Die Dresdener Oper

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Autor: Franz Koppel-Ellfeld
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Titel: Die Dresdener Oper
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 864, 867–869
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Lauterbach. Gudehus. Clementine Schuch. Hagen. Therese Malten. Scheidemantel. Grützmacher.
Pappoldi. Louise Reuther. Graf Platen. Schuch. Laura Friedmann. Fürstenau.
Riese. Bulls. Decarli. Erl. Irene v. Chavanne.


Die Dresdener Oper.
Portraits ihrer hervorragenden Mitglieder. Nach Photographien auf Holz gezeichnet von C. Kolb.

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Die Dresdener Oper.
Von Franz Koppel-Ellfeld.

In seinem Buche „Das norddeutsche Theater“ äußert Laube, wo jetzt ein neues Theater gebaut werde, da lasse man sich verführen, den „Tempel“ mit allem möglichen Aufwand aufzurichten und Unsummen in ein Haus zu stecken, in welchem schließlich nur die Oper am Platze sei, deren bekannte Kostspieligkeit ohnehin über kurz oder lang die Theaterleitung zum Bankerott führen müsse. Es sei überhaupt eine Verirrung, monumentale Theatergebäude zu errichten, da doch allen an die Stirn geschrieben stehe, daß sie heute oder morgen abbrennen müssen. Ja, daß dabei nicht einmal die steinernen Umfassungsmauern stehen zu bleiben brauchen, das haben die zerbröckelten Trümmer des alten schönen Dresdener Hauses zum Schrecken Aller dargethan. Nach Laube’s Ansicht hätte man also nach dem Brand, der im September 1869 das Dresdener Hoftheater, „eine der vollendetsten Schöpfungen der neuern Kunstgeschichte“, vernichtete, am besten daran gethan, von einem ähnlichen Theaterneubau gänzlich abzusehen. Die öffentliche Meinung aber und maßgebende Kreise entschieden bekanntlich dahin, daß Gottfried Semper berufen werde, sich durch einen zweiten möglichst ähnlichen Theaterbau auf demselben Platze in Dresden zu verewigen. Der Meister jedoch wollte nicht zum Plagiator an sich selbst werden und, theils den gesteigerten Luxus moderner Ausstattung berücksichtigend, theils unausgeführte Entwürfe für ein Opernhaus in Rio de Janeiro und ein Wagner-Theater zu München als praktische Vorstudien benutzend, stellte Semper einen neuen Kunsttempel hin, mit dem sich wenig Theater vergleichen können, sowohl was Pracht und Herrlichkeit, Phantasie und edle Formengebung des Aeußern, als auch was die Poesie und dekorative Feierlichkeit der Innenräume anlangt.

Als dieses Haus am 2. Februar 1878 eröffnet wurde, sah Jedermann, obgleich oder gerade weil ein Schauspiel (Goethe’s „Iphigenie“) gegeben wurde, daß es ein Opernhaus sei. Soweit hat Laube auch in diesem Fall Recht behalten. Unter den Fachnotabilitäten, die am Eröffnungsabend die Würde und Schönheit der beiden Treppenhäuser und des dazwischenliegenden Foyers bewunderten, ragte die hohe Gestalt des Herrn von Hülsen hervor, der bei aller ihm eigenen vornehmen Zurückhaltung nicht umhin konnte, vernehmlich zu äußern: „Dies Haus wäre sogar für Berlin zu prächtig. Das wird Ihr König auf die Dauer gar nicht aushalten.“

Der verstorbene Berliner Generalintendant war ein kluger Hof- und Geschäftsmann, aber er hat sich gründlich geirrt: er hat den zu jedem Opfer allezeit bereiten Kunstsinn König Albert’s gröblich unterschätzt. Auf denselben gestützt, blüht das Dresdener Hoftheater nun schon seit einem Jahrzehnt in seinem Prachtbau. Das heißt, ein kunstgedeihliches Leben führt eigentlich nur die Oper; das Schauspiel gastirt so zu sagen nur im „großen Haus“ – und befindet sich wohler im Neustädter Hoftheater. Die Dresdener Oper aber, die sich zu verschiedenen Zeiten eines Weltrufes erfreute, verdient ihn heute so gut wie irgend jemals. In der Geschichte der Oper (die nach Riehl’s geistreichem Ausdrucke eine „Kriegsgeschichte“ ist) spielt Dresden überhaupt eine erste Rolle. Von Haus aus ist die Oper allerdings italienisch; sie ist ein Kind, man kann sagen ein Findelkind der Renaissance. In jenen schönheitstrunkenen Tagen legten sich nämlich die platonischen Fanatiker zu Florenz, welche dem ganzen klassischen Alterthum eine Auferstehung wünschten, die Frage vor: wie wurde denn in der antiken Tragödie eigentlich vorgetragen? Es wurde nicht gesungen, es wurde nicht gesprochen: es wurde eben recitirt. Diese Recitation suchten sie nun in Florenz mit allen Hilfsmitteln des Rhythmus und der Harmonie nachzuahmen und gelangten auf diese Weise zum dramatischen Recitativ; noch einen Schritt weiter – und nicht das antike Drama, sondern die moderne Oper war entdeckt. Es war sogar eigentlich schon die Richtung eingeschlagen, die zu Gluck’s und Wagner’s Musikdramen führen mußte.

Zunächst aber war nur ein ästhetischer Wechselbalg, die Oper, in die Welt gesetzt, und bald sollten alle Höfe des Abendlands an den gesungenen Schau- und Prunkstücken die finanzwidrigste Freude haben.

Die erste Oper war die „Dafne“ des Jac. Peri, welche 1596 im Palazzo Corsi zu Florenz aufgeführt wurde. Der erste Schritt, den sie in die Welt that, war von Florenz nach Elbflorenz. Daß sie zufällig zuerst bei einem Hoffest in Torgau (1627) zur Aufführung kam, ist nebensächlich; der kurfürstlich sächsische Kapellmeister Heinrich Schütz hatte die italienische Pflanze nach Sachsen importirt. Die Kurfürsten hatten immer auf eine gute Kapelle gehalten. Schon hundert Jahre früher hatte Kurfürst Moritz den Sing- und Musikmeister Johann Walther, einen Freund Luther’s, nach Dresden berufen zur „Aufrichtung einer ehrlichen großen Singerei“. Der Anlauf war gut gemeint; aber schon unter dem eben genannten Schütz gerieth die aus den ursprünglichen „Zinkenbläsern und Chitarristen“ zum großen Orchester sich entwickelnde sächsische Kapelle in das italienische Fahrwasser, in welchem übrigens das ganze Rokoko-Dresden sich bewegte. Der Stil der venetianischen Musikschule wurde herrschend, und war die „Dafne“ noch in deutscher Bearbeitung (von Opitz) gegeben worden, so hielt nunmehr die italienische Hofoper mit italienischem Text ihren Einzug; ja man ließ jetzt nur wälsche Sänger und Sängerinnen für vieles Geld und gute Worte oder Orden von jenseit der Alpen in das „barbarische“ Deutschland engagiren. Das nicht große, aber unerhört prächtige Dresden war damals eine Weltstadt, wenigstens eine Stadt der großen Welt und seine italienische Hofoper hatte einen Weltruf.

Das erste Opernhaus am Taschenberg mußte unter Friedrich August II. einem luxuriösen Prachtbau Platz machen, in welchem der berühmteste Komponist damaliger Zeit, der geniale Hasse, den Taktstock schwang. Dresden wimmelte von italienischen Sängern, und eine Diva wie Faustina, Hasse’s vergötterte Gattin, bezog 12 000 Thaler Gage, der erste Kastrat nicht viel weniger; für die Ausstattung einer Oper wurden 50 000 Thaler (sage Thaler) ausgegeben, und dabei gab es kein Eintrittsgeld; der Landesherr zahlte Alles aus seiner Tasche; Publikum und Kritik existirte nicht. Zu jeder Vorstellung wurden Hoffähige oder elegante Abenteurer, [868] die gerade Dresden unsicher machten, „befohlen“. Das konnte natürlich nicht ewig so fortgehen, und nachdem die italienische Hofoper unter dem vortrefflichen Naumann von Blasewitz noch eine kurze Periode der Grazie und italienisch-sächsischen Liebenswürdigkeit durchgemacht hatte, gab der Hof aus Rücksichten der Oekonomie sein Opernmonopol auf und subventionirte Unternehmergesellschaften, wie die der Brüder Seconda.

Nach den Befreiungskriegen raffte man sich in Deutschland dazu auf, das ausländische Opernjoch abzuschütteln. In Dresden ging man den am wenigsten steilen Mittelweg, die italienische Oper beizubehalten und die Begründung einer nationalen deutschen zu gestatten. Neben dem Italiener Morlachi tauchte der Deutsche Karl Maria von Weber auf. Dieser deutsche Kapellmeister war zugleich der deutscheste von unseren großen Tondichtern, und erst durch ihn, von seinem „Freischütz“ an, wurde der Kampf gegen die italienische Oper volksthümlich. Selbstverständlich waren die Augen der ganzen gebildeten Welt damals auf die Dresdener Oper unter Weber gerichtet. Sie richteten sich aber später und vielleicht noch mehr auf einen der Nachfolger Weber’s auf dem Dresdener Kapellmeisterstuhl, auf Richard Wagner, an dessen Namen sich die größte Umwälzung auf dem Gebiete der Oper für alle Zeiten knüpfen wird. Es giebt eine Brücke, die von Weber zu Wagner führt – die „Euryanthe“. Weber schrieb über die Aufnahme und Aufführung das Folgende: „Die Schröder hat das Höchste geleistet. Alle waren vorzüglich, die Chöre ausgezeichnet und die Kapelle spielte mit einer Vollendung der Nüancirung, wie man sie nur bei uns hören kann.“

So von Weber vorbereitet, wurde die Dresdener Oper unter Richard Wagner zur Wiege der neuen Schule in der dramatischen Musik. „Rienzi“, „Der „Fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ erblickten hier unter des „Meisters“ eigener Leitung das Licht der Welt, Sangesgrößen wie Tichatschek, Mitterwurzer. die Bürde- Ney machten siegreich Propaganda für den Glauben an die „Musik der Zukunft“.

Um so mehr konnte es auffallen, daß später, als der „Revolutionär“ Wagner längst amnestirt war, sich Dresden geraume Zeit Werken wie „Tristan und Isolde“ und dem „Ring des Nibelungen“ gänzlich verschloß. Allein es walteten eigenartige Rücksichten. und kaum hatten dieselben aufgehort, ein Hinderniß zu bilden, so erlebten die genannten Werke hier so vollendete Aufführungen, daß der Ruf derselben sich rasch überall hin verbreitete. Kein Wunder: denn es galt eben noch, was Weber über die Euryanthe-Aufführung gesagt hatte: „Alle waren vorzüglich!“

Die königlich sächsische Kapelle ist auch in ihrer heutigen Zusammensetzung ein vollendeter musikalischer Organismus; sie streitet mit der Wiener und Münchener um die Palme. Was die erstere an Glanz der Violinen, die andere an stilistischem Ausdruck etwa voraushaben mag, das ersetzt die Dresdener Kapelle durch den ihr einzig eigenen wundervollen Klang der Bläser, namentlich der Holzbläser. Die beiden ersten Koncertmeister, Johann Lauterbach und Ed. Rappoldi, zwei Geiger ersten Ranges, der Erstere durch sein seelenvolles, der Andere durch sein stilvolles Spiel bekannt, sowie der berühmte Koncertvirtuos Grützmacher, als Führer der Celli, und der als musikschriftstellerische Autorität anerkannte Flötist Moritz Fürstenau haben in unserem Gruppenbild Aufnahme gefunden. Leider beschränkt der knappe Raum den Stift des Zeichners wie die Feder des Textschreibers unerbittlich auf ein paar Repräsentanten der auserlesenen, fast nur aus ebenbürtigen Elementen bestehenden Künstlerschar, von welcher ganz eigenartige Meister auf ihrem Instrumente, wie der schon unter Wagner blasende Hornist Hübler, der Violinist Feigerl, der Klarinettist Demnitz, der Cellist Böckmann, der Flötist Bauer und der Trompeter Fricke, hiermit wenigstens genannt sein mögen.

An der Spitze der Kapelle steht gegenwärtig kein bahnbrechender Komponist, sondern nur ein Kapellmeister, aber ein Direktionsgenie von Gottes Gnaden: Ernst Schuch. Es ist wunderbar, wie er und das Orchester einander verstehen; er braucht nur zum ersten Taktschlag auszuheben, so ist eine Art elektrische Verbindung zwischen beiden hergestellt. Das Orchester scheint das beseelte Instrument in der Hand des Meisters. Als blutjunger, mit der Artöt-Padilla’schen Operngesellschaft reisender Kapellmeister kam Schuch im Anfang der siebziger Jahre nach Dresden. Als der Sohn eines wohlhabenden Gutsbesitzers in Steiermark sollte er auf der Universität Graz das Studium der Rechte absolviren, sattelte jedoch vor Thorschluß um und wurde Musiker mit Leib und Seele.

Als er bald darauf die genannten Italiener nach Dresden begleitete und am Pult, welchen der etwas schwerfällig gewordene geniale Generalmusikdirektor Rietz mit dem hochbetagten Krebs theilte, den Taktstock schwang, da konnten die ältesten Kapellmitglieder nicht umhin, ihr freudiges Erstaunen zu äußern über die Geistesgegenwart und Sicherheit bei so viel Schwung und Jugendfeuer, bei solcher Eleganz und Findigkeit. „Er ist schneidig und geschmeidig,“ hieß es damals ... und die Nachricht, daß der jugendliche Maestro über Nacht fest engagirt worden sei, war für Alle eine angenehme Ueberraschung. Aber eine größere Ueberraschung für die Kenner war es, wie rasch Schuch sich, als der volle Ernst an ihn herantrat, in ungewohnte, große, ja die größten Aufgaben hineinzuleben verstand, so daß er heute den allerersten Dirigenten der Gegenwart ebenbürtig angereiht werden muß.

Ihm ist als Kollege beigesellt Kapellmeister Adolf Hagen, ein vorzüglich geschulter Musiker und bewährter Dirigent, ruhig und maßvoll in der Ausführung, unermüdlich im Studium, eine Arbeitskraft, die ihres Gleichen sucht.

Von den Dresdener Opernkoryphäen nun, die unser Gruppenbild darstellt, darf mit Recht Therese Malten zuerst genannt werden. Sie ist im vollen Sinn des Wortes auf der Dresdener Bühne groß geworden. Als schüchterne Anfängerin kam sie von Danzig nach Dresden und machte in dem Interimsrundbau, der sog. „Bretterbude“, ihre ersten Versuche. Wer glaubt es heute dieser im Sturm die Hörer mit fortreißenden Brünnhilde, dieser jedes Auge zu Thränen rührenden Isolde, daß sie ein Kind des Nordens sei? Wer versteht es wie sie, alle die stolzen und süßen Gefühle des heroischen wie des tragischen Liebeslebens im Gesang ausströmen zu lassen? Die Malten ist darum eine dramatische Sängerin ersten Ranges, weil die Leidenschaft voll und echt mit elementarer Gewalt in ihren Gestalten zum Durchbruch kommt, und für eine unvergleichliche Wagnersängerin muß sie um so mehr gelten, als der deklamirende Recitativgesang ihre eigentliche Stärke und sie, was Erscheinung und Bühnenrepräsentation anlangt, im Besitz der glänzendsten Mittel ist.

Auch Clementine Schuch ist an der Bühne, der sie zur Zierde gereicht, groß geworden. Sie kam aus dem sonnigen Süden, den süßen Wohllaut von Haus aus in der Kehle; feurig, sprühend, heiter, mit dem ganzen Reiz einer durch keine Verbildung getrübten Naivetät. Das einstige Fräulein Proska, welches von frühester Jugend an eine musterhafte musikalische Anleitung bei einem Organisten erhalten hatte und später mit Nummer Eins in allen Fächern vom Wiener Konservatorium abging, zog es gleich zu Beginn der theatralischen Laufbahn nach Dresden: „der Zug des Herzens war des Schicksals Stimme“. Frau Schuch, mit Recht die „Sächsische Nachtigall“ genannt, ist eine weit über Deutschland hinaus gefeierte vollendete Gesangskünstlerin, die zugleich als feine Darstellerin und Meisterin in dem von ihr mit Anmuth und Geist behandelten, stets glockenreinen verzierten Gesang ihres Gleichen suchen dürfte.

Das Fach einer ersten Altistin ist gegenwärtig wohl nirgends in so jungen Händen wie in Dresden, wo die seit kaum zwei Jahren erst der Bühne angehorige Irene v. Chavanne täglich überzeugendere Proben davon ablegt, welcher großen Zukunft sie entgegengeht. Eine umfangreiche, sonore, biegsame Stimme, bei welcher Einem einfällt, was die Engländer einst von der Jenny Lind sagten: „maidenhood is in her voice“ (Jungfräulichkeit tönt aus ihrer Kehle); Fleiß und Hingebung – diese allein genügen schon, um das Publikum schon jetzt für jede Leistung der jungen Künstlerin zu interessiren. Auch Louise Reuther hat im Interimsbau den ersten Schritt in die Oeffentlichkeit gethan: eine sympathische Erscheinung, sanftes Feuer und innige Empfindung verschmelzen sich in ihrem Gesang, naive Lieblichkeit und würdevoller Anstand in ihrer Darstellung, und so ist sie eine unentbehrliche Stütze des Repertoirs geworden. Als eben solche wetteifert Laura Friedmann mit ihr, eine vorzüglich geschulte Koloratursängerin voll frischen, rasch pulsirenden Lebens.

Unter den Sängern des Gruppenbildes mag Heinrich Gudehus als ebenbürtiger Wagner-Partner der Malten zuerst erwähnt werden. In der hochstämmigen Gestalt, dem offenen Wesen und hell schimmernden Auge prägt sich die friesische [869] Abstammung des Künstlers aus. Er macht das alte Wort, „daß die Friesen nicht singen“, zu Schanden: vom Volksschullehrer zu Bremen schwang er sich, von Talent, Fleiß und Willensstärke beflügelt, rasch zum Wagner-Tenor ersten Ranges und zum allgemein bewunderten, heute wohl unerreicht dastehenden „Siegfried“ empor. Gudehus ist ein heller schneidiger Tenor eigen, den keine noch so hohe Stimmlage genirt, für den es keine Ermüdung giebt und der sich, im Anfang spröd und hart, immer breiter und wohlklingender entwickelt hat.

Diesem ausgesprochenen Wagner-Sänger könnte ausgesucht kein passenderer Heldentenor zur Seite stehen, als Lorenzo Riese. Kein Jüngling mehr an Jahren, ist derselbe noch immer im ungeschmälerten Besitz einer der größten, metallreichsten und wohlklingendsten Tenorstimmen am ganzen deutschen Theater. Ueber den hohen Tönen liegt „herrlich wie am ersten Tag“ ein bestrickender Schmelz unvergänglicher Jugend. Wenn schon Riese, abgesehen von kleinen Eigenheiten, die man bei sogenannten Koryphäen manchmal in Kauf nehmen muß, für einen Repräsentanten der guten alten Gesangschule gelten kann, so ist dies wahrscheinlich noch viel mehr der Fall beim ersten lyrischen Tenor der Dresdener Oper – Anton Erl. Als er, der Sohn des seiner Zeit berühmten Wiener Tenoristen, noch der komischen Oper in Wien angehörte, hat ihn der Kompoist Delibes bereits für den besten Spieltenor erklärt. Erl ist zum Sänger geboren; er konnte sich dem Bühnenberuf auch dann nicht mehr entziehen, als er schon, ein Lieblingsschüler Rahl’s, auf der Wiener Malerakademie die Proben unbestreitbaren Malertalents abgelegt hatte. Wie vielseitig er ist, erhellt daraus, daß er den Almaviva singt, wie er sein soll, den Ottavio, wie er geschrieben steht, und den Loge und David in „Rheingold“ und „Meistersinger“, wie der Meister sie gewollt hat.

Am Dresdener Theater werden beiläufig bemerkt die Wagner-Oper und im Gegensatz zu derselben die sogenannte Spieloper in gleicher Vollendung herausgebracht. Ein Sänger wie Erl trägt das Seinige redlich dazu bei. An Stimmglanz aber überragt alle seine Kollegen um eines Hauptes Länge Paul Bulß, ein geradezu phänomenaler Bariton, der Milde und Stärke, dramatische Tonenergie und lyrische Weichheit der besten deutschen Sänger mit einer sonst höchstens einmal bei Italienern sich findenden, Alles überstrahlenden Höhe verbindet. Man würde diesen flotten, feurigen, in der üppigen Tonfülle sich selbst genießenden Sänger und Darsteller überhaupt für einen Italiener halten, wenn man nicht wüßte, daß er in der Mark Brandenburg zu Haus ist und seine Gymnasialbildung in der bilderbogenreichen Stadt Ruppin erhielt. Der Humor freilich, den Bulß im Vortrag launiger Lieder an den Tag legt und der ihm auch auf der Bühne zu Statten kommt, ist echt norddeutscher Herkunft. An Bulß stimmlich freilich nicht ganz heranreichend, ihm aber ähnlich und doch wieder von ganz anderem Schrot und Korn in seinem ganzen künstlerischen Wesen ist Karl Scheidemantel, über dessen markig vollem schönen Bariton noch der ungebrochne Zauber der Jugend liegt. Eine scheinbar nach innen gekehrte Künstlernatur, arbeitet Scheidemantel unbeirrt an sich selbst, bekämpft die Neigung zu sentimentaler Verschwommenheit, ringt nach fester Gestaltung und geht vollbewußt auf das Doppelziel eines ersten Theater- und Koncertsängers aus.

In Beziehung auf große Baßstimmen ist die Dresdener Oper, die rasch hinter einander Scaria, Köhler, Fischer und Andere eingebüßt hat, zunächst etwas auf die Zukunft angewiesen. Eduard Decarli, der, ohne alt zu sein, nicht mehr über des Basses Grundgewalt verfügt, mit der er einst das Haus erzittern machte, hat sich als unschätzbares Gut in der Noth erwiesen. Von Haus aus für die wuchtigsten Partien angelegt, ein trefflich geschulter seriöser Baß, hat er bei seiner hervorragenden musikalischen Begabung sich neuerdings mit Erfolg der Spieloper und dem derb realistischen Genre zugewendet. Er und der im Gruppenbild leider nicht vertretene musikalisch feste Baß Wilhelm Eichberger können getrost mit dem besten italienischen Baßbuffo in die Schranken treten. – Ueberhaupt müssen, obschon oder vielmehr weil sie in dem engen Rahmen unseres Bildes keinen Platz mehr fanden, als Zierde und Stütze der Oper noch ganz besonders erwähnt werden die junge talentvolle, einer schönen Zukunft entgegen gehende Therese Saak (gute Elisabeth, vorzügliche Elsa) und der wieder engagirte Baritonist Schrauff (ausgezeichneter Telramund). Neben diesen tragen gediegene Künstlerinnen, wie Elise Sigler, Mathilde Hummel, Hedwig Schacko und Maria Jahn (beide noch im allerjugendlichsten Alter), und Künstler wie Jensen (Papageno; Alberich), Kruis (der beste Mime), Meincke und Gutzschbach so wesentlich zu dem von jeher berühmten und heute wie nur je durch den Klangreiz des Orchesters und der prächtigsten Stimmen glänzenden Ensemble bei, daß es schweres Unrecht wäre, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Auch der Regie (Karl Ueberhorst) ist zu gedenken. Ihren eigenen Specialartikel aber verdienten der geniale Obermaschinenmeister Witte, sowie der sein elektrisches Licht in vielen Theatern der Welt leuchten lassende Beleuchtungsinspektor Bär und das ganze in ununterbrochener ferienloser Arbeit und Pflichttreue wetteifernde technische Personal.

Eine Unterstützungskasse für die Wittwen und Waisen des letzteren ins Leben gerufen zu haben, ist gewiß im schönsten Sinn kennzeichnend für den obersten Leiter und „Generaldirektor“ der königl. sächsischen Hoftheater – den Reichsgrafen Julius von Platen-Hallermund, dessen Name aber auch in anderem, gleich ehrende Erinnerung wie die „Platen-Stiftung“ weckenden Sinn für immer in der Geschichte des Dresdener Hoftheaters fortleben wird. Denn als eine Platen-Schöpfung könnte man, ohne zu übertreiben, den gegenwärtigen blühenden Zustand dieses vornehmen Kunstinstitutes und besonders der Oper recht wohl bezeichnen.

Als nämlich nach den Ereignissen des Jahres 1866 Graf Platen dem Dresdener Hoftheater vorgesetzt wurde, schien dasselbe durch schwer zu vermeidende Verluste und Katastrophen in seiner Entwicklung bedrohlich gehemmt; allein in aller Stille vollzog sich der Umschwung zum Besseren und dieselbe organisatorische Kraft, die sich schon in Hannover glänzend bewährt hatte, versagte auch in Dresden nicht und schuf eine Periode der Blüthe, welcher wir an dieser Stelle in Wort und Bild Ausdruck zu geben versuchten.