Die Blumenmalerin von Altona

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Titel: Die Blumenmalerin von Altona
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 799–800
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[799] Die Blumenmalerin von Altona. In Altona war es und im Jahre 1794. In einem bescheidenen Zimmer, mit der Aussicht auf die Elbe, saß eine Frau mittleren Alters und malte bunte Blumen auf ein vor ihr liegendes Blatt Papier. „Nicht zu fleißig,“ sagte ein stattlicher Herr, der neben ihr stand, Herr Wengraf, der Besitzer einer Altonaer Kattunfabrik, „und unterdrücken Sie das Heimweh.“ Darauf ging er. Madame Felicie aber, so nannte man unsere emsige Blumenmalerin, sank in einen Stuhl und dachte an Frankreich, ihre Heimath, an Paris, an Versailles, und ihr Herz bebte vor Schmerz. Sie war eine Emigrantin, die, wie so viele ihrer Landsleute, die Revolution aus Frankreich vertrieben hatte.

Arm war sie nach Altona gekommen. Hier wollte sie unter dem Namen „Madame Felicie“ leben und sich mit der Blumenmalerei für Wengraf’s Kattunfabrik ihren Unterhalt erwerben. Ihren wahren Namen zu nennen, verbot ihr der Stolz der Aristokratin, denn auch sie gehörte dem alten französischen Adel an; nicht einmal ihre Landsleute, deren sich gegen vierzigtausend in und um Hamburg aufhielten, sollten von ihr erfahren; arbeiten wollte sie und in der Einsamkeit auf glücklichere Tage hoffen.

Wacker ertrug sie ihr Geschick; hätte sie nur ihre Harfe nicht zurücklassen müssen, das Instrument, das sie mit Meisterschaft spielte, wie zu ihrer Zeit kaum Jemand sonst! Während des Sonnenscheins half die Arbeit wohl über Alles fort, aber mit den langen, trüben Abenden stellten sich auch die trüben Gedanken ein und immer größer wurde die Sehnsucht nach der Harfe. Sie war ein Geschenk des Königs Ludwig’s des Sechzehnten gewesen, der gar oft ihrem Spiele in Bewunderung gelauscht hatte. Diese Tage konnte Felicie nicht vergessen. Je öfter sie daran zurückdachte, je mächtiger wuchs ihr Verlangen nach dem Instrumente. So stand sie manchen Abend trauernd am Fenster, auch heute wieder – da plötzlich bebte sie zusammen und schrie vor freudiger Ueberraschung laut aus, denn im Hause gegenüber ertönte Harfenspiel. Sie vergaß, daß sie in Altona unbekannt bleiben wollte; sie warf ein Tuch über die Schultern und eilte hinüber.

Am nächsten Tage sehen wir einen Mann nach Hamburg wandern. Es ist Portales, der frühere Secretair des früheren Ministers Dumouriez. Er pflegte sein Mittagsmahl bei einer Wittwe zu nehmen, deren Tochter ein wenig auf der Harfe zu klimpern verstand. Das waren die Leute, zu denen Felicie in’s Zimmer stürzte. Sie spielte dort stundenlang; den Hörern drängten sich Thränen in die Augen. Portales erkannte schon an der Spräche die Landsmännin, die wieder forteilte, ohne ihren wahren Namen zu nennen, aber er rief aus: „So kann nur eine Dame Frankreichs, nur die Gräfin von Genlis kann so spielen. Stets war es mein Wunsch, sie auf der Harfe zu hören; ach, nur Denen jedoch, welche die Tuilerien und Versailles betreten durften, ward diese Gunst zu Theil. Aber ganz Frankreich liebt die Gräfin ob ihrer Kunst. Morgen gehe ich zu Dumouriez. Ihm ist es ein Leichtes, Licht zu bringen in das geheimnißvolle Dunkel, mit dem sich die sogenannte Madame Felicie umgiebt. Es wäre eine Schande für jedes französische Herz, wenn sich die Gräfin durch geisttödtende Handarbeit kümmerlich durch das Leben schlagen, wenn sie gar darben müßte!“

Und Portales kam zu Dumouriez – und Dumouriez kam zu Georg Sieveking, dem Rothschild Hamburgs, dem Freund der hervorragendsten Emigranten. Beaumarchais, der Dichter des „Figaro“, General Valence, die Gräfinnen Rochefoucauld, Choiseul und Vergennes waren seine täglichen [800] Gäste. Seine Salons hatten Weltruf wie seine Handelsunternehmungen; zwei Agenten kauften für das Haus Sieveking ein französisches Nationalgut nach dem andern, und in London gehörten ihm zwei Häuser in der City.

Dumouriez’s Bericht rief einen wahren Sturm hervor. Eine Muthmaßung jagte die andere, aber man wollte Gewißheit. Waren die Blumenmalerin und die Gräfin Genlis, die schöne Erzieherin der Kinder des Herzogs von Orleans, die bekannte geistvolle Schriftstellerin, die erste Harfenspielerin ihrer Zeit, wirklich eine Person, so hatte Sieveking einen Plan im Sinne, den er seiner Frau, einer Tochter des unsterblichen Reimarus, anvertraute und der eines Crösus würdig war. Also am andern Morgen nach Altona! Nicht nur Dumouriez erbot sich den Kaufherrn und seine Frau zu begleiten, auch die übrigen Emigranten, welche früher mit der Gräfin Genlis verkehrt hatten, wollten von der Partie sein.

In zwei Wagen machte man sich auf den Weg. Bald hatte man das niedrige Haus erreicht und stieg seine schwindelige Treppe hinauf. Vor einem Tische saß Felicie. Fertige Zeichnungen deckten den Tisch; vor ihr lag eine Skizze, über deren Ausführung sie eben nachsann, während die Gedanken in’s Weite hinausflogen. Sie hatte den Ellbogen gestützt, um über die Vertheilung ihrer Blumen und Ranken nachzusinnen – und sie dachte an die Veilchen und Rosen im Garten zu Roucou, ihrer heimathlichen Besitzung. Da pochte es.

Die Gräfin Rochefoucauld war die Erste in der Stube. Ein Blick, ein Schrei hüben und drüben – Felicie, Gräfin von Genlis, war einer Ohnmacht nahe. Alle sprangen zu ihrer Stütze herbei; nachdem sie sich von der Erregung erholt, sagte sie: „Unbekannt und still wollte ich hier als Blumenmalerin für das Geschäft des Herrn Wengraf bis zu dem Tage leben, wo Frankreichs Stern wieder …“

Da traten Georg Sieveking und seine Gattin vor. „Um Vergebung, Frau Gräfin,“ begann der Kaufmann und nannte seinen und seiner Frau Namen, „in meinem Salon sollen Sie erfahren, wie wir Sie und Ihren traurigen Aufenthalt entdeckten. In meinem Musikzimmer steht eine Pariser Harfe, die fortan die Ihre ist.“

In Felicien regte sich der Stolz. „Meine Herrschaften,“ versetzte sie, „ich finde es weit ehrenhafter, von der Arbeit zu leben, als im Müßiggange.“

Aber Sieveking faßte ihre Hände und sagte: „Blumenmuster für eine Kattunfabrik zu malen, das ist keine Arbeit für Ihren Geist. Es wird eine Zeit kommen, wo die Sonne des Glückes wieder über Frankreich aufgehen wird. Für diese Zeit müssen Sie von heute ab in Hamburg thätig sein. Mein Vorschlag ist der: Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß ich einige der sogenannten Nationalgüter durch Kauf an mich brachte. Jetzt gedenke ich auch Schloß und Felder von Roucou zu erwerben. Sie gehörten Ihnen, bis das Volk sie an sich riß. Aber ich müßte ein herzloser Mensch sein, wollte ich, nachdem ich die Bekanntschaft der rechtmäßigen Besitzerin gemacht, den vollen Gewinn für mich behalten. Nein, Frau Gräfin, meine Ehre gebietet, den Gewinn zu theilen, und von diesem Theile leben Sie fortan in Hamburg, schreiben Ihre Werke, bis Frankreich wieder zur Ruhe gekommen ist. Dann kehren Sie in’s Vaterland zurück, dann werden Sie mit Ihren Werken Tausende erwerben, dann kaufen Sie mir das Schloß Roucou wieder ab. Nicht wahr,“ fügte er lächelnd hinzu, „ich bin doch ein Rechenmeister comme il faut?“

Auch Felicie mußte lächeln über den – schlechten Rechenmeister. Wie zart wurde die Wohlthat geboten! Mit einem Blicke voll Dankes sank sie in Frau Sieveking’s offene Arme. Sogleich eilte Sieveking zu Wengraf und löste die Blumenmalerin von dem bindenden Contracte. Dann ging’s nach Hamburg zurück. Ein Jahr darauf siedelte Frau von Genlis nach Berlin über. Dort blieb sie, bis über Frankreich die Sonne ihres Glückes wieder aufging; dann kehrte sie in die Heimath zurück und sah noch, nachdem sie der neunzig Bände von Jugendschriften, Romanen und Memoiren verfaßt, den Mann den Thron besteigen, über dessen Kindheit sie gewacht hatte – Louis Philipp.