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Die Chiffreschrift der Diplomaten

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Titel: Die Chiffreschrift der Diplomaten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 518–520
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Chiffreschrift des Diplomaten.

Schon bald nach der allgemeinen Einführung der geschriebenen Sprache in die gewöhnlichen Angelegenheiten des Lebens war man bedacht, ein Mittel aufzufinden, um die Kenntniß des Inhalts eines schriftlichen Documents vor jedem Andern als dem, für den es bestimmt war, zu verbergen.

Bei der Beförderung wichtiger Botschaften von einem Hofe nach dem andern, von Instructionen eines Ministers an seine Agenten im Auslande, von Befehlen eines Obercommandanten an einen entfernten Divisionsgeneral oder bei dem Austausch jener zärtlichen Gefühle, welche das größte Glück der Liebenden aller Zeiten ausgemacht haben, stellte es sich als höchst wünschenswerth heraus, den wirklichen Sinn des Sendschreibens vor jedem Andern als dem, für dessen Augen es bestimmt war, verborgen zu halten.

Um diese erwünschte Geheimhaltung zu erreichen, wurden verschiedene Mittel in Anwendung gebracht. Der Verdacht Unberufener ward dadurch getäuscht, daß man durch den Gebrauch sympathetischer Tinten oder zu diesem Zwecke präparirten Papieres das Vorhandensein der Schrift selbst sorgfältig verhehlte, während irgend eine unerhebliche Mittheilung der offen ausgesprochene Zweck der Botschaft war.

In andern Fällen war die Depesche so geschrieben, daß ein geheimnissvoller Schleier darüber geworfen ward, den der Scharfsinn der Correspondenten undurchdringlich zu machen suchte, so daß es Uneingeweiheten unmöglich war, den Sinn zu entziffern.

Eine der frühesten und vielleicht plumpsten Gattungen von Geheimschrift wird von Herodot beschrieben. Man wählte einen zuverlässigen Sclaven, rasirte ihm das Kopfhaar und schrieb dann auf die nackte glatte Haut die wichtigen Worte, von welchen vielleicht das Schicksal von Nationen abhing. Dieser seltsame Briefträger ward dann noch daheim behalten und lebte als eine Art Staatsgefangener, bis sein Haar wieder die gewöhnliche Länge erhalten halte. Dann trat er, ohne Zweifel mit hinreichenden andern Botschaften in Geheimschrift oder sonst wie versehen, um den Verdacht der Feinde, in deren Hände er vielleicht fiel, auf eine falsche Fährte zu leiten, seine wichtige Reise an. War er am Ziel derselben angelangt, so wurden die Geschenke und die Depeschen mit dem nöthigen Aufwand von Ostentation überreicht, um die Spione, die auch stets in der Nähe einer jeden wichtigen Person umhertrieben irrezuführen. Dann aber, wenn Alles ruhig war, in der Stille der Nacht, erklärte der Bewahrer des Geheimnisses, wo die wirkliche Botschaft zu finden sei, und nachdem man ihm den Kopf zum zweiten Male rasirt, las man die wichtigen Worte und vertilgte sie. Hierauf konnte die Antwort auf dieselbe sonderbare Tafel geschrieben werden, das Haar wuchs wieder und der Bote ward mit thunlichster Beschleunigung an den Hof seines Herrn zurückgesendet.

Es leuchtet sofort ein, daß dieses Mittel nur bei sehr seltenen Gelegenheiten und bei solchen Mittheilungen angewendet werden konnte, die nicht durch die langwierige Verzögerung litten, welche durch die Nothwendigkeit herbeigeführt ward, zu warten, bis das Haar wieder über die Schrift hinweggewachsen war, denn sobald die, welche stets auf der Lauer lagen, um dergleichen Botschaften aufzufangen, nur die mindeste Spur von dem wahren Sachverhalt entdeckt hätten, so würde jeder unglückliche Courier, der ihnen später in die Hände gefallen wäre, nicht blos um sein Haar, sondern möglicherweise auch um den ganzen Kopf gekommen sein.

Ein etwas ähnliches Auskunftsmittel wird von einem gewissen hochgestellten Manne am persischen Hofe, Namens Harpagus erzählt, welcher dem König Cyrus in Bezug auf einige wesentliche Punkte wichtige Rathschläge zu ertheilen wünschte. Da dieser Fürst sich aber damals außer Landes befand und die Straßen alle bewacht waren, so wußte Harpagus zu seinem Zweck kein anderes Mittel ausfindig zu machen, als das folgende.

Er fing einen Hasen, machte mit möglichster Schonung des Felles einen kleinen Einschnitt in den Leib des Thieres und schob [519] dann das Papier hinein, auf welchem die Nachricht geschrieben stand. Nachdem er sodann gewartet, bis die Wunde vollkommen zugeheilt war, übergab er das Thier einem seiner Diener, auf welchen er unbedingtes Vertrauen setzen konnte, und beauftragte ihn, den Hasen dem König Cyrus zu überbringen und diesem zu sagen, daß er das Thier selbst und ohne Gegenwart von Zeugen öffnen solle.

Ziemliche Aehnlichkeit mit den vorstehend erzählten Auskunftsmitteln hat das des Demokrates, eines Spartaners, der, während er als Flüchtling in Asien sich aufhielt, hörte, daß Xerxes im Begriff stehe, die Griechen mit Krieg zu überziehen. Natürlich war ihm viel daran gelegen, diese wichtige Nachricht nach Sparta zu befördern, er konnte sich aber nicht sogleich auf ein Mittel besinnen, wie dies geschehen könne, ohne daß Entdeckung zu befürchten stehe. Endlich fiel ihm folgende List ein.

Er nahm eine der Schreibtafeln, welche damals in allgemeinem Gebrauch waren. Dieselben waren bekanntlich von Holz gefertigt und mit einer Wachsschicht überzogen, in welche die Worte mittelst eines scharfen Griffels, „Styl“ genannt, hineingeschrieben wurden. Nachdem Demokrates von einem dieser Täfelchen das ganze Wachs heruntergekratzt, kritzelte er den Brief, durch welchen er seine Landsleute von den Plänen des Königs Xerxes in Kenntnis zu setzen wünschte, auf das Holz. Sodann überzog er das Täfelchen wieder mit Wachs wie vorher, so daß, da nichts darauf geschrieben stand, den Boten, dem er es übergab, von Seiten der Wachen an den Pässen kein Verdacht treffen konnte. Die Spartaner erriethen, als ihnen von Demokrates' Abgesandten das Täfelchen zugestellt ward, nicht sogleich, zu welchem Zwecke er es ihnen geschickt habe. Nach einer kleinen Weile aber kam Gorgo, das Weib des Leonidas, auf die richtige Vermuthung und meinte, wenn man das Wachs entferne, so werde man die Schrift wahrscheinlich auf dem Holze finden. Man folgte ihrem Rathe und die Botschaft ward enthüllt. Die Spartaner lasen die Nachricht und setzten ohne Säumen auch das übrige Griechenland davon in Kenntnis.

Alle diese vorstehend erwähnten Auskunftsmittel verdienen jedoch kaum einen Platz in der Kategorie der Geheimschrift, unter welcher man eigentlich nur eine Methode versteht, durch welche ein Schleier über die Schrift als solche geworfen wird, daß, wenn auch die Depesche in die Hände des Feindes fiele, dieser in seinen Versuchen, den Inhalt zu enträthseln, sich dennoch getäuscht sehen würde.

Zu dieser Classe gehörte die Skytala der Spartaner, welche Plutarch ungefähr auf folgende Weise beschreibt:

„Wenn ein General einen Feldzug beginnt, so werden zwei kleine runde Stöcke von genau einerlei Durchmesser und Größe hergerichtet. Einer dieser Stöcke wird an einem sichern Ort daheim aufbewahrt und der andere dem Feldherrn übergeben. Gesetzt nun, daß eine wichtige Mittheilung von der einen oder der andern Seite zu machen wäre, so wird ein langer schmaler Streifen Pergament genommen und spiralförmig um die Skytala gewunden, sodaß die Ränder sich berühren, ohne sich zu decken. Dann, wenn der ganze Stock auf diese Weise umwunden ist, wird die Botschaft der Länge nach auf das Pergament geschrieben. Dieses wird dann wieder abgewickelt und an den Ort seiner Bestimmung befördert. Die Boten oder andere Leute, in deren Hände es vielleicht unterwegs fällt, sind nicht im Stande, den Inhalt der Schrift zu ermitteln, weil die Worte aus allem Zusammenhang gerissen sind. Wer sich jedoch im Besitz des entsprechenden Stabes befindet, windet den Pergamentstreifen so darum, daß die Ränder genau an aneinander stoßen, wo dann die Buchstaben und Worte sich zu einem zusammenhängenden Satze ordnen und die Depesche ohne Schwierigkeit gelesen werden kann.“

Dieses Auskunftsmittel kann nicht in sehr ausgedehntem Gebrauch gewesen sein, da sich sonst der Mangel an Sicherheit sehr bald herausgestellt haben würde. Unsere Leser werden nur eines kurzen Nachdenkens bedürfen, um einzusehen, daß durch einiges Probiren sich bald herausstellen mußte, welche folgende Linie auf dem Pergamentstreifen die an die erste Linie passende war. Hatte man einmal dies heraus, so war die vollständige Entzifferung leicht, denn gesetzt, der Zwischenraum zwischen der ersten Zeile und der, welche darauf folgen müßte, um einen Sinn zu geben, wäre drei, so brauchte man blos bis zur neunten, von da bis zur dreizehnten, dann bis zur siebzehnten etc. bis an’s Ende zu springen, wo dann die erste Linie der Depesche ermittelt sein mußte. Finge man dann wieder mit der zweiten Linie von dem obersten Ende des Streifens an und nähme respective die sechste, zehnte, vierzehnte etc. so würde man die zweite Linie der Depesche haben, und durch Weiterverfolgung derselben Methode würde binnen sehr kurzer Zeit die ganze Botschaft im Besitz derer sein, vor deren Augen die Skytala sie hätte schützen sollen. Man wird dies sehr leicht verstehen, wenn man erwägt, daß eine auf einen Spiralstreifen geschriebene Zeile nothwendig aus mehrern Zeilen zusammengesetzt ist, die sich in gleichweiter Entfernung von einander befinden.

In neueren Zeiten haben sich manche Monarchen in Bezug auf die Undurchdringlichkeit der von ihnen angewendeten Chiffreschrift oft in gleicher Weise getäuscht. Ein merkwürdiges Beispiel hiervon ereignete sich gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Die Spanier, welche Beziehungen zwischen allen den zerstreuten Gliedern ihrer umfangreichen Monarchie - die damals einen großen Theil von Italien, die Niederlande, die Philippinen und unermeßliche Länderstrecken in der neuen Welt umfasste - anzuknüpfen wünschten und das größte Interesse daran hatten, ihre verschiedenen Mittheilungen streng geheim zu halten, bedienten sich einer Chiffreschrift, welche sie von Zeit zu Zeit abzuändern pflegten, um Jedem, welcher etwa versuchte, die Geheimnisse ihrer Correspondenz zu durchdringen, dies unmöglich zu machen.

Diese aus mehr als fünfzig Schriftzeichen bestehende Chiffre war ihnen während der Kriege, welche damals Europa verheerten, von großem Nutzen, die Heinrich der Vierte, der einige ihrer Depeschen hatte auffangen lassen, sie einem geschickten Mathematiker, namens Viete, mit dem Befehl übergab, den Schlüssel ausfindig zu machen. Dies gelang dem Mathematiker auch wirklich, und er sah sich sogar in den Stand gesetzt, bis zur Bedeutung der Chiffre in allen ihren verschiedenen Modficationen zu gelangen. Frankreich benutzte diese Entdeckung zwei Jahre lang, bis endlich der spanische Hof, vollständig verblüfft, die französische Regierung beschuldigte, sie habe Zauberer in ihrem Solde und bediene sich teuflischer Mittel, um zur Enthüllung der cryptographischen Geheimnisse der spanischen Krone zu gelangen. Zugleich verlangte sie, daß Viete als Schwarzkünstler zur gerichtlichen Untersuchung gezogen werde, und brachte ihre Beschwerden sogar bis an den römischen Hof. Natürlich blieben dieselben fruchtlos, aber dennoch hätte es dem Mathematiker übel ergehen können, wenn er nicht unter dem Schutze eines mächtigen Monachen gestanden hätte, denn die Anklage auf Zauberei war im Jahre 1600 oft von sehr ernsten Folgen begleitet.

Eine der gegenwärtig im allgemeinsten Gebrauche bei der diplomatischen Welt befindlichen Geheimschriftmethoden besteht darin, daß jeder Buchstabe und eine gewisse Anzahl von Worten, Redensarten und Eigennamen durch verschiedene Zahlen dargestellt werden. Um die Bemühungen der Dechiffrirkünstler um so wirksamer zu vereiteln, wird ein und derselbe Buchstabe oder ein und dasselbe Wort durch mehr als eine Zahl ausgedrückt. Auf diese Weise werden Tabellen wie die folgende aufgestellt:

a 6 ... 19 ... 500 ... 46
b 8 ... 50 ... 250 ... 20
c 4 ... 2 ... 125 ... 18
d 11 ... 41 ... 65 ... 87
e 37 ... 47 ... 201 ... 900
f 49 ... 96 ... 113 ... 6998
g 23 ... 43 ... 68 ... 100
h 39 ... 93 ... 20 ... 8446
i 57 ... 89 ... 98 ... 105
k 64 ... 86 ... 244 ... 9797
l 51 ... 69 ... 83 ... 111
m 13 ... 63 ... 92 ... 536
n 54 ... 102 ... 107 ... 5886
o 58 ... 79 ... 129 ... 7654
p 21 ... 95 ... 140 ... 999
q 35 ... 84 ... 110 ... 1220
r 59 ... 81 ... 108 ... 548
s 52 ... 74 ... 103 ... 1370
t 56 ... 82 ... 104 ... 925
u 53 ... 97 ... 112 ... 1000
v 32 ... 94 ... 203 ... 1266
w 80 ... 3 ... 25 ... 400
x 34 ... 114 ... 300 ... 966
y 67 ... 78 ... 201 ... 6740
z 42 ... 91 ... 106 ... 120

[520]

in ........ 72 ... 99 ... 1150 ... 40
zu ........ 01 ... 15 ... 12 ... 1401
von ....... 45 ... 77 ... 66 ... 1777
der, die, das 09 ... 88 ... 109 ... 1444
ist ......... 07 ... 101 ... 1186 ... 90
hat ......... 27 ... 128 ... 1650 ... 171
gewesen ..... 130 ... 270 ... 29 ... 2224
aber ........ 234 ... 71 ... 489 ... 2991
der Kaiser von Frankreich 812 ... 699 ... 778 ... 816
der König von Sardinien 770 ... 817 ... 644 ... 555
die Armee ............. 700 ... 790 ... 970 ... 1200
vorgerückt ............ 576 ... 1620 ... 1718 ... 600
zurückgeschlagen ...... 62 ... 33 ... 892 ... 697

Zahlen von 3000 bis 4500 haben keine Bedeutung. Zeichen, um einen gegentheiligen Sinn auszudrücken, sind + + u. ÷ ÷

Gesetzt, es sollte die folgende Depesche: „Die Oesterreicher griffen heute Morgen, ungefähr 15,000 Mann stark, unsere Vorposten an, wurden aber mit großem Verlust zurückgeschlagen,“ in Chiffreschrift niedergeschrieben und ihr einige Sätze beigefügt werden, welche ihr das Ansehen einer Handelscorrespondenz verliehen, so würde dieselbe ungefähr folgendermaßen aussehen:

„Den gewünschten Einkauf der Waaren, welche Sie in Ihrem geehrten Letzten begehren, bin ich noch nicht im Stande gewesen, zu effectuiren. 109. 58. 47. 103. 56. 37. 108. 81. 47. 89. 4. 93. 201. 59. 23. 108. 98. 113. 6998. 201. 54. 200. 37. 112. 82. 900. 13. 79. 81. 23. 201. 107. 112. 5886. 43. 47. 19. 93. 548. 49. 97. 102. 96. 42. 37. 93. 54. 82. 19. 97. 103. 900. 54. 11. 104. 46. 108. 64. 53. 102. 74. 37. 59. 201. 32. 79. 81. 21. 129. 103. 82. 47. 54. 19. 107. 80. 97. 81. 11. 201. 102. 71. 92. 89. 56. 23. 108. 129. 74. 1370. 37. 13. 94. 201. 59. 111. 97. 103. 56. 42. 112. 108. 53. 86. 23. 37. 52. 125. 93. 51. 6. 23. 37. 54. Ich werde jedoch sehen, ob ich Ihren anderweitigen Wünschen hinsichtlich des Wechselgeschäftes mit Rothschild genügen kann.“

Wenn ein diplomatischer Agent eine Gesandtschafts- oder andere politische Reise antritt, so werden ihm zwei Tabellen mitgegeben. Die eine davon enthält nach Art der vorstehenden getheilt in der ersten Columne nicht blos die Buchstaben des Alphabets, sondern auch die Sylben, Worte und Phrasen, welche der Agent im Verlauf seiner Unterhandlungen wahrscheinlich am häufigsten gebraucht, und die Namen von Monarchen, Ministern u. s. w. Diese Columne ist häufig gedruckt, die zweite aber wird allemal der größern Sicherheit und Geheimhaltung halber handschriftlich ausgefüllt und enthält die Zahlen, Chiffren oder Charactere, mit welchen man jeden Buchstaben oder gewisse Worte und Redensarten bezeichnet wissen will. Hierbei trägt man Sorge, die Eigennamen, Substantiva, Zeitwörter und dergleichen um der leichtern Uebersicht willen alphabetisch aufeinander folgen zu lassen. Dabei werden, wie in dem mitgetheilten Beispiele, oft mehrere Zahlen angewendet, um einen und denselben Buchstaben oder ein und dasselbe Wort zu bezeichnen – eine Vorsicht, durch welche das Dechiffriren von Seiten Uneingeweihter ungemein erschwert wird.

Diejenigen Theile einer Depesche, welche geheim bleiben sollen, werden gänzlich in Chiffren geschrieben. In diesen Stellen darf kein Wort mit gewöhnlichen Buchstaben geschrieben werden, weil diese unter der Chiffreschrift vorkommenden, wenn auch an und für sich ganz unbedeutenden Worte leicht einen Theil des Inhalts verrathen oder wenigstens merken lassen könnten, von welchem Gegenstand die Rede ist.

Die zweite Tabelle enthält in der ersten Columne sämmtliche Zahlen, aus welchen die Chiffreschrift zusammengesetzt ist, von der niedrigsten bis zur höchsten in ihrer natürlichen Ordnung, und in der nächsten Columne findet sich das Wort oder der Buchstabe, der von einer jeden Zahl bezeichnet wird. Wenn eine Depesche entziffert werden soll, so sucht man die Bedeutung einer jeden Zahl in diesem Schlüssel auf und schreibt sie darüber oder darunter zwischen die Zeilen, welche deshalb nicht zu eng sein dürfen.

Diese Geheimschrift ist von allen die beste, am leichtesten anzuwendende und im allgemeinen Gebrauche, weil ihre Entzifferung ohne den dazu gehörigen Schlüssel, der für jede Depesche ein anderer sein kann, geradezu unmöglich ist. Natürlich muß dabei stets mit der größten Sorgfalt verfahren werden, damit man in den Zahlen keinen Irrthum begehe, da ein solcher nicht immer von so glücklichen Folgen begleitet sein dürfte, wie für Friedrich den Dritten, Kurfürsten von Brandenburg. Dieser hatte bekanntlich zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts den Plan gefasst, sich zum Range eines gekrönten Monarchen zu erheben, und sich aus einem Kurfürsten von Brandenburg in einen König von Preußen zu verwandeln. Dies konnte nur mit Zustimmung des deutschen Kaisers geschehen, und es mußten deshalb Unterhandlungen mit dem Wiener Hofe eröffnet werden. Diese zogen sich wie gewöhnlich sehr in die Länge, und es stellten sich der Erfüllung der Wünsche des Kurfürsten eine Menge Hindernisse in den Weg. Der preußische Gesandte am Wiener Hofe, Baron von Barthololi, bediente sich in seiner Correspondenz einer ähnlichen Chiffre wie die, welche wir soeben beschrieben. Seine Namentabelle umfaßte unter andern Personen auch einen Jesuiten, Pater Wolf, welcher sich im Gefolge des österreichischen Gesandten zu Berlin befand und bei allen politischen Intriguen eine einflußreiche Rolle spielte. Die Zahl 24 bedeutete den Kurfürsten, 110 den Kaiser und 116 Pater Wolf.

Eines Tages schrieb Barthololi von Wien, es sei, um die Sache zu fördern, nothwendig, daß 24 (der Kurfürst) einen eigenhändigen Brief an 110 (den Kaiser) schreibe.

Die 0 der letzten, wahrscheinlich in großer Eile geschriebenen Zahl ward aber fälschlich für eine 6 angesehen, und die Depesche in Berlin so verstanden, es sei nothwendig, daß der Kurfürst eigenhändig an Pater Wolf schreibe.

Friedrich der Dritte zögerte nicht, dies zu thun, und obschon dieser Schritt ziemlich seltsam erscheinen und seinem Stolze sehr sauer ankommen mußte, so schrieb er doch sofort mit eigener Hand an Pater Wolf einen langen Brief, in welchem er seine Projecte auseinander setzte und rechtfertigte, und den Jesuiten um seine Mitwirkung ersuchte, indem er ihn zugleich mit Schmeicheleien und Versprechungen überhäufte.

Der Jesuit war, als er diesen Brief erhielt, nicht wenig überrascht und fühlte sich in hohem Grade geschmeichelt. Er beschloß sofort, kein Mittel unversucht zu lassen, um die Absichten eines Fürsten zu fördern, der ihm auf solche Weise entgegen kam und sich ihm in die Hände gab. Er wendete sich demgemäß an den Beichtvater des Kaisers, es ward nach Rom an den Pater-General der damals so überaus mächtigen Gesellschaft Jesu geschrieben, und es dauerte nicht lange, so verschwanden die bis jetzt unbesiegbar gewesenen Hindernisse.

Auf diese Weise erhielt in Folge dieses glücklichen Irrthums in einer chiffrirten Depesche, in Folge dieser für eine 6 angesehenen 0, der Kurfürst von dem Wiener Hofe etwas, was ihm ohne diesen Zufall vielleicht niemals wäre zugestanden worden, und es ist dieser Fall – dessen historische Richtigkeit wir freilich nicht verbürgen können – ein abermaliger Beweis zu dem langen Capitel der aus kleinen Ursachen hervorgegangenen großen Wirkungen.