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Die Führerinn

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Textdaten
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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Die Führerinn
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aus: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung) S. 277-279
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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[277]

 Die Führerinn.

     Führe mich, o Muse, jenen engen
Steilen Pfad. Er windet sich durch Höhlen,
Wie man sagt, des dunkeln Aberglaubens
Und Betrugs. Er scheint sich in die Wüste

5
Zu verlieren, wo das rege Irrlicht

Auf den Sümpfen hüpft. Auch seh ich Disteln
Neben mir. Nur locket jener Glanz mich
Auf der Höh’. Es tönen Lobgesänge
Droben. – Muse! –


[278]
10
     Doch sie ist verschwunden. –

Wie? und vor mir schwebet eine andre
Liebliche Gestalt, in hellen Byssus
Sanft verschleiert. „Himmlische, wer bist du?
Ach, auf deiner Brust sind Blutestropfen.

15
Und die Lilie in deinen Händen –“


     „Von dem Dolche feindlicher Verläumdung,
Freundlicher Entweihung sind die Wunden
Mir gegraben; doch das Blut der Unschuld
Bringet Heil.“

20
     „Um deine Stirn, o Göttinn,

Starrt ein Dornenkranz.“

     „Und auf dem Kranze
Sprießen Rosen. Auf! hinauf! Die Palmen
Winken uns; die Lobgesänge tönen.
Fürchte keine Höhlen des Betruges

25
Da wo ich dich führe.“


     „Und wer bist du?“
„Drei- und einfach ist mein heilger Name;

[279]

Niemand kennt ihn, als wer ihn empfähet.
Carita; Geduld und Lieb’ und Hoffnung.

30
     „Aber warum schwand vor dir die Muse?“

„Ach den tausend unglückselgen Menschen,
Und den rohen Herzen, die sie quälen,
Hilft kein Ton der Muse mehr. Sie fodern
Andre Sorgen. – Hoffe keinen Lorbeer.

35
Nimm hier diesen Zweig und meine Krone.“