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Die Eisenminen zu Dannemora

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CCXXXXI. Madrid: der Palast der Cortes Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCXXXXII. Die Eisenminen zu Dannemora
CCXXXXIII. Schloss Burgk im Reussenlande
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DAS EISENBERGWERK ZU DANNEMORA

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CCXXXXII. Die Eisenminen zu Dannemora.




Es gab Jahrhunderte, wo der Glaube aus Priestern Heilige machte, und aus den Königen Götter; es gab Jahrhunderte, wo die Menschheit mit verbundenen Augen geführt wurde von einem Gefängniß in das andere; es gab Jahrhunderte, wo Aberglaube und Vorurtheil, als Gespenster-Geschwister, die ganze Nacht durch schreckten, polterten, umstürzten, zerschmetterten: und als der Morgen graute, war doch nichts verrückt; es gab andere Jahrhunderte, jüngere Zeiten, wo, nachdem die eine Hälfte der Menschheit die andere, durch Arglist und Faustgewalt, um ihr Gleichheitsrecht betrogen, sie der unterdrückten sogar den Menschennamen abstritt; Jahrhunderte, in denen man Seeraub ehrte, den Segen des Strandrechts in’s Kirchengebet einschloß, den Negerhandel als einen Akt der Humanität pries und den Unterthanen-Verkauf als ein Recht der Fürsten. Zwischen dieser Nacht und den lichten Sabbathstagen liegt, wie eine weite Schlucht, unsere und unserer Kindeskinder dämmernde Gegenwart. Was führt hinüber? Eine Brücke von Eisen! Barocker Gedanke! ruft da Mancher. Als ob er nicht wüßte, daß auf der Eisenbrücke der Kultur das Geschlecht schon lange gewandelt! Wer kann den Krieg ohne Eisen sich denken? Die Maschinen des Kriegs aber waren die ersten Säemaschinen der Kultur, auf den blutigen Schlachtäckern sproßten der Menschheit die ersten Aerndten zur weitern Aussaat von Kenntnissen, Wissen und Gesittung. Seitdem freilich die Völker die Ammenmährchen von Nationalhaß und Erbfeindschaft nicht mehr glauben; die Kunst, sie zusammenzuhetzen, in Verruf gekommen ist, wie andere Teufelskünste; der Begriff von der Nothwendigkeit des Kriegs allwärts den Credit verloren hat und anfängt, obsolet zu werden: seitdem sind die Kriegsmaschinen, als Culturwerkzeuge, entbehrlich; aber die Unentbehrlichkeit des Stoffs ist geblieben, obschon die Anwendung sich verändert hat. Man reicht der Welt die Gesittung nicht mehr auf der Spitze des Schwerts, oder läßt sie auf Kanonenkugeln fliegen; aber man baut ihr Eisenbahnen als Heerstraßen, ihre Armeen sind die Dampfwagen, und die Foultons, die Watts, die Cockerills sind ihre Cäsaren und Alexander. Es mag die Metamorphose für den klassischen Kopf immerhin etwas komisches haben, wie ihm die Behauptung, das Eisen civilisire die Welt, wohl überhaupt widersinnig scheint; aber darum bleibt die Thatsache nicht weniger richtig. Von jeher war das Eisen das Mittel, durch welches die Europäer, als Träger und Repräsentanten der Kultur, ihre Ueberlegenheit der Willens- und Verstandeskraft in allen Theilen der Welt geltend machten, und wodurch sie zu einer Machtvollkommenheit gelangten, vor welcher die Rohheit in den entlegensten Erdwinkeln keine sichere Stätte mehr findet. Wenn die Zeit gekommen seyn wird – und unser ist [22] diese Zeit, – wo alle großen Städte in so viel Tagen mit einander verkehren, als sie hunderte von Meilen aus einander liegen; wenn die Zeit gekommen seyn wird, wo die, jetzt fragmentarisch dastehenden, Eisenbahnen sich zu einem großen Eisenbahnnetze über den Erdkreis verketten, das allen Völkern dazu dient, ihre Bedürfnisse und ihren Ueberfluß an materiellen Gütern, wie an geistigen, zu tauschen, Ideen und Begriffe wechseln, und persönlich mit einander bekannt zu werden; wenn jedes Ereigniß und jedes Verhältniß, was an einem Ende der Welt eintritt, oder sich neu gestaltet, an ihrem andern Ende tausend Thätigkeiten weckt und die Frage: wer benutzt sie am schnellsten und gewandtesten? ein allgemeines Parforcejagen von Wissen, Fähigkeiten, Kenntnissen, Geschick und Kunst aus einem Welttheil in den andern hervorruft; wenn Jeder und Alle, schon um der Existenz willen, sich diesem couriermäßigen Treiben und Durcheinanderjagen der Kräfte hingeben: – dann wird freilich die Behauptung, „das Eisen ist der mächtigste Hebel der Civilisation,“ Niemanden mehr befremden. –


Von des Eisens Bedeutung für die Zwecke der Civilisation ist ein weiter Sprung des Gedankens herab bis zu jenes Metalls positiver Wichtigkeit als Produkt des Bergbaus. In dieser Beziehung nimmt es bei weitem die erste Stelle ein, und der jährliche Produktionswerth aller übrigen auf der Erde gewonnenen Metalle zusammengenommen, ist noch nicht der fünfte Theil vom Werthe jenes einzigen in seiner rohesten, metallischen Gestalt. Alle Gold- und Silberbergwerke des Erdballs erzeugen jährlich für nicht ganz 120 Millionen Gulden; die des Kupfers für 40 Millionen; jene aller übrigen Metalle, Eisen ausgeschlossen, bringen höchstens für 30 Milionen hervor: – das Quantum des jährlich blos in Europa gewonnenen Eisens hingegen übersteigt 40 Millionen Zentner, und sein Werth (als Roh- und Stabeisen) 300 Millionen Gulden! Das kleine England beschäftigt in seinen Eisenminen, Eisenhütten und Schmelzwerken 160,000 Menschen, und nicht viel geringer ist die Zahl Derer, die ihren Unterhalt von der Gewinnung der Steinkohlen haben, die zum Schmelzen des Eisens erforderlich sind.

Nächst England liefert, im Verhältnis zu seiner Größe und Volkszahl, das industrielle Belgien das meiste Eisen, – gegenwärtig über 3 Millionen Cntr. Cockerill hat hier Wunder gewirkt, sowohl unmittelbar, wie durch sein Beispiel. Sein bewundernswürdiges Etablissement zu Seraing, (Bild und Beschreibung desselben folgt in einem spätern Hefte), auf eine Eisenproduktion von jährlich 1 Million Centner berechnet, ist allein schon hinlänglich, jenen Mann als einen großen Menschen zu bezeichnen, als jener Thatenmenschen einen, die im Aetherblau der Zeit dastehen wie Gebirge, aber eben darum vom gemeinen Haufen in der Tiefe nie recht gemessen, nie recht erkannt und nie recht beurtheilt werden können. Auch der große Cockerill hat das erfahren müssen, am empfindlichsten jetzt, [23] als dem Zweck einer heuchlerischen Politik es frommte, dem belgischen Industrieleben plötzlich Blut zu lassen bis auf den Tod. Cockerill und die belgische Industrie aber sind eins. Der Schlag, den man dieser beibringen wolte, mußte jenen treffen. Das will freilich der gemeine, lästerliche Sinn nicht fassen und anerkennen. –

Der Quantität nach reiht sich in der Eisenproduktion an England Frankreich zunächst. Es hat seine Eisenerzeugung seit 10 Jahren verdoppelt und auf 11 Millionen Centner gebracht. – Dann kömmt Rußland mit 7 Millionen Centnern, Deutschland mit 6, das aber 8 verbraucht und das Doppelte hervorbringen könnte, wenn es die Erzschätze überall zu nützen verstände, die der Schöpfer in den Schooß seiner Gebirge gelegt hat. – Zunächst folgt Schweden. Es schmilzt jährlich 2 Millionen Centner, und dieses Eisen ist das beste in der Welt.

Die Gruben zu Dannemora sind durch den ganzen Norden, sowohl in Bezug auf Größe, als auf Ergiebigkeit, seit zwei Jahrhunderten berühmt. Sie liegen in der Provinz Upsala-Lehn, in einer öden und felsigen Gegend, in der man, nach den gewöhnlichen Begriffen, Bergbau am wenigsten vermuthen sollte. – Denke dir eine von düsteren Kiefernwäldern umgebene, wüste Ebene. Hier und da steigen wunderlich gestaltete Gerüste empor, beräucherte Hütten und niedrige Wohnungen, einzeln, oder zu zwei und drei bei einander liegend, stehen zerstreut umher; Rauchsäulen wirbeln auf, als kämen sie aus der Tiefe. Dein Weg geht an einigen Pferdegöpeln vorüber, von denen knarrendes Gestänge in weite Entfernung hinführt. Angelangt bei der Grube siehst du dich am Rande eines furchtbaren, mit schwarzen, senkrechten Wänden zu einer schauerlichen Tiefe hinabführenden Kraters. Bebend blickst du hinein; eine weißlich-flimmernde Decke auf dem Boden scheint dir funkelndes Erz zu seyn. Aber es sind Schnee- und Gletschermassen, welche in dieser Tiefe niemals schmelzen. An den Wänden der schwarzen Gruft gaffen die Mundlöcher tiefer Höhlen. Schwarzer Qualm dringt aus ihnen hervor; dann und wann dunkelrothe Flammen. Das grelle Licht, das diese um sich verbreiten, zeigt dir ein Gewimmel von Pygmäengestalten, in den Seitenhöhlen, wie in der Tiefe; viele stehen auf Leitern, oder sitzen auf queer vor den Wänden hängenden Balken; alle arbeiten ämsig am festen Gestein. Rings um den Krater her knarren die Roßkünste, ächzen die langen Feldgestänge, und wenn ihr betäubendes Geräusch einen Augenblick ruht, werden aus der Tiefe die zahllosen Hämmer hörbar, wie fernes Pferdegetrappel in todtenstiller Nacht. An aus dem weiten Schlund überhängenden hohen Gerüsten rasseln unaufhörlich die erzgefüllten oder geleerten Tonnen an rostigen Ketten auf und nieder, und Erzwägen, nachdem sie den Inhalt der gefüllten Tonnen in sich aufnahmen, fahren auf den mit Eisen beschlagenen Holzbahnen pfeilschnell zur Ladestätte herab, wo Karren an Karren sich drängen, und ein geschäftiges Leben anderer Art sich zeigt. Noch nimmt der ungewöhnliche Anblick deine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch; da schlägt es auf dem höchsten der Gerüste, die den Abgrund umgeben, von einem kleinen Glockenthurme eins – zwei. Bei diesem Signal verändert sich die Scene. Die Tonnen, welche bisher mit Erz gefüllt waren, tragen lebendige Lasten herauf. Männer, Weiber und Kinder, je drei auf dem Rande einer Tonne stehend, und sich mit der einen Hand an der Kette [24] festhaltend, fahren empor; sie scheinen den finstern Aufenthalt zu fliehen, denn schneller als sonst erheben sich die Tonnen. Eine Todtenstille folgt; der Abgrund scheint wie ausgestorben. Da schlägt die Thurmglocke zwölf; ihr nach hallt ein hohles Rufen aus der Tiefe, wie Weheruf. Abermalige Stille. Auf einmal fängt unter dir die Erde zu beben an, ein krampfhaftes Zucken folgt und in demselben Momente ein betäubender Schlag, ein Krachen wie von hundert zugleich losgelassenen Geschützen, und ein entsetzlicher Donner wälzt sich in den Eingeweiden der Erde hin; tausend Blitze zucken im Abgrunde, und unter Rauchwirbeln schleudert es Steine und Erzmassen hoch über den Rand empor. Ein Prasseln wie von nachstürzenden Feldmassen begleitet den Donner; er verhallt und stille ist’s wieder, als wäre nichts geschehen. Niemand scheint das grandiose Schauspiel zu bemerken, das dich erschüttert. Ruhig schmaucht der Steiger, dein Führer, sein Mittagspfeifchen fort, ohne nur aufzusehen. Erkundigst du dich nach der Ursache der schreckhaften Erscheinung, so erfährst du, daß jeden Mittag die in der Morgenschicht abgebohrten Sprengbatterien losgelassen werden, und man dazu die Essenszeit der Arbeiter benutze, weil dann um so weniger Unglücksfälle zu fürchten seyen.

Nach einer halben Stunde fahren die Arbeiter wieder an. Die Neugierde bezwingt deine Furcht, – auch du besteigst eine Tonne und mit der Schnelligkeit eines Pfeils fährst du in den vierhundert achtzig Fuß tiefen Abgrund. Nie wirst du den Anblick vergessen. Auf den Eisfeldern, welche den Boden bedecken, liegen die von der Gewalt des Pulvers losgesprengten Erzmassen chaotisch umher, und hunderte von Menschen sind beschäftigt, sie auf Karren zu sammeln und die größern mit gewaltigen Hämmern und Keilen zu spalten. Ungeheure schwarz geräucherte Eiszapfen hängen von jedem Felsvorsprung hernieder, und darunter sind schon wieder zahllose Hände mit Bohren beschäftigt, die nächst- zu lösende Batterie vorzurichten. Hier und da lodern Feuer, und schwarze Gestalten lagern umher, um nach geschehener Sprengarbeit auszuruhen und ihr frugales Mittagsmahl einzunehmen, das selten aus etwas anderm als Erdäpfeln besteht, die sie am Feuer rösten.

Nicht weniger als 1800 Menschen finden in dieser Grube täglich Arbeit; karg ist ihr Lohn, nie mehr als ein Kupferthaler, kaum 2 Groschen oder 9 Kreuzer; aber dennoch ist sie eine Wohlthat der ganzen Gegend und wird als ein Segen Gottes gepriesen. Das Erzlager von Dannemora scheint unerschöpflich. Seit 1580 in ununterbrochenem Betrieb, hat es jährlich im Durchschnitt 1 Million Centner Erze zu den Hütten geliefert. Die Masse des seit jener Zeit ausgebrachten Eisens übersteigt 110 Millionen Centner, ein Werth von mehr als 500 Millionen Gulden.