Die Eidschwurtafel im Göppinger Heimatmuseum aus dem Jahr 1755
Die Eidschwurtafel im Göppinger Heimatmuseum aus dem Jahr 1755
[78] Im Heimatmuseum der Stadt Göppingen, das sich in dem früheren Schloß der Freiherrn von Liebenstein, dem sogenannten „Storchen“, befindet, wird im stadtgeschichtlichen Raum eine bemerkenswerte zweiteilige Holztafel in den Abmessungen 87×67 cm verwahrt. Auf das Holz ist ein mit vielfarbigen bildlichen Darstellungen und schmückendem Rankenwerk versehener Text aufgezogen. Es ist eine Auslegung des Eidschwurs, die in dieser Darstellung in Württemberg einzigartig ist. Als Verfertiger der Tafel ist ein Michael Frey, Schulmeister in Kleineislingen, ausgewiesen; das Entstehungsjahr ist 1755.
Die linke Hälfte der Tafel wird ganz von einem Text eingenommen, der mit kunstvoll gemalten großen gotischen Schmuckbuchstaben beginnt. Er ist von Blumenranken umgeben und hat folgenden Wortlaut:
„Eine schöne Auslegung des Eyd-Schwurs: Was ein ieder Finger bedeut und ausweißt, allen frommen Christen für Augen gestellt und beschriben:
Welchem Menschen ein Eyd zu thun aufferlegt wird, der soll mit auffgehabenen Fingern schwören, bey dem ersten Finger, als dem Daumen, wird verstanden Gott der Vatter, bey dem andern Finger Gott der Sohn, und bey dem dritten Finger, Gott der heilige Geist. Der vierdte und der unter sich gelegte Finger, bedeut die Seel, der fünffte und kleinste Finger, bedeut den Menschlichen Leib, welcher dann viel kleiner und geringer gegen der zu achten ist, die gantze Hand aber bedeut das gantze Göttliche Wesen, durch welches Allmacht Himmel und Erden, Sonn und Mond, die schönen lieblichen Sternen, Laub und Graß, und alles was lebet auff Erden, erschaffen worden ist. Der Eyd hat auch folgenden Verstand, wie hernach zu vernehmen, und lautet also: Das ich falsch oder unrecht schwör, so soll Gott der Vatter, Sohn und Heiliger Geist mich ausschließen und absondern von der gantzen Christenheit. Zum andern, da ich falsch schwör, so soll mir Gott der Vatter mein Erschaffer, Gott der Sohn mein Erlöser, und Gott der Heilige Geist mein Seeligmacher, nimmermehr zu Hülff kommen, wann sich mein Leib und Seel an meinem letzten End voneinander scheiden werden. Zum dritten, da ich falsch schwör, so soll das bitter Leyden und Sterben Jesu Christi, welches Er am Stammen des Heiligen Creutzes für der gantzen Welt Sünden bezahlet und genug gethan, an mir verlohren seyn, und ich mich dessen in Ewigkeit nicht zu getrösten habe. Zum vierdten da ich abermahl falsch schwöhr, so helff mir Gott nimmermehr, und daß ich Meineydiger am Jüngsten Gericht, mit Schrecken, Zittern und Traurigkeit aufferstehen, und allda mein Leib und Seel, für dem strengen Richterstuhl Gottes, und von allen Außerwählten Gottes abgeschieden und ewiglich verloren werde. Derowegen, oh Christenmensch, bedencke und überlege den Eydschwur recht, laß Dich kein Gewalt, Lob, Ehr, Geld und Gut bewegen, daß Du mit dem [79] Wenigsten falsch schwörest, dadurch Gottes Huld verlohren, Leyb und Seel verdammet, und auff diesem Jammerthal die liebe Obrigkeit und der Nächste betrogen, auch Recht und Gerechtigkeit dadurch verdunckelt wird. Folgen hierauff wahrhafftige Geschichten dreyer Meineydiger Personen, welche der Allmächtige Gott augenscheinlich gestrafft hat, allen Gottlosen zum Spiegel, und frommer Christen zur Warnung anzuhören.
Zu Losanna am Genfter See liegend, hat diesem ein reicher Würth mit einem seiner Mitburgeren, der doch nicht sonders Vermögen gewesst, ein Recht geführt, antreffend eine treffliche große Summa Gelds, da aber solches anderer Gestalt nicht, dann durch gewisse Gezeugnuß hat können zu Recht erkannt werden, ist diese Rechts-Sach gemeldtem Würth auff den Eyd gegeben worden, welchen er zu leisten gantz vermessen eingewilliget. Als ihm aber der Eyd vor Gericht zu thun aufferlegt worden, und er solchen ihme zum ewigen Verderben mit auffgehabenen Fingern schwörte, ließ der liebe Gott seine gerechte Straff und Zorn über diesen falschen meineydigen Würth augenscheinlich ergehen, dergestalt, daß dieser elende Würth alsbald niedersanck, sein ganzer Leib kohlschwartz ward, bey gleich übereinander hockend und tot ist. Bey diesem Eydschwur sind viel vornehme Leuth gewesen, die dieses alles gesehen und angehöret haben. Nach verloffener That aber ist dem Andern, seinem Mitbürger, als dem Gerechten in dieser Sach Wahrhafften das Geld eingeräumt und überantwortet, der todte Würth aber als ein meineydiger Verläugner und Verächter der Heiligen Dreyfalltigkeit, an das Ort der Überthäter geschleppet und von der Christlichen Gemeind abgesondert worden.
Gleicher Gestalt hat sich in der Stadt Genff begeben, das eine vornehme hohe Person einen falschen Eyd geschwohren, welcher Meineydige kürtzlich hernach gestorben, und in sein eigen neu Begräbnuß gelegt worden. Nun begäbe sich, über zwantzig Jahren hernach, daß eine Weibs-Persohn aus derselben Freundschaft von dem lieben Gott aus diesem Jammerthal abgefordert wurde, da nun bemeldte Begräbnuß wieder geöffnet, befände sich gleich wohl, daß der gantze Leichnam verzehrt, biß an den rechten Arm und Hand, welche gantz undverwesen, doch kohlschwartz, mit auffgehebten Fingern allda gefunden worden, dardurch ist dann die recht Wahrheit an Tag kommen. Darauff sind alsbalden Ordnungen geschehen, daß die Gebein des unverwesenen schwartzen Arms von dieses Meineydigen falschen Cörppers, zur zeitlichen Straffe, dieweil er Gott so freventlich geunehret, dem Heiligen Geist gelogen, die Obrigkeit und seinen Nächsten betrogen hat, an das Ort der Übelthäter abgesondert und geschleppet, und von der Christlichen Gemeinde abgethan worden, denen aber, so er mit dem falschen Eyd unrecht gethan, alles überantwortet worden.
Verstandenermassen hat sich in Preßburg im Land Ungarn zugetragen, daß ein Messerschmid, wegen vier Gulden, einen falschen Eyd geschworen, darauff ihm der Allmächtige Gott als bald gestrafft, daß ihm die halbe Hand ist kohlschwartz worden, und am dritten Tag hernach ein sehr trauriges Ende nehmen müssen.
[80] Zu Lübeck begabe es sich, daß einem Würth, welcher wohlhabend war, ein Freund gestorben, welcher keine Kinder verliesse, trachtete der Würth seines verstorbenen Freunds hinderlassene Haab allein zu erben, weilen sich auch eine Frau einfande, die vermeinte, sie wäre auch eine Erbin, kam es endlich dazu, daß diesem Würth ein Eyd aufferlegt wurde, welchen er fälschlich geschworen, sobald er heimkam in sein Hauß, gienge eine große Feuersbrunst auff und verzehrete solches, er flohe in ein ander Hauß, welches ebenermassen auch verbrannte, kame also jämmerlich um sein Leben. Geschehen den 15ten Jenner 1698.“
Die rechte Hälfte der Tafel wird zu zwei Dritteln von bildlichen Darstellungen beherrscht. Unter der oberen Girlande erscheint das Auge Gottes, von dem aus Strahlen mit biblischen Sprüchen ausgehen, die auf zwei links und rechts darunter stehende Männer zielen. Der Mann auf der linken Seite ist in einen hellblauen Mantel gekleidet und trägt eine rote Mütze. Er hat seinen Kopf nach oben gewandt, von wo ihm ein Engel einen mit vielen Früchten beladenen Lebensbaum überbringt. Aufgrund dieser Darstellung und der vom Auge Gottes ausgehenden Worte:
„Es wird dem Gerechten kein Leid geschehen. Sp. Salom. 12, V. 22.“
„Der Gerechte ist wie ein Baum gepflantzet an den Wasserbächen, der seine Frucht bringet zu seiner Zeit. Ps. 1, V. 3.“
sowie dem Psalm „Recht muß doch Recht bleiben und dem werden alle frommen Hertzen zufallen. Psalm 94, V. 15“, handelt es sich hier um den Gerechten.
Ganz anders ist die Darstellung des Mannes auf der rechten Seite! Er trägt ein braunes Gewand und blaue Hosen, hat den Blick zur Erde gerichtet, die rechte Hand zum Schwur erhoben, während die linke schon „kohlschwartz“ an seine Brust greift. Ein geflügelter Teufel reitet auf seinem Haupt und schleppt ihn an eisernen Ketten, die ihm um Hals und Schwurhand gelegt sind, fort. Von allen Seiten kriechen widerliche Schlangen auf ihn zu und zielen mit ihren pfeilartigen Zungen nach seinem Fleisch. Aus dem Auge Gottes treffen ihn der rote Blitz der Verdammnis und die Worte:
„Wisset, daß die Ungerechten, die Hurer, die Abgöttischen, die Ehebrecher, die Diebe, die Geitzigen, die Trunckenbolde, die Lästerer, die Räuber, werden das Reich Gottes nicht ererben. 1. Corinth. am 6., V. 10.“
„Die falsche böse Mäuler sind verflucht. Sirach 28, V. 15.“
„Die falsche Zunge bestehet nicht lange. Sprüch Salomo 12, V. 19.“
„Falsche Mäuler sind dem Herrn ein Greuel. Sprüch. Sal. 12, V. 22.“
Neben den Übeltäter hat der Maler geschrieben:
„Du meineydiger Gesell,
weil du hast Gott verschwohren,
jetzt mußt du in die Höll
und bleibst ewiglich verlohren.“
[81] Zwischen den beiden Männern ist die von einem üppigen Rosenkranz umgebene Schwurhand dargestellt, auf der die Bedeutung der Finger wie am Anfang des Textes erklärt wird. Unter der Hand findet sich der Hinweis auf die Entstehung der Tafel:
„Kleineißlingen. Auff Anbefehlen dessen Herrn Schuldheißen Leonhardt Kötzlen und Anwalden Johannes Leinßen, ist dieß Eyd Schwur Taffel zugerichtet und gemacht worden durch Michael Frey, Schulmeister daselbst, den 19ten Marzi anno 1755.“
Zur Ausfüllung des noch verbliebenen Raumes hat der Eislinger Schulmeister einen allgemeinen Text über Recht und Gerechtigkeit, Gott und Obrigkeit beigefügt, dessen Zeilen im rechten Winkel gegeneinander laufen und so das Bild eines Schachbretts ergeben. Die Entzifferung ist aus diesem Grund nicht immer einfach und durch mancherlei Beschädigungen oftmals lückenhaft:
„Vom Ampt der Obrigkeit … und Richtern.
Die Obrigkeit solle Gott in … gehorsam dienen, das Reich Christi pflantzen und mehren, Recht und Gerechtigkeit … haben, ihre Unerthanen schitzen und schirmen, derselben Heil und Wohlfahrt suchen fördern und ihnen mit löblichen Exempeln vorleuchten. Es solle die Obrigkeit gedencken, daß sie ihr Amt von Gott habe, welcher von Ihnen schwehre Rechenschaft fordere und die so ihres Ampts mißbrauchen, schrecklich straffen wird. Sehet zu, was ihr thut, daß ihr haltet das Gericht nicht den Menschen, sondern dem Herrn und er ist mit Euch im Gericht, darum lasset die Forcht des Herrn bey Euch seyn, hütet euch und thut es, sie sollen die hohe Göttliche Maiestät scheuen und bedencket, daß sie mitten unter ihnen im Gericht sitze, sehe und höre, was sie reden und handeln und was sie vor ein Urtheil sprechen. Werde auch einmahl ein allgemeines Jüngstes Gericht halten, dabei alle Sachen genau untersuchen und wo sie unrecht gerichtet, ein erschröckliches Urtheil über sie ergehen lassen. Keines verlange es auch Richter zu seyn, dann durch … Vermögen werde er nicht alles Unrecht zurecht bringen. Er möge sich entsetzen für einem gewaltigen und … mit Schanden fallen lassen. Sie sollen liebhaben die Gerechtigkeit, ein rechtes Urtheil sprechen, der Gerechtigkeit gemäß richten, darzu nach dem Spruch Jethro sollen sie redliche Leuthe seyn, das Recht nicht beugen, sondern dem, was recht recht ist, nachjagen. Richtet recht zwischen jedermann. Sie sollen vor allen Dingen die Leuthe gern verhören und die Klag und der Beklagten beantwortung, ehe sie ein Urtheil fällen. Höre den Armen gern und antworte ihm freundlich und sanfft. Ihr sollt sie hören, den Kleinen wie den Großen verdamme niemand, ehe du die Sach zuvor erkennest. Erkenne es zuvor und straffe … urtheilen, ehe du die Sach zurecht hörst und laß die Leuthe zuvor auch reden, menge dich aber nicht in frembde Sachen, und sitze nicht bey unrechtem Urtheil, so möget ihr den Trost haben, daß ihr viel Gnade und Seegen vor Gott werdet haben. Er der Herr wird mit euch seyn.
Jedermann sey unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, es sey im geistlichen oder weltlichen Stand, wie Paulus sagt, aller menschlichen Ordnung um deß Herrn willen. Und hat man nicht darauff zu sehen, welcher Religion die Obrigkeit zugethan sey, der wahren [82] oder der falschen, auch nicht, ob die Obrigkeit fromm oder gottloß, hoch oder nieder, sie selbst oder Diener, denn einer ieglichen Obrigkeit ist man zu Gehorsammen verbunden mit gebihrender Ehrerbietung von Hertzen, aus rechtschaffener Liebe gegen die Obrigkeit. Darum sagt Paulus, dießfalls, gebet Ehre dem Ehre gebüret, umb der Ordnung und Gebott Gottes willen, dann es ist keine Obrigkeit ohne von Gott. Wo aber eine Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer wider die Obrigkeit sich setze, der widerstrebet Gottes Ordnung. Wie man es für löblich hält, Gott unterthänig zu seyn, also soll man der Obrigkeit solches auch beweisen, umb des Herrn willen, sagt Paulus. Hie zu Vermeidung der Straffen von Gott und von der Obrigkeit wann sie widerstreben, werden sie von Gott ein Urtheil über sie empfahen, mit zeitlichen und ewigen Straffen. Thust du Bößes, forchte dich, dann die Obrigkeit trägt das Schwerdt nicht umbsonst, sie Dienerin eine Rächerin zur Straff über den der Böses thut. So syd nun deß Noth unterthan um der Straff willen. Sie hat ihre Diener zur Rach über die Übelthäter um deß Nutzens willen den man vom Gehorsam gegen der Obrigkeit hat. Die Gewaltigen sind nicht den Guten sondern den bösen Wercken zu förchten. Wilt du dich aber nicht förchten für der Obrigkeit so thue Gutes, so wirst du Lob von den Seeligen haben. Wann man Obrigkeit hat, kann man ein ruhiges und stilles Leben führen in aller Gottseeligkeit und Ehrbarkeit und sicher wohnen unter seynem Weinstock und Feigenbaum, seynen Gottesdienst abwarten, seyn Brod ruhig. Und genießt seyn Haus in Zucht und Ehr erhalten und was andere groß Nutzbarkeiten mehr seynd um deß Gewissens willen, wie Paulus hie redet, damit man es nicht verletze noch beunruhige, noch von demselbigen geängstiget, geplaget, auch gar zur Verzweifflung gebracht werde. Es solle dieses iedermann zur Vermahnung …, daß man unterthan sey aller Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, aller menschlichen Ordnung umb des Herrn willen. Es seye dem König, dem Fürsten, dem Edelmann, oder den Haupt …, Amtleuthen, Schuldheißen, Richtern, Räthen, als den Gesandten von … Rach über die Übelthäter und zu Lob und Nutz den Frommen. Die Unterthanen werden in ihrem Schatten wohnen in Sicherheit und Ruhe haben und sich wohl nähren und ein stilles Leben führen in aller Gottseeligkeit.“