Die Chronik des Thietmar von Merseburg/Achtes Buch
1. Im Jahre der Fleischwerdung Christi 1018, 1018 der Römer
Zinszahl im zweiten, im sechzehnten Jahre der Regierung Herrn
Heinrichs II., des erhabenen Herrschers, im vierten Jahre, seitdem derselbe Kaiser geworden war, wurde das Fest Jan. 1. der Beschneidung und der Erscheinung Christi Jan. 6. voll Andacht von ihm zu Francenvordi [Frankfurt] begangen.
Der Langobarde Ecelin ward am 25. Januar Jan. 25. aus seiner vierjährigen Haft befreit[1].
Darnach aber am 30. Januar Jan. 30. wurde auf des Kaisers Geheiß und auf beständiges dringendes Anliegen des Herzogs Bolizlav in einer Stadt Namens Budisin [Bautzen] von Erzbischof Gero [von Magadaburg] und Bischof Arnulf [von Halberstadt] und von den Grafen Heriman und Thiedrich, so wie von Fritherich, Heinrichs Kämmerer, der Friede beschworen. Die Bedingungen aber waren freilich nicht solche, wie sie hätten sein sollen, sondern nur, wie sie damals zu erlangen möglich waren; und nachdem die genannten Herren auserlesene Geiseln empfangen hatten, reisten sie heim.
[333] Vier Tage nachher kam Oda, eine Tochter des Markgrafen 1018 Ekkihard [von Meißen], um welche Bolizlav schon lange geworben hatte und die er jetzt durch seinen Sohn Otto einholen ließ, nach Cziczani[2]. Weil es gerade Nacht war, als sie ankamen, so fanden sie viele Lichter angezündet und eine große Menge beiderlei Geschlechts empfing sie. Sie heirathete den Herzog nach Septuagesima, freilich ohne kanonische Erlaubniß[3]. Sie lebte nicht nach der gewöhnlichen Frauenweise und verdiente das Glück eines so angesehenen Ehebundes gar sehr[4].
2. Im Reiche des Gemahls derselben giebt es viele unterschiedliche Bräuche, und obwohl roh, sind sie doch bisweilen preiswürdig. Denn Bolizlavs Unterthanen müssen gehütet werden, wie eine Heerde Rinder, und gezüchtigt, wie störrische Esel, und sind ohne schwere Strafe nicht so zu regieren, daß der Fürst dabei bestehen kann. Wenn unter ihnen einer sich erfrecht, fremde Ehefrauen zu mißbrauchen oder Hurerei zu treiben, so muß er sofort folgende Strafe erdulden. Er wird auf die Marktbrücke geführt und ihm durch den Hodensack ein Nagel geschlagen; dann legt man ein Scheermesser neben ihn hin, und läßt ihm die harte Wahl, dort auf dem Platze sich zu verbluten, oder sich durch Ablösung jener Theile zu befreien. – Ferner wird jeder, der nach Septuagesima Fleisch gegessen zu haben befunden wird, mit Ausreißen der Zähne, schwer genug, bestraft. Denn die göttlichen Gebote, die erst neuerdings in diesem Lande bekannt geworden sind, werden durch solchen Zwang besser befestigt, als durch ein von den Bischöfen verordnetes allgemeines Fasten. Außerdem hat freilich jenes Volk noch andere viel weniger zu lobende Satzungen, die weder Gott wohlgefällig, noch zu irgend etwas anderem dienlich sind, als die Gemüther zu ängstigen, ich habe im vorhergehenden dieselben zum Theil mit besprochen. Auch halte ich es nicht für
[334] nöthig, von jenem Manne weiter zu reden, dessen Name und Leben – wenn es Gott der Allmächtige also gewollt hätte! – uns besser ganz unbekannt geblieben wäre. Denn jenes ganze Verhältniß, daß nämlich sein Vater und er mit uns durch Ehe und große Freundschaft verbunden sind, hat uns bisher mehr Schaden, als Nutzen gebracht; und so wirds auch in Zukunft sein; denn wenn er uns auch in vorgeblichem Frieden eine Zeitlang freundlich behandelt, so hört er doch nicht auf, durch mancherlei heimliche Versuchungen uns von der Liebe zu den Unsern und von der angebornen Freiheit abzulenken, und wird sich, wenn einst Zeit und Ort günstig sind, offen zu unserm Verderben erheben. Zu Zeiten seines Vaters, da derselbe noch ein Heide war, ward einer jeden Ehefrau, die ihren Mann verlor, nachdem derselbe verbrannt war, das Haupt abgeschlagen und so folgte sie ihm. Und wenn eine Buhlerin entdeckt wurde, so ward ihr die widrige und klägliche Strafe zu Theil, daß sie an ihrem Zeugungsgliede ringsum beschnitten wurde, und diese – wenn man sie so nennen darf – Vorhaut ward an ihrer Hausthür aufgehängt, damit der Blick des Eintretenden darauf falle und er in Zukunft um so mehr bedacht und vorsichtig wäre. Das göttliche Gesetz befiehlt, eine solche Verbrecherin zu steinigen und die Sitte unser Väter verlangte ihre Enthauptung. In unseren Tagen aber, in denen die Freiheit zu sündigen mehr, als je, ganz schrankenlos herrscht, treiben außer der Menge der verführten Mädchen selbst noch gar manche verheirathete Frauen, denen geile Lust den verderblichen Kitzel anreizt, Ehebruch, und zwar noch zu Lebzeiten ihres Mannes. Und damit nicht zufrieden, überliefert manche noch, indem sie ihren Buhlen heimlich dazu antreibt, ihren Ehemann der Hand des Mörders, den sie darauf – ein böses Beispiel für die Uebrigen! – öffentlich zu sich nimmt und mit ihm, wie schändlich! nach vollem Belieben buhlt. Ihr rechtmäßiger Ehegemahl wird verschmäht und zurückgestoßen, und sein Vasall, wie der holde Abo[5] und der
[335] sanfte Jason, ihm vorgezogen. Weil dergleichen nicht mit schweren Strafen verfolgt wird, so wird es, befürchte ich, von Tag zu Tag von vielen als eine neue Mode mehr gepflegt werden. O ihr Priester des Herrn, erhebt euch muthig und tilgt – nichts hindert euch daran! – dies neu aufgeschossene Unkraut mit oft geschärfter Pflugschar bis auf die Wurzel aus. Und auch ihr, ihr Laien, bietet zu dergleichen nicht die Hand. Die in christlicher Ehe Verbundenen mögen schuldlos neben einander leben, und mit Ausrottung aller jener Verführer in nie schwindender Schamhaftigkeit beständig ängstlich um ihren guten Ruf besorgt sein. Jene boshaften Menschen aber möge Christus, unser Helfer, mit dem gewaltigen Hauche seines Mundes vertilgen, wenn sie sich nicht bessern, und er wird sie zerstreuen zur Zeit der hohen Herrlichkeit seiner Wiederkunft.
Und jetzt möge es genügen, hievon so viel gesagt zu haben, weil ich noch von dem Unglücke des besagten Herzogs etwas zu erzählen habe.
3. Dieser hatte eine Stadt, die an der Grenze seines und des ungarischen Reichs lag; der Hüter derselben war Fürst Procui, ein Oheim des Königs von Ungarn[6], der ihn kurz vorher von seinen Sitzen vertrieben hatte. Da er seine Ehefrau nicht aus der Gefangenschaft lösen konnte, so empfing er sie frei aus der Hand seines, obwohl ihm sonst so feindlichen Neffen als Geschenk. Nie habe ich von Einem vernommen, der so, wie er, der Besiegten schonte, und darum verlieh ihm der Herr auch, wie in allen, so auch in der ebenerwähnten Stadt, beständig Sieg. Sein Vater, Dewix genannt, war sehr grausam und erschlug viele im Jähzorn. Als er aber Christ ward, verfuhr er, um den Glauben zu befestigen, voll Heftigkeit gegen seine widerspenstigen Unterthanen, und sühnte so die alte Missethat, indem er freilich in frommem Eifer überbrauste. Als er neben Gott dem Allmächtigen auch verschiedenen falschen Göttern diente und opferte, und
[336] 1018 darum von seinem Bischofe getadelt wurde, versicherte er, er sei dazu reich und mächtig genug! Seine Frau, Namens Beleknegini (das heißt in slavischer Sprache die schöne Herrin) trank über die Maßen; sie ritt auch wie ein Kriegsmann einher, und erschlug einst in aufbrausendem Zorne einen Mann. Besser wäre es, ihre also mit Blut befleckte Hand hätte die Spindel geführt und ihren rasenden Sinn Geduld gezügelt.
Febr. 4. Zu jener Zeit griffen die Liutizen – wie sie denn zum Bösen sich immer leicht vereinigen – den alten Mistizlav, der ihnen das Jahr vorher auf dem Zuge mit dem Kaiser[7] keine Hülfe geleistet hatte, mit ganzer Macht an, verheerten den größten Theil seines Landes, und nöthigten seine Frau und Schwiegertochter zu fliehen und ihn selbst, sich mit einer Schaar auserlesener Krieger in die Festungswerte von Zuarina [Schwerin] zu werfen. Darnach zwangen sie durch arglistige Verführung vermittelst der sich gegen Christus und ihren Fürsten empörenden Bewohner ihn, sein väterliches Erbe zu verlassen, und auch das nur mit genauer Noth. Diese verabscheuungswürdige Frevelthat ward verübt im Monat Februar; in jenem Monate, der, von den Heiden durch Sühnopfer und Darbringung herkömmlicher Geschenke gefeiert, von dem Höllengotte Pluto, der auch Februus[8] heißt, seinen Namen empfangen hat. Damals stürzten alle in jenen Landen zu Ehren und zum Dienste Gottes errichteten Kirchen in Schutt und Trümmern zusammen, und, was das kläglichste ist! das Bild Christi am Kreuze ward verstümmelt, und Götzendienst statt der Verehrung des wahren Gottes eingeführt und der Sinn jenes Volkes, welches Abotriten und Warer[9] heißt, ward verstockt wie einst das Herz des Pharao. Die Freiheit nahmen sie wie die Liutizen in bekannter Täuschung in Anspruch, aber den Nacken, den sie dem sanften Joche Christi entzogen hatten, beugten sie aus freiem
[337] Antriebe unter der schweren Last der Herrschaft des Satans, sie, 1018 die doch vorher einen in jeder Beziehung besseren Vater und edleren Herrn gehabt hatten. Diese Hinfälligkeit und Schwäche des verblendeten Volkes müssen die Glieder der Gemeinde Christi beweinen und sie ihrem Haupte und Herrn klagen, und in unablässigem Flehen ihres Herzens darum beten, daß dies zum Besseren gekehrt werden möge, und sie müssen ihren Theils, so viel wie möglich, verhüten, daß dieses Uebel einwurzele. Als Bernhard, mein geistlicher Bruder von Magadaburg und damals Bischof dieses abtrünnigen Volkes, von diesem allen Kunde bekam, unterließ er, von unsäglichem Schmerze, nicht sowohl über seinen weltlichen, als vielmehr über seinen geistlichen Verlust getrieben, nicht, unserm Kaiser das Ganze sofort zu melden. Als dieser die Botschaft vernahm, seufzte er schwer auf, verschob aber Bescheid darauf bis Ostern, um nach wohlüberlegtem Plane dies unselige Gewebe der Verschwörung zu zerstören. Diesen Vorsatz und heilsamen Plan möge Gott der Allmächtige fördern! Keines Gläubigen Herz aber gerathe ob dieser unglückseligen Zeiten etwa gar in Verzweiflung oder meine, der Tag des Gerichtes sei nahe, denn laut der Ermahnung des glaubwürdigen St. Paulus [2. Thess. 2, 1 ff.] kann vor dem Abfalle und der fluchwürdigen Erscheinung des Antichrists von dergleichen die Rede nicht sein, noch dürfen sich die Christen dadurch plötzlich einschüchtern lassen, sondern bei ihnen muß vielmehr Einmüthigkeit im höchsten Grade mit Festigkeit verbunden sein. Schwanke doch, so viel sie will, die mannigfaltig geartete Menge der Weltkinder und die vielgestaltige Ungleichheit ihrer Sitten. Ein jeglicher Mensch, eine Blume des Feldes muß durch die heilige Mutter Kirche erst wiedergeboren werden zur Rechtfertigung durch den Erlöser Jesus Christus, und auch dann, wenn überall sicherer Friede und Ruhe verkündet wird, ist stets ein unvorhergesehenes Unglück zu fürchten, und das mahnt uns, stets eifrig und höchst wachsam zu sein, da wir dessen, was kommen kann, niemals sicher sein und in unserer Schwachheit nicht ausdauern können. Niemand läugne voll Unglaubens das
[338] 1018 Kommen des jüngsten Tages, niemand sehne sich aber auch darnach, daß er schnell kommen möge, denn er ist schon den Gerechten furchtbar, wie viel mehr allen Strafwürdigen?
5. Jetzt will ich von diesem Gegenstande mich abwenden und von dem Glücke reden, daß neuerdings unserem Kaiser zu Theil geworden ist. Es hat sein Mutterbruder, der König Rothulf von Burgund, ihm seine Krone und sein Scepter übergeben, in Gegenwart und unter Beistimmung seiner Gemahlin, seiner Stiefsöhne und sämmtlicher Großen, und die eidliche Huldigung ward wiederholt. Dies geschah zu Mainz in besagtem Monate[10].
Febr. 17. Am 17. Februar sah man zu Malacin[11] ein Wunderzeichen.
März 16. Am 16. März aber versammelte sich zu Niumagun [Nimwegen] eine große Synode, und mein Vetter Oddo und dessen Gemahlin Irmingerd, die lange, obwohl sehr nahe mit einander verwandt, unrechtmäßig mit einander verehelicht waren, wurden da selbst, weil sie fortwährenden Vorladungen nicht gehorcht hatten, excommunicirt, ihre Helfershelfer aber jeder von seinem Bischofe zur Verantwortung gerufen. Daselbst ward auch nach Verlesung einer alten Vorschrift verordnet, daß die heilige Hostie zur Linken, der Kelch aber auf dem Altare zur Rechten gestellt werden soll[12].
Um dieselbe Zeit starb der Erzbischof [Arnulf] von Mailand, und Heribert, Propst an derselben Kirche, folgte ihm.
In England wurde die Bemannung von dreißig Raubschiffen von dem König der Angeln, einem Sohne Sven’s, Gott sei Dank! erschlagen, und dieser, der vorher, wie sein Vater, der gewaltsame Eroberer und unablässige Zerstörer dieses Landes gewesen war, war nun als alleiniger Vertheidiger desselben da, wie in den öden Sandsteppen der Libyschen Wüste der Basilisk herrscht[13].
In dieser Fastenzeit erschlug zu meinem innigsten Leidwesen in meinem Bisthum einer seinen eigenen Bruder.
[339] 1018
März 30.
Apr. 6. Der Kaiser aber feierte an besagtem Orte das Palmen- und Osterfest, weil er erfuhr, daß Graf Balderich, der sich wegen der Ermordung Wigmans gar nicht rechtsgültig entschuldigt hatte, mit seinen Mitverschwornen noch immer widerspenstig sei.
Volcmar[14], Abt von Fulda und Lorsch, starb.
In jenen Tagen war die Sonne nach dem Berichte Einiger, vor ihrem Untergange wunderbarer Weise nur halb sichtbar.
6. Während deß brenne ich, bis das schnelle Gerücht mir etwas neues zu schildern liefert, vor Begierde, das Leben frommer Menschen zu beschreiben, einen Gegenstand, über den ich auf nicht zu entschuldigende Weise in außerordentlicher Vergeßlichkeit oben hinweggegangen bin.
Zu Zeiten König Heinrichs des II. gab es eine Einsiedlerin, Namens Sisu zu Thrubizi [Traubitz], von ausnehmender Frömmigkeit und darum mir außerordentlich theuer und werth. Zur Zeit Otto des Großen wurde diese, eine Jungfrau, von jemand zur Ehe begehrt. Sie aber floh eiligen Laufes in die Arme Christi, den sie vor allen als besonderes Gepräge des Glaubens ihrem Herzen eingedrückt hatte, und unternahm es, an einer abgeschiedenen Stelle in den obengenannten Orte sich ihrem himmlischen Bräutigam als eine keusche Jungfrau darzubringen und war vier und sechszig Jahr lang unabläßig bemüht, sich selbst mehr, als die menschliche Schwäche und Hinfälligkeit gestattete, unbefleckt zu bewahren. Denn in dieser so langen Zeit schützte sie sich nie durch ein angezündetes Feuer vor der strengen Kälte, sondern das war ihr höchstes Erwärmungsmittel, daß sie an einem etwas erwärmten Steine Hände und Füße, wenn sie beinahe erstarrt waren, wieder ein wenig belebte. Sie lag im Innern ihrer Zelle fortwährend mit Thränenströmen untermischten Gebeten ob, nach außen zu aber nützte sie der zusammenströmenden Gemeinde gar viel durch häufige Unterweisung und nöthige Tröstung. Das Ungeziefer, welches sie unabläßig plagte, warf sie nicht weg, sondern [340] sezte es sich vielmehr wieder an, sobald es abgefallen war, wie es einst der Mönch Simeon machte, der so lange auf einer Säule stand. Was sie von den unablässig ihr zuströmenden Leuten an Gaben empfing, entzog sie sich und vertheilte es unter die Armen Christi in reichem Maße, und sühnte dadurch die Sünden der Geber. Sie war voll Liebe gegen meine Mutter, und diese gelobte ihr fest, ihr Andenken auf ihre künftige Nachkommenschaft bringen zu wollen. Im Kampfe mit dieser schwankenden Welt ringend, enthielt sie sich alles Unerlaubten, nicht um einen vergänglichen Ruhm, sondern um die Krone himmlischen Lohnes zu erlangen, welche sie am 17. Februar zu erreichen vom Himmel gewürdigt wurde. In der Nacht aber, in der diese von Christo geliebte Leuchte auf die sterntragende Axe versetzt ward, schlief ich Sünder in unserem Schlafhause zu Magadaburg und sah (Gott sei mein Zeuge, daß ich nicht lüge!) im Traume vor Tagesanbruch zwei Chorknaben aus dem alten Schatzhause – welches damals noch dort stand – herauskommen und hörte, wie sie den folgenden Wechselgesang anstimmten: „Martinus geht hocherfreut ein in den Schooß des Abraham“ u. s. w. Die beiden Kinder verkündeten die doppelte Unschuld dieser Jungfrau [des Leibes wie des Geistes] und ihren Lohn. Dies alles bestand nämlich in ihrer Frömmigkeit und daß sie geistig arm und voll Demuth war, und sie machte sich würdig dessen was ihr zu Theil ward. Und das theilte ich damals gleich meinen geistlichen Mitbrüdern mit und sagte: „Seid überzeugt, daß jetzt eine gottgeliebte Seele diese Erdenwelt verläßt.“ Und sechs Tage nachher bekamen wir Nachricht, daß, wie ich es vorher gesehen hatte, diese wahrhafte Dienerin des Herrn aus dem Gefängnisse des Fleisches emporgegangen sei.
7. Jetzt will ich daran gehen, das Andenken meines geistlichen Mitbruders Bernari zu erneuern, der durch seine mir erwiesene Freundschaft meine herzliche Liebe und (wenn ihm das irgendwie nützlich sein kann) ein sorgsames Andenken verdient hat. Er war mein naher Blutsverwandter und mir – was noch mehr
[341] sagen will – durch Freundschaft eng verbunden. Kaiser Otto dem III. war er sehr werth weil er ihm und seiner Base, der ehrwürdigen Aebtissin Mathild, treu diente; von ihnen hatte er auch alles Besitzthum, was er im Dorfe Salbozi[15] zu Lehn hatte. Er diente dem Erzbischofe Aethelbert und dessen Nachfolgern bis auf den Herrn Gero, und ward von ihnen auch würdig belohnt. Endlich befiel ihn eine Krankheit und vereinte ihn mit dem, den er immer vor allen geliebt hatte, mit Gott dem Allmächtigen. Demselben zu Ehren und zu Liebe baute er auf seinem erwähnten Eigenthum eine Kirche, zu deren Einweihung er mich Unwürdigen berief. Bevor diese heilige Handlung vorgenommen wurde, zeigte er mir eine lange Rolle, in der er seine Vergehungen aufgeschrieben hatte, und las sie mir – wie er es vorher auch mit seinen anderen Beichtigern gemacht hatte – mit Zittern und Zagen vor und flehte mich auf seinen Knieen seufzend um Ablaß an. Diese Zuschrift nahm ich zu mir und gewährte ihm aus geistlicher Machtvollkommenheit Vergebung der Sünden, und als ich an demselben Tage, das heißt am 17. März, weil dies der Namenstag seines Vaters war, die genannte Kirche weihte, legte ich auf das mit Reliquien der Heiligen angefüllte Behältniß jenes Sündenverzeichniß, damit durch die beständige Verwendung der Heiligen dem weinend beichtenden die wahre Vergebung zu Theil werde, und die langersehnte Tilgung seiner Schuld. Dergleichen hat nun zwar bisher keiner jemals gethan, so viel ich gesehen oder gehört habe; weil ich aber besorgte, meine Schwäche würde ihm nichts helfen können, so habe ich zu den Heiligen als Fürbittern meine Zuflucht genommen. Darnach lebte dieser ehrwürdige Vater noch dreizehn Wochen, und fand am 17. Mai die ersehnte Erlösung.
8. Noch bringe ich zum nachahmungswürdigen Beispiele eine treffliche Handlung des frommen Abtes Alfker[16] vor. Dieser
[342] hatte außer anderen Tugenden auch die Gewohnheit, daß er seinen Namen auf jeden Altar schrieb, und während er selbst Messe sang, weinte er so heftig, daß sein ganzer Körper naß ward, und lies darin nicht nach, denn, wie geschrieben steht, Thränen, um unserer Sünden willen von Herzen vergossen, verlangen nicht allein die Vergebung Gottes, sondern sie erlangen sie auch [Judith 8, 12]. Und damit er um so freier um die himmlische Gnade beten könnte, so war er auch gegen alle seine Schuldner milden Herzens.
Ach ich unwürdiger Diener des Herrn, der ich diesen meinen ebenerwähnten Brüdern in keinem Stücke nachgekommen bin! Gar vieler tugendhaften und frommen Menschen Beispiel habe ich so oft gesehen und davon gelesen, aber ich habe sie mir nicht zu Herzen genommen; mannigfachen Versuchungen, denen ich hätte widerstehen sollen, bin ich willig und weil ich nicht kräftig dagegen ankämpfte, erlegen. Denen ich nützen sollte, habe ich leider mehr geschadet, und habe meine Missethat beständig geheim gehalten, wie einen verborgenen köstlichen Schatz. Du mein Leser, oder du, mein theurer Nachfolger, brauchst nicht das zu glauben, was die Gunst der unzuverlässigen Menge von meiner nützlichen Wirksamkeit etwa vorbringt, sondern lieber komme mir, der ich schon stinkend geworden bin, durch das Heilmittel ermüdenden Gebetes und Almosengebens zu Hülfe, und entreiße mich so dem Rachen des gierigen Wolfes, der mich zerfleischt. Ich gebe dir nach der Mahnung meines Gewissens den Zustand meines Innern viel wahrhafter an, als ein Anderer dies vermag. Denn es giebt manche, die ich gegen das Gebot der Gerechtigkeit zu gelinde behandelt habe, und wenn diese, wie sie es verdienen, von dir[17] scharf gehalten werden, so ist nicht zu verwundern, wenn sie zu meinen Gunsten Verkehrtes und Uebertriebenes täuschend vorbringen. Halte die Mitte zwischen meinen Verkleinerern und meinen unzuverlässigen Lobpreisern und bitte bei Gott unablässig für mich. Ich weiß, daß, wie es sonst so Sitte ist, dir vieles, was von mir herrührt, mißfällt, dessen Abstellung und Verbesserung Gott und Menschen [343] wohlgefällig ist. Alles, was ich in der vergönnten Zeit meines Amtes erworben und eingerichtet habe, ist von mir schriftlich hinterlegt. Sei auch nicht eingebildet auf deine hohe Würde, die Last ist ja nur um so größer, die du zu tragen hast. Das Wohl der dir anvertrauten Heerde behalte stets im Auge, wie ein treuer Verwalter, und sei eifrigst bemüht, stets das Göttliche dem Weltlichen vorzuziehen. Was ich meinen geistlichen Mitbrüdern geschenkt habe, das vermehre, so viel du kannst, und in Christi Namen beschwöre ich dich, entziehe ihnen nichts; denn sie sind deine Mitarbeiter in deinem heiligen Berufe und deine Helfer in der Hoffnung auf die Zukunft. Für die Laien, welche bald hierhin, bald dorthin schwanken und von einer Seite zur andern sich hinüberziehen lassen, sorge, ich bitte dich, in so weit nach Möglichkeit, daß die Geistlichkeit nicht darunter leide. Wenn du auf das Deine sorglichst achtest, wirst du bei Gott und allen guten Menschen gern gesehen sein; wo nicht, so richtest du theils deine Untergebenen zu Grunde, theils ziehst du dir zeitliches und ewiges Unglück zu. Höre auf mich, als deinen, wenn gleich selbst gar schlecht gebildeten, Lehrmeister und deinen nur zu wenig musterhaften Amtsvorgänger, und ertrage selbst gern die Armuth für deine Person, auf daß deine Heerde reich werde durch dich; also hat Christus an uns gethan, damit wir also thun sollten an seinen Schafen. Schäme dich der Armuth nicht vor den Leuten, damit du voll Selbstvertrauens vor Gott bestehen kannst. Ich erschien vornehm genug vor dieser Welt, aber häufig nur wegen meiner Angehörigen; denen, welchen ich nicht bekannt war, erschien ich verächtlich. Wer sich über seinen Stand zu erheben strebt, sinkt in einem schimpflichen und nur zu spät beklagten Falle unter denselben hinab. Den reichen Deinigen komm mit Ehre, den armen aber mit Huld und freundlicher Güte entgegen. Denn das alte Sprichwort bestätigt es, daß Huld und Liebe immer bei der Menge weilen. Deinen armen, dir vom höchsten Hirten anvertrauten Haus- und Hofbestand, den ich kaum zusammenhalten konnte, wahre, und böswilligen Ohrenbläsern, die darüber dir Schlimmes [344] einreden wollen, verschließe dein frommes Ohr. Dein Vermögen ist klein und keineswegs damit zu beschaffen was unsere Vorfahren damit zu thun vermochten, und es ist viel besser, an Habe und Gut allmählich zunehmend, von Tag zu Tag zu steigen, als daß du zum Schaden Vieler zuletzt nichts besitzest. Die jetzigen Zeiten, die ja schlimmer sind als alle früheren, nehmen einem mehr als sie einem geben. Durch schwere Schuld und qualvolle Armuth sinken auch angeborner und verliehener Rang und Stand herab. Nicht verlange ich von dir, daß du knickerig sein sollst, denn das ist eine Schande, sondern das nur rathe ich dir dringend, daß du nicht allzu freigebig und verschwenderisch seiest; denn das ist weder vernünftig, noch geziemt es sich. Sorge auch für die Seele des Pilgrims Godebert, der unserer und sehr vielen anderen Kirchen sehr viel Nutzen gebracht hat. Du hast genug an den Büchern, welche ich hier von unseren Vorfahren gesammelt vorgefunden und noch hinzu erworben habe. In denselben wirst du heilsame Lehre finden: denen folge und du wirst Heil und Errettung erlangen. Ich habe manche Reliquien nebst wohlverzierten Behältnissen derselben angekauft, außer sehr vielen anderen Nutzbarkeiten an Land und Leuten; und damit es dir nicht etwa unbekannt bliebe, habe ich es in meinem Martyrologium (Heiligenkalender) angeschrieben.
Indeß gebührt es sich, daß deiner Frömmigkeit die vielfache Güte und Freundlichkeit bekannt werde, die unser König und Kaiser Heinrich II. unserer Kirche erwiesen hat. Ich habe einen Theil hievon zwar schon oben besprochen; allein den größten Theil habe ich doch noch gar nicht berührt, und so halte ich es für das beste, denselben jetzt zu schildern. Sorge du, daß er, indem er stets deiner gedenkt, darum das Unsrige wiederherstelle und unablässig fördere. Wehe den Zeiten, in denen die Armen und die Kirche von Merseburg eine solche Hoffnung nicht hegen dürften! Jetzt ist zumeist für sie zu beten, während man dann zumeist um sie weinen müßte. Folgende Geschenke hat nämlich die Kirche Merseburg vom Kaiser erhalten, und so lange er lebt, wird sie sich eines noch viel größeren Zuwachses erfreuen. Denn schon hat er [345] in der Tiefe seines Herzens beschlossen, wie er sie erhöhen will durch mancherlei Gaben. Jetzt also rede ich von dem, was bis dahin uns geschenkt worden ist, und das, was noch folgen wird, empfehle ich kniefällig dem allmächtigen Gotte, dem alles gegenwärtig ist. Und weil kein Grund vorhanden ist, einzeln herzuzählen, was man durch urkundliche Belege bekräftigt lesen kann, so verzeichne ich blos dasjenige, was, weil es schriftlicher Beglaubigung entbehrt, befürchten ließe, daß es einmal wieder verloren gehen könnte. Ein Stück vom heiligen, sieggekrönten Kreuze nebst anderen heiligen Reliquien, einen goldenen, zierlich mit Edelsteinen ausgelegten Altar und eine goldene Büchse, gleichfalls mit kostbaren Steinen geschmückt, ferner ein Collectenbuch, auf seine und auch auf unsere Kosten wohlverziert, sammt zwei Weihrauchgefäßen und einem silbernen Becher, das alles hat der Kaiser mit freigebiger Hand unserer Kirche geschenkt. Und das ist nicht bloß von uns zu bewahren, sondern auch zu vermehren.
Weil ich aber von seiner Güte, die da fleußt wie Honig, durchaus nicht genug zu reden vermag, so trage ich jetzt ein eifriges Verlangen, von seinem Leben, wie ich mir vorgesetzt hatte, der Ordnung nach zu berichten.
Dies Jahr, 1018 welchem ich dies Buch gewidmet habe, ist mein ein und vierzigstes Lebensjahr oder etwas darüber; im Monat April aber, nämlich am 27sten[18], begann das 10. Jahr meiner Einführung.
Den Tag vorher aber brannte in der Vorstadt von Gnesen die erzbischöfliche Kirche sammt den übrigen Gebäuden ab.
Weil alles Menschliche doch immer zweifelhaft und unsicher ist, so möchte ich jetzt ein gefährliches Mittel wieder von mir geben, welches ich Unglücklicher einst zu mir genommen und dessen bisherigen sehr nachtheiligen Einfluß auf mich ich wohl verspürt [346] habe. Auf einer mir zugehörigen Besitzung, Namens Heslinge[19], sah ich, als ich dort eines Nachts schlief, im Traume eine Menge Gestalten vor mir stehn, die mich nöthigten, von einer mir vorgesetzten Schüssel etwas zu genießen. Ich aber merkte, daß dies feindselige Wesen waren, und verschmähte das Dargebotene zuerst, zuletzt aber antwortete ich ihnen, ich wolle es im Namen Gottes des Vaters nehmen. Obwohl ihnen das nun gar sehr mißfiel, so bewilligte es doch diese verhaßte Schaar, seufzend, weil sie sah, daß es anders nicht ging, und weil sie entschlossen waren, mich doch einmal ganz zu Grunde zu richten, und hätte ich damals nicht den Namen Gottes angerufen, so wäre ich meiner ewigen Seligkeit verlustig gegangen. Durch diesen Trank, der, wie mir vorkam, aus Kräutern aller Art gemischt war, habe ich die mannigfaltigsten schlechtesten Gedanken in meinen Sinn bekommen, die, obwohl sie mich während des Gottesdienstes gewaltig stören, doch mit Gottes Hülfe, den ich ja zu meinen Schutze über sie gesetzt habe, mich selten oder nie zu einer schlechten That verleitet haben. Indeß genügt es vorläufig ihrem bösen Willen, daß sie wenigstens einigen Theil an mir zu haben glauben. Denn ein anderes Mal umringten mich dieselben Wesen wieder, blieben aber, weil ich mich wiederholt bekreuzigte, in der Ferne, und fragten mich höhnend: „Hast du dich nun gut verwahrt?“ Worauf ich antwortete: „Ja, so hoffe ich.“ Und sie erwiederten: „Aber so wird es nicht immer sein.“ Ich aber fürchte weder ihre Drohungen, noch glaube ich ihren Schmeichelreden, weil sie eitel und nichtig sind wie ihre Urheber. Ich bin gar sehr bekümmert wegen der Größe meines Vergehens und weiß aus Ueberzeugung, daß eine solche Erscheinung, obwohl sie körperlich ist, an sich den Menschen nicht schaden kann; wenn wir aber durch sündiges Leben Gottes Antlitz von uns abwenden, so fallen wir Unglückliche diesen wutherfüllten, niemandes schonenden Wesen in die Hände; indeß auch von ihnen kommen wir alsbald frei, wenn wir uns selbst bekehren, oder von den Auserwählten des Herrn mit häufigen Besuchen begnadigt [347] 1018 werden. Wer jedoch sich selbst beherrschend durch Gottes Wort sich schützt, an den wagen sich solche nicht, sondern meiden ihn vielmehr voll Furcht, nicht vor seiner, sondern vor dessen geheiligter Macht, den er liebt; denn Gott ist ein Schutz aller derer, die ihn von ganzem Herzen beständig lieben. Wenn nun ich Sünder, der ich meiner Herzensschwachheit mir völlig bewußt bin, mich nicht verlasse auf die höchsten Tröstungen und Schutzmittel, wie ist es dann zu verwundern, daß ich von den untersten Mächten erschüttert werde? Und dies habe ich darum vorgebracht, daß du, mein Leser, der du mir ähnlich bist durch Sterblichkeit und angeborne Schwäche, wissest, daß ich durch jene Einwilligung schwer gesündigt habe, und daß du mir durch unwandelbare Heilsmittel zu Hülfe kommen mögest. Ach ich Elender, der ich in dieser Welt viele geistlich habe fördern sollen, und doch weder dieses thun, noch auch mich selbst schützen kann! Woher aber die erwähnte Versuchung gekommen ist, will ich deinem gläubigen Herzen jetzt anvertrauen. Ich habe mich bemüht, manchen Menschen, die durch die Versuchung dieser Feinde litten, zu helfen, und darum habe ich in jenen die heftige Begierde entzündet, mir nachzustellen, obwohl sie auch ohnedies schon immer zum Bösen geneigt sind. Ich hoffe jedoch zu Gott dem Allmächtigen, daß er mich ihnen nicht preisgeben wird, daß sie mich verschlingen, sondern daß er nach peinvoller Läuterung mich in seiner Gnade erlösen werde.
9. Im selbigen Monat, nämlich am 15. April, Apr. 15. wurden zu Wonclava[20] Erzbischof Gero und Markgraf Bernhard mit einander ausgesöhnt, und der Priester Liudhard starb. Auch Herzog Godefrid und Graf Gerhard schlossen auf des Kaisers Geheiß Frieden. Graf Berthold aber, der die Burg Munna widerrechtlich in Besitz genommen hatte, überlieferte sich sammt seinem Anhange freiwillig der kaiserlichen Gewalt. Die Burg aber ward zur Strafe Vieler sofort eingeäschert, und gebe Gott, der Friedenskönig,
[348] 1018 daß sie nie wieder aufgebaut werde. Wie gut wäre es, wenn die Bewohner jenes Gebietes, die stets nur zum Bösen sich vereinigen, nirgend mehr einen festen Ort hätten, um ihre Bosheit ausüben zu können. Jetzt aber sind leider dort die Plätze so gelegen, wie es die Eingebornen nur wünschen.
Der Kaiser verließ nach langem Aufenthalte Niumagun [Nimwegen], und feierte die Bettage andächtig zu Aachen. Nach Verlauf derselben, am 15. Mai, Mai 15. starb Bischof Lanbert von Constanz. Diese Trauerbotschaft bekam der Kaiser zu Ingilenhem [Ingelheim], wo er Pfingsten Mai 25. gar großartig feierte und setzte seinen Capellan Rotherd auf den erledigten Bischofstuhl.
Nachdem diese Angelegenheiten besorgt waren, fand sich zu Birgilun[21] eine große Versammlung von Fürsten ein, um im Wege Rechtens mannigfache, durch die Fahrlässigkeit und den großen Uebermuth jenes Volkes eingerissene Uebelstände abzustellen. Darauf erschien der obenerwähnte Graf Oddo gnadeflehend vor dem Antlitze des Kaisers und des Erzbischofs Erkanbald, und verlor durch dreier Zeugen Eid seine unrechtmäßige Ehefrau. Mit Graf Balderich versöhnte man sich wieder und vergaß die Verheißung Gottes.
Wenige Tage nachher, am 24. Juni, Juni 24. starb Graf Heinrich, der die Mark, welche zwischen Baiern und Ungarn liegt, inne hatte, ein tapferer Kriegsmann. Indeß kam der Kaiser nach Basel und eilte mit dem versammelten Heere nach Burgund. Die Kaiserin aber kam nach ihrem lieben Capunga [Kaufungen] und richtete dort ein Nonnenkloster ein. Von da reiste sie durch Ostfranken nach Baiern, und ließ ihren Bruder, den Herzog Heinrich, zu Regensburg inthronisiren.[22]
Im Monat Juni schadete die unbeständige Witterung der Gesundheit und dem Erwerbe Vieler gar sehr.
10. Zur selbigen Zeit erlitt die mir unwürdigem anvertraute
[349] Kirche meinetwegen (denn meine Schuld erheischte Strafe) 1018 große Verluste. Der barmherzige und geduldige Gott wollte nämlich nicht länger ungerächt lassen was durch wiederholte gelinde Züchtigung nicht hatte gehindert werden können, indem er sie bisher immer nur nach dem Maße seiner Milde, nicht nach Entgeltung seines Grimmes behandelt hatte. Sie verlor gar brauchbare und nützliche Diener, und seufzt alltäglich ob meiner Missethat. In besagtem Monate nämlich ward ihr und mir große Schmach angethan von dem Bastard Aethelbert, der in mein Landgut einfiel und dasselbe mit einer Rotte von Knechten zu zerstören bemüht war. Was aber diese Buben zu solchem Unterfangen bewog, will ich der Wahrheit gemäß berichten. Die verschwenderische Freigebigkeit Otto's II., welche Allen in vollem Maße zulächelte, hatte unserer Kirche einen Forst geschenkt, der zwischen den Flüssen Saale und Milde [Mulde] und den Landschaften Siusili[23] und Plisni[24] liegt. Dies war geschehen zu Zeiten Bischof Gisilers und Markgraf Gunteri's [von Thüringen]. Nach der traurigen Zertrümmerung unseres Sitzes aber unter der Regierung Otto III. erwarb Markgraf Ekkihard [von Meißen] den Forst bei Sumeringe,[25] und tauschte gegen denselben den unsrigen ein. Allein der Erneuerer unserer Würde, König Heinrich, stellte uns in Gegenwart aller Großen des Reichs, und ohne daß die Gebrüder Heriman und Ekkihard sich dessen erwehren konnten, denselben im Wege Rechtens wieder zu. Und nachdem derselbe dann länger als zwölf Jahre unter der Herrschaft unserer Kirche gestanden hatte, und Graf Heriman durchaus nicht im Stande gewesen war, ihn, wie es ihm zustand, um sechzig Hufen von mir einzulösen, so fiel es ihm ein, auf denselben für sich und seinen Bruder, in Folge des Besitzes zweier Burgwarden, Rochelinti [Rochlitz] und Titibutziem[26] [Teitzig] laut kaiserlicher Urkunden Anspruch zu machen, in der Meinung, daß unsere ältere Besitzbestätigung längst verjährt sei. Als er mir
[350] 1018 aber dies eröffnete, merkte er bald, daß es nichts half. Denn in Magadaburg in Gegenwart unseres Kaisers wurden beiden die Urkunden gezeigt und erwiesen, daß unsere Schenkungen durchaus den Vorrang hätten. So sagte zuletzt in Gegenwart seines zu dem Zwecke anwesenden Bruders und so daß dieser es vernahm, Graf Heriman folgende Worte: „Alles, was wir bisher in dieser Angelegenheit gethan haben, haben wir nicht ohne Grund auf Gerathewohl, sondern weil wir ein Recht dazu zu haben glaubten, unternommen. Jetzt aber wollen wir die Sache aufgeben.“
Nicht lange nachher legte Markgraf Ekkihard, der noch ein junger Mann und darum noch gar unerfahren war, auf Antrieb seines Lehnsmannes Budizlav in seinem Burgward Rochelenzi [Rochlitz] hohe Gehege an, um in dieselben das Wild einzufangen. Als ich dies nachher erfuhr, ertrug ich es vorläufig geduldig und ließ durch einen Mittelsmann, nämlich seinen eigenen Bruder, ihn anhalten, daß er doch das nicht thun möchte. Auch bei seinem Bruder Heriman ließ ich alsbald Klage führen, richtete aber mit dem allen nichts aus. So stand es bis Ostern. Weil da das heitere Wetter und die Wegbarkeit der Straßen es gestatteten, und ich in diese Gegenden meines Bisthums nie gekommen war, so bekam ich Lust, mich dorthin zu begeben und die mir bis dahin unbekannten Verhältnisse sorgfältig zu untersuchen. Am 2. Mai, Mai 2. an einem Feiertage, kam ich nach Chorun [Kohren][27] und firmte das dort zusammenströmende Volk. Als ich darauf das erwähnte Werk, durch Stricke und große Netze zusammengebunden, am Wege selbst stehen sah, stutzte ich und dachte nach, was ich dabei anfangen sollte. Endlich ließ ich, weil ich doch jenes Geräth auf keine Weise mitnehmen konnte, einen Theil desselben zerhauen und von da gerades Weges nach Rochlitz gehend, firmte ich dort einige. Indem ich dann die mir ungerechter Weise angethane Schädigung meines Forstes bei Strafe des Bannes Allen untersagte, überwies ich das alles unserer Kirche und gebot Frieden. Darauf ging ich wieder [351] 1018 zurück nach meinem Gehöfte[28] und als ich dort sieben Tage gewesen war, hörte ich, daß Ekkihards Mannen die meinen bedrohten. Dort übernachtete gerade der Kanzler[29] bei mir, und gab, als er die Sache von mir hörte, genügenden Bescheid. Darnach versammelten sich die erwähnten Vasallen wiederholt und versuchten mir zu schaden, allein unsere Wachen kamen ihnen immer zu rechter Zeit zuvor. Unterdeß sandte ich einen Abgeordneten an den Kaiser nach Mainz und bat ihn flehentlich um Herstellung des Friedens. Obwohl nun denselben Markgraf Ekkihard seinerseits gelobte und sein Bruder, dessen Rückkunft ich lange ersehnt hatte, mir gleichfalls darauf seinen Handschlag gab, so hielten sie doch beide nicht Wort. Denn sechs zerschlagene, schimpflich geschorene Menschen nebst ihren schmählich beschädigten Wohnungen bezeugen, wie man sich vor solchen Herren hüten muß. Ihre Lehnsleute haben übrigens in ihrer Weise nicht allein an mir ihren Grimm geübt, sondern auch anderen, viel besseren, als ich bin, geschadet. Denn sie haben den Erzbischof Gero in Wirbini [Werben] und den Grafen Sigifrid in Nicici[30] angegriffen und daselbst weggenommen, was ihnen gefiel.
11. Der Frevelmuth der Lehnsherrn stachelt die Wuth der Vasallen an, und so lange jene diesen nur genügen, dulden sie nicht, daß jenen in diesem Lande irgend jemand gleich komme. Wenn ein Nachbar unabsichtlich und unversehens einen Fehler gegen sie begeht, so ist ihnen keine Sühne recht, und sie verlangen nachher ein ganz unerschwingliches Schadensgeld. Und diese Geißel trifft nun ihre Nachbaren so schwer, daß Andere, sie mögen Recht haben oder nicht, sich gar nicht mehr gegen sie zu erheben wagen. Die in diesem Landestheile belegenen Bisthümer sind von ihrer Gewalt nur allzu sehr bedrückt, und wir, die Verwalter derselben,
[352] 1018 haben nur dann, wenn wir gegen Gott und dessen Gebote ihrem Willen in allem Genüge thun, einige Ehre und einigen Vortheil; thun wir das aber nicht, so werden wir von ihnen verachtet und ausgeplündert, als regiere für uns gar kein König und Kaiser im Reiche. Schon beugt der neue stößige Ochs das alte Gesetz und die bisher blühende gute Sitte und zeigt gewaltig, daß er sich erhebt über Andere; wenn er nicht schnell gedemüthigt wird durch die Fügung des Himmels, so wird seine Unverschämtheit allzu sehr bestärkt und begründet. Er kennt nicht den Spruch Davids, der ihn sanft also mahnt: „Wollet euer Horn nicht erheben in die Höhe“ u. s. w. [Psalm 75, 6]. Für solche spricht ebenderselbe heilige Psalmist: „Du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub. Du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen“ u. s. w. [Ps. 104, 29]. Gar sehr bedarf der, der sich gar nicht erkennt, der Berücksichtigung, da selbst der, der sich selbst unabläßig beobachtet, ohne gute Leitung nichts vermag. Darum sollen sich alle Sünder bekehren und sich eifrigst bemühen, über sich selbst zu wachen und der Armen sich zu erbarmen. Ich, der ich elend bin ob meiner Missethaten und arm an Fähigkeiten, erleide doch, obgleich ich in diesen beiden Beziehungen allen Männern meines Standes nachstehe, die obenerwähnte Schmach nicht allein, sondern sie sind denselben Leiden unterworfen. Von anderen Bischöfen, die in anderen Weltgegenden angestellt unsägliche Verluste erduldet haben, trage ich nichts in diese Bücher ein, obwohl ich schweren Herzens es beklage, daß sie außer der heiligen Weihe ihres Amtes ganz ohne äußere Ehre sind; ich habe hier nur Zeit, von denen zu reden, die heutzutage von ihren Mitbürgern ähnliche oder noch schlimmere Kränkung erduldet haben.
12. Bernward, der ehrwürdige Hirt der heiligen Kirche zu Hildesheim, wurde vom Grafen Bruno so bitter gehaßt, daß ihm von demselben sein Ritter Rim geschoren und fast geschunden wurde, und daß er nachher, als er mit ihm des Weges zog, ihn
[353] vor seinen Augen von dem jungen Altman noch gar erschlagen 1018 sehen mußte.
Swithger aber, der treffliche Vorsteher der Kirche zu Münster, wurde auf seinem Gute von einem vornehmen Junker angefallen und mit dem Blute seines vor seinen Augen erschlagenen Verwalters besudelt. Was haben nun diese Männer je verbrochen? Beide waren fromme Geistliche und doch mußten sie solch unverdienten Schimpf ertragen! Weil ich aber bisher, beherrscht von heilloser Gleichgültigkeit, vom Bischof Suithger noch gar nicht geredet habe, so ist es passend, jetzt diesen Fehler zu verbessern. Dieser, in Sachsen geboren und in Halverstidi [Halberstadt] und Magadaburg von Kind auf erzogen, wurde von Otto III. der erwähnten Diöcese vorgesetzt, und indem er dieselbe mit aller Sorgfalt leitete, strahlte er, auf die Gnade Gottes sich stützend, durch mancherlei Tugenden hervor. Davon will ich nur zwei Beispiele anführen, die ich mit wahrhaften Belegen zu erweisen vermag. Als sein Kämmerer einen heimlich entwendeten Hut verbergen wollte und, von seinem frommen Herrn befragt, nichts eingestand, nöthigte ihn derselbe, ein Messer, das auf dem Tische lag und welches Suithger voll innigster Inbrunst eingesegnet hatte, anzufassen; allein sogleich warf er es, weil es ihm wie glühend vorkam, hin und gestand vollständig seine ganze Schuld. – Ein anderes Mal bemächtigte man sich mit aller Anstrengung eines von einem bösen Geiste besessenen und führte ihn vor den ebengenannten Bischof, der ihn sofort los zu lassen befahl und ihn, als er wüthend auf ihn zustürzte, mit seinem Stabe muthvoll abwehrte und darauf, indem er das Zeichen des heiligen Kreuzes über ihm machte, ihn durch göttliche Kraft beruhigt von dannen ziehen hieß. – Und diese Thaten schrieb ein solcher Mann nicht sich selbst sondern dem zu, der durch ihn so Großes wirkte, und verlebte in Christo die ihm hienieden beschiedenen Tage, indem er ihm als ein treuer Knecht mit allem Eifer diente. Er saß auf dem bischöflichen Stuhle sechzehn Jahre lang, fortwährend von großer Kränklichkeit heimgesucht; – ein Umstand, der übrigens Tugenden aller Art hervorbringt; [354] 1018 – und starb an demselben Tage, an dem er geboren war, nämlich am 19. November [1011], im zehnten Jahre der Regierung unseres Kaisers Heinrich. – Sein Nachfolger Thiedrich, mein Vetter von mütterlicher Seite, erduldete, wie ich oben erzählte,[31] große Kränkung von Heinrich, dem Sohne des Grafen Heriman. In diesem Jahre aber wurde derselbe Aufstand, der vorher für eine Zeitlang beschwichtigt war, wieder aufgeregt. Der Erzbischof Heribert von Köln ertrug von genanntem Grafen viel Ungemach. Freilich war das nicht zu verwundern, da der Erzbischof dessen Mutter schon lange in Haft hielt.
Auch ward Bischof Meinwerk [von Paderborn] von meinem Vetter Thietmar Herzog, Bernhard’s Bruder, beraubt.
13. Doch wozu erzähle ich das alles, da ich in keinem dieser Vorfälle weder ein gutes Beispiel, noch eine Hülfe für mich sehe? Besser ist es, ich bleibe meinem Plane getreu, und während ich das erwäge, schwebt mir jenes Gesicht des heiligen Johannes vor Augen: „Ein Wehe ist dahin, siehe, es kommen noch zwei Wehe nach dem.“ [Offenb. Joh. 9, 12.] Denn gar sehr kläglich ist, was ich bisher so oft darstellen mußte. Doch hat sich zu den Zeiten unsers Regenten und unbesiegten Schützers Heinrich nie ein solches Unheil ereignet, wie vor kurzem durch unsere Missethat hervor gerufen ist. Im Monate Juli nämlich, und zwar am 29sten, Juli 29. an einem Dienstage, hat Mars gegen die Eingeweide des Reiches so gewüthet, daß darüber die Mutter Kirche beständig zu klagen haben wird. Denn Aethelbold, der Utrechter Bischof, griff an diesem Tage unterstützt von Herzoge Godefrith [von Lothringen] mit Hülfe seiner Bundesgenossen und Freunde Thietrich, den Vetter unserer Kaiserin[32] an, nachdem ihm derselbe durch Erschlagung seiner Krieger gar vielfach bittern Kummer bereitet hatte. Auf einer Insel kam das berufene Heer[WS 1] zusammen. Dieses, schnell zum Kampfe gerüstet, erlitt den Tod, den es dem Feinde drohte, leider
[355] alsbald selbst. Denn es wurde von den von allen Seiten aus 1018 einem Hinterhalte hervorbrechenden Friesen und von den Mannen des genannten jungen Grafen unerwartet umzingelt, und kam – es ist schrecklich zu schildern! – durch das Schwert und in den Fluthen um, ohne daß die Gegner einigen Verlust erlitten. Der Bischof entkam nur mit genauer Noth in einem Boote, der Herzog aber ward vor dem Feinde gerettet, und wahrhafte Zeugen versichern, daß die Zahl der Erschlagenen drei Legionen überstieg. Das ganze Land dort entbehrt eines bewaffneten, schützenden Armes, es ist in Angst vor landenden Seeräubern, es trauert fortwährend. Graf Godefrid ist dort gefallen, ebenso der treffliche Ritter Johannes, den das Vaterland stets beweinen wird; und ihre Waffengefährten, edel und ruhmbedeckt und bisher mit siegreichen Rechten kämpfend, ruhen jetzt, von einem unglücklichen Loose betroffen. Ihre Körper büßen jetzt, was unsere sündenbefleckten Leiber verschuldet haben; doch ich hoffe, ihre Seele wird Freude haben, von der schweren Erbitterung gereinigt. Damit aber du, mein Leser, über ein solches Ereigniß nicht staunest, so vernimm auch den Ursprung desselben. Jener unglückselige Graf Thiedrich war der Vasall des genannten Bischofs. Dieser hatte in einem Walde, Namens Mirwidu[33], ein großes Gut, über welches sämmtliche Landesbewohner beim Kaiser zu Niumagun [Nimwegen] Klage führten, daß es nämlich vom Grafen Thiedrich ihnen unrechtmäßiger Weise entwandt sei. Daher befahl nach dem Rathe seiner Großen der Kaiser dem Bischof von Utrecht, die Gebäude daselbst anzuzünden und das leere Grundstück den Klägern zurückzugeben, und da der abscheuliche Jüngling seinen Lehnsherrn von solchem Gebote nicht abbringen konnte, beurlaubte er sich und erklärte, er werde das zu verhindern wissen. Und es dauerte nicht lange, so geschah, was ich so eben erzählte, und zwar mehr um unserer Missethat willen, als weil der Sieger es also verdient hätte. Dies unaussprechliche und ganz unersetzliche Leid hatte schon lange vorher
[356] 1018 ein Schwarm von Vögeln angedeutet, die sich von allen Seiten
hier versammelten und sich einander mit ihren Klauen zerfleischten
und diejenige Stelle vorher eingenommen hatten, wo jene nachher
den Tod fanden. Die Verwünschung, die der heilige David über den Berg Gilboa [2 Sam. 1. 21] ausgesprochen hat, dieselbe spreche ich, obwohl ein Mann ohne einiges Verdienst, aus innerstem Herzensgrunde über diese Insel aus.
Bischof Balderich von Lüttich starb zu Thiele[34] am selbigen Tage.
14. In jenen Tagen aßen in meinem Bisthum sieben Käthner giftige Pilze, und von heftigem Brande entzündet, starben sie schnell.
Im Monat August Aug. erschien ein neuer Stern neben dem Wagen und setzte durch seine aus der Ferne her geworfenen Strahlen alle, die ihn sahen, in Schrecken. Denn nie war, so lange wir denken können, ein solcher aufgegangen, und darum war ein Jeder darüber bestürzt, und daß es ein schlimmes Wunderzeichen sei, fürchtet die Menge, die gläubige Gemeinde des Herrn aber, so klein wie sie ist, hofft, daß es gnädig hinauslaufen werde[35]. Von ähnlichen Dingen gilt Jeremias’, des wahrheitkündenden, Ausruf: „Der aber alle Dinge weiß, kennt sie und hat sie durch seinen Verstand funden“ [Baruch 3, 32]. Dieser Stern also, der sich zeigte, war mehr als vierzehn Tage sichtbar.
In der Landschaft Nordthüringen schadeten drei stets zusammen sich zeigende Wölfe, die bisher von den dortigen Einwohnern nie gesehen waren, vielen Menschen und dem Viehe unsäglich. Auch darüber erschrak jeder Eingeborne heftig und besorgte, daß dies auf noch größeres Ungemach hindeute. Denn der Heilige Gregorius spricht: „Viel Uebels muß hervorgehen, wenn es im Stande sein soll, das künftige Unendliche zu verkünden.“
[357] In allem eben Geschilderten offenbart sich uns der Zorn des 1018 Himmels, aber die menschliche Schwachheit richtet darauf kein wachsames Auge.
15. Dies Jahr kann in Wahrheit mit einer neuen Bezeichnung das Jahr der Erschütterung der Erde oder der großen Zerknirschung heißen. Denn unsägliche Bedrängnisse, welche über die unbeständige Welt hereinbrachen, haben die Bewohner derselben von allen Seiten in Angst versetzt. Von diesen Bedrängnissen habe ich einen Theil berührt, was ich aber bisher übergangen habe, will ich, unter tiefem Seufzen, jetzt entwickeln. Beinahe sämmtliche Mannen des Bischofs Balderich, sowie des von Kammerich fielen auf besagter Insel, und in den drei nächstgelegenen Landschaften war kein Haus, in dem nicht wenigstens ein Bewohner fehlte. Seit König Karls Zeiten ereignete sich dergleichen in diesen Landen, wie die Geschichte alter Zeiten versichert, an keinem Tage, in keinem Jahre. Wie sind wohl jemals solche Männer gefallen, ohne daß auch die Feinde Verlust hatten? Doch darüber wundert sich keiner, der es recht bedenkt, daß derjenige durchaus nicht kämpfen kann, den ob seiner Schuld die schwere Rache Gottes darnieder werfen will. Dieses unverwindbare Unheil wird späterhin bald genug vergessen, weil mit Hülfe Herzog Godefrid’s Bischof Aethelbold mit seinem Feinde, dem Grafen Thiedrich, versöhnt ist; und zwar geschah das nicht, weil Thiedrich es aus eigenem Antriebe wünschte, sondern weil ihn die höchste Noth dazu trieb. Denn es gab für jene Lande keinen mächtigen Beschützer mehr, wenn wiederum ein grimmiger Feind sich erheben sollte. Wenn aber jener Verlust mit Gottes Bewilligung zugefügt ist, wer kann ihn rächen? wenn aber Gott ihn nicht rächt, wer wird ein heftigerer Rächer sein wollen als der Herr? Jetzt aber wollen wir, wie es der heilige Abt Columbanus beim Tode des großen Kaisers Karl that[36], unsere Thränen hemmen und fördernde Gebete unserem Herzen entströmen lassen.
[358] 1018 16. Auch ist nicht zu verschweigen, welch ein trauriger Verlust sich in Rußland ereignete. Denn Bolizlav griff dies Reich mit einem großen Heere an und schadete demselben gar sehr, auf unser Zureden. Am 22. Juli Jul. 22. kam er nämlich an einen Fluß[37] und ließ dort sein Heer lagern und die nöthigen Brücken zurüsten. An demselben Flusse lag auch [Jarizlav] der König der Russen mit den Seinen und erwartete besorgt den Ausgang des gegenseitig angesagten Kampfes. Indeß ward durch die Herausforderung der Polen der daliegende Feind zum Kampfe aufgereizt und von dem Flusse, den er besetzt hielt, mit unerwartetem Glücke in die Flucht getrieben. Durch diesen Kampfeslärm ward Bolizlav persönlich in den Streit gerufen, und indem er seine Genossen sich rüsten und auf den Fluß zueilen hieß, bewirkte er, wiewohl mit Anstrengung, doch einen schnellen Uebergang über den Fluß. Das feindliche Heer dagegen versuchte, Schaar bei Schaar geordnet aufgestellt, vergebens das Vaterland zu schützen. Denn gleich beim ersten Zusammentreffen wich es und leistete nachher gar nicht wieder starken Widerstand. Dort fiel damals eine große Anzahl der Fliehenden und eine kleine der Sieger. Von den Unseren blieb der treffliche Ritter Herich[38], den unser Kaiser lange in Haft gehalten hatte. Von jenem Tage an verfolgte Bolizlav mit erwünschtem Erfolge die zerstreut umherschweifenden Feinde und Aug. wurde von allen Eingebornen des Landes empfangen und mit vielen Geschenken beehrt. Indeß ward eine Stadt, die damals Jarizlav’s Bruder [Swaetepulk] gehorchte, von Jarizlav gewaltsam besetzt und deren Einwohnerschaft hinweggeschleppt. Die außerordentlich starke Stadt Kitava [Kiew] aber wurde von den derselben feindlichen Pedeneern [Petschenegen] auf Antrieb Bolizlav’s durch wiederholte Bestürmung erschüttert und durch eine große Feuersbrunst geschwächt. Die Einwohner vertheidigten sie, öffneten aber bald der fremden Macht ihre Thore, denn als ihr König sie
[359] fliehend verließ, nahm sie am 14. August den Bolizlav und ihren 1018 längst verlorenen Herrn, den Herzog Zentepulk auf; durch die Gunst, in der derselbe stand, und durch die Furcht vor den Unsrigen wandte sich diese Gegend schnell ihm zu. Der Erzbischof dieser Stadt aber empfing die Ankommenden ehrenvoll, mit den Reliquien der Heiligen und anderen kirchlichen Zierden versehen, im Münster der heiligen Sophia, welches das Jahr vorher durch einen Zufall kläglich eingeäschert war. Daselbst befanden sich die Stiefmutter, die Gemahlin und neun Schwestern König Jarizlav’s, deren eine der alte Wollüstling Bolizlav, der früher um sie geworben hatte, unrechtmäßig, seine Gattin vergessend, heimgeführt hatte. Daselbst ward ihm unsäglich viel Geld gezeigt, wovon ein großer Theil unter seine Gastfreunde und Anhänger vertheilt, einiges aber in die Heimat geschickt ward. Den Herzog unterstützten unsererseits dreihundert, von den Ungarn fünfhundert, von den Petineern [Petschenegen] aber tausend Mann. Diese alle wurden darauf nach Hause entlassen, da der genannte Fürst Zentepulk mit Freuden sah, daß die Eingebornen ihm zuströmten und ihm Treue zeigten. In jener großen Stadt, welche der Hauptsitz dieses Reiches ist, sind mehr als vierhundert Kirchen und acht Märkte. Die Einwohner aber, deren Zahl unbekannt ist, und die, wie jene ganze Landschaft, aus dem Kerne flüchtiger Sclaven, die dorthin von allen Seiten zusammenströmen, und besonders aus schnellfüßigen Dänen bestehen, haben den sie häufig angreifenden Pecinegen [Petschenegen] bisher immer widerstanden und noch andere Feinde besiegt. Bolizlav aber, durch solches Glück stolz gemacht, sandte den Erzbischof von Kiew an Jarizlav mit dem Verlangen, er möge ihm seine Tochter wieder zusenden, wogegen er dann versprach, ihm seine Stiefmutter, Gemahlin und Schwestern wieder herauszugeben. Darnach schickte er seinen lieben Abt Tuni mit großen Geschenken an unseren Kaiser, um dessen Gunst und Hülfe fernerweitig zu erwerben und seine Dienstfertigkeit in jeder Beziehung für die Zukunft zu zeigen. Auch nach dem nahen Griechenland schickte er Gesandte, welche dem dortigen Kaiser alles
[360] 1018 Gute versprachen, wenn er sich als einen treuen Freund erweisen wolle; zugleich aber ihm anzeigten, daß, wenn das nicht geschähe, er des Kaisers entschiedenster und unbezwinglichster Feind werden würde.
Bei dem allen sei Gott der Allmächtige nahe und zeige gnädigst, was ihm gefällt und uns frommt.
In jenen Tagen nahm Graf Udo, mein Vetter, den ihm an Adel der Geburt wie an Macht gleichstehenden Grafen Heriman gefangen und führte den widerstrebenden in seine Burg. Daraus, befürchte ich, erwächst gefährliches Unkraut, welches schwer oder gar nicht auszurotten sein wird.
17. Nunmehr beginne ich wieder von unserem Kaiser zu reden, der, von dem verhaßten Zuge[39] heimkehrend, von all dem Versprochenen nichts erhielt, sondern den Widerspenstigen – nur zu wenig – Schaden zufügte. Sein trefflicher und treuer Vasall Herzog Thiedrich [von Oberlothringen] wurde, als er von ihm getrennt heimziehen wollte, von einem gewissen Herrn Namens Stephanus, der dem Kaiser und, wie es offenbar wurde, ihm feind war, von einem versteckten Orte aus angegriffen, und als er Sieger blieb und die Krieger über die Beute herfielen, wieder angefallen und leider besiegt, so daß er nur von Wenigen begleitet entkam. Das war der zweite derartige Versuch gegen ihn; gebe Gott, daß ihn nicht eine dritte ähnliche Gefahr treffe. Als unser Kaiser von dem allen Nachricht bekam, hielt er im Schwabenlande eine Berathung in Betreff der Angelegenheiten des Reiches und fuhr bald darauf bekümmerten Herzens den Rhein hinunter. Denn seine Mitarbeiter und die Säulen seines Reiches waren, o des Schmerzes! größtentheils gefallen und treulose Heuchler, gleichsam eine schwere, unheimliche Last, suchten durch versteckte Umtriebe Auswärtiger ihm entgegenzuwirken, so daß es ihm nicht freistand, mit der gehörigen Freiheit als Herrscher zu handeln und ihre ungerechte Frechheit irgendwie zu mindern.
- ↑ S. oben VII, 1.
- ↑ Cziczani lag etwas nördlich von Jarina in der Lausitz und ist vielleicht dieselbe Stadt, welche Thietmar vorher Siciani nannte.
- ↑ Diese war nöthig nach kirchlichen Gesetzen, weil diese Zeit zu denen gehörte, in den Hochzeiten verboten waren.
- ↑ Ironisch gesprochen.
- ↑ Er scheint den Griechen Abro zu meinen, dessen ausschweifendes Leben sprichwörtlich geworden war.
- ↑ Stephan I., der Heilige.
- ↑ S. oben VII, 44. Mistizlaw war Fürst der Obotriten.
- ↑ Februus war der etrurische Gott der Unterwelt und wurde mit Pluto identificirt. S. Makrob. Saturnal. I, 13.
- ↑ Einwohner des Landes Wagrien.
- ↑ Also im Febr. 1018.
- ↑ S. VI, 29 derselbe Ort, der deutsch Egisvilla, Eisdorf genannt wird.
- ↑ Bei Darbringung des Meßopfers.
- ↑ Lucan. 9, 726. Der König Knud oder Kanut ist gemeint.
- ↑ S. oben VI, 56. Die Namen Folkmar und Poppo sind identisch.
- ↑ Salbozi oder Salbke an der Elbe in der Nähe von Magdeburg.
- ↑ Abt vom Kloster Bergen, s. oben VI, 15. Er starb nach den Magdeburger Annalen 1009, und diese Erzählungen sind also ohne feste Chronologie.
- ↑ Er wendet sich hier an seinen Nachfolger.
- ↑ Richtiger hätte Thietmar gesagt: am 24. April, vgl. VI, 27.
- ↑ Vgl. II, 26,
- ↑ Wonclava (Wanzleva), das heutige Wanzleben, liegt etwas südwestlich von Magdeburg.
- ↑ Birgilun, (Bürgeln) liegt auf der linken Seite des Main, etwas oberhalb der Stadt Frankfurt.
- ↑ S. VII, 48.
- ↑ S. VII, 35.
- ↑ Der Gau Plisni lag zwischen Mulde und Elster.
- ↑ Groß- Sömmeringen, s. oben III, 7.
- ↑ Titibutziem lag an der Mulde zwischen Rochlitz und Colditz.
- ↑ Chorun liegt zwischen weißer Elster und Mulde nordwestl. von Colditz.
- ↑ nach Chorun, nicht nach Rochlitz, denn dies letztere war eine Besitzung des Markgrafen Ekkihard von Meißen.
- ↑ Günther, ein Bruder Ekkihards und Hermans, 1008 bis 1024 k. Kanzler, dann Erzbischof von Salzburg, st. 1025.
- ↑ Nicici, eine Landschaft zwischen Elster, Elbe und Mulde.
- ↑ S. VII, 34. u. 35.
- ↑ Grafen von Holland.
- ↑ Der Wald Mirwidu (Merwe) lag an der Mündung des Rheins, östlich von der Stadt Dortrecht.
- ↑ Thiel an der Waal; Balderich hatte den Feldzug mitmachen müssen; nach der Bisthumschronik von Cambrai ist er nur bis Herwarden an der Maas gekommen und da gestorben.
- ↑ Ueber diesen Kometen vgl. Quedlinb. Annalen 1018.
- ↑ Dies ist ein merkwürdiges Mißverständniß, denn Columban lebte zweihundert Jahre vor Karl. Aber in einer Todtenklage um Karls Tod wird mit diesen Worten Columban angeredet, nämlich als Gründer und Schutzheiliger von Bobbio.
- ↑ Dies kann nur der Bug sein.
- ↑ Wohl derselbe Herich, welcher VII, 11 genannt wird.
- ↑ Aus Burgund. Kaiser Heinrich war, von diesem Zuge zurückkehrend, am 2. Sept. 1018 zu Zürich. Vgl. Stumpf, die Kaiserurkunden Nr. 1712.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Herr