Die Czarenstadt im Sommer 1856

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Titel: Die Czarenstadt im Sommer 1856
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 626-628
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Czarenstadt im Sommer 1856.
Nr. 1.
Der Eindruck Moskaus. – Der Bazar. – Eine Straße, die Repräsentantin des alten und neuen Russlands. – Buchhandlungen. – Büchertische. – Der alte Hultschin. – Sein Magazin. – Die russische Kunst. – Der Platz Bautechnisch und seine Kostbarkeiten.

Moskau mit seinen 450,000 Einwohnern macht in der heißen Jahreszeit auf den Beschauer den Eindruck der Oede und Einsamkeit. Das Bedürfnis, sich für einen fast achtmonatlichen Winter durch den Genuss des kurzen, aber rasch erblühenden Frühlings in der freien Natur zu entschädigen, macht sich mehr als irgendwo in einer so ungeheuren Stadt fühlbar, wo in der Sommerzeit der Mehrzahl des gemischten Publikums nur wenig oder sehr kostspielige Entschädigungen für die Entbehrungen des Winters geboten werden. Auch beeilt sich der Gutsbesitzer, mit dem ersten warmen Strahl der Maisonne seine gewöhnlichen Spazierfahrten von 500 bis 1000 Werst zu unternehmen, um sich auf seinen nahen oder fernen Besitzungen einige Monate lang dem Vollgenuss des süßesten far niete hinzugeben. Der wohlhabende Hauseigentümer bezieht seine Datscha im Sokolosero Walde, und Alles, was sonst nur Zeit und Mittel hat, sieht sich, oft schon in den Wintermonaten, nach einem grünen Plätzchen in Moskaus freundlichen Umgebungen um. Von nun an durchrollen wenig Equipagewagen mehr die unendlichen Straßen. Selbst auf der Iljinka, dem Börsenviertel der innern Stadt, wo sonst sich Pferde und Menschen in unablässiger Folge drängen und treiben, ist es still geworden, und auf dem Kusnetzky Most (der Schmiedebrücke), dem Mittelpunkte der Eleganz und der Mode, feiern die glänzenden Magazine, allenfalls sammeln sich Schaulustige an den Fenstern der Kunsthandlungen von Daziaro und Beckers.

Der in allen Städten Rußlands herrschende Gebrauch, dem Großhandel, so wie dem täglichen Handelsverkehr ein besonderes Quartier, einen Bazar anzuweisen, den Rußland mit dem Orient gemein hat, erstreckt sich in Moskau nicht blos auf die innere Stadt, sondern die Vorneigung des Kaufmanns, sich durch die gleiche Lokalität und dieselbe Industrie gleichsam zu associiren, macht sich auch in den entfernteren Straßen und Stadtvierteln bemerkbar. Unabgesehen von dem Einflusse, den die südlichen Nachbarn seit Jahrhunderten dabei auf den russischen Kaufmann ausgeübt haben, mag er ursprünglich wohl auch durch die Idee geleitet worden sein, daß da, wo alle Häuser gewissermaßen gezwungen sind, den gleichen Bedarf auszusuchen, auch die Verkäufer mehr Chancen haben, ihre Waare an den Mann zu bringen.

Vielleicht schreibt sich aus dieser orientalischen Verkehrsweise die Gewohnheit des Käufers her, aus einem Magazine in das andere zu schlendern, und dieselbe Waare erst in zehn Verkaufslokalen zu vergleichen und zu prüfen, ehe er kauft. Daran mußten sich unsere Kaufleute in Deutschland in den Jahren 1813 bis 14 auch erst gewöhnen, wenn damals die russischen Offiziere gruppenweise die Läden, gleichsam zum Spaziergange durchzogen, dann aber auch bei ihren Einkäufen so stattliche Preise zahlten.

Im ungeheuern Moskau entsteht aus diesem Gebrauche für den Käufer der Vortheil, daß er ziemlich genau weiß, wo dieser oder jener Artikel zu finden sei: auf der Mochawaja, auf der Strätenka die Möbelhändler, die Sargverkäufer; in der Nähe des Moskwastroms die Mehl- und Eisenhändler; auf der Iljinka die Schuhmacher, die Hutfabrikanten. Zugleich hat er die Annehmlichkeit der Auswahl und des durch die Konkurrenz bedingten ermäßigten Preises. Dagegen entspringt für den entfernter Wohnenden daraus auch die Unannehmlichkeit, um einer Kleinigkeit willen oft einen halben Tag aufopfern und eine förmliche Reise unternehmen zu müssen, oder für eine Droschka vielleicht mehr zu bezahlen, als der Plunder werth war, dessen er augenblicklich bedurfte. Ist mir zufällig mein Bedarf an Postpapier ausgegangen, brauche ich einen Bleistift, ein Packet geschnittener Federn, ein paar wohlfeile Handschuh, so finde ich das allenfalls etwas näher, aber für einen dreimal höhern Preis, oft auch gar nicht, oder ich muß nach „der Stadt,“ nach den sogenannten „Buden“ fahren, und dabei drei Stunden meiner kostbarsten Zeit verlieren.

Doch an Zeitverlust muß man sich überhaupt in Moskau gewöhnen, und den Ansprüchen an eine regelmäßige Benutzung jeder Stunde, die der Deutsche so gern an sich selbst stellt, allmälig entsagen, je mehr man Land und Leute kennen lernt.

Wenn ich einige müßige Augenblicke habe, so durchwandere ich gern die Nikolskaja, die Straße, welche für mich gewissermaßen die Repräsentantin des alten und des modernen Rußlands ist, so bunte Kontraste bieten hier die hohen, zusammenhängenden, in neuestem Styl aufgeführten Gebäude, die neu ausgeschmückten Kaufmannsläden, die reichen Julai’schen Stahlwaarenmagazine, mit den kleinen, einstöckigen Häuschen, an denen noch immer die alten steinernen Treppen hinlaufen, mit den Krümmungen der Straßen, den vorspringenden Mauern und dem bekannten unendlichen Hofraume, der von dem niedrigen, unansehnlichen Scheremetjeff’schen Häuserviereck umschlossen wird. Hier besuche ich gern die Läden der Bücherantiquare und der kleinen russischen Bücherverkäufer, deren Schilde meist die Aufschrift führen: „– – – auch werden hier Bücher eingekauft und umgetauscht.“ Die größeren russischen Buchhandlungen, deren es wenige gibt, sind hie und da zerstreut. Die ausländischen, namentlich die deutschen von Moritz Arlt, Deubner und Hoss, und die französischen von Urbain, Gautier, Renaud, nehmen noch immer die elegante Schmiedebrücke und deren Umgebungen ein. Eigentliche Verlagsbuchhandlungen gibt es noch nicht. Wer Lust hat, ein Buch herauszugeben, muß es auf eigene Kosten und Gefahr drucken lassen, es müßten denn unbedeutende Broschüren sein, wobei der Buchhändler nichts riskirt.

Die unbedeutendsten Bücherverkäufer, deren Artikel meist für das leselustige Publikum aus der niedern Volksklasse bestimmt sind, haben ihr ambulantes Magazin auf einem Holztischchen längs der Mauer unter einem Leinwanddache ausgebreitet, und verbinden damit häufig eine zweite Industrie, den Verkauf von ordinären Stahlwaaren, Messern, Scheeren, Leuchtern, Vorlegeschlössen. Hat der Verkäufer einmal für den Tag seinen Ausputz gemacht, seine Legenden der Heiligen, das Leben der heiligen Märtyrerin Barbara, Mazeppa’s Abenteuer, die Beschreibung des Troizki’schen Klosters etc. zurecht gelegt, und die Stahlstiche mit dem Leben Jesu und die Ansichten von Jerusalem und dem heiligen Grabe, die er, Gott weiß, welchem Almanach entnommen, auf den Bindfaden gereihet, so ist er fertig. Allenfalls vertieft er sich wohl selbst in das Lesen einer Scarteke, und scheint sich gerade nicht viel darum zu bekümmern, ob er den Mazeppa heute oder morgen verkauft, wenn er nur seine Ruhe hat. Ich möchte ihm zuweilen zurufen, wenn ich ihm gegenüber auf der andern Seite der Straße stehe, und dem gemüthlichen Faullenzer zusehe, was Treuttel in Paris einst dem Dichter Millevoie sagte, den er als Kommis lesend fand: „Jeune homme, vous lisez – vous ne serez jamais libraire

Von den Büchertischchen an der Scheremetjeff’schen gelben Mauer, die ich ihrer Länge wegen gern die chinesische Mauer benenne, komme ich zu den Bücherbrettern, die unter den Durchfahrten und Durchgängen der Häuser schon einen Schutz gegen Wind und Wetter gefunden haben. Hier finden die Liebhaber der französischen Romanliteratur eine reiche Auswahl ganzer und zerstückelter Exemplare des Eugene de Roltelin, Paul und Virginie, Honneur et vertu, Jean Hogar, und dazwischen lange Reihen von Duodezbänden der Histoire universelle par Mr. de Ségur. Hin und wieder ist auch die deutsche und englische Literatur dieser Gattung vertreten. [627] Auf der andern Seite der Straße aber nimmt eine dritte Klasse von Verkäufern in der Hierarchie des Buchhandels eine höhere Stelle ein. Diese haben schon Verkaufslokale, kleine Läden, einige von ziemlichen Umfange; ihre alten Bücher sind neu gebunden, frisch aufgeputzt und mischen sich im anständigen Kleide vortheilhaft mit den neuen Artikeln. Hier entnehmen die Gymnasiasten, die Pensionsanstalten ihren Bedarf, oder setzen denselben nach Verlauf des Schuljahres mit Verlust wieder ab.

Am äußersten Ende der Nikolskaja, gerade neben der kleinen Kirche der Mutter Gottes von Kasan, welche das wunderthätige Bild in sich schließt, steht ein kahles, gelb übertünchtes Häuschen recht im Mittelpunkte der geistigen und geistlichen Industrie, denn ebenda sind auch die Verkaufsläden, in denen ausschließend religiöse und Kirchenbücher in Folio und Quartbänden feil geboten werden, und gegenüber strotzen die Magazine der Verkäufer von Heiligenbildern in ihrem eigenthümlichen Gold- und Silberschmuck. In diesem Häuschen, hinter zwei völlig erblindeten Glasthüren, die Sommer und Winter weit geöffnet sind, und dem Staube, der Hitze und der Kälte freien Zutritt gewähren, hauset mitten unter Bergen und Hügeln von alten Papieren, Heften, Broschüren, Scarteken, Folianten der alte Koltschughin, ein Mann, der, selbst eine antiquarische Merkwürdigkeit, im eigentlichen Sinne „der letzte Antiquar“ genannt zu werden verdient. In dem unscheinbarsten aller Kaftane, der vielleicht einmal blau, vielleicht einmal grau gewesen ist, jetzt aber in Farbe und Gestaltung mit den übrigen Umgebungen im vollen Einklänge steht, regt und bewegt sich mit unglaublicher Behendigkeit ein kleines, graues Männchen, dessen Züge den Stempel der Volksphysiognomie tragen, mit dem Ausdrucke der vollständigsten Intelligenz seines Berufes in dem klugen, beweglichen Blicke, in den kleinen, lebhaften Augen, die allein errathen lassen, daß man hier nicht mit dem gewöhnlichen Manne des Volkes zu thun habe, sondern mit einem Originale, mit dem Typus der Bücherantiquare.

Ganz Rußland, glaube ich, kennt den alten Koltschughin, und er kennt die europäische Bücherwelt auswendig, die seit einem halben Jahrhunderte durch seine Hände gegangen ist. Wenn man überall umsonst nach einem vergessenen Autor, nach einer verschollenen Broschüre, einem längst begrabenen Buche gesucht hat, Koltschughin hat es, Koltschughin findet es auf. Er ist nicht blos Kenner aller alten und neuen Auflagen, aller herabgesetzten Ladenpreise der in- und ausländischen Literatur; er kann auch Rechenschaft geben vom Verfasser und vom Inhalte des Buches. Er liest und spricht Nichts als seine Muttersprache; aber ein merkwürdiger Instinkt, die Gewohnheit zu vergleichen und zu tauschen, zu gewinnen und zu verlieren, – die Praxis eines halben Jahrhunderts vertreten bei ihm die Schulbildung.

In seinem Magazine ist Koltschughin der gewöhnliche Bücherhändler. Sein Lokal bietet das Bild der vollständigen Zerstörung von Babylon. Bücherhaufen thürmen sich, durcheinander geworfen auf Bücherhaufen, vor uns, hinter uns, neben uns. Auf der Verkauftstafel liegt es bunt und hoch durcheinander. Tausende von halbzerrissenen Heften und halbgebundenen Büchern verwehren den Zutritt zum Ladentisch; man lehnt sich auf Bücher, man geht und stolpert über Bücher. Wahre Festungswerke verpallisadiren den Zutritt zu den Regalen; dichter Staub ruht auf diesen undurchdringlichen Massen. Aber über denselben herrscht der Meister mit völliger Klarheit. Er ist in seinem Labyrinth zu Hause wie der geübte Spieler auf dem Schachbrette. Er repräsentirt allein das Gesammtpersonal seines Geschäfts. Auf seinen Wink klettern zwei kleine, schmutzige, zerrissene Gnomen an den Wänden auf und ab, durchwühlen den Boden wie die Ameisen, und ehe fünf Minuten vergehen, hat der Käufer das Verlangte in den Händen.

In seiner Behausung aber wird Koltschughin zum eigentlichen Antiquar. Dort ruhen die wahren Schätze des „Alten vom Berge,“ Manuskripte, Pergamentrollen, Dokumente, oft von hohem Werthe für den Kenner, und die er auch dann nur an’s Tageslicht bringt, wenn irgend ein Archäologe, ein Professor der Universität, ein alter, bewährter Kunde bei ihm einspricht. Man sagt, Personen vom höchsten Range, Kenner und Liebhaber des Alterthums, verschmäheten nicht, von Zeit zu Zeit Koltschughin’s staubiges Heiligthum zu besuchen. Fragt man ihn, woher er diese Seltenheiten habe, so lächelt er freundlich, und ein: „slutschaino“ (durch Zufall) ist Alles, was man von ihm erfährt. Geschmeidig und behend, wie ein Ohrwürmchen, empfängt er mit demselben Lächeln einen Griwenik (10 Kopeken) für ein Asbuka (Abcbuch) wie einen halben Imperial für Puschkin’s Gedichte, und geleitet mit einem eben so höflichen „ne Isjae,“ (es geht nicht) den knausernden Käufer zur Thüre hinaus. Nur, wenn ihm ein Gymnasiast für ein flottes Schulbuch die Hälfte bietet, heißt es kurz: „Mischka na Mästo!“ Michel, hinauf damit!“ und Oltrogge’s oder Galachoff’s Chrestomathie fliegt dem obenstehenden Gnomen in die Hände.

Koltschughin gehört mit zu den Moskowitischen Merkwürdigkeiten: wenn er gestorben sein wird, gibt es für ihn keinen Nachfolger mehr.

Neben den Bücherantiquaren ist auf der Nikolskaja auch die Kunst vertreten, aber freilich die Kunst in ihrer Kindheit, so wie das Volk sie liebt und verlangt, unter den Thorwegen und Durchgängen der Häuser, bunte Bilderbogen so blau und roth als möglich, Bilder, die das Volksthümliche lebhaft bezeichnen. Vor allem religiöse Gegenstände, Prozessionen, Abbildungen von Klöstern und Kirchen, das Vaterunser in Bildern und kalligraphischen Schnörkeln, Himmel und Hölle, der alte Drache, der mit offenem Rachen die verdammten Seelen verschlingt und daneben die Himmelsleiter mit erklärenden, Texte. Nächst diesen ist der russische Patriotismus repräsentirt durch unzählige Bildnisse der kaiserlichen Familie, deren zahlreiche Mitglieder jeder Russe der Reihe nach aufzuzählen weiß, durch, die Portraits der Helden von Sebastopol, die Schlachten an der Alma und bei Sinope, das Bombardement von Odessa, – wo freilich den Türken und Engländern immer schlimm mitgespielt wird, die Russen immer Sieger bleiben. Daneben reihen sich rohe Holzschnitte mit Scenen aus dem gemüthlichen Volksleben, mit kuriosen Versen und dramatisirten Erläuterungen versehen, Tänze, Hochzeiten, Volksspiele, wohl auch Ehestandsgeschichten, vor denen häufig der ungelehrte Bauer stehen bleibt und sich von einem gramotny d. h. gelehrten Landsmann, – der lesen und schreiben kann, – den Text erklären läßt. Ich war gestern überrascht, auf zwei erbärmlichen Holzschnitten ein paar deutsche Fabeln illustriert zu sehen. Gellert’s Gespenst und der Dichter, und die Widersprecherin, mit freier poetischer Nachahmung, die ich nachgerade wohl den Gellertschen an die Seite stellen möchte. Der Russe hat überhaupt Talent zur naiv-poetischen Darstellung und gemüthlichen Auffassung; wer Kriloffs Fabeln gelesen hat, wird ihm gern den Beinamen des russischen Lafontaine zugestehen. Ich kaufte die Bilder für ein paar Kopeken und weckte dadurch die Neugierde eines langbärtigen Tagelöhners, der an dem langen Schwanze des Teufels, den der Dichter in der Hand hält, besonderes Wohlgefallen fand. Ich las ihm die Verse vor, und er fand sie so spaßhaft, daß er sich auch ein Exemplar geben ließ. Hier und da fesseln mich Bilder, die mir die Jahre meiner Kindheit zurückrufen und mich zur Zeit der Leipziger Ostermesse auf die Teerstraße versetzen, wo ich so oft Stunden lang an den Läden der Bilderhandlee weilte. Atala und Chaitas, Paul und Virginie, Maria Antoinette mit einem einzigen Federstrich portraitirt, der Herzog von Braunschweig-Oels an seinem Pferde lehnend, – haben sich seitdem nach Moskau verirrt, und finden, trotz der lamentablen Kopien doch immer noch ihre Liebhaber und Abnehmer.

Noch gibt es in Moskau, wo man einen besondern Platz kennt für die Tagelöhner, Zimmerleute, Ammen, Köchinnen, die Dienst suchen, einen besondern Platz für die Trödler, der auch wohl unter dem unästhetischen, aber sehr bezeichnenden Namen des „Lausemarktes“ bekannt ist, einem Platze, wo sogar ausschließend Hunde und Jagdflinten ausgeboten werden – hier gibt es auch einen Platz, wo mitten unter allen nur ersinnlichen Utensilien, die Haus und Hof, Wirthschaft und Wissenschaft in Anspruch nehmen, die Antiquare des Sonntags ihre Schätze feil bieten. Es ist der Platz bei der Sucharewai, Baschniae, dem Suchareff-Thurme, von dessen Höhe herab zwei ungeheure Bassins das Trinkwasser über ganz Moskau vertheilen. Doch das sind gewissermaßen blos Kommanditen, oder momentane Verkaufslokale, die am Morgen entstehen, des Abends wieder verschwinden, und wo der Spekulationsgeist des Bücherkrämers oft aus seinem Kramladen auf der Nikolskaja oder der Strätenka nur das Schlechteste oder Gangbarste auf einige Stunden ausstellt. Hier finden vorzüglich die Studenten und Gymnasiasten ihren Bedarf, wenn sie sich mit einem zerrissenen, oft von Schnee, Regen und Staub getränkten Exemplare begnügen wollen. Wer aber die Geduld hat, Jahr aus, Jahr ein, jeden Sonntagsmorgen einige Stunden hier zu opfern, und der zugleich den Händlern als ein „guter [628] Kunde“ bekannt ist, findet doch zuweilen eine Perle unter der Spreu, dann und wann auch einen alten Bekannten, der sich aus unserer Wohnung unerlaubter Weise entfernt und hier verkrochen hat. So tauschte ich gestern gegen einen Silberrubel die sämmtlichen Shakesspeare’schen Dramen in schönem Druck der französischen Uebersetzung ein. Ein alter Bekannter, ehemals Tanzlehrer, und nebenbei Bibliomane, rühmte sich, seit dreißig Jahren nicht einen einzigen Sonntag beim „Thurme“ gefehlt zu haben. Die Sammlungen die er in dieser Zeit gemacht hat, nehmen zwei große Zimmer ein, und übersteigen an Werth hundert Mal den dafür gezahlten Preis.