Die Eroberung des Brotes/Die Arbeitsteilung

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Textdaten
Autor: Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
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Titel: Die Arbeitsteilung
Untertitel:
aus: Die Eroberung des Brotes, S. 145–147
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1919
Verlag: Der Syndikalist
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: Bernhard Kampffmeyer
Originaltitel: La conquête du pain. Paris 1892
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Cornell-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
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DIE ARBEITSTEILUNG.

Die politische Oekonomie hat sich stets darauf beschränkt, die Tatsachen, welche sie sich in der Gesellschaft[WS 1] vollziehen sah, zu konstatieren und sie im Interesse der herrschenden Klasse zu rechtfertigen. Ebenso verhielt sie sich der Arbeitsteilung, die durch die Industrie geschaffen worden war, gegenüber; sie hat sie vorteilhaft für die Kapitalisten gefunden und hat sie zum Prinzip erhoben.

Betrachtet Euch einmal jenen Dorfschmied, sagte Adam Smith, der Vater der modernen politischen Oekonomie. Wenn er nur selten Nägel schmiedet, so gelangt er nur selten dahin, deren 2 oder 3 Hundert an einem Tage zu fabrizieren; und dann sind sie noch schlecht. Wenn aber dieser Schmied nie etwas anderes als Nägel fabriziert hat, so fertigt er leicht deren 2300 im Verlaufe eines Tages an. Und nun beeilt sich Smith, zu schließen: „Teilen wir die Arbeit, spezialisieren wir sie, spezialisieren wir immerfort, haben wir Schmiede, welche nur Nagelköpfe oder Nagelspitzen zu machen wissen; – auf diese Weise werden wir mit großem Vorteil produzieren. Wir werden reich werden.“

Was aber die Fragen betrifft, ob der Schmied, der während seines ganzen Lebens dazu verdammt ist, Nagelköpfe zu machen, nicht jegliches Interesse an seiner Arbeit verliert, ob er mit dieser begrenzten Arbeit nicht einzig seinem Arbeitgeber nützt, ob er nicht bald vier Monate von zwölf wird feiern müssen, und ob sein Lohn nicht schnell sinken wird, sobald man ihn durch einen Lehrling ersetzen kann, Smith hat nicht an diese gedacht, als er schrieb: „Es lebe die Teilung der Arbeit; sie ist die wahre Goldgrube, in der sich eine Nation bereichern kann!“ Und die Anderen jubelten ihm ohne weiteres zu.

*

Und wenn ein Sismondi oder ein J. B. Say später bemerkten, daß die Teilung der Arbeit, anstatt die Nation zu bereichern, nur die Reichen bereicherte, und daß der Arbeiter, der während seines ganzen Lebens gezwungen war, den achtzehnten Teil einer Nadel zu machen, abstumpfte und im Elend verkam – was schlugen da die offiziellen Herren Oekonomen vor? Nichts! Sie sagten sich nicht, daß ein Mensch, der sein ganzes Leben einer derartigen maschinenmäßigen Arbeit widmet seine Intelligenz und Erfindungsgabe verlieren müsse und daß im Gegenteil der Wechsel in den Beschäftigungen eine beträchtliche Vermehrung der [146] Produktivität der Nation zur Folge haben würde. Sie fuhren statt dessen fort, die „Teilung der Arbeit“ zu preisen.

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Wenn es übrigens nur Oekonomisten wären, welche die permanente und häufig erbliche Arbeitsteilung predigten, so würde man sich dies noch gefallen lassen. Doch diese Ideen, geäußert von den Lehrern der Wissenschaft, prägen sich dem Geist vieler Anderen ein und geben diesem eine verkehrte Richtung. Weil man unausgesetzt von der Arbeitsteilung als längst gelöstem Problem sprechen hört, so wird schließlich Jeder (selbst der Arbeiter) ebenso wie die Oekonomisten zum Verherrlicher dieses Fetisches.

So sehen wir selbst viele Sozialisten, und zwar solche, welche sich nicht gescheut haben, die Irrtümer der Wissenschaft anzugreifen, das Prinzip der Arbeitsteilung hoch achten. Sprecht mit ihnen über die Organisation der Gesellschaft während der Revolution und sie werden Euch antworten, daß die Arbeitsteilung unbedingt aufrecht erhalten werden müsse; und wenn Ihr vor der Revolution Nadelspitzen gemacht habt, so werdet Ihr es auch nach ihr tun – allerdings! Ihr werdet während Eures ganzen Lebens Nadeln zuspitzen, während Andere nur Maschinen oder Maschinenprojekte, die Euch während Eures Lebens die Zuspitzung von Milliarden von Nadeln erlauben, machen werden. Andere werden sich einzig den erhabenen Berufen literarischer, wissenschaftlicher, künstlerischer Beschäftigung widmen. Ihr aber seid zum Nadler geboren, wie Pasteur zum Hundswutimpfer, und die Revolution wird den Einen wie den Andern bei seinen Beschäftigungen belassen.

Ein furchtbares Prinzip, das ebenso schädlich der Gesellschaft, wie abstumpfend[WS 2] für das Individuum, und es ist die Quelle einer ganzen Reihe von Uebeln, die wir jetzt in ihren verschiedenen Manifestationen andeuten müssen.

*

Man kennt die Konsequenzen der Arbeitsteilung. Wir sind jetzt in zwei Klassen geschieden: auf der einen Seite die Produzenten, die äußerst wenig verzehren, die nicht denken dürfen, weil sie arbeiten müssen, und die schlecht arbeiten, weil ihr Gehirn untätig bleibt; auf der andern Seite die Konsumenten, welche wenig oder garnichts produzieren, und das Privilegium haben, für die Andern zu denken, aber schlecht denken müssen, weil ihnen eine ganze Welt, nämlich die der Handarbeiter, unbekannt bleibt. Die Landarbeiter verstehen nichts von der Maschine, und diejenigen, welche die Maschinen bedienen, nichts von der Feldarbeit. Das Ideal der modernen Industrie ist ein Kind, das eine Maschine bedient, deren Mechanismus es nicht begreifen kann, und Aufseher, welche es mit Strafen belegen, wenn einmal seine Aufmerksamkeit erlahmt. Man sucht sogar den Feldarbeiter gänzlich überflüssig zu machen. Das Ideal der industriellen Landwirtschaft ist ein Maschinist, den man für drei Monate mietet, und der einen Dampfpflug oder eine Dreschmaschine führt. Die Arbeitsteilung ist der Mensch, der für sein ganzes Leben zum Knotenschürzen in einer Weberei, zum [147] Bedienen der Maschine in einer Fabrik, oder zum Wagenstoßen in einem Bergwerk verdammt und geeicht ist und deswegen keine Ahnung von der Gesamtheit der Maschine, der Industrie oder des Bergwerks haben kann; der deshalb die Lust zur Arbeit und jegliche Erfindungsgabe, gerade die Eigenschaften verliert, die im Kindesalter der modernen Industrie jenen Werkzeugsapparat geschaffen haben, auf den wir heute so stolz sind.

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Was man für die Menschen getan hat, man wollte es auch für die Nationen tun. Die Menschheit sollte sich in nationale Werkstätten teilen, von denen jede ihre Spezialität hätte. Rußland – lehrte man uns – ist von der Natur dazu bestimmt, Getreide zu bauen; England Baumwollstoffe zu fabrizieren; Belgien, Tuche anzufertigen, während die Schweiz alle Länder mit Bonnen[WS 3] und Erzieherinnen versorgen muß. Innerhalb jeder Nation sollte man sich dann noch weiter spezialisieren: Lyon sollte nur Seidenwaren, die Auvergne nur Spitzen und Paris nur Phantasieartikel machen. Damit wäre, behaupteten die Oekonomisten, der Produktion wie der Konsumtion ein unbegrenztes Feld eröffnet und eine Aera der Arbeit und ungeheuren Reichtums eingeleitet worden.

Doch diese großen Hoffnungen schwanden nach Maßgabe, als das technische Wissen mehr und mehr Allgemeingut wurde. Solange England allein Baumwollen- und Metallwaren im Großen produzierte usw., ging alles gut: man konnte die Arbeitsteilung predigen, ohne ein Dementi befürchten zu müssen.

Aber eine neue Strömung ergreift die zivilisierten Nationen und veranlaßt sie, es mit allen Industrien bei sich selbst zu versuchen; sie finden es vorteilhaft, selbst zu fabrizieren, was sie ehemals von anderen Ländern empfingen; und selbst die Kolonien sind schon bestrebt, sich von ihrem Mutterland zu emanzipieren. Wo die Entdeckungen der Wissenschaft Allen zugänglich sind, ist es unnütz, künftig noch dem Auslande einen übertriebenen Preis für das zu bezahlen, was man sich leichter selbst produzieren kann. – Ist diese Revolution, welche wir heute in der Industrie erleben, nicht ein Faustschlag ins Gesicht der Theorie der Arbeitsteilung[WS 4]?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Geschaft
  2. Vorlage: abstumpend
  3. Kindermädchen
  4. Vorlage: Arbeisteilung