Die Frauen auf den Marshall-Inseln
[572] Die Frauen auf den Marschall-Inseln. Diese Inseln des Stillen Meeres, welche jetzt der deutsche Reichsadler unter seine Fittiche genommen hat, sind schon von dem Dichter Chamisso, welcher den russischen Seeofficier Kotzebue auf seiner Reise um die Welt begleitete, geschildert worden, und zwar besonders der Osttheil dieser Inselgruppe, welcher den Namen „Natak“ trägt. Die Bewohner dieser Eilande erschienen dem dichterischen Gemüth Chamisso’s so friedlich, freundlich und anziehend, daß sie fast dem Ideal eines paradiesischen Lebens, wie es seiner Phantasie vorschwebte, entsprachen. Neuere Forschungen, wie sie Karl Hager in seinem Werke „Die Marschall-Inseln in Erd- und Völkerkunde, Mission und Handel“ (Leipzig, Lingke) zusammengestellt hat, geben uns indeß ein anderes Bild von den Eingeborenen; sie sind durchaus nicht so unkriegerisch, wie sie dem liebenswürdigen Dichter erscheinen; ja, sie unterscheiden sich von anderen wilden und auch zahmen Völkerschaften dadurch, daß die Weiber sogar an dem Kriege Antheil nehmen, nicht nur wo es dem Feinde auf eigenem Boden zu wehren gilt, sondern auch beim Angriffe. Sie bilden unbewaffnet ein zweites Treffen: einige rühren auf Geheiß ihres Führers die Trommeln, erst in langsamen, abgemessenem Takte, wenn von fern die Streiter Wurf auf Wurf wechseln, dann in verdoppelten raschen Schlägen, wenn Mann gegen Mann im Handgemenge steht. Sie werfen Steine mit der bloßen Hand, stehen den Ihrigen im Kampfe bei und werfen sich sühnend und rettend zwischen diese und den siegenden Feind. Gefangene Weiber werden verschont, Männer werden nicht zu Gefangenen gemacht. Seltsam ist’s, daß der Mann den Namen des Feindes annimmt, den er in der Schlacht erlegt hat. Die Frauen nehmen eine geachtete Stellung ein und haben Antheil an allen Vortheilen und Vergnügungen. Ihre Hauptarbeit besteht im Flechten der Matten und Segel, worin sie große Geschicklichkeit und viel Geschmack entwickeln, in Zubereitung von Speisen und in leichteren Arbeiten beim Fischen; alle schwereren Arbeitsleistungen fallen den Männern zu. Die Ehen beruhen auf freier Uebereinkunft und können durch dieselbe auch wieder aufgelöst werden; doch herrscht Vielweiberei. Wenn der Jüngling die Jungfrau zärtlich liebkost durch Berührung der Nase – eine auch auf den Karolinen übliche Sitte – so sucht er dafür, um nicht Anstoß zu erregen, den Schatten auf. Jede Mutter darf nur drei Kinder erziehen: das vierte und jedes darauf folgende muß sie selbst lebendig begraben; nur die Familien der Häuptlinge sind so schrecklichem Gesetze nicht unterworfen. Noch manche andere interessante Kunde wird uns von den Marschall-Inseln, welche jetzt unserer Kultur erschlossen sind, und wie drunten die weitgedehnten Korallenbänke, die Träger der Inselgruppen, in hundert Farben und Formen schimmern, wenn der Strahl der Tropensonne hinunterdringt, so wird sich auch droben bald ein geistiges Leben erschließen, das in allen Formen und Farben deutsche Bildung widerspiegelt. †