sie ißt, und schmählt[1] auf böser Zeiten Lauf;
„Geht, quält mich nicht mit eurer Noth,
„Wenn ich die Hand zum Munde führe.
„Nicht wahr, ihr singt und betet nicht?
„Seyd fromm, und denkt an Eure Pflicht:
„Wenn seht ihr mich denn betteln gehen?
„Allein man muß zu Gott auch brünstig schreyn und flehen!
Doch ist die liebe fromme Frau
Nicht gar zu hart, nicht zu genau?
Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen;
Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis,
Und weist sie zu Gebet und Fleiß;
Ist dieses nicht der Schrift Geheiß?
Allein nur redlichen Gemüthern.
Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt,
Das, in der Noth, bey ihr nicht Zuflucht hat?
Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung[2] bringen:
Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit,
Die Welt mag noch so viel an ihr zu tadeln finden.
Nicht nur den Lebenden nützt ihre Mildigkeit;
O nein! Sie weis sich auch die Todten zu verbinden.
Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht?
Wenn sprechen nicht die Leichengäste:
Beatens Kranz war doch der beste!
Das fromme Weib! erlebt sie mein Erblassen:
So wird sie meinen Sarg gewiß versilbern lassen.
Sie kleidet Kanzel und Altar,
Und wird sie künftigs neue Jahr,
Zum drittenmale doch bekleiden.
Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht thun;
Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn.
Wer wars, der itzt in die Collekte
Beate wars, sie leiht dem Herrn,
Und was sie giebt, das giebt sie gern.
Was kann denn sie dafür, daß es die Leute sehen?
Beate! laß die Lästrer schmähen,
Du wollst die Andacht nur bestechen,
Daß für den Wucher, den du treibst,
Du einstens ungestrafet bleibst.
Laß dich von andern spöttisch richten,
Als wäre dieß für dich die liebste Neuigkeit,
Wenn andern Noth und Unglück dräut;
Als hättest du nichts, als der Tugend Schein.
Schweigt, Spötter, schweigt! Dieß kann nicht seyn;