Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Grôgaldr
Ich wecke dich am Todtenthor.
Gedenkt dir des nicht? Zu deinem Grab
Hast du den Sohn beschieden.
Welch Unheil ängstet dich,
Daß du die Mutter anrufst, die in der Erde ruht,
Menschliche Wohnungen längst verließ?“
Die mein Vater umfing
Lud an den Ort mich, den kein Lebender kennt,
Eine Frau hier zu finden.
Lang ist der Menschen Verlangen.
Wenn es sich fügt, daß sich erfüllt dein Wunsch,
So lacht dir günstiges Glück.“
Kräftige, Mutter, dein Kind.
Unterwegs fürcht ich den Untergang,
Allzujung eracht ich mich.
Das Rinda sang der Ran:
Hinter die Schultern wirf was du beschwerlich wähnst,
Dir selbst vertraue selber.
Auf weiten Wegen wonnelos:
Der Urd Riegel sollen dich allseits wahren,
Wo du Schändliches siehst.
Flutende Flüße brausen,
Der reißende, rauschende rinne dem Abgrund zu,
Vor dir versand er und schwinde.
Am Galgenweg begegnen,
Ihnen mangle der Muth, die Macht sei bei dir
Bis sie zum Frieden sich fügen.
Um die Gelenke legen,
Lösende Glut gießt dir mein Lied um die Glieder,
Der Haft springt von der Hand,
Von den Füßen die Feßel.
Wilder als Menschen wißen,
Sturm und Flut faß in den Schlauch,
Daß sie frohe Fahrt gewähren.
Der Frost auf Felsenhöhen,
Kein Glied verletze dir der grimme Hauch,
Noch soll er die Sehnen dir straff ziehn.
Die Nacht auf neblichem Wege,
Nichts desto minder mag dir nicht schaden
Ein getauftes todtes Weib.
Dem schwertgeschmückten, zu reden,
Wortes und Witzes sei im bewusten Herzen
Fülle dir und Überfluß.
Dich mag kein Hinderniss hemmen.
Ich stand auf dem Stein an der Schwelle des Grabs
Und ließ mein Lied dir erklingen.
Und behalte sie im Herzen:
Heils genug hast du immer
Dieweil mein Wort dir gedenkt.“
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied