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Die Dankreden

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Die Dankreden
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 4, S. 230–232
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[230] Die Dankreden. – Eine uns heute recht eigenartig berührende Sitte der Schauspieler des 18. Jahrhunderts bestand darin, [231] dem Publikum nach einem gut verlaufenen Gastspiel bei der letzten Vorstellung eine Dankrede zu halten, die mit mehr oder weniger Geschick in die Rolle hineinkomponiert wurde. So gastierte 1778 die Niesersche Theatergesellschaft, die zum kurfürstlichen Hoftheater in Mannheim gehörte, mit großem Erfolge in München. Als letzte Aufführung am 15. September gab es Shakespeares „Romeo und Julia“, worin Madame Heiglin, die schnell der erklärte Liebling des Publikums geworden war, die Julia spielte.

Um nun den Münchnern die übliche Dankrede zu halten, fügte sie in der Schlußszene des dritten Aktes, als sie eben den Schlaftrunk genommen hatte, folgendes ein: „Julie, das soll ein langer, langer Schlaf werden! Wie, wenn du nicht mehr erwachtest? Auf alle Fälle nimm immerhin Abschied von denen, die dir lieb sind! – Ihr hohen Gönner, Gönnerinnen, Freunde, Liebhaber deutscher Kunst! Julie dankt Ihnen mit warmem, gefühlvollem Herzen für den Beifall, den Sie ihr so huldvoll geschenkt haben. Es liegt hohes Entzücken für den Künstler im Gedanken, den Kennern nicht gleichgültig gewesen zu sein, und es ist grenzenlose Wonne für mich, in Ihren Blicken zu lesen, daß ich‘s nicht war; wenigstens war volles Bestreben in mir, Ihnen Walltrons leidende Gattin, Tellheims liebende Minna, Humbrechts unglückliche Tochter, Ferdinandos glühende Stella nahe ans Herz zu legen. Und risse mich nicht Blut und Pflicht und Redlichkeit von hier, ich würde rastlos daran arbeiten, mich Ihres Beifalls für immer zu versichern. Vielleicht, daß mein Platz, vielleicht, daß ich – – Doch, Julie, was willst du? Die ‚Vielleicht‘, die du sagen wolltest, sind so schmeichelhaft für dich, daß du darauf stolz werden könntest, und ich möchte nicht gerne, Julie, daß du mit einer Sünde zu Bette gingest. Aber sollte das eigensinnige Schicksal mich nie wieder hierher führen, oh, dann vergessen Sie wenigstens nicht, daß Sie eine Schauspielerin sahen, die den Beifall der Kenner und das Vergnügen des Publikums zum Endzweck ihrer Kunst machte. Julie wird sich Ihrer oft und mit Sehnsucht erinnern: eine so gute Nation, die Karl Theodor, der Stützer der Künste, beherrscht, verläßt der scheidende Künstler mit zurückgewandten Augen und [232] wünschendem Herzen! – Nun magst du schlafen, Julie! – Gute Nacht!“

Dann legte sie sich unter stürmischem Beifall und jubelnden Zurufen ihrer Rolle entsprechend auf das Ruhebett.

W. K.