Zum Inhalt springen

ADB:Ronge, Johannes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Ronge, Johannes“ von Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 129–130, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ronge,_Johannes&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 00:08 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Rönick, Tobias
Band 29 (1889), S. 129–130 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johannes Ronge in der Wikipedia
Johannes Ronge in Wikidata
GND-Nummer 119106868
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|29|129|130|Ronge, Johannes|Rochus von Liliencron|ADB:Ronge, Johannes}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119106868}}    

Ronge: Johannes R., Hauptgründer der deutsch- oder christkatholischen Gemeinden, geboren am 16. October 1813 zu Bischofswalde in Schlesien, als Sohn eines Bauern, † am 20. October 1887 zu Wien. Gebildet seit 1827 auf dem Gymnasium zu Neisse, seit 1837 auf der Universität zu Breslau, wo er 1839 in das Alumnat trat, ward er 1840 Caplan zu Grottkau. Nachdem seine sehr freie Richtung ihm schon verschiedene Anfechtungen seitens seiner Oberen zugezogen hatte, ward er infolge des in den Sächsischen Vaterlandsblättern 1842 erschienenen Aufsatzes „Rom und das Breslauer Domcapitel“ am 30. Januar 1843 seines Amtes entsetzt. Der Vorladung keine Folge leistend, übernahm er darauf den Unterricht auf der Laurahütte. Schon hatte Joh. Czerski (geboren am 12. Mai 1813 und seit dem März 1844 Vicar in Schneidemühl) am 22. Aug. 1844 sein Amt niedergelegt um mit seiner Gemeinde aus der römisch-katholischen Kirche auszutreten und es gährte eine allgemeine Opposition gegen die hierarchische Richtung in der Kirche. Da gab ein öffentlicher Brief Ronge’s vom 1. October 1844 an den Bischof Arnoldi von Trier dem weitverbreiteten Unmuth über die Trierer Rockfahrt jenes Jahres einen energischen und populären Ausdruck. Zugleich forderte R. in Aufrufen die niedere Geistlichkeit auf, sich mit ihm von Rom loszusagen, mit dem hierarchischen System zu brechen, eine deutsche Nationalkirche durch Concilien oder Synoden zu gründen, die Ohrenbeichte, die lateinische Messe, den Coelibat abzuschaffen u. s. w. Czerski trat dieser Bewegung nun zu und gründete in Schneidemühl die erste „christ-katholische“ Gemeinde, deren Glaubensbekenntniß er verfaßte und am 19. October 1844 veröffentlichte. R., der durch eine Reihe sich rasch folgender kleiner Schriften die Bewegung mit Erfolg ins Breite trieb, ward durch Urtheil vom 22. October 1844 mit Degradation und Excommunication belegt. Auch Czerski verfiel am 15. Februar 1845 der Excommunication. R. reiste nun predigend umher und es bildeten sich in der That an vielen Orten deutsch-katholische Gemeinden; bis zum Frühjahr 1845 waren ihrer schon über 100. Dieser Erfolg ist übrigens mehr der allgemeinen Erbitterung gegen die steigende ultramontane Richtung in der Kirche als Ronge’s [130] Persönlichkeit zuzuschreiben. Er war wol ein geschickter Agitator, aber zum Reformator fehlte ihm ebenso sehr die geniale Persönlichkeit, wie die Tiefe religiösen Gemüthes. Eine am 9. März 1845 constituirte Gemeinde zu Breslau wählte ihn dann zum Prediger. Während das von Czerski abgefaßte Glaubensbekenntniß sich noch in wesentlichen Stücken des Dogmas wie des Cultus auf den Boden der katholischen Kirche stellte, brach das jetzt unter Ronge’s Einfluß abgefaßte Breslauer Glaubensbekenntniß auch auf diesen Gebieten mit der alten Kirche. Ein am 22. März 1845 zu Leipzig abgehaltenes Concil, dem R. und Czerski beiwohnten, führte gleichwol auf Grundlage des Breslauer Glaubensbekenntnisses zu einer allgemeinen Einigung, wobei man sich in betreff des Kirchenregimentes für eine Presbyterial- und Synodalverfassung entschied. Jetzt mehrten sich die Gemeindebildungen in ganz Deutschland, so daß man ihrer bis zum Ausgang des Jahres schon an 300 zählte. Auf Seiten der freisinnigen Protestanten sah man der wachsenden Bewegung mit Sympathie zu und die an manchen Orten vorhandenen „freireligiösen“ protestantischen Gemeinden neigten zum Anschluß an die Deutschkatholiken. Die conservativen Protestanten dagegen erkannten mit Recht in dieser von keinem strengen Geist beherrschten Bewegung nur eine bedrohliche Untergrabung nicht nur der Kirche, sondern auch des Staates! In Sachsen, Preußen, Württemberg, Baden, Oesterreich schritten die Behörden überwachend, einschränkend, ja auch mit schärferen Maßregeln gegen die „Dissidenten“ ein und unter ihnen selbst machte sich der Zwiespalt der Richtungen immer schroffer geltend, namentlich zwischen den Hauptleitern, Czerski, der strenger an der alten Kirche festhielt und Ronge, der Schritt für Schritt zu radicaleren Auffassungen gedrängt wurde. Die Czerski (und Theiner) anhängenden Gemeinden stellten am 24. Juli 1846 zu Schneidemühl ein neues Glaubensbekenntniß auf, das aber dem rechten Flügel der Bewegung immer noch nicht positiv genug war. R. zerfiel mit seiner Breslauer Gemeinde völlig. Auch ein im März 1847 in Berlin abgehaltenes Concil vermochte die Einheit nicht mehr herzustellen. Die Gemeindebildungen hörten auf, man fühlte, daß die ganze Bewegung stockte. Scheinbar gaben ihr dann freilich die politischen Stürme des Jahres 1848 neue Impulse. R. und seine Anhänger verfielen mehr und mehr auch dem politischen Radicalismus. R. erschien schon im Vorparlamente und theilte dann bis zur Auflösung die Schicksale der äußersten Linken. Mit dem Eintritt der Reaction begannen auch gegen die Deutschkatholiken und freien Gemeinden überall verschärfte Maßnahmen. R. ging nach England. Erst 1861 siedelte er wieder nach Frankfurt a. M. über, wo er 1863 einen „Religiösen Reformverein“ gründete. Seine sich immer mehr verflachenden weiteren Schicksale zu verfolgen hat kein Interesse.

Vgl. Kampe, Das Wesen des Deutschkatholicismus mit besonderer Rücksicht auf sein Verhältniß zur Politik, 1850; Ders., Gesch. der relig. Bewegungen der neueren Zeit, 4 Bde. 1852–60. – Brockhaus’ Convers. Lexicon.