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Madrid: der Palast der Cortes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCXXXX. Semlin Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCXXXXI. Madrid: der Palast der Cortes
CCXXXXII. Die Eisenminen zu Dannemora
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MADRID
von der Anhöhe beim Thore Foncarral

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CCXXXXI. Madrid: der Palast der Cortes.




Von den Süd-Donauländern, für welche ein neues Leben aufgeht, wenden wir ungern den Blick nach dem abendlichen Ende Europa’s. Dort die Morgenröthe einer neuen Kultur; hier der Untergang einer alten. Dort sprengt die Rohheit ihre Hülle zur schönern Gestaltung; hier macht die Gesittung ihre scheußliche und blutige Metamorphose zur Barbarei. Armes Spanien! armes, unglückliches Land, ohne Trost und ohne Hoffnung! Hingegeben den Furien des Bürgerkriegs, regt sich kaum noch eine Stimme des Mitleids, oder der Theilnahme, bei der gaffenden, vom überlangen Schreckensschauspiel ermüdeten Mitwelt. Wer mag auch deinen Treibern nachzählen, wenn sie mit viehischer Grausamkeit die kaltblütig gemordeten Opfer einander vorrechnen, und wer sympathisiren mit Menschen, die, wenn sie der Wehrlosen ein Paar Dutzend mehr hingeschlachtet haben, als die Gegenpartei, sich freuen, wie [19] über einen gewonnenen Sieg? Der Kampf der Selbstvernichtung ist immer ein widerlicher, seiner Natur, wie seinem Zwecke nach; aber bei Grandiosität des Charakters wird er, bei Einzelnen, wie bei Völkern, doch nie so, wie hier, in den niedrigsten Formen sich bewegen. Die Fluth der empörten Volksleidenschaften, der wilde Wahnsinn, der Alle gegen Alle zum brudermörderischen Kampfe treibt, kann er auch keine Achtung einflößen, doch Theilnahme wird er gebieten: aber von jenem wüsten, ideenlosen, durch gemeine Raublust und thierische Blutgier geleiteten Treiben kraftloser Faktionen, die um spanisches Land und Volk sich beißen, wie die Geier um gefallenes Aas, wendet der Beobachter mit Ekel und Verachtung sich ab.

Der wüthende Strom, der ein Land verwüstet, oft ist er still und friedlich an seiner Quelle und zarte Blumen sprossen und blühen sicher an der Wiege Dessen, dessen Fluth Häuser niederwirft und Bäume entwurzelt. Auch Spaniens verheerender Strom, siehe! hat eine lachende Heimath. Wie lieblich ist ihr Bild, wie bräutlich liegt sie da, die stolze Königsburg, und zu ihren Füßen hingestreckt die glänzende Hauptstadt mit ihrer Pracht, ihrem Reichthum, ihren Schätzen der Gelehrsamkeit und Kunst, ihren Freuden und ihren Festen! So alt wie Madrid, so alt ist Spaniens mit jedem Tage wachsendes Unglück. Jene furchtbaren Uebel, welche Auflösung, Tod und Verwesung in den spanischen Volkskörper trugen, sie haben in jener Akropolis ihren Ursprung; denn dort wurde das Regierungssystem geschmiedet, und dreihundert Jahre lang ausgeübt, welches es sich zur Aufgabe machte, mit dem Fanatismus und der Unwissenheit der Menge, den aufgeklärten und gebildeten Theil der Nation niederzuhalten, zu beherrschen. Es ist freilich das keine neue Erfindung; sondern es ist und war das probate Panaceum schwachköpfiger Tyrannei stets und überall. Jetzt reift dieser Saat die Frucht, und mit dem Unschuldigen ärndtet sie auch der Schuldige. Spaniens Thron war Jahrhunderte lang der erhabenste und absoluteste des Universums; wie ist er in den Koth gesunken! Glühende Kohlen bilden seinen Sitz, und unter seinem Himmel schwebt das Schwert an einem Haare. Herabgewürdigt zu einem willenlosen Spielball der Partheien sehen wir die höchste Autorität gehorsamen brutalen Militair-Chefs, und, um die elende Existenz zu fristen, die Königs-Macht zu der äußersten Schmach sich bequemen: der Schmach, den offnen Ungehorsam loben zu müssen und zu belohnen. Von Niemand gefürchtet und von Allen verachtet, scheint sie vom Schicksal nur noch geduldet zu werden, um dem Lande das letzte Mark auszusaugen, den sozialen Auflösungsprozeß zu beschleunigen, und, wenn das Maas ihrer entsetzlichen Wirksamkeit voll ist, um so schrecklicher zu enden. Kaum erstreckt sich des Thrones scheinbare Herrschaft noch über das Weichbild der Hauptstadt hinaus, und die Delegaten der königlichen Gewalt, wie Eintagsfliegen kommen sie mir vor, die im letzten zuckenden Strahl der untergehenden Sonne flackern, um im nächsten Augenblicke zu verschwinden. Wer nennt noch jene täglich wechselnden Lenker von Spaniens Geschick? Sie kommen und treten ab; kein Mensch fragt mehr, wer sie sind, und wer sie gewesen. –

Ich habe Madrid auf einem früheren Blatte dieses Werkes beschrieben, und auch das Schloß hat der Leser mit mir schon einmal durchwandert. Nur jenes alte, große, klösterliche, neu aufgefrischte Gebäude im Vordergrunde [20] glauben wir noch nicht gesehen zu haben: – was ist’s? Der Pallast der Cortes. Wie sollten wir die Begierde unterdrücken, in einer solchen Zeit, der Zeit des Ernstes und der Schrecken, Zeuge einer solchen Versammlung zu seyn?

Wir stehen vor dem Pallaste. Ihm gegenüber, auf dem freien Plage vor demselben, sieht von hohem Postamente eine eherne Bildsäule nieder. „Ist es Riego’s?“, „„die des Cervantes!““ fällt die Antwort; „dort neben an, in dem kleinen Hause, schrieb der Dichter seinen Don Quixote und – hungerte.“

Mit klopfendem Herzen treten wir in den Sitzungssaal. Er ist groß, länglich rund, mit gewölbter Decke. Auf einer Erhöhung, fast in der Mitte des Saales, steht der Thron, davor der Tisch des Präsidenten und der Secretaire; zwei Rednerstühle zu beiden Seiten; im Kreise umher, auf Bänken, amphitheatralisch über einander geordnet, sitzen die Deputirten. Die Namen einiger Helden aus dem Unabhängigkeitskriege, einige Opfer der spätern Zeiten, bilden den einzigen Schmuck der Wände. In der Mitte der Saalhöhe läuft die Gallerie für das Publikum im Kreise herum. Die vordern Sitze, welche vorzugsweise den Damen gehören, sind gewöhnlich mit einer Doppelreihe geschmückter Frauenköpfe und gestickter Mantillen eingenommen; auch die übrigen Sitze sind selten leer. Aber alle diese Zuhörer gehören der gewählten Gesellschaft an; feiner den untern Classen, dem Volke.

Die Form des Saals, das Schmucklose desselben, das gedämpfte, von oben herabfallende Licht, alles macht den gefälligen Eindruck der Einfachheit und Würde.

Mit neugierigem Blicke mustern wir die Versammlung der Cortes. Wenige Uniformen, wenige Priesterröcke; vorherrschend die einfache, schwarze, bürgerliche Kleidung. Die meisten sind Männer von mittlerem Alter; viele auch noch jugendlichen Ansehens; Greise nur wenige. Auffallend ist die Fülle von Charakterausdruck in diesen gebräunten Gesichtern; keines ähnelt dem andern. In der ganzen Versammlung liegt etwas Ernstes, Gehaltenes, Würdiges; nur aus wenigen Physiognomieen lauscht die kochende, unbezwingliche Leidenschaftlichkeit des Südens. Diese letztern sind die Elemente der stürmischen Debatten, welche oft ein Augenblick improvisirt, und jeder Tag durch neue Ereignisse, neue ergreifende Szenen, neues Unglück, neue Stürme herbeiführt.

In den Cortes sind alle Talente des constitutionellen Spaniens vereinigt. Das spanische Wahlgesetz ist vortrefflich, und es hat die Wirkung gehabt, die Cortesversammlung bisher immer mit einem vollen Maße von Talent, Vaterlandsliebe und Rednergabe auszustatten. Aber das Ringen dieser Männer, – und ein wahrhaft tragisches Ringen ist es! – was hat es geholfen? – Wer achtet noch auf die gewaltigen Redner mit den stumpfen Donnerkeilen? Die Cortes halten das Rad des Verderbens nicht auf; aber das Rad wird sie zermalmen zu gewisser Stunde, wenn die letzten Illusionen der constitutionellen Monarchie auch dort verschwunden sind, und deren Thron und Institutionen die nämliche Welle begräbt.