Industrie und Romantik im schönsten Verein
Die idyllische Anmuth des Maingrundes wird noch nicht so viel besucht, als sie verdient. Die lieblichste Straße desselben, von Bamberg bis Schweinfurt, im Mittelalter wegen ihrer landschaftlichen Reize und der Milde ihres Klimas „Kleinwelschland“ genannt, eignet sich vorzüglich für Solche zum Aufenthalt, die einer warmen Sonne, einer reinen Luft und der Bewegung in einer durch Mannichfaltigkeit [525] und Abwechslung charakterisirten, einem fruchtbaren[WS 1] Garten gleichenden Gegend bedürfen.
Eine Stunde oberhalb Schweinfurt leuchtet an einer der lieblichen Stellen dieser Thalstrecke an der rechten Seite des Flusses und nur in kleiner Entfernung von dessen Ufer von mäßiger Höhe eines jener im edlen Baustyl unserer ritterlichen Vorfahren restaurirten Fürstenschlösser der Vorzeit, wie wir sie seit einigen Jahrzehnten, von fürstlicher Baulust zu neuem Leben geweckt, wie Phönixe aus ihren Trümmern sich erheben gesehen haben. Wer etwa auf der Werrabahn von Thüringen nach Franken gekommen ist, der hat beim Beginn jener an Natur- und Kunstreizen so reichen Bahnlinie im Neubau der Wartburg die Schöpfung des Großherzogs von Weimar, in der Mitte die verjüngte Burg Landsberg, die Schöpfung des Herzogs von Meiningen, und am Ausgang derselben dei stolze Veste Coburg im neuen alterthümlichen Fürstenkleide, die Schöpfung des Herzogs von Coburg, auf ihren grünen Bergkegeln begrüßt, der hat endlich unfern der Einmündung der königlich bayerischen Fortsetzung jener Bahn, der Strecke von Coburg bis Lichtenfels, in die bayerische Nordbahn das Auge an dem prächtigen Schlosse Banz, Sommersitz des Herzogs Max in Bayern, auf seinem waldigen Bergscheitel, geweidet. Bald darauf begrüßt er denn das fünfte dieser erneuten Fürstenschlösser, Schloß Mainberg bei Schweinfurt. Sein Berg ist mit Gärten und Weinbergen geschmückt, drei stolze Giebel erheben sich in einer Fronte, vor dem östlichen Eckgebäude ein kleinerer niederer Vorbau, und hinter dem Ganzen ragt ein viereckiger Thurm mit spitzem Dache. So erhebt sich die schimmernde Burg über dem am Mainufer hingestreckten Dörfchen Mainberg, etwa neunzig Fuß vom Flusse entfernt. Am Ufer laufen die 1830 vollendete Chaussee und neben dieser die von 1851 bis 1853 erbaute Eisenbahn mit der Telegraphenlinie.
Gleich den ersten vier genannten Bergschlössern wurde auch Schloß Mainberg von einem Fürsten in der ursprünglichsten Bedeutung dieses Wortes restaurirt und bis vor Kurzem bewohnt, von einem Fürsten der deutschen Arbeit, des Gewerbfleißes, des Handels und Verkehrs. Und er hatte sich aus eigener Kraft zu dieser Fürstlichkeit emporgearbeitet, die Krone wurde nur mit rastloser Thätigkeit, nur mit scharfsinniger Speculation, nur mit besonnener Beherrschung der Mittel errungen; der echte Solitär vom reinsten Wasser daran war aber das menschlich fühlende edle Herz des Mannes, ein Herz voll schöner Liebe für Alle, die ihm näher und ferner standen; ja man darf sagen, für die ganze Menschheit; voll brennenden Eifers für alles Gute, Wahre und Schöne, voll Enthusiasmus für den ruhigen Fortschritt des Menschenthums auf der Bahn der Erkenntniß zu materiellem Glück und seelischer Erhebung, und endlich voll großartiger Bescheidenheit und in sich selbst gefestigter Würde, die nie mehr Werth auf die eigene Persönlichkeit legte, als zur Förderung der guten Sache nöthig war. Der Wiederhersteller der Burg Mainberg war ein edler und bedeutender Mensch in der vollsten und umfangreichsten Bedeutung des Wortes; er war ein Mann voll deutschen Geistes und Gemüthes, eine Zierde seines engern Vaterlandes, einer der Edelsten und Besten unseres Volkes. Wäre er nur ein durch glückliche Speculation und Thätigkeit reich gewordener Mann gewesen, wir würden ihm die verdiente Ehre gönnen, und auch wir würden seinem Andenken die gebührende Achtung zollen; denn wir halten es mit dem Grundsatze: jedem Verdienste seine Krone! Die Ehrensäule, die wir ihm in diesen Blättern Angesichts der ganzen deutschen Welt in allen Ländern der Erde setzen, gilt dem geräuschlosen moralischen Streben und Wirken des Mannes, der nach des alten Terenz’ Ausspruch lebte und handelte: Ich bin ein Mensch und alles Menschliche geht mich an; dessen üppiger Geistesbaum auch Blüthe und Frucht des Gemüthes erzeugte; der nicht nur Ideen im platonischen Sinne hatte, sondern auch sein Leben und Schaffen mit strenger Selbstverleugnung darnach einzurichten verstand, und der endlich ein geistesfreier Mann der Zukunft war, wie wenige Mitlebende seines Standes und Gewerbes.
Von diesen seinen glücklich ausgeführten Ideen ist unstreitig die schönste und poetischste, die für den Besucher des Maingrundes interessanteste die geniale und großartige Vermählung der modernen Industrie mit der alten Romantik auf Schloß Mainberg. Auf der Wartburg, auf der Coburg, auf dem Landsberg, auf Banz findet ihr fürstlichen Luxus im Bunde mit der mittelalterlichen Romantik; auf Mainberg ist an die Stelle des Ersteren der deutsche Kunst- und Gewerbfleiß getreten, und wahrlich, ich denke, dieses in seiner Art einzige Bündniß steht den übrigen in nichts nach, es hat sogar den tröstlichen Blick auf die Zukunft des deutschen Volkes vor ihnen voraus. Denn diese Verbindung der menschlichen Vergangenheit mit der Zukunft, des alten Geistes des Ritterthums mit dem neuen der Industrie kann und wird eine fruchtbare sein, während jene immer nur eine interessante Curiosität ohne befruchtende Kraft für das Saatkorn der künftigen Weltgeschichte bleiben.
Dies ist für uns der Cardinalpunkt in dieser reizenden Sattler’schen Schöpfung.
Wie das der meisten Industriellen ist das Leben unseres Helden auf dem ruhmreichen Kampffelde des Fleißes und der gewerblichen Speculation nicht eine Reihe effectvoller Scenen und drastischer Wendungen. Flüsse, welche Wiesen und Fluren bewässern und nützliche Gewerke treiben, bilden selten prächtige Katarakte und Stromschnellen.
Johann Christian Wilhelm Sattler, am 13. Mai 1784 zu Hessen-Cassel als Sohn eines dort ansässigen Kaufmanns geboren, widmete sich nach den gut benutzten Schuljahren in hannöverisch Münden drei Jahre mit Fleiß der Erlernung des väterlichen Geschäfts und trat dann in derselben Stadt als Commis in eine andere Handlung ein, deren Chef in Verbindung mit einem andern Kaufmanne eine Bleiweißfabrik zu Niederwerrn ohnweit Schweinfurt besaß, und unsern Sattler als geschäftstüchtig und gewissenhaft erkannten jungen Mann mit der Geschäftsführerstelle bei diesem Fabrikwesen betraute. In dieser Eigenschaft oft nach Schweinfurt geführt, lernte er in Katharina, der geist- und gemüthvollen Tochter des rühmlich bekannten Kunstmalers Geiger, ein ihm seelisch verwandtes weibliches Wesen kennen, schätzen und lieben, und schloß mit ihr am 14. Februar 1809 den Ehebund, welcher fünfzig Jahre und einige Monate ein glücklicher und segensreicher war. Zehn Kinder aus demselben, unter der trefflichen elterlichen Obhut erwachsen, bildeten, mit Vater und Mutter an der Spitze, eine der liebenswürdigsten, mit allen Tugenden der Häuslichkeit geschmückten, echt deutschen Familie, in deren Mitte sich jedes gefühlvolle Herz wohl fühlte, das Veranlassung gefunden, in ihren gastfreundlichen Kreis zu treten.
Sein geschäftliches Wirken begann Wilhelm Sattler in Verbindung mit dem Apotheker Ruß aus Kamen in Westphalen in der Bereitung solcher chemischen Fabrikate, welche bei der damaligen Continentalsperre vorzugsweise Absatz versprachen. Der gemeinschaftliche Gewerbszweig wurde in einem erkauften Hause allmählich auf die Zubereitung von Malerfarben, Druckerschwärze, Weinsteinsäure etc. ausgedehnt, die nach mannichfaltigen Versuchen auf die Erfindung des jetzt so allgemein beliebten Schweinfurtergrüns [526] und des Perlsago’s aus Kartoffeln führte. Diese beiden neuen Artikel fanden bald einen ungeheuern Absatz. Auch die übrigen Fabrikate wurden von einem weit und weiter verbreiteten wohl verdienten Ruf weit über Europa und Amerika abgesetzt, und brachten die Sattlersche Firma auf alle Markplätze der civilisirten Welt. Die dadurch nothwendig gewordene Erweiterung der Fabrikanlagen wurde von 1815 bis 1834 zu verschiedenen Perioden mit Umsicht ausgeführt.
Zu Anfang des Jahres 1822 brachte Sattler das schon seit fünfzehn Jahren unbewohnte und allmählich zur Ruine verfallende Schloß Mainberg käuflich an sich, setzte es anfangs, so weit es seinem Zwecke dienlich, in baulichen Stand und errichtete darin eine Papiertapetenfabrik, die erste im Königreich Bayern, die in kurzer Zeit außerordentlich prosperirte.
Von den ferneren großartigen industriellen Etablissements Sattler’s sind hervorzuheben die wegen der damaligen Zollgrenze von Preußen in Langensalza in Thüringen in Gemeinschaft mit dem dortigen Handlungshause Winkel und Weickert 1826 errichtete Farben- und Sagofabrik, die in demselben Jahre in Schweinfurt hergestellte Zuckerraffinerie (in Verbindung mit den Kaufleuten Engelhardt aus Cassel und Wüstenfeld aus Münden), und endlich die 1829 mit Wüstenfeld aus Münden und Reuter aus Schweinfurt zu Aschach angelegte Steingutfabrik. Alle diese gewerblichen Institute stehen noch heute in erfreulicher Blüthe.
Bei dieser großartigen und außerordentlichen industriellen Tätigkeit fanden Sattler’s Energie, weise Zeiteinteilung und Menschenliebe doch noch Zeit, nach drei Seiten hin mit segensreichem Erfolge zu wirken, nämlich für das Wohl des Vaterlandes und der Heimathstadt, für das Glück und die Ausbildung seiner Familie und für seine eigene wissenschaftliche und humane Weiterbildung.
Als Landrath und langjähriger Gemeindebevollmächtigter, zuletzt eine geraume Zeit als Vorstand des städtischen Collegiums, sorgte und schaffte er unermüdlich für das Gemeinwohl Schweinfurts. Zur Betreibung des Zollanschlusses an Würtemberg und später an Preußen unternahm er viele Reisen nach München; auch als Sachverständiger mehrmals zu den Zollconferenzen beigezogen, sah er seine Brust für seine Verdienste nach dieser Seite hin mit der goldnen Civilverdienstmedaille geschmückt, König Ludwig fügte derselben später den Orden des heiligen Michael hinzu. Aber auch das Volk anerkannte und ehrte sein Wirken zum Besten des Gemeindewohls durch seine Wahl (1846) zum Landstande. Als solcher war er mit Erfolg besonders thätig, daß die projectirte Eisenbahn von Bamberg nach Würzburg über Schweinfurt geführt wurde, und redete der Judenemancipation mit warmer Humanität das Wort.
Als echter gemüthlicher Deutscher war seine Familie der Inbegriff seines höchsten Erdenglücks, und die ihn in ihrem Schooße schalten und walten gesehen haben, können seine geistige und seelische Regsamkeit, seine würdige Heiterkeit, seine hingebende Liebe und seinen alles Edle und Schöne in diesen geweihten Kreis hereinziehenden Hochsinn nicht genug rühmen. War er als Gewerblicher ein thätiger, als öffentlicher Beamter ein sorgsamer, als Menschenfreund ein besonnener, dem Flügelschlage des Zeitgeists ruhig folgender, so war er als Familienvater ein liebenswürdiger, in allen Wirkungskreisen aber ein verehrungswürdiger Mann.
Hervorzuheben und zu betonen ist, daß ihm eine an Geist und Gemüth ebenbürtige, allem Guten und Wahren holde, für alles schöne aber begeisterte, ungemein würdige, echt deutsche Hausfrau fünfzig Jahre lang zur Seite stand und mit ihm in Eintracht und Gemeinschaft nach dem gleichen hohen Ziele strebte, die blühende Mutter einer blühenden Kinderschaar, eine in Kunst und Literatur vielbewanderte, ja in beiden Reichen selbstständig schaffende wahrhaftige Edeldame – ein Glück, das in solcher Ausdehnung wenigen Sterblichen zu Theil wird.
Aber auch an seiner eignen Vervollkommnung arbeitete er mit rastlosem Eifer. Da erkannte er denn bald mit klarem Blick die erhabenen drei Disciplinen Religion, Staatskunst und Naturkunde als die drei Hauptäste des fort und fort jugendlich treibenden goldnen Lebensbaums, die in ihrem rüstigen Wachsthum den vierten, Geschichte, erzeugen. Und diesen dreien galt nun sein gesundes, redliches Forschen. Sein schlichter Sinn ließ sich dabei vom Glanze keiner Autorität blenden; er sah und prüfte mit eignem Auge, das, nicht vom Schulstaube der Gelehrsamkeit getrübt, ihn unbefangen auf die Seite trieb, wo alle redlichen, gesinnungstreuen, vorurtheilsfreien, edlen und hochherzigen Forscher der Gegenwart standen und stehen. Was diese als das Rechte und Wahre anerkannt und ausgesprochen hatten, das fand sein heller, prüfender Geist als wahr und recht bestätigt, und nun konnte seinen geraden selbstständigen Sinn nichts von der erkannten Wahrheit abbringen. Mit vielen dieser Männer stand er in brieflichem und persönlichem Verkehr, so mit Ronge und Moleschott. Doch hatte er sich den Geist des alten Wahlspruchs des Chilon: ne quid nimis, zu eigen gemacht und war ein Feind alles Ueberstürzens und aller Gewaltschritte, selbst in der besten Sache. Das sanfte Wesen des Geistes, die friedliche Macht der Ueberzeugung, aus redlichem Forschen hervorgegangen, galten ihm allein als die echten und rechten Besieger der alten Nachtschatten. So sprach er sich wohl offen zu Gunsten der freireligiösen Richtung, welche in Schweinfurt Platz griff, aus, erklärte aber bestimmt, daß er aus der Kirche, in der er geboren und aufgewachsen war, nicht austreten werde.
Durch Selbststudium hatte er es in vielen Wissenschaften, besonders in den Naturwissenschaften und in der Mechanik, zu bedeutenden Kenntnissen gebracht.
Für das Menschenleben in seinen tausenderlei Gestalten und Verwicklungen hatte er sich ein reines, unschuldiges Auge, ein treues, teilnehmendes Herz und einen billig und liebevoll urtheilenden Sinn zu erhalten gewußt. Aber er war ein in sich gefestigter Charakter und ein strenger Feind aller Gleißnerei, aller Faulheit, alles Egoismus und aller falschen Ruhm- und Genußsucht, Keine verschimmelte oder angemaßte Autorität konnte ihm imponiren. So war er der Freund und Rathgeber aller Bedrängten, die sich an ihn wandten, und gar vieler, denen stolze Scham Schweigen auferlegte. Er hat viel Kummer und Rath durch thatkräftige Hülfe gelindert, aber er that es mit jener stillen Würde, die weder auf der einen Seite das Zartgefühl, noch auf der andern die öffentliche Meinung verletzt. Und so suchte er weder Lob noch Dank, noch fürchtete er Tadel. Er war ein durchaus selbstständiger Mann, der nur nach eigner Ueberzeugung dachte und handelte. Einen schönen, fast rührenden Beweis seines kindlich reinen Sinnes lieferte seine ausgesprochene Ueberzeugung: er könne keinen Feind haben.
So war Wilhelm Sattler nach der Ueberzeugung und dem gleichstimmigen Ausspruch aller Braven, die ihn gekannt, geehrt und geliebt haben. Auf ihn paßte Hamlets schönes Wort: Er war ein Mann!
Burg Mainberg, deren Erbauungszeit geschichtlich nicht bestimmt werden kann, tritt im 13. Jahrhundert als Besitz des thüringisch fränkischen Dynastengeschlechts der Grafen, dann Fürsten von Henneberg auf, welche als Schutzherrn von Schweinfurt oft längere Zeit hier residirten. Im Bauernkriege verwüstet, dann noch schöner restaurirt, kam es kurz vor dem Aussterben des Henneberg’schen Fürstenhauses (1583) durch Kauf in den Besitz der Bischöfe von Würzburg (1542), wurde von dem berüchtigten Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Culmbach geschädigt und gab in dieser trüben Zeit die erste Veranlassung zur Ermordung des Bischofs Melchior von Würzburg und der bösen „Grumbach’schen Händel“. Die Fürstbischöfe hielten sich der Jagd in den reichen Waldungen wegen oft auf Mainberg auf, in dessen weitläufigen Kellern ihre bedeutenden Weinvorräthe lagerten, hatten aber oft Unfrieden mit dem nahen protestantischen Schweinfurt. Im 30jährigen Kriege hatte Mainberg als schwedisches Eigenthum viel zu leiden, gerieth dann in die Hände der kaiserlichen Generäle, die noch schlimmer dort hausten, kam nach dem westphälischen Frieden wieder unter bischöfliche Botmäßigkeit, und durch die Säcularisation des Bisthums (1803) an die Krone Bayern. Nur wenige Jahre Sitz eines Rentamts, stand Schloß Mainberg dann so gut wie leer; denn nur in einer schlechten Stube wohnte noch ein merkwürdiges Menschenpaar, ein Cabinets- und Dosenstück, der leibhaftige Zopfgeist des vorigen Jahrhunderts, ein alter Oberlieutenant des ehemaligen Landesausschusses, Namens Fuß, mit seiner alten Haushälterin, die Gott bei der Auflösung des heiligen römischen Reichs deutscher Nation vergessen zu haben schien, und würdige, schier gespensterhafte Insassen dieses öden, verfallenden Fürstenhauses. Dieser ehrwürdige Herr marschirte mit steifem Paradeschritt, in einem langschößigen scharlachrothen Soldatenrock mit blauem Kragen, ungeheuerm Zopfe, dreieckigen, goldbordirten, federgeschmückten Hute, kurzen schwarzsammtnen Beinkleidern, weißen Strümpfen und dreimal geschnallten Halbstiefeln, den langen Degen an der Seite, das stark bequastete spanische Rohr gravitätisch in der Hand, aus seinem Neste nach der nahen Stadt, mit dem Schlosse verfallend, [527] bis er 1811 seiner ihm vorangeeilten Zeit in den Tod folgte. Seine charakteristische Hinterlassenschaft bestand in einer Unmasse – falscher Zöpfe, die in einer großen Stube, nebeneinander aufgehangen, zwei Wände bedeckten und, aus lackirtem Leder mit einem Haarschwänzchen bestehend, als „theures Erbstück der Ahnen“, weil sich Niemand vorfand, der die Erbschaft sub beneficio inventarii antreten wollte, hängen blieben, bis sie elf Jahre später Wilhelm Sattler mit dem Schlosse käuflich erwarb. In diesen elf Jahren hausten nur Eulen, Ratten und Mäuse in den zusammenstürzenden Mauern, die einst von Fürstenglanz erfüllt gewesen waren. Von nun an beginnt die zweite Glanzperiode des Schlosses, vermittelt durch das Schweinfurtergrün, den Kartoffelsago und die Papiertapete. Wie merkwürdig und charakteristisch ist doch der Umstand, daß die einst fürstliche und fürstbischöfliche Herrlichkeit in den Zopf ausging, um nach der Eulen- und Rattenperiode durch die kunstsinnige Pietät des Industriellen der Neuzeit glänzender aus ihrem Grabe zu erstehen, als sie je gewesen!
„Das Alte sinkt, es ändert sich die Zeit
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“
Der eigentliche Genius dieser mit ungeheuern Kosten, die nur ein Sattler bestreiten konnte, verknüpften Resurrection war Frau Katharina, deren vom Vater ihr aufgeerbter Kunstsinn hier ein Feld schöpferischer Thätigkeit fand. Sie beschwor den ritterlichen Geist des Mittelalters, seine poetisch-artistischen Schätze wiederum in den neu geschmückten Räumen auszubreiten. So entstand unter ihrer pflegenden Hand allmählich eine reiche Bildersammlung, zu welcher die Gemälde ihres Vaters den Anfang bildeten, so eine sehr werthvolle und für den Kunstkenner und Alterthumsforscher wichtige Sammlung von alten Waffen, Rüstungen, Hausrath und andern Alterthümern, eine bändereiche, treffliche Bibliothek, und alle diese Schätze, verbunden mit der reizenden Lage und dem baulichen Schmuck des neuen Fürstenhauses und mit der gastfreundlichen Liebenswürdigkeit seiner Besitzer, erwarben diesem ehelichen Sitz der neuen Industrie und der alten Romantik einen so großen Ruf weit und breit, daß er der Wallfahrtsort unzähliger gebildeten Fremden geworden ist. Auch Könige und Fürsten weilten als Gäste unter diesem mit zwiefachem Reiz geschmückten hohen Dach, und deutsche Sängerchöre ließen schon oft, namentlich bei Gelegenheit des großen fränkischen Sängerfestes in Schweinfurt (1842) in diesen Räumen ihr kräftiges Lied erschallen.
Im obern Stockwerk befindet sich die große und berühmte Tapetenfabrik. Es ist für den poetischen Sinn des Sattler’schen Ehepaars bezeichnend, daß es nicht sämmtliche Lokalitäten des Schlosses zu industriellen Zwecken verwendete, wie ja in neuerer Zeit mit manchem alten Schlosse geschehen ist, sondern in einem großen Theile derselben dem Geiste der Vorzeit würdige Rechnung trug und, indem es das Nützliche förderte, zugleich das Schöne pflegte. So sind die Arbeit der Gegenwart, das Ziel der Zukunft und Kampf und Minne der untergegangnen Jahrhunderte unter diesem einen Dache friedlich, freundlich und würdig vertreten.
Während Frau Katharina restaurirte Bilder, Waffen und Rüstungen aufstellte, erfand sie neue geschmackvolle Tapetenmuster.
In seinen schönen patriotischen Hoffnungen als Landstand 1849 und 1850 getäuscht, zog sich Wilhelm Sattler auf sein Schloß zurück, begrüßte hier alles Schöne und Gute, das die trübe Zeit brachte, mit freudigem Hinblick auf die Zukunft, feierte hier mit seiner würdigen Gattin im Kreise ihrer zahlreichen Nachkommenschaft und vieler Freunde die goldne Hochzeit und starb hier nach kurzem, aber schmerzlichem Krankenlager am 15. Juni d. J., während die blutigen Loose der Gegenwart aus der eisernen Schicksalsurne in der Lombardei sprangen.
Wie der weise Sokrates trat er ruhig im Bewußtsein eines wohlgeführten Lebens vom Schauplatz seiner segensreichen Thaten ab. In einem einsamen waldbeschatteten Thale bei Mainberg ruht, seinem ausgesprochnen Willen gemäß, die Hülle des bescheidnen Mannes. Sein würdiges Denkmal ist Schloß Mainberg selbst, und sein Name wird, wenn er auf den Marktplätzen der Welt verklungen ist, für Jahrhunderte an den stolzen Bau geheftet sein und neben dem des berühmten Henneberger Fürsten, des Minnesängers Otto von Botenlauben, der glückliche Dichtertage an dieser Stelle genoß, und andrer fürstlicher Herren weltlichen und geistlichen Standes, die hier jagten und zechten, ehrenvoll genannt werden; ja wir hegen die nicht unwahrscheinliche Vermuthung, die Namen jener Herren werden im Andenken des Volkes verlöschen, der Name Wilhelm Sattler aber wird darin leuchten; denn jene genossen nur, dieser aber arbeitete auch hier und genoß dann den Lebensabend mit der Mäßigkeit eines Weisen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: furchtbaren